Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Christian Freiherr von Wolf

Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Bechstein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Christian Freiherr von Wolf
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 395–396
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[Ξ]


Christian Freiherr von Wolf.
Geb. d. 24. Jan. 1679, gest. d. 9. April 1754.


Unter Deutschlands Philosophen und Mathematikern war Frhr. v. Wolf einer der hervorragendsten, ebenso sehr gefeiert wie geschmäht, gehaßt wie bewundert; er gründete sich einen großen weithin verbreiteten Namen, und gab seiner Wissenschaft ebenso feste Basis, wie er derselben treueifrige Jünger weckte und zuführte. Er wurde zu Breslau geboren, wo sein Vater Bäcker war, und war berufen, aus der engen Sphäre bürgerlicher Gewerbsthätigkeit die Höhe der Wissenschaft zu gewinnen. Gute Anlagen befähigten ihn, sich auf dem Marien-Magdalenengymnasium vorzubilden, und er entwickelte schon auf diesem regen Forschungsgeist und die Neigung zu den beiden Doctrinen der Mathematik und Philosophie, in denen er später ein so großes Ziel erreichte. Demzufolge entsagte Wolf auch der Theologie, für die er eigentlich bestimmt war, und widmete sich auf der Hochschule zu Jena, welche er 1699 bezog, und darauf in Leipzig mit dem besten Erfolg den von ihm bevorzugten Studien.

In Leipzig wurde Wolf 1703 Magister, disputirte, wurde durch den berühmten Mathematiker Grafen Tschirnhausen an Leibnitz empfohlen und studirte eifrig die Schriften des letztern, dessen Geist er sich ebenbürtig zu fühlen begann. Er hielt öffentliche Vorlesungen an der Hochschule, verließ die von de Cartes eingeschlagene und vorgezeichnete Richtung der Philosophie und wandte sich der von Leibnitz zu, mit dem er lange im brieflichen Verkehr blieb und von welchem er auch nach Halle empfohlen wurde. Dort begann Wolf, nachdem er mehrere vortheilhafte Anträge nach Gießen, Danzig und Wismar abgelehnt hatte, 1706 seine Vorlesungen und erhielt im darauf folgenden Jahre die erste Professur der Mathematik. Die Schriften, welche Wolf ausarbeitete und nach einander erscheinen ließ, in denen allen sich lichtvolle Klarheit der Gedanken, folgerichtige Ordnung und strenge Logik seiner Lehrsätze und Lehrmethode kund gab, erwarben dem Halleschen Philosophen die allgemeinste Anerkennung und seinen Hörsälen eine ungemeine Schüler- und Zuhörerfülle. Mehr als jeder andere Vorgänger oder Mitringer auf dem Felde der philosophischen Wissenschaft erwarb sich Wolf auch dadurch ein Verdienst, daß [Ξ] er die Kunstausdrücke in der Philosophie vorsichtig und allmälig in deutscher Sprache wiedergab, was zwar Thomasius auch schon begonnen, aber mit weniger Erfolg ausgeführt hatte. Die lateinische Sprache war noch so beliebt auf den Kathedern, daß Wolf sich sogar genöthigt sah, die von ihm deutsch herausgegebene Denklehre später in das Lateinische zu übertragen, was ihn wohl bewog, nach seinen deutsch veröffentlichten Werken über Metaphysik, Moralphilosophie, Politik mit Oekonomik, nebst einigen mathematischen und physikalischen Werken mehrere umfassendere Werke über Logik, Psychologie, Ontologie, Ethik, natürliche Theologie, Politik und Völkerrecht lateinisch zu schreiben und herauszugeben. Wolf war es, der dem Studium der Weltweisheit in Deutschland zuerst sichern Halt und Boden gewann, indem er es in eine mathematisch-wissenschaftliche Form goß, zuerst ein allgemeines philosophisches System aufstellte und die Lehren der theoretischen, wie der praktischen Philosophie in allen Theilen erweiterte, so wie zugänglicher und gemeinnütziger machte.

Dieser großen und unvergeßlichen Verdienste ungeachtet erlebte Wolf, welchem bei stets sich mehrendem Ruhme Anerkennung und Berufungen zuströmten (er sollte wieder nach Leipzig, sollte nach Wittenberg, selbst nach St. Petersburg), mannichfaltige Anfechtungen und hatte Kämpfe mit gewichtigen Gegnern zu bestehen. Ehrenbezeugungen, Titel und Würden (Wolf wurde als Mitglied der Berliner Akademie ausgenommen, vom König Friedrich Wilhelm I. zum Hofrath ernannt) erweckten Neid und Mißgunst; die in Halle vorwaltende pietistisch-mystische Richtung, deren theologischer Anschauung die Philosophie stets ein Dorn im Auge war und noch ist, verketzerte den großen Philosophen, beschuldigte ihn in seiner Wissenschaft der Neigung zum Atheismus und Fatalismus, und brachte es durch anhaltendes Bohren, Dr. Joachim Lange an der Spitze, endlich wirklich dahin, daß der im Netz frömmelnden Truges in Hinsicht auf Wolf förmlich eingesponnene König – Wolf 1723 seines Lehramtes entsetzte und ihm gebieten ließ, binnen 48 Stunden bei Strafe des Stranges das Land zu räumen.

Wolf begab sich nach Cassel, wo ihn der heller blickende Landgraf Carl mit offenen Armen empfing und ihn sofort zu seinem Hoftath ernannte, auch als ersten Professor der Philosophie zu Marburg anstellte. Während nun der Streit für und gegen die Wolf’sche Philosophie weiter griff und viele Federn beschäftigte, wurde Wolf vom Ausland mit Ehren überhäuft. Ein erneuter Ruf nach Petersburg und ein Ehrengehalt von Seiten Peter des Großen, Mitgliedschaften der Akademien dort, wie zu London, Paris und Stockholm wurden ihm zu Theil, endlich auch völlige Rechtfertigung bezüglich aller Anschuldigungen, glänzende Zurückberufung und Wiedereinsetzung mit erhöhten Titeln, und so kehrte Wolf unter König Friedrich II. als königl. Geheimrath und Vicekanzler der Universität und Professor des Natur- und Völkerrechts nach Halle zurück. 1743 wurde er wirklicher Kanzler und 1745 vom Kurfürsten von Bayern als Reichsvikar in den Freiherrenstand erhoben. Er konnte sein ruhmgekröntes Leben in Frieden und hohen Ehren zu Ende führen, wenn auch im Greisenalter die frischlebendige Kraft zu welken begann, die seiner Mannesthätigkeit ihre unverwelklichen Ruhmeskränze geflochten hatte.