Zwei Knaben und zwei Fürsten

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Zwei Knaben und zwei Fürsten
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[447] Zwei Knaben und zwei Fürsten. Am 30. August 1763 erschien in Frankfurt a. M. eine Concertanzeige in folgender Fassung: „Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der zwei Kinder des hochfürstl. Kapellmeisters Hrn. Leopold Mozart in den Gemüthern aller Zuhörer erweckt, hat die bereits dreimalige Wiederholung des nur für einmal angesetzten Concerts nach sich gezogen! Ja diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangen verschiedener großer Kenner und Liebhaber ist die Ursache, daß heute, Dienstag den 30. August, in dem Scharfischen Saale auf dem Liebfrauenberge Abends 6 Uhr, aber ganz gewiß das letzte Concert sein wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und der Knab’, der im siebenten Jahr ist, nicht nur Concerte auf dem Clavessin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der größten Meister spielen wird, sondern der Knab’ wird auch ein Concert auf der Violine spielen, bei Synfonien mit dem Clavier accompagniren, das Manual oder die Tastatur des Claviers mit einem Tuch gänzlich verdecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als wenn er die Claviatur vor Augen hätte; er wird ferner in der Entfernung alle Töne, die man einzeln oder in Accorden auf dem Clavier, oder auf allen nur denkbaren Instrumenten, Glocken, Gläsern und Uhren etc. anzugeben im Stande ist, genauest benennen. Letztlich wird er nicht nur auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (so lange man zuhören will, und aus allen, auch den schwersten Tönen, die man ihm benennen kann) vom Kopf phantasiren, um zu zeigen, daß er auch die Art die Orgel zu spielen versteht, die von der Art den Flügel zu spielen ganz unterschieden ist. Die Person bezahlt einen kleinen Thaler. Man kann Billets im goldenen Löwen haben.“

Mit solchen Meßbuden-Affichen mußte man damals noch, wie es scheint, das Publicum zu der Production der edeln Musica herbeizulocken suchen! Des siebenjährigen Wunderknaben Vorname war Wolfgang. Unter seinen Zuhörern befand sich aber noch ein zweiter Wolfgang, der vierzehnjährige Wolfgang Goethe! Wer von allen damals Anwesenden hätte ahnen können, daß sich unter ihnen die zwei größten künstlerischen Genien des Jahrhunderts, und man kann sagen wie vieler künftigen noch! befanden? Wußten diese doch selbst noch nichts von den wunderbaren Geistesschätzen, die sie in ihren jugendlichen Köpfen schlummernd mit sich führten, und die dereinst zum Entzücken der Mit- und Nachwelt daraus hervorblühen sollten! Beide Knaben erstiegen später dieselben Höhen des Ruhmes, doch waren ihre Lebensschicksale in allem Uebrigen gar sehr verschieden. Mußte doch Mozart, obgleich der jünger Geborene, im 36. Jahr schon die Erde wieder verlassen, während Goethe das hohe Alter von 83 Jahren erreichte, und somit seinen großen Zeitgenossen um nicht weniger als 40 Jahre überlebte. Doch nicht von dem, was sie als Künstler geschaffen und gewirkt, kann selbstverständlich hier die Rede sein. Darüber so wie über ihre Lebensschicksale liegen ja der Schilderungen eine genügende Anzahl vor. Nur ein dunkeler Punkt aus Mozart’s kurzem Erdendasein möchte weniger bekannt, oder doch nicht in dem grellen Gegensatz aufgefallen sein, den ein Vergleich des Verhältnisses beider Kunstheroen zu ihren Fürsten in’s Licht stellt. An die überaus glänzende und ehrenvolle Stellung Goethe’s zu seinem erhabenen Freunde Karl August und dessen Hofe braucht nur erinnert zu werden. Wie aber stand Mozart zu seinem Fürsten?

Das herbste Schicksal, das einen Genius von Mozart’s kindlicher Art treffen konnte, traf ihn; er gerieth ohne seinen Wunsch und Willen, durch das Dienstverhältniß seines Vaters, schon in früher Jugend unter die Botmäßigkeit des Erzbischofs von Salzburg, eines Fürsten jener damals noch viel verbreiteten Art, für welche die zu achtende Menschheit erst mit dem „Von“ anhub, gleichviel ob diesem Wörtlein durch wirklich adelige Thaten oder durch Buschklepperei auf den Landstraßen erworben war. Den erhabenen Genius, der des stolzen Pfaffen Residenz beehrte und berühmt machte, vermochte er nicht zu würdigen, gleichwohl merkte er an den Ehren und Huldigungen, die von auswärts herübertönten, daß er ein künstlerisches Kleinod von seltenem Werthe unter seinen – Bedienten besitze. Obwohl ihm das im Geheimen schmeichelte, haßte er doch den jungen Künstler, weil er sich nicht zu den hündisch furchtsamen Hofwedeleien erniedrigen konnte, die der erhabene Hirte von allen seinen Schafen erheischte, und die ihm am bereitwilligsten von seinen höheren Hofschranzen gespendet wurden. Darum suchte er Mozart durch Beschränkungen aller Art und die verächtlichste Behandlung zu demüthigen, und es ist ein halbes Wunder, daß der hohe Genius durch diese drückenden Verhältnisse nicht in seinem Streben erlahmt oder ganz zu Grunde gegangen ist. Tief fühlten Vater und Sohn diese abscheuliche Behandlung. Schon im Jahre 1777 schrieb Leop. Mozart an Amadeus nach Mannheim. „Du hast wohl Recht, daß ich den größten Verdruß, wegen der niederträchtigen Begegnung, die Du erdulden müssen, empfunden habe; das war es, was mir das Herz abnagte, was mich nicht schlafen ließ, was mir immer in Gedanken lag und mich am Ende verzehren mußte.“ Und das Jahr darauf meldete er ihm nach Paris. „Ich habe dem Baron Grimm alle unsere Umstände in zween langen Briefen geschrieben und mich in vielen Stücken, die Verfolgung und Verachtung, die wir vom Erzbischof ausgestanden, betreffend, auf Deine mündliche Erzählung berufen.“

Wie glänzend für seine beschränkten Mittel stellte Karl August seinen großen Dichter auch in pecuniärer Hinsicht! In den Diensten des Erzbischofs mußte Mozart darben. Seine Besoldung betrug lange Zeit 12 Gulden 30 Kreuzer monatlich, 150 Gulden jährlich! Dafür mußte er nicht allein als Orchestermitglied und Virtuos arbeiten, sondern auch zahlreiche Compositionen liefern, für die er niemals einen Heller erhielt, wohl aber stets den verächtlichsten Tadel erfuhr. Der Erzbischof sagte z. B. zu Mozart, „daß er nichts von seiner Kunst verstehe und erst nach Neapel in’s Konservatorium gehen müsse, um dort etwas zu lernen!“ Das war freilich nicht seine Ueberzeugung, sondern Berechnung. Je stärker er seinen jungen Concertmeister seine Geringschätzung empfinden ließ, um so weniger, meinte er, konnte dieser es wagen, für seine Leistungen einen höheren Gehalt als 150 Gulden in Anspruch zu nehmen. – Trotz aller dieser Elendigkeiten beredete der Vater seinen Sohn immer wieder, nach Salzburg zurück zu kommen und in den Diensten des Erzbischofs auszuhalten, da er bei seiner Jugend so bald noch nicht auf eine bessere Anstellung anderswo hoffen könne, und gutmüthig und ergeben folgte der liebevolle Sohn des verehrten Papa Ermahnungen, und hielt aus bis zu seinem 25. Jahre, wo die Erlösung aus dem schimpflichen Joche endlich kam.

Mitte März des Jahres 1781 nämlich wurde er von dem Erzbischof nach Wien befohlen, wo letzterer sich eines Processes wegen aufhalten mußte. Dort wollte er mit dem außerordentlichen Künstler glänzen, ihm aber keineswegs die Vortheile gönnen, die sich dem bereits hoch berühmten und allgemein geschätzten Virtuosen und Componisten in der musikliebenden höheren Wiener Gesellschaft boten. Nur wo der Erzbischof eingeladen war, erlaubte er seinem „Hausvirtuosen“, sich – umsonst zu produciren. Sogar eine Gelegenheit, sich bei der Gräfin Thun vor dem Kaiser hören zu lassen, entzog er ihm durch die Mitnahme in eine andere Gesellschaft. Es ekelt Einen an, alle die Erbärmlichkeiten des mißgünstigen Priesters weiter zu verfolgen.

Glücklicherweise für Mozart trieb der Erzbischof in Wien seine verächtliche Behandlung so weit, daß der überstraff gespannte Strang endlich zerriß. Als nämlich die Rückreise der Capelle von Wien nach Salzburg befohlen wurde, bat Mozart wegen seiner noch einzucassirenden Gelder für gegebenen Unterricht etc. noch einige Tage zurückbleiben zu dürfen. Da wurde er vor den Erzbischof citirt und mit folgenden Worten empfangen: „Nun, wann geht Er denn, Bursch?“ Mozart antwortete, wie ihm von Wohlmeinenden gerathen worden, um den Zorn des Gefürchteten zu beschwichtigen, daß er heute Nacht habe abreisen wollen, die „Ordinari“ aber schon besetzt gewesen sei. Da fuhr Se. Fürstl. Gnaden folgendermaßen auf Mozart los: „Er ist der lüderlichste Bursch, den ich kenne; kein Mensch bedient mich so schlecht wie Er. Ich rathe ihm, heute noch wegzugehen, sonst schreibe ich nach Haus, daß ihm die Besoldung eingezogen wird. Er ist ein Lump, ein Lausbub, ein Fex!“ Mit bebender Stimme fragte Mozart: „So sind also Ew. Hochfürstl. Gnaden nicht zufrieden mit mir?“ „Was,“ fuhr der Erzbischof noch wüthender auf, „Er will mir drohen? Er Fex? o Er Fex! Dort ist die Thür! Ich will mit einem solchen elenden Buben nichts mehr zu thun haben!“ – Da riß endlich Mozart die Geduld. „Und ich mit Ihnen auch nicht mehr!“ erwiderte er und ging seiner Wege. Auf mehrere nun wiederholt eingereichte Abschiedsgesuche erhielt Mozart keine Antwort. Man hatte die Schreiben, aus Furcht vor dem Erzbischof, nicht übergeben; denn verlieren wollte er Mozart keineswegs, und daß dieser seinen Dienst wirklich verlassen könne, hielt er gar nicht für möglich. Aber Mozart blieb fest und trug endlich ein neues Abschiedsgesuch selbst zu dem Erzbischof. Als er sich in dem Vorzimmer einfand und um eine Audienz bat, setzte eine kammerherrliche Creatur des Erzbischofs, Graf Arco, den früheren Brutalitäten die Krone auf. Nachdem er Mozart mit Bursch, Flegel und anderen Schimpfnamen tractirt hatte – warf er ihn mit einem Fußtritt zur Thür hinaus.

So wurde Wolfgang Amadeus Mozart, der fünfundzwanzigjährige Mann und hochberühmte Künstler von einem Fürsten behandelt, der sich einen „von Gottes Gnaden“ Erwählten nannte. Furchtbar hat sich aber auch der mißhandelte Genins dafür gerächt. An dem Triumphwagen seines unsterblichen Ruhms schleifte Mozart seinen ehemaligen Gebieter Hieronymus Joseph Franz von Paula Graf Colloredo, Bischof von Gurk, Erzbischof von Salzburg, und gab ihn der Verachtung aller Zeiten preis.