Textdaten
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Autor: Max Horwitz
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Titel: Zur Säkularfeier der Union
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 146–147
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zur Säkularfeier der Union.

Das letzte Jahrzehnt ist reich gewesen an Säkularfeiern in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Wiederkehr des Jahrestages gewonnener Schlachten in dem Unabhängigkeitskriege, des Friedensschlusses mit England im Jahre 1783, vieler nur für die innere Entwicklung wichtiger Gedenktage hat stets den Anlaß gegeben zu festlichen Veranstaltungen. Umgrenzt aber wird die Periode des Ringens um die Selbständigkeit durch zwei besonders hervorragende Ereignisse. Der 4. Juli 1776 sah die Unabhängigkeitserklärung der 13 Kolonien und gab das Signal für die Lostrennung derselben vom Mutterlande, der 4. März 1789 war der Tag, an welchem der erste Präsident der nun zu einer Union zusammengetretenen Staaten, George Washington, seinen Sitz in Washington einnahm.

So wird es denn ein besonders denkwürdiger Tag sein, an welchem Benjamin Harrison die Regierungsgewalt aus den Händen Clevelands übernimmt. Bei solchen Zeitabschnitten sollten Nationen, wie es der einzelne zu thun pflegt, einen Rückblick auf die Vergangenheit werfen. Es wird sicherlich an solcher Selbstprüfung auch in der mächtigen Republik jenseit des Oceans nicht fehlen. Und was sich äußerlich wahrnehmen läßt, wird zweifellos zu gerechtem Stolze und freudigem Selbstbewußtsein Anlaß geben.

Das große Staatswesen der Union kann darauf hinweisen, daß es den politischen Prüfungen, welche es von innen und außen bedrohten, mannhaft Stand gehalten, daß die Union in den Kriegen gegen Mexiko und England siegreich geblieben, daß sie dem Sturm, der sie zu zerreißen drohte, die Stirn geboten und im Namen der Menschlichkeit die Sklaverei abgeschafft hat. Die Union kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie aus der Wildniß ein Paradies geschaffen, daß sie, die Vorkämpferin der westwärts marschirenden Kultur, Städte erbaut und unendliche Flächen urbar gemacht, daß sie zur Kornkammer der Welt geworden, daß sie der Natur trotzend den Riesenleib ihres Landes in eiserne Schienenbande geschlagen, daß sie Millionen und aber Millionen Menschen gastliche Aufnahme gewährt und den Bedrückten anderer Nationen zum Asyl geworden. Die Union darf mit Stolz darauf pochen, daß in der Freiheit die Achtung vor dem Gesetze die festeste Wurzel schlug und daß, so oft sie auch in Gefahr gerieth, durch die Auswüchse der Freiheit zu leiden, die urwüchsige Kraft des Volkes die Mittel fand, der Krankheit selbst zu steuern. Aus den 5 Millionen Seelen, die zur Zeit der Regierung Washingtons in den damals 13 Staaten der Union lebten, sind mittlerweile 60 Millionen in 38 Staaten geworden. Lebendig, wie kaum bei einer andern Nation, ist das Nationalgefühl entwickelt. Großherzigkeit ist ein Grundzug des amerikanischen Wesens geblieben. Und während man dem Amerikaner die „Jagd nach dem allmächtigen Dollar“ als den ganzen Inhalt seines Lebens andichtet, ist es eine Thatsache, daß er mit offener Hand und geschlossenem Auge für Bildungszwecke, für Wohlthätigkeitsanstalten, für die Allgemeinheit ungezählte Millionen hergiebt. Verhindert ihn der noch lange nicht abgeschlossene Kampf um die Erschließung des ganzen Gebietes der Union für die Civilisation, in den Wettstreit der Nationen für die Eroberung der geistigen unerforschten Welten voll und ganz einzutreten, so rüstet er sich doch mächtig dazu. Seine Jünglinge und seine Töchter sitzen im alten Europa zu den Füßen der Meister und tragen das Beste, das zu erreichen ist, als dauernden Gewinn mit sich in die Heimath, lehrend und fördernd. Es ist ihnen heiliger Ernst auch um diese Aufgaben und in unseren Hörsälen ist der Amerikaner ein gern gesehener und beliebter Schüler.

So sehen wir die Vereinigten Staaten von Amerika auf der vollen Sonnenhöhe ihrer Lebensaufgabe. Wohl bleibt ihnen noch viel zu thun. Der in der Unabhängigkeitserklärung ausgesprochene Grundsatz von der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetze in politischer und religiöser Beziehung erscheint nicht überall befolgt. Noch ist nicht ganz aufgeräumt mit der Vielweiberei der Mormonen und diese unsittliche Einrichtung frißt am Marke eines blühenden Gemeinwesens. Immer wieder beschäftigt das Land die Frage, wie es sich mit den noch vorhandenen und in ihre Reservatstriche eingeschlossenen Indianerstämmen abzufinden habe. Aber dem glücklich Durchgeführten gegenüber erscheinen diese Aufgaben verschwindend klein und das in hundert Jahren Erreichte birgt in sich die Gewähr weiterer Erfolge.

Freilich, wenn der Amerikaner gerecht ist, so wird er sich der Anerkennung nicht verschließen, daß zu dem Gedeihen und dem Blühen der Union das alte Europa, auf welches man jenseit des Oceans mit einer verzeihlichen Ueberlegenheit herabzublicken liebt, recht wesentlich beigetragen hat.

Zehn Millionen Deutsche direkter Einwanderung und unmittelbarer Abstammung im ersten und zweiten Gliede, zehn Millionen deutscher Seelen unter den sechzig Millionen der Union rechnen urtheilsfähige und gewissenhafte Beobachter heraus. Wenn der amerikanische Volkscharakter gewissermaßen in einem Kessel zusammengebraut wird, in den alle Nationen ihre Zuthaten werfen, wahrlich, Deutschland hat Anspruch darauf, daß es die willkommensten Gaben gebracht! Der kluge Amerikaner weiß das auch im allgemeinen und betont es auch, so oft er es für praktisch hält, dem Deutsch-Amerikaner zu schmeicheln. Der letztere aber darf mit Stolz diese Anerkennung fordern und sich rühmen, zu der glänzenden Entwickelung der Republik mit Herz und Hand und Kopf beigetragen zu haben, in Zeiten des Friedens durch emsiges, rastloses Arbeiten auf der Prairie, in der Fabrik, in der Werkstatt oder im Comptoir, wohin immer das Schicksal ihn führte; in Zeiten, wo es galt, für das Adoptivvaterland mit Gut und Blut einzutreten, indem er die Muskete schulterte und mit hinauszog ins Feld, ein unschätzbarer Kämpfer, weil er der Sprößling einer Nation ist, welcher der militärische Geist ins Blut übergegangen ist.

Unaufhaltsam ist der Strom der deutschen Einwanderung nach der Union gefluthet, zuerst träge, als die Segelschiffe noch die einzige Brücke übers Meer bildeten, dann schneller, als der Dampf mit der schlaffen Leinwand in Wettbewerb trat und den Wind als Treibmittel schlug, dann unaufhaltsam, als der Verkehr auf dem Ocean sich so belebt gestaltete wie nur zu Lande. Dennoch aber heben sich aus dieser Auswanderungsströmung drei Perioden besonders hervor. Und alle drei haben ihre unverwischbaren Spuren in der Geschichte der Union sowohl wie der Deutsch-Amerikaner zurückgelassen.

Die erste Periode fällt zusammen mit der politischen Kindheit der Union als solcher. Da kommen die Deutschen hinüber, theils als Menschenwaare, von Friedrich von Hessen für schnödes Geld an die Engländer verkauft, theils aus freiem Antriebe und mit Erlaubniß Friedrichs des Großen, der seinen bewährten Offizieren gestattete, Dienste gegen die Engländer in den Reihen der für ihre Freiheit kämpfenden jungen Kolonien zu nehmen. Unter den letzteren glänzt als vornehmster der Name des Generals Steuben, nach ihm ist ein blühender Ort in Ohio benannt, und als im Jahre 1876 die Amerikaner das Jubelfest ihrer Unabhängigkeit feierten, gingen mit Erlaubniß des Kaisers die Nachkommen jenes Steuben, einer Einladung des Kongresses folgend, nach der Union. In den Reihen der Gegner stand Seume, verkauft für wenige Thaler. Die Erwähnung seines Namens genügt, um noch heute das ganze Gefühl der Schmach jener Tage ledendig werden zu lassen. Um jene Zeit führte auch andere Deutsche der Weg über den Ocean. Jakob Astor, dessen Name noch heute in der Union verewigt ist als eines der reichsten und gemeinnützigsten Männer, und Theodor Steinweg seien genannt, der letztere einer der Könige der Industrie.

Mächtiger schon setzte der Strom ein, als in diesem Jahrhundert Deutschland zum erstenmale eine politische innere Erschütterung erlebte. Die burschenschaftliche Bewegung der dreißiger Jahre hat aus den Reihen der begeisterungsfähigen Jugend Hunderte übers Meer getrieben. Was unser Verlust war, das wurde der Union zum Gewinn. Wie viele von jenen „Dreißigern“ haben dem Lande ihrer Geburt im Lande ihrer Wahl Ehre bereitet! Da war John Röbling, der kühne Erbauer der Brücke über den Niagarafall, Gustav Körner, der in Illinois zum Gouverneur gewählt wurde, Johann Stallo, der eben jetzt als Gesandter der Vereinigten Staaten in Rom sitzt, Friedrich Münch, der Dichter, der das Lob des Vaterlandes im fernen Westen sang, obwohl es ihn verstoßen. Das gerade war der hervorstechende Zug aller dieser politischen Emigranten, daß sie dem Vaterlande nichts nachtrugen, sondern daß in der Ferne ihre Liebe mit doppelter Stärke erwachte. Stephan Molitor, Arthur Olshausen, Friedrich [147] Seidensticker, Karl Rümelin – wenn nirgends anders in Deutschland, so sind ihre Namen in den Listen der deutschen Gefangenenhäuser und der deutschen Festungen zu finden, drüben aber wurden sie mit offenen Armen empfangen, die Führer der ihnen voraufgegangenen Landsleute.

Und ein nachhaltigerer, mächtigerer Schub folgte in den Jahren 1848 bis 1850, in den Jahren, die man den „Völkerfrühling“ nannte. Hier ist es ganz unmöglich, auch nur annähernd denen gerecht zu werden, die sich in ihrer neuen Heimath ausgezeichnet haben. Den Lesern der „Gartenlaube“ sind viele von ihnen bekannt als liebe Mitarbeiter oder als Männer, deren gemeinnütziges Wirken in ihren Spalten geschildert wurde. Es genüge, den Namen Karl Schurz zu nennen, um den gewaltigen Einfluß heraufzubeschwören, den dieser eine Mann auf die innere Gestaltung der Angelegenheiten der Union gewonnen, den Namen des edlen Friedrich Kapp zu erwähnen, der in Wahrheit ein Bürger zweier Welten gewesen, Otto Ruppius , der dem Vaterland wiedergewonnen ward, Theodor Kirchhoff in San Francisko und Konrad Krez, dessen rührendes Gedicht „An mein Vaterland“ vor zwei Jahrzehnten in der „Gartenlaube“ Aufsehen erregte. Aus der Zeit des badischen Aufstandes finden wir in Führerrollen in Krieg und Frieden in Amerika Lorenz Brentano, Friedrich Hecker, Franz Sigel. Zum Heile für das Deutschthum Amerikas nahmen ihre Zuflucht in dem freien Lande so hervorragende Männer wie Hermann Raster, Oswald Ottendorfer und Karl Douai. Es würde die Aufgabe einer knappen Schilderung wesentlich überschreiten, wollte diese Liste Anspruch auf Fortsetzung erheben, aber das kann gesagt werden, daß noch Hunderte und aber Hunderte von Namen genannt werden können, die durch ihr ganzes Leben und ihren Einfluß auf ihre Landsleute dazu beitrugen, den amerikanischen Charakter mitformen zu helfen und die Union zu ihrer heutigen Machtstellung zu führen.

Es ist unter solchen Umständen nur natürlich, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten stets herzliche und freundschaftliche waren. Und wenn es auch nicht ganz an Augenblicken der Verstimmung fehlte, wie z. B. in der samoanischen Angelegenheit, wir sehen darüber hinweg, wir erinnern uns daran, daß in den Kämpfen um ihre Unabhängigkeit wie in dem Secessionskriege Deutschlands Sympathien der Union gehörten, wie andererseits die Union uns in unserem letzten Kriege mit Herz und Hand zur Seite stand. Und deshalb wünschen wir, daß in dem zweiten Jahrhundert ihres Bestehens die Union in inniger Freundschaft zu Deutschland verbleiben und wie bisher wachsen, blühen und gedeihen möge! Max Horwitz.