Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Friedrich Wilhelm Gotter
Dieser Dichter, welcher seinen Zeitgenossen, die ihn freudig
anerkannten, als ein Muster des guten Geschmackes galt,
wurde zu Gotha geboren; sein Vater war ein angesehener
Staatsbeamter und sorgte für eine treffliche
Erziehung des Sohnes, welcher in seiner Jugend sehr
zart organisirt und schwächlich war. Neigung zu Sprachen,
wie zur Poesie und namentlich zur dramatischen, traten
in dem jungen Gotter ziemlich frühzeitig hervor. In
seinem siebzehnten Jahre bezog Gotter, bisher durch
Privatlehrer unterrichtet, die Hochschule Göttingen, um
dort die Rechte zu studiren, nebenbei aber huldigte er
unbefangen der poetischen Muse und knüpfte mit Eckhof,
Mitglied der damals in Göttingen wirkenden Ackermannschen
Gesellschaft, das Band einer Freundschaft
an, die für sein ganzes späteres Leben nachhaltig fortwirkte.
Die Neigung für die darstellende Kunst der
Bühne war so genährt, daß Gotter selbst, nach Abgang
der erwähnten Gesellschaft von Göttingen, ein
Liebhabertheater errichtete und leitete, an dem er seine
Begabung praktisch und theoretisch zugleich üben lernte.
Nach vollendeten Studien 1766 nach Gotha zurückgekehrt,
wurde Gotter zweiter Geheimer Archivar und
durfte im folgenden Jahre den Freiherrn von Gemmingen
als Gesandtschaftssecretair nach Wetzlar begleiten.
In Wetzlar, wo er die Beschäftigungen mit den schönen
Künsten keineswegs aufgab, wurde Gotter der Antrag,
zwei jungen Edelleuten als Führer auf der Universität
zu dienen; er nahm denselben an und wählte mit Vorliebe
wieder Göttingen zum Ort seines Aufenthaltes
und eifrig fortgesetzter Studien. Dort begründete er
mit Boie den 1770 erschienenen Götting’schen Musenalmanach
nach dem Muster eines Pariser, und Kästner
unterstützte dabei lebhaft die Freunde; Gotter aber
wurde durch sein nicht ganz aufgegebenes dienstliches
Verhältniß nach Gotha, ehe noch der Almanach erschien,
zurückgerufen, bald aber fügte es sich, daß er abermals
in gleicher Eigenschaft, wie früher, nach Wetzlar entsendet
ward, und dort fand er jetzt zu seiner großen
Freude nicht nur die Ackermannsche Gesellschaft wieder,
sondern machte auch die Bekanntschaft Goethe’s und
Jerusalem’s, was auf Gotter den anregendsten und belebendsten
Einfluß übte, zumal er auch noch manche
[Ξ] sonstige angenehme Bekanntschaft anknüpfte und fleißigen
Briefwechsel mit begabten Geistern unterhielt. Er schrieb
in dieser Zeit seine berühmt gewordene »Epistel über
die Starkgeisterei«, reiste, um seine schwächliche Gesundheit
zu kräftigen, nach Frankreich, lernte die französische
Bühne gründlich kennen, besuchte die Schweiz, wo er
Geßner und Lavater kennen lernte, und kehrte, geistig
erfrischt, mit neuen Eindrücken und Plänen erfüllt,
abermals nach Gotha zurück. In dieser seiner Vaterstadt
begründete Gotter wieder ein Gesellschaftstheater,
an dem er nach jeder Richtung hin selbstthätig war,
bis Gotha ein strahlender Stern der Kunst aufging
und eine Musterbühne dieser Stadt durch die Gunst
eines kunstsinnigen Fürsten zu Theil wurde, wie in
Deutschland keine zweite bestand und bestehen konnte,
denn Gotha vereinigte fast alle Bühnenberühmtheiten
jener Zeit, und es war ja ohnehin noch nicht lange
her, daß von einer solchen Berühmtheit überhaupt die
Rede sein konnte. Die gefeierten Namen Eckhof, Böck,
Brandes, Iffland, Beil, Beck, Großmann und die Damen
Brandes, Seyler, Starke, Koch, Merceur u. a. waren
dort vereint und ihre Träger in ehrenvollster Weise
künstlerisch thätig, wobei Gotter’s geistige Antheilnahme
in mannichfacher Weise fördernd zu Statten kam. Auch
als Improvisator war Gotter sehr glücklich, noch glücklicher
aber dadurch, daß er nicht nöthig hatte, diese
schöne Begabung um Geld zu Markte zu tragen. Es
stand in seiner Gewalt, kleine dramatische Sachen rund
und leicht und geistvoll aus dem Stegreif zu bilden
und vorzutragen, womit er sich und andern schöne genußreiche
Stunden in lebenvollen poesiedurchglühten
Kreisen schuf. In den meisten Formen deutscher Dichtkunst
versuchte sich Gotter; in den dramatischen wurden
Posse, Singspiel, Lustspiel und Trauerspiel von ihm
angebaut; er war Lyriker, Elegiker und Romanzendichter,
und auch die seltener gepflegte poetische Epistel
fand an ihm einen Freund. Nur das höhere epische
Gedicht lag außer seiner Sphäre, dazu fehlte ihm wohl
die Ruhe und die innere Anregung. Seine ersten
Trauerspiele: »Elektra«, »Merope« und »Alzire«, schrieb
er nach französischen Vorbildern und in gereimten
Alexandrinern; zum Melodram »Medea« schuf der in
Gotha lebende bedeutende Tondichter Benda die Musik.
Durch seine Singspiele machte sich Gotter äußerst beliebt,
hier war er wohl mehr als Chr. Felix Weiße’s
Nebenbuhler, er übertraf ihn vielleicht. »Der Jahrmarkt«,
»Romeo und Julie« und »das tartarische
Gesetz«, alle drei Singspiele, und eine Menge übersetzter
Opern- und Operettentertbücher lassen Gotter als in
dieser für den wahren Dichter allerdings nicht schwer
wiegenden Gattung als Meister erscheinen, zahlreich sind
aber auch seine vom fremdländischen Boden auf deutschen
verpflanzten übrigen dramatischen Stücke.
Im Jahre 1780 verheiratete sich Gotter und erhielt 1782 den Posten eines geheimen Secretairs. Leider alterte er bei seiner zart organisirten, schwächlichen Natur sehr schnell und erreichte nur das 53. Lebensjahr. Sein literarischer Nachlaß brächte noch manches schöne Werk seiner Muse zur Erscheinung, darunter das Trauerspiel »Mariane« nach la Harpe, das man als seine bedeutendste Arbeit anerkannte und das den Weg über alle deutschen Bühnen wandelte; dann »die Geisterinsel«, eine Nachbildung von Shakspeare’s Sturm, welche von nicht weniger als vier Komponisten in Musik gesetzt wurde, von Zumsteeg, von Haak, von Fleischmannn in Meiningen und von Reichardt. In Prosa verfaßte Gotter eine Charakterschilderung der Frau von Buchwald, der Freundin und frühern Hofdame der geistvollen Herzogin Luise Dorothea, geborne Prinzessin zu Sachsen Meiningen, beide Freundinnen Voltaire’s, von welchem letzteren Gotter’s Buche einige Briefe beigefügt sind.
Einem großen Theil der Besten seiner Zeit that Gotter genug, er war vollkommen Meister der Sprache, eignete sich die fremden Formen mit Leichtigkeit an und wußte sie mit Gewandtheit einzubürgern; seine Lieder und Elegien sind leicht und gefällig, in der Form der poetischen Epistel stand er allen seinen Zeitgenossen voran.