Zwei Zöglinge des Wiener Kinderbaletts

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Zwei Zöglinge des Wiener Kinderbaletts
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 607–608
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Fanny Elsler und Andreas Luzzi
Blätter und Blüthen
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[607] Zwei Zöglinge des Wiener Kinderballets. „Geht mir mit eurem ‚Schafhaxel‘, eurer ‚Eselshaut‘, ‚Hirschkuh‘ und dem ganzen flimmernden Thierspital! Für einen einzigen Theaterabend der alten Zeit gebe ich die ganze neue blödsinnige Gauklerbude hin, und den Offenbacher Dudelsack auch noch dazu, wenn ihr wollt!“

So poltern die alten Wiener Bürger, wenn sie jetzt das Theater an der Wien verlassen und des kunstsinnigen Grafen Palffy gedenken, der als Director dieser Bühne, vor einem halben Jahrhundert, alle Feengebilde der arabischen Märchenwelt an ihnen vorüber wandeln ließ. Jugendlich begeistert werden diese alten Herrn, wenn sie sich an Horschelt’s Kinderballet erinnern, das der genannte Cavalier mit wunderbarer Pracht und Herrlichkeit in die Scene setzen ließ. Und die Wunderkinder dieses Ballets? Wir nennen nur die drei niedlichen Grazien Fanny Elsler, Angioletta Meyer und Therese Heberle und sind überzeugt, daß wir die Herzen aller Greise jugendlich schlagen machen. Wenn Fanny Elsler, die man ein paar Jahre später „die Göttliche“ nannte, wie aus Aether gewoben daher schwebte und ihr reizendes Lockenköpfchen mit den seelenvollen Augen aus einer Gruppe lebendiger Rosen erhob, mußte man ja glauben, Titania, die niedliche Elfenkönigin, habe sich aus dem Wolkenschooß zu uns herabgelassen, um mit der Poesie des blauen Himmels die nüchterne Prosa der Erde zu bekämpfen. Aber nicht nur die schwebende, tanzende, auch die lachende komische Muse hatte ihre Priesterschaft in diesem Kinderballet. Da war vor Allen Andreas Luzzi, ein kleines pudelnärrisches Kerlchen, um so possirlicher, weil ihn die Natur mit einem ganz respectablen Buckel ausgestattet hatte. Wenn der kleine bucklige Bursche seinen dicken Kopf in die Schultern zurückzog und mit der Behendigkeit eines jungen Affen seine Lazzi und Sprünge machte, glaubte man eine Kugel mit Armen und Beinen herumkollern zu sehen und lachte so ausgelassen, daß man sich beinahe wie er vor Lachen gekugelt hätte. Und doch war Andreas Luzzi nur ein Krüppel, aber ein gar stolzer Krüppel im Bewußtsein seiner Meisterschaft, denn das Publicum jubelte ihm an jedem Abende entgegen, und die Tänzerinnen der Quadrille, die man sehr ungalant „die Ratten“ hieß, machten ihre Knixe vor ihm, ja sogar die kleine reizende Fanny Elsler pflegte ihn ihren Herrn Lehrer und Collegen zu nennen.

Da schlug plötzlich ein Donnerwetter aus blauem Himmel in diese kleine lustige Welt. Meister Horschelt erhielt ganz unerwartet den Auftrag – das Kinderballet aufzulösen. Fanny Elsler, Angioletta Mayer, Therese Heberle und viele andere der kleinen Fußkünstlerinnen sprangen von der Bühne an der Wien auf die Bühne nächst dem Kärnthnerthor hinüber, ja selbst „die Ratten“ fanden ihre Löcher, nur Andreas Luzzi fand nirgend ein Plätzchen, so lang er sich auch streckte und so stolz er auch auf alle Triumphe hindeutete, die er schon gefeiert hatte. Man fertigte ihn überall lachend ab. Wozu sollte ein Bühnenleiter den kleinen buckligen Knirps auch brauchen können? Es gab kein Kinderballet mehr, und selbst dem Kinderballet war er schon entwachsen, das heißt in der Breite, nicht in der Länge, er hätte nur noch aus Mitleid beklatscht werden können.

[608] Seine Collegin Fanny Elsler hatte sich zur Jungfrau entwickelt, – schneller als sie wuchs ihr Ruhm, und noch schneller als ihr Ruhm die Zahl der zweibeinigen Schimmel und Füchse, die an ihrem Triumphwagen zogen. Der Buckel des armen Luzzi wuchs auch, und schneller als sein Buckel wuchs seine Noth, denn er hatte nichts gelernt, als Sprünge und Lazzi machen, und mit dem Springen wollte es nicht mehr recht gehen und mit dem Lazzimachen auch nicht, denn um zu springen, war er zu schwerfällig und um Lazzi zu machen, zu hungrig geworden, wenn auch noch irgend Jemand an seinen Schnacken Gefallen gefunden hätte. Vom Arbeiten konnte schon gar keine Rede sein, denn erstens fehlten ihm die Lust und die Liebe und zweitens der Muth und die Kraft zur Arbeit.

Jahre vergingen. Auf Fanny Elsler regnete es Edelsteine, Gold, Kränze und Blumen in aller Herren Ländern, auf ihren Collegen Andreas Luzzi regnete es auch in der Heimath – bittere Tropfen von Thränenweiden, die der blasse Gärtner Elend zu tränken hat. Nach langer Abwesenheit kehrte Fanny Elsler in ihre Vaterstadt zurück, denn es war dem Director des Kärnthnerthor-Theaters gelungen, sie für einen kurzen Gastrollencyclus zu gewinnen. Jung und Alt drängten sich in’s Theater, um der weltberühmten Künstlerin seine Huldigung darzubringen. Das war ein Lärmen und ein Trommeln in dem überfüllten Hause, denn trommeln können die guten Oesterreicher im Theater, wenn sie auch auf dem Schlachtfelde nicht zu rechter Zeit zu trommeln verstehen. Alles schrie, klatschte, tobte, trommelte, nur da oben auf der letzten Galerie saß ein kleines, buckeliges, armselig gekleidetes Männchen, das nicht einstimmte in den allgemeinen tollen Jubel, es saß ganz mäuschenstill und ernst vor sich hinbrütend da, ja man wollte sogar bemerken, daß hin und wieder eine Thräne über seine blassen eingefallenen Wangen rollte. Wie konnte nur der kleine, garstige Kobold weinen, wenn Fanny Elsler tanzt!

Sonntags pflegte Fanny Elsler die Augustinerkirche zu besuchen, denn sie war gar fromm geblieben, wenn sie auch eine Tänzerin war, und vergaß nie dem lieben Gott zu danken für das große Glück, das er ihr auf ihrer Künstlerlaufbahn beschieden. Das närrische Volk stürmte ihr sogar in’s Gotteshaus nach; ei nun, es ist auch in der That, der Mühe werth, ein so reizendes Menschenkind zu sehen, das sich in einem einzigen Monat mit ihren beiden Füßchen mehr Goldstücke verdient, als Shakespeare und Schiller mit ihren beiden Köpfen im ganzen Leben erwarben. Als die gefeierte Künstlerin am Sonntage nach ihrem ersten Gastspiel aus der Kirche trat, bemerkte sie, einige Schritte entfernt von der gaffenden Menge, ein kleines, buckeliges, fast in Lumpen gehülltes Männchen, dessen Antlitz unmöglich das Glück so bleich gefärbt haben konnte.

Und dennoch bettelte das arme Männchen nicht, – ja es warf sogar recht stolz das Haupt in den Nacken, als ob der Knirps der kleine König David oder sonst eine kurze Größe gewesen wäre. Bestürzt blickte die Künstlerin auf den Kobold, – dann legte sie ihre kleine Hand auf die Stirn, als ob sie ihre Gedanken sammeln wollte, – endlich schien sich eine Erinnerung an ihre Kindheit in ihrem glänzenden Auge zu spiegeln.

Schnell näherte sie sich dem Buckligen und fragte fast schüchtern und mit unsicherer Stimme: „Um Himmelswillen, wer sind Sie, mein Herr?“

„Auch ein Künstler!“ antwortete der kleine Bucklige, stolz wie Giulio Romano sein historisches „Auch ich bin ein Maler“ sprach.

„Sie – Sie sind – Andreas Luzzi?“

„Alle – Alle haben den Namen Luzzi vergessen,“ rief dieser mit wehmüthiger Freude, „aber meine kleine Fanny nicht!“

„Sagen Sie die große Fanny, – aber auch die große Fanny hat es nicht vergessen, daß die kleine Fanny Ihre Schuldnerin geblieben ist.“

„Schuldnerin?“

„Allerdings!“ erwiderte die Tänzerin mit bezaubernder Unbefangenheit, indem sie ihre Börse in die Tasche des Buckligen gleiten ließ. „Ich bin Ihnen ja das ganze Honorar für alle Tanzlectionen, die Sie mir im Probesaal gegeben haben, schuldig geblieben, als ich noch ein kleines unbeholfenes Mädchen war. Aber lange geborgt ist nicht geschenkt. Besuchen Sie mich ja recht bald, damit wir unsere Rechnung endlich ausgleichen können. Aber hübsch artig sein und mich nicht lange warten lassen, mein lieber Herr College, – sonst suche ich Sie auf, um mit Ihnen zu schmollen und Ihnen ein recht bitterböses Gesicht zu zeigen.“

Ehe der kleine Bucklige noch ein Wörtchen erwidern konnte, saß die liebenswürdige Tänzerin schon in ihrem Wagen und fuhr, freundlich zurückgrüßend, dem Kohlmarkt zu. Andreas Luzzi griff in die Tasche, umklammerte krampfhaft die Börse und sein bleiches Gesicht färbte sich schamroth, denn jetzt erst war es ihm klar geworden, daß er ein Bettler war. Wie ein Trunkener wankte er nach Hause.

Fanny Elsler wartete vergebens auf ihren kleinen Collegen. Er war richtig so unartig, sie nicht zu besuchen. Sie mußte schon ihn aufsuchen, um mit ihm zu schmollen und ihm ein recht bitterböses Gesicht zu zeigen, wie sie versprochen. In seiner Wohnung erfuhr sie: er wäre am Sonntage nach der Kirche fieberhaft aufgeregt nach Hause gekommen, hätte seine kleinen Schulden bezahlt und sich sodann von einem Burschen in’s allgemeine Krankenhaus führen lassen.

Dort fand ihn in der That die berühmte Tänzerin. Da lag er steif und stolz und hatte nicht ein Wörtchen für sie. Aber Fanny Elsler schmollte dennoch nicht mit ihm, zeigte ihm auch kein bitterböses Gesicht, wie er es wohl verdient hätte, – denn der kleine bucklige Kobold war so unartig gewesen – zu sterben, statt sie zu besuchen.