Zur Historiographie Lambert’s von Hersfeld

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Autor: Julius Dieffenbacher
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Titel: Zur Historiographie Lambert’s von Hersfeld
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 6 (1891), S. 301–355.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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[301]
Zur Historiographie Lambert’s von Hersfeld.
Von
Julius Dieffenbacher.


Die Beurtheilung Lambert’s von Hersfeld wurde in den meisten über ihn geführten Untersuchungen von der Frage nach seiner Parteistellung abhängig gemacht. Nur selten berührte man die viel wichtigere Frage nach dem Umfange und der Zuverlässigkeit seiner thatsächlichen Kunde. Und doch hätte man sich, um die Glaubwürdigkeit seiner Nachrichten zu prüfen, vor allen Dingen die Thatsache recht klar machen müssen, ob unser Autor auch wirklich im Stande war, alles das zu wissen, was er uns berichtet, und wieweit sich überhaupt die wahre Kenntniss der von ihm überlieferten Vorgänge erstreckte[1]; denn erst nach Beantwortung dieser Frage durfte untersucht werden, ob sein Werk als ein ungetrübter Niederschlag einer mehr oder minder zuverlässigen Berichterstattung anzusehen ist, oder ob wir darin eine kunstvolle, aus politischen Motiven gegen besseres Wissen verfasste Tendenzschrift zu erblicken haben.

Folgende Untersuchung will jener Aufgabe eingehender und genauer nachgehen, als dies bis jetzt gethan wurde; ich stütze mich dabei auf die Resultate meiner Dissertation: Lambert von Hersfeld als Historiograph[2], von der diese Abhandlung in gewissem Sinne eine Fortsetzung bildet. In den einleitenden Worten meiner Promotionsschrift (S. 9) habe ich den Weg vorgezeichnet, den [302] eine Untersuchung über die aufgeworfene Frage zu nehmen habe. Derselbe besteht nicht nur in einer Controle seiner Nachrichten durch Benutzung anderer Quellen, sondern, was wichtiger ist, vor allem darin, dass man aus Momenten seiner schriftstellerischen Individualität ein Kriterium gewinnt, und zwar in dem Sinne, dass man sich bei allen Berichten vergegenwärtigt, was als ein Ausfluss seiner Eigenart, als eine Folge seiner Arbeits- und Schreibweise zu betrachten ist, um nach Abzug dessen auf den wahren Kern des Gewussten und Ueberlieferten zu stossen[3]. Meine erste Abhandlung betrachtete zwei Seiten seiner schriftstellerischen Eigenart, nämlich seine Arbeitsweise[4], d. h. seine [303] historische Methode, wie sie sich aus der Bearbeitung der Biographie des Mainzer Erzbischofs Lull erkennen liess, und seine Darstellung in Bezug auf Styl und Sprache[5]. Im Folgenden beabsichtige ich auf den Umfang und die Art seiner Combinationen einzugehen, um dann die Frage aufzuwerfen, wie gross die Befähigung Lambert’s war, die ihm zugetragenen Begebenheiten ihrem innersten Kern nach zu beurtheilen, sie ihrer wahren Bedeutung nach zu verstehen. Hierbei werden wir besonders die Einwirkung seiner Umgebung auf seine politische Auffassung zu berücksichtigen haben. Das Verhältniss unseres Autors zu dem Carmen de bello Saxonico muss ferner erörtert werden, da wir in der Thatsache, dass das Gedicht als eine Quelle der Annalen erscheint, ein wichtiges Hilfsmittel der Kritik erhalten. Der Schluss der Abhandlung soll eine Nutzanwendung der gewonnenen Resultate an einigen wichtigen Nachrichten geben.

[304]
I.
Lambert’s Combinationen.

Es versteht sich von selbst, dass durch eine Kritik der Combinationen Lambert’s diesem für die Gestaltung eines Geschichtswerkes so wesentlichen Hilfsmittel die Berechtigung nicht abgesprochen werden soll. Die Unzuverlässigkeit der Berichterstattung, über welche unser Autor charakteristisch mit den Worten klagt: relata ab aliis ab aliis refelluntur[6] bedingt sowohl in seiner Zeit die Anwendung desselben, als sie auch uns nothwendig ist, wenn wir gestützt auf die spärlichen, sich widersprechenden Berichte unserer Quellen Geschichte schreiben wollen. Eine kritische Beleuchtung seines Verfahrens ist aber, abgesehen davon, dass wir unserer Hauptfrage nach dem Masse seiner Kenntniss näher treten, schon desshalb geboten, weil Lambert nicht bestrebt war, seine Combinationen, wie wir es zu thun für Pflicht halten, als solche vorzutragen, sondern weil er Vermuthungen und Schlüsse aus Ereignissen wie diese selbst erzählte, so dass nur in den seltensten Fällen die Vermischung von Gewusstem und Erschlossenem, von Wahrheit und Erfindung aus seiner Darstellung selbst erkannt werden kann.

Zuerst befassen wir uns – und zwar lediglich aus methodischen Rücksichten – mit solchen Fällen, bei welchen die Anwendung von Combination offen zu Tage liegt, ganz gleichgültig, ob wir damit die bestehenden Ansichten über die Glaubwürdigkeit der betreffenden Nachrichten wenig oder gar nicht ändern. Wir betrachten hierbei besonders diejenigen Berichte, bei welchen wir unsere bisherigen Resultate als Grundlage verwenden können.

Ein einleuchtendes Beispiel bot uns der Anfang der Vita Lulli; man vergleiche Diss. S. 15.

Wir wenden uns dem Berichte zu über den

Ehescheidungsversuch Heinrich’s[7] (pag. 72).

Die Ehescheidungsangelegenheit tritt bei Lambert nicht als ein für sich allein stehendes Ereigniss auf, sondern erscheint mit [305] anderen Vorgängen verknüpft. An die von unserem Autor berichtete geheime Abmachung Heinrich’s mit dem Erzbischof Siegfried von Mainz, der zufolge sich beide wechselseitig zu unterstützen versprachen, der eine in Betreff der Scheidung, der andere hinsichtlich der Thüringischen Zehntstreitigkeiten; an die scheinbar folgerichtig durchgeführten Beziehungen beider während des Aufstandes des Markgrafen Dedi glaubt zur Zeit wohl kein Forscher, wie denn auch Meyer von Knonau (S. 615 ff.) ganz davon absieht. Eine befriedigende Erklärung des auffälligen Berichtes Lambert’s ist, abgesehen von dem Hinweis, dass sich seine „Darstellung durch ein Gewirr von Widersprüchen“ von selbst auflöse (M. v. K. S. 663, gestützt auf Ausfeld), noch nicht versucht worden[8]. Eine solche soll durch ein Eindringen in den Gang seiner Combinationen ermöglicht werden.

Wir fragen: Was veranlasst unsern Autor, jene Abmachung zu fingiren? Oder besser gesagt: Was lässt ihm eine solche nothwendig erscheinen? — Lediglich das unerwartete Eingreifen des päpstlichen Legaten Petrus Damiani in die Scheidungsangelegenheit. Unserem Autor, der natürlich nichts von dem Briefe Siegfried’s an den Papst Alexander II. weiss, in welchem der Erzbischof um die Sendung eines Legaten bittet, musste die Ankunft desselben, ähnlich wie dem Altaicher Annalisten, als ein eigenmächtiges Eingreifen des Papstes erscheinen[9]. Selbstverständlich suchten beide, Lambert wie der Altaicher, nach einem Grunde, den sie in einem vom Papste gemissbilligten Einverständnisse Siegfried’s mit dem Könige sahen. Während sich nun der Altaicher seiner schlichten Art gemäss keine weiteren Gedanken über die vermutheten Beziehungen jener zu einander macht[10], gibt sich Lambert nicht so leicht zufrieden und sucht tiefer einzudringen. Die Unterstützung Siegfried’s bedingt, so spinnt er weiter, von Seiten des Königs eine Gegenleistung. [306] Und diese besteht seiner Vermuthung nach in einem Versprechen in Bezug auf den Thüringischen Zehntstreit. Dieses darf uns nicht befremden, schon Ausfeld (S. 51) bemerkt treffend: „Lambert’s Kopf ist so sehr von der Zehntangelegenheit eingenommen, dass sie ihm fast unwillkürlich auf das Pergament kommt, wo sich ihm, wenn auch die schlechteste Gelegenheit bietet“. Wie sehr Lambert die Zehntfrage überschätzt, geht aus verschiedenen Aeusserungen selbst hervor, denn dieser Zehntangelegenheit schreibt er die Ursache aller Leiden und Verwirrungen zu, die das Reich getroffen haben.

Pag. 46. – – – decimas se de suis in Thuringia possessionibus daturum et ceteros Thuringos ut idem facerent coacturum. Quae res multorum malorum seminarium fuit – – –.

Pag. 71. – – – decimas ex suis in Thuringia possessionibus dare consensisset, et per hoc calamitatem maximam genti suae invexisse videretur.

Pag. 165. – – – de integro Thuringos omnes de iniusta decimarum retentatione reos addicere molitur, nec recogitat, hanc causam originem seminariumque extitisse omnium calamitatum, quibus per plures iam annos res publica incommodissime vexabatur[11].

Bei dieser Verknüpfung der Zehntangelegenheit mit der Scheidungsfrage mag neben den oben erwähnten Erwägungen noch besonders der Umstand von Einfluss gewesen sein, dass es ihm damit gelang, den in die schwebende Scheidungsfrage hineinfallenden Aufstand des Markgrafen Dedi organisch in das Ganze einzuflechten. Dass er damit in eine gänzlich unhaltbare Auffassung und Darstellung dieses Ereignisses gerieth, ist im Excurs III (Die Thüringer Zehntstreitigkeit bis 1069) von Meyer von Knonau (S. 656) überzeugend klargelegt worden.

Indem sich nun Lambert der Meinung hingibt, er habe die richtige Auffassung des zu schildernden Vorfalles erlangt, scheut er sich nicht, seine Combinationen als wirkliche Thatsachen in die Darstellung aufzunehmen und von diesem Standpunkte aus alles zu gestalten. Sein Verfahren lässt sich bis in die kleinsten Einzelheiten verfolgen, wie sich denn auch alle Abweichungen zwischen ihm und dem Altaicher daraus leicht erklären. Lambert, [307] der dem Orte der Synode viel näher ist, als jener, konnte noch manches erfahren, so z. B. dass sich der päpstliche Legat in einer grossen zündenden Rede gegen den König gewandt und damit des Königs Absichten zum Scheitern gebracht habe. Hiervon weiss der Altaicher nichts; er erzählt, wie wir schon oben bemerkten, nur eine Auseinandersetzung des Damiani mit dem Erzbischof[12].

Den aus dem plötzlichen Eintreffen des Legaten erschlossenen Gegensatz zwischen Rom und Siegfried lässt Lambert seinerseits auch nicht unerwähnt; so berichtet er: „Damiani sollte den Erzbischof mit dem apostolischen Strafurtheil bedrohen, weil er versprochen habe, eine so frevelhafte Trennung ins Werk zu setzen“. Dieses bringt er dann mit dem Zaudern des Königs, der nach dem für ihn ebenso unerwarteten Erscheinen des päpstlichen Legaten nicht zur Synode kommen will, geschickt in Zusammenhang[13]. Die Frage, wie man eigentlich in Rom Kenntniss von der geheimen Abmachung erhalten habe, legt sich unser Autor gar nicht vor, wie er ja auch die Thüringer alles genau wissen lässt[14].

Dass wir uns der ganzen Erzählung gegenüber auf einem Boden vagester Combination oder vollständig mangelhafter Kunde befinden, lässt seine Darstellung leicht erkennen, die überall das in meiner Dissertation als beweisend klargelegte typische Element zum Ausdruck bringt. Ich erinnere nur an die Furcht der Fürsten, dem Könige zu widersprechen, eine bekannte Vorstellung[15] Lambert’s, die hier seine Unkenntniss direct beweist, da im Briefe ein Widerspruch der Fürsten ausdrücklich hervorgehoben wird. Die Synode selbst muss natürlich äusserst zahlreich besucht sein[16]. Die Rede des Petrus Damiani weist die üblichen Erfordernisse einer solchen auf; selbstverständlich muss sich der Legat auf irgendwelche „leges“ beziehen und, wie auch sonst, stehen sich zwei Arten gegenüber[17]: leges humanae und [308] canonum sanctiones. Der Aufbau der Rede zeigt unser Schema I[18], auch hier findet sich eine hypothetische Konstruktion. In ihrem Eingange fällt eine Wiederholung auf; Lambert nimmt einen weiter oben als eigenes Urtheil ausgesprochenen Gedanken: „foeda res et ab regia maiestate nimium abhorrens est omnibus – – –“ als einen Bestandtheil der Rede des Damiani wieder auf: „pessimam rem – – – nedum ab rege multum abborrentem esse“. Dass die Fürsten den König nach Schluss der Rede bitten: „ne – – – regii nominis maiestate tam turpis facti colluvione macularet“ ist eine häufig wiederkehrende Bemerkung Lambert’s[19]; dessgleichen: „hac ratione fractus magis quam inflexus“ (sc. rex)[20].

Auch bei der

Unterredung Heinrich’s mit dem Könige von Dänemark (pag. 110)

zeigt sich die Vermischung von Combination und Gewusstem.

Zum Jahre 1073 berichtet Lambert: Der König habe sich mit der Absicht getragen, alle Sachsen und Thüringer in Knechtschaft zu bringen und ihre Güter dem „fisco publico“ zuzuschlagen. Um diesen Plan besser ausführen zu können, sei er mit dem Dänenkönig zusammengekommen und habe eine geheime Unterredung mit ihm gehabt. Hierbei habe er ihm einen grossen Theil Sachsens, welcher dem Markgrafen Uoto gehörte, versprochen, damit jener ihm bei Ausführung seines Planes zu Hilfe käme und, während er selbst die Sachsen von der einen Seite mit Krieg überziehe, dieselben von der anderen Seite angreife[21].

Ueber diese Unterredung haben wir noch zwei Quellen: Adam von Bremen III c. 59 und Bruno c. 20. Beide berichten unabhängig von einander, dass an der Zusammenkunft auch der Erzbischof Adalbert von Bremen theilgenommen habe; über Ort und Zeit weichen sie etwas von einander ab, Adam nennt Lüneburg, Bruno Bardowick, die aber nahe bei einander liegen und leicht eine Verwechslung hervorrufen konnten. Adam gibt [309] keine Zeit an, er sagt allgemein „in anno consulatus sui“; Bruno scheint das Jahr 1071 zu meinen. Da aber nach beiden Autoren die Theilnahme Adalbert’s sicher ist, wird die Zusammenkunft vor März 1072 zu setzen sein, also weit vor den von Lambert angenommenen Zeitpunkt; denn am 26. März 1072 starb Adalbert zu Goslar.

Lambert’s Bericht scheitert für’s erste an der Thatsache, dass er die Theilnahme Adalbert’s nicht enthält. Dies beruht lediglich auf einer mangelhaften Kenntniss. Was hätte unseren Autor denn bewegen sollen, jenen ihm keineswegs sympathischen Erzbischof zu verschweigen, von dem er doch sonst so viel Nachtheiliges zu erzählen wusste? Ferner kennt Lambert weder den Ort noch den wahren Grund der Unterredung[22]. Was er wusste, ist äusserst gering und besteht eigentlich nur in dem nackten Factum der Zusammenkunft. Dass Lambert seine geringe Kenntniss durch Combinationen zu erweitern sucht, hierbei aber durchaus leichthin verfuhr, ist einer der Grundfehler seiner Historiographie, der sich durch die ganzen Annalen fühlbar macht. So begnügt er sich auch hier nicht mit der Thatsache, sondern sucht sie als wirksames Element in seine Darstellung aufzunehmen, ohne den Leser seine Zuthat merken zu lassen. Ein äusserliches Motiv bietet sich ihm als Bindeglied dar – der Einfall Estridsons in Sachsen, der die Besitzungen des Markgrafen Uoto traf. Der Umstand, dass Uoto als einer der Verschworenen des Sachsenaufstandes erscheint, bestimmt ihn, dessen Ländereien als Gegenleistung oder Kampfpreis, den Heinrich dem Dänenkönige schulde, schlechthin anzuführen. Im Hintergrund des Ganzen schwebt die von Lambert öfters angenommene Absicht Heinrich’s, das ganze Sachsenvolk sammt den Thüringern zu knechten und, wie er sich gelegentlich ausdrückt, auszurotten („deletis usque ad internitionem Saxonibus“). Die Fälle, bei welchen Lambert dem Könige diese Absicht zuschreibt, sind zum Theil in der Diss. S. 82 angeführt. – Von diesem Standpunkt aus schiebt unser Autor die Unterredung kurz vor Ausbruch des Sachsenaufstandes in seinen Text ein.

Wie sich hier dem Inhalte und dem Gange der Combination [310] nach mit der Unterredung Heinrich’s mit Siegfried von Mainz Berührungen zeigen – Versprechen und daraus gefolgerte Gegenleistung unter Hereinziehung eines den Autor bewegenden Motivs –, so auch hinsichtlich der Darstellung selbst.

Lambert pag. 72.
     
Lambert pag. 111.
Ibi primum cum Mogontino rem secreto agit, eiusque opem ad perficiendum, quod mente machinetur obnixe implorat. Itaque secreto cum rege Danorum colloquium facit – – – ut in conficiendis rebus, quas animo agitabat, auxilio sibi foret.

Auch hier wird er sich des auffallenden Widerspruchs, die als geheim angeführte Abmachung ganz genau zu berichten, nicht bewusst.

Delbrück’s[23] Anschuldigungen sind zurückzuweisen. Delbrück führt (S. 34), ebenfalls auf Adam und Bruno gestützt, den Beweis, dass der ganzen Darstellung Lambert’s hier keine Glaubwürdigkeit beizumessen sei, zieht aber folgende Schlussfolgerung: „dass Lambert uns diese Nachricht von dem Dänischen Bündniss überhaupt bringt, wäre bei der Verbreitung des Gerüchtes sehr verzeihlich, wenn er es nicht, um es für sein Pragma brauchbar zu machen, um zwei Jahre verschoben hätte." Er nimmt also an, dass unser Autor den Zeitpunkt gewusst, also wider besseres Wissen denselben geändert habe. Ein Beweis für diese Kenntniss ist aber nicht erbracht, überhaupt nicht zu führen, vielmehr beweisen unsere Ausführungen, dass ihn gerade seine mangelhafte Kunde zu der falschen Verknüpfung der Thatsachen geführt hat.

Aehnlich verhält es sich auch mit der

Wahl Gregor’s VII. (pag. 109).

Auch hier spricht Delbrück (S. 4) von einer Fälschung, „die nicht etwa in einem einfachen Zusatz, sondern in einer langen Erzählung bestehe“[24]. Wie ich aber darzulegen hoffe, haben wir [311] es hier nicht mit einer Fälschung, sondern mit einer auf mangelhafter Kunde aufgebauten Combination zu thun.

Lambert berichtet nämlich, Heinrich habe auf Vorstellungen der Deutschen Bischöfe einen Gesandten, den Grafen Eberhard, nach Rom geschickt, der die Wahlvorgänge untersuchen sollte. Diesem habe Gregor erklärt, dass er mit der Weihe gewartet habe, um die Zustimmung des Deutschen Königs zu erhalten. Nachdem dieses nach Deutschland gemeldet war, ertheilt Heinrich sogleich seine Einwilligung, und die Weihe erfolgt. Nach Bonizo hätte Gregor selbst die Bestätigung des Königs nachgesucht, worauf Heinrich den Kanzler Gregor von Vercelli nach Rom entsandt habe. Von diesen beiden in gewissen Punkten harmonirenden Berichten weichen alle übrigen schroff ab, die von einer Bestätigung nichts wissen. Die Kritik des Wahlvorganges von Seiten Ranke’s[25], Giesebrecht’s[26] und J. v. Pflugk-Harttung’s[27] hat nun gezeigt, dass Lambert sowohl, als auch Bonizo völlig mangelhaft unterrichtet waren.

Lambert’s Erzählung beruht auf seiner Ueberzeugung resp. Vorstellung, zur Rechtmässigkeit einer Papstwahl gehöre die Zustimmung des Deutschen Königs und der Deutschen Fürsten. Wie gewaltig solche Vorstellungen unsern Autor beherrschen, wurde in der Diss. des öfteren bewiesen. Wie in den dort besprochenen Fällen trägt er auch hier kein Bedenken, auf dieselbe seine Erzählung aufzubauen. Die Geschichte der Besetzung des apostolischen Stuhles zur Zeit Heinrich’s III. liess diese Vorstellung in Lambert aufkommen. Wo Lambert auf eine Papstwahl zu sprechen kommt, versäumt er nicht, in irgend einer Form von der Bestätigung des Königs zu reden, z. B. pag. 40: „inconsulto rege et principibus“; so versteht er pag. 41 unter der „legittima electio“ die Designation durch den König; er schreibt: „rex habita cum primoribus deliberatione, Gerhardum – – – pontificem designat“; ähnlich pag. 48: „per electionem regis et quorundam principum“ – – –.

Ungenaue Berichte über die Sendung eines Grafen Eberhard [312] nach Italien, der, wie Giesebrecht vermuthet, zur Beschwichtigung der Lombardischen Bischöfe geschickt worden sein mochte, ferner über die Vorstellungen des Deutschen Klerus beim Könige mochten noch eingewirkt haben.

Von besonderem Reiz für unsere Betrachtung ist der Bericht über

Die Absetzung Berthold’s von Kärnthen.

Obwohl Delbrück zugibt (S. 37), dass die einzige Erklärung zu Lambert’s Bericht in dessen „fälschlichem“ Unterrichtetsein zu sehen ist, wird mit den Worten: „da der König mit Herzog Berthold wenige Tage darauf nach Hersfeld kam, so war Lambert, wenn er wollte, sehr wohl im Stande, sich bessere Nachrichten zu verschaffen“, unsrem Autor der Vorwurf gemacht, als habe er sich absichtlich nicht besser unterrichten wollen. Bereits in der Diss. S. 67 wurde bei Besprechung der Harzburgflucht der Nachweis geführt, dass der Aufenthalt des Königs in Hersfeld durchaus nicht von vornherein eine genaue Kenntniss der vorausliegenden Ereignisse bedinge. Wie viel mehr muss dies hinsichtlich der Absetzung Berthold’s Geltung haben, die der Harzburgflucht vorausgeht[28]. Leider legt auch Heyck in seiner „Geschichte der Herzoge von Zähringen“[29] der Anwesenheit Berthold’s in Hersfeld allzu grosses Gewicht bei; seine Schilderung des Ereignisses geht von der Voraussetzung aus, als habe Lambert aus dem Munde der Bischöfe von Zeitz und Osnabrück (Anm. 128) oder von anderen Theilhabern (S. 48) eine sichere Kunde erhalten. Gegen Heyck’s Darstellung ist aber ausserdem noch ein anderes, ein methodisches Moment geltend zu machen. Darf man einen in sich zusammenhängenden Bericht theilen, und zwar so, dass man die eine Hälfte als unglaubwürdig verwirft, die andere aber, weil zum Theil mit unserer besseren Kenntniss übereinstimmend, als beglaubigt beibehält? Heyck verwirft mit Recht die Absetzung Berthold’s und stützt sich hierbei aber auf die zweite Hälfte des Berichtes. Auch bei ihm erscheint die Behauptung [313] Lambert’s von der Absetzung Berthold’s völlig aus der Luft gegriffen, während sie sich aus Lambert’s Methode immerhin erklären lässt.

Nach allen Untersuchungen, die über diesen Vorgang angestellt wurden, steht fest, dass Markward sich auf eigene Faust ohne Wissen des Königs in den Besitz von Kärnthen setzen wollte, das einst seinem Vater Adalbero entrissen worden war, und das der Herzog Berthold persönlich niemals besucht hatte. Lambert sieht hier zwei Fürsten um ein Herzogthum streiten, auf der einen Seite Berthold, der mit Rudolf von Rheinfelden eng befreundet erscheint, auf der andern einen Verwandten desselben, Markward von Eppenstein, von dem er sonst nichts zu berichten weiss, der sich auch in keiner Weise antiköniglich gezeigt hatte. Aus anderen Ereignissen, wie Heinrich’s Vorgehen gegen den Herzog Magnus von Sachsen und gegen den Baiernherzog Otto von Nordheim, zieht Lambert den unglücklichen Schluss, dass es sich auch hier um die Entziehung eines Herzogthums handeln müsse. In seiner Ansicht glaubt er sich dann noch besonders dadurch bestätigt, dass er nichts von einem Fürstengericht, das doch nothwendig gewesen wäre, erfahren hatte, also seine häufig wiederkehrende Vorstellung von „sine legitima discussione“ (Diss. S. 94), die bei der Handlungsweise des Königs seiner Meinung nach immer zu Tage tritt, eine auffallende Bestätigung fand. Solche Gedanken müssen ihn bestimmt haben, als er seine Combination mit den Worten (pag. 104) „Bertholdo – – – ducatum sine legitima discussione absenti abstulit et Marcwardo cuidam propinquo suo tradidit“ niederschrieb.

Als er nun zur Schilderung jener Goslarer Vorgänge schreitet, bei welchen der König eben diesem Berthold jene äusserst wichtige Gesandtschaft an die aufständischen Sachsen anvertraute, sieht er sich gezwungen, für dieses auffällige Zusammensein, für dieses grosse Vertrauen des Königs zu Berthold eine Erklärung zu geben.

Natürlich konnte Berthold nur zufällig, einer geringfügigen Privatangelegenheit wegen gekommen sein. (Casu quoque nuper advenerat, nescio quid privatae causae acturus in palatio)[30].

[314] Natürlich musste sich der König vor Berthold in irgend einer Weise gerechtfertigt haben; wie hätte Berthold sonst bleiben können. Thatsächlich hatte der König, da Markward eigenmächtig vorgegangen war, eine Rechtfertigung nicht zu geben. Schon das Auftreten Berthold’s in der Umgebung, von Lambert’s Motivirung abgesehen, beweist, dass der Herzog überhaupt keinen Verdacht in Betreff der Handlungsweise Markward’s oder hinsichtlich irgend welcher Beziehungen desselben zum Könige haben konnte[31]. Indem Lambert den König sich vertheidigen lässt, legt er demselben Worte in den Mund, die zufälliger Weise für unsere Anschauung der Dinge zutreffend erscheinen.

Die Schlussbemerkung Lambert’s, Berthold habe dem Könige nicht getraut, beweist uns schlagend, dass wir es der ganzen Erzählung gegenüber mit einem Machwerk Lambert’s zu thun haben. Wie wunderbar und für jene treulose Zeit einzig müsste uns der Charakter dieses Herzogs erscheinen, der, trotzdem dass er von der Hinterlist des Königs überzeugt war, doch für dessen Wohl zu handeln versprach und dieses Versprechen auch voll und ganz einlöste? Aber jenes Misstrauen Berthold’s ist nichts anderes als eine hier angebrachte Vorstellung unseres Autors; seiner Auffassung gemäss traut eben Niemand dem Könige. Man vergleiche mit dieser Stelle z. B. pag. 103 der Annalen; dort ist Rudolf von Rheinfelden von der Aufrichtigkeit der durch die Kaiserin bewirkten Aussöhnung mit dem Könige ebensowenig überzeugt, wie hier Berthold. Pag. 103: „certum tenens, non ex integro abolitas ab animo regis inimicitias, sed ademptam interim nocendi facultatem esse“ und pag. 117: „Ille licet haec ficta esse sciret et regis malitiam non tam voluntate quam fortunac violentia correctam esse“. Man achte auf den gleichen Gedankengang. Aehnlich auch pag. 259: „Nec tamen promittenti [sc. regi] temere fides habita est“.

Das Auftreten eines typischen Elements ist uns ein Beweis seiner mangelhaften Kenntniss.

So wurde hier ähnlich wie bei der Scheidungsangelegenheit Heinrich’s die eine falsche Auffassung, die Absetzung Berthold’s [315] betreffend, das erste Glied einer Kette von falschen Folgerungen, die alle in gewohnter Weise als Thatsachen in die Darstellung aufgenommen werden.


II.
Lambert’s historiographische Befähigung.

Die Ausführungen über Lambert’s Combinationsweise zeigten uns, wie sehr er von dem guten Willen beseelt war, tiefer in die zu schildernden Ereignisse einzudringen. Die Motive der handelnden Personen suchte er sich klarzulegen; Ereignisse, die ihm abgerissen und verstümmelt vermittelt wurden, suchte er als vollwichtige Factoren in seiner Darstellung zu verwerthen, indem er seine lückenhafte Kenntniss durch Combinationen zu erweitern verstand. Bei Besprechung des muthmasslichen Verlaufes seiner Combinationen musste uns auffallen, dass ihn hierbei nicht eine klare, wohlüberlegte Grundauffassung bewegte, sondern meistens wenig besagende, allgemeine Vorstellungen, die er sich im Laufe der Zeit gebildet hatte. Was aber von hervorragender Bedeutung ist, je mehr er seinen Combinationen freien Spielraum gewährte, desto mehr entfernen sich die Schlussergebnisse von der Wirklichkeit der Thatsachen, weil ihm eben die Befähigung fehlte, in den mangelhaft überlieferten Nachrichten den wahren und treibenden Factor zu erkennen.

Die historiographische Befähigung Lambert’s ist fast durchweg überschätzt worden. Ranke spricht z. B. von seinem angeborenen Talent, „das ihn nicht selten über die Ereignisse hinaus zu historischer Anschauung erhoben habe“. Die einzige Beschränkung seiner hohen Befähigung sieht er in seiner mönchischen Weltansicht, die er allenthalben einmische. Die Untersuchung Delbrück’s, der sich die meisten nachfolgenden Arbeiten mehr oder minder anschliessen, lässt unsern Autor als einen schlauen, wohlüberlegten Kopf erscheinen, denn nur als einen solchen wird man Delbrück’s „hämischen Lügner“ auffassen können. Delbrück (S. 14) spricht sogar von einer Stellung Lambert’s zwischen den Parteien und zwar in dem Sinne, „dass Lambert die Rechte des Königs anerkannt, aber den Träger dieser Rechte verabscheut habe, andererseits von Gregor’s Askese, nicht aber von dessen Streben nach kirchlicher Weltansicht begeistert [316] sei“. Wie sehr sich Delbrück von seiner Meinung treiben lässt, beweist seine Aeusserung S. 6: „Lambert ignorirt das Aufruhrdecret vom Jahre 1075, welches die Messen der verheiratheten Priester für ungültig erklärt, weil es mit seiner Auffassung unvereinbar ist: ein Recht zu dieser Massregel kann er dem Papst nicht zuschreiben, ein Unrecht will er bei ihm nicht finden“. Uebrigens handelt Lambert sehr wohl von diesem Decret und gesteht dem Papste ein Recht hierzu vollständig zu[32].

Eine neue Ansicht äusserte J. v. Pflugk-Harttung, der zum ersten Male auf Lambert’s „Einfältigkeit und Gedankenlosigkeit“ hinwies[33]. Wenn dem unten angeführten Urtheile auch nicht in allen Punkten beizupflichten ist, so scheint mir damit doch im wesentlichen das Richtige getroffen. Freilich ist unserem Autor, wie aus unseren bisherigen Erörterungen hervorgeht, eine über das Mittelmässige hinausgehende Verstandesanlage nicht abzusprechen. Eine schriftstellerische, historiographische Befähigung, die sich in der Wiedergabe des einzelnen Ereignisses, in der häufig dramatischen Ausgestaltung, in der Lebendigkeit der Anschauung trotz der endlosen Wiederholungen und der Verwendung typischer Vorstellungen erkennen lässt, fehlt ihm aber gänzlich, sobald man sich von der Detailschilderung hinweg zu dem Gesammtaufbau, zu einem Ueberblick der ganzen Annalen wendet. An einer durchgreifenden Gesammtauffassung [317] gebricht es ihm ganz; was als solche erscheinen könnte, sind meistens jene Wiederholungen, die auf kleinlichen Anschauungen beruhen. Zu einer wirklich harmonischen Verarbeitung des gewaltigen Stoffes, der ihm freilich oft nur allzu fragmentarisch zuging, reichte seine Kraft nicht aus; das zeigte uns vor allem sein Combinationsverfahren. Meist wird seine Darstellung widerspruchsvoll und verkehrt, was im Folgenden an einzelnen Beispielen klargelegt werden soll.

Pag. 110. Als Ursache der Erhebung der Sachsen gibt Lambert die von der Besatzung der königlichen Burgen den Sachsen und Thüringern zugefügten Bedrückungen an. Jene wollten nämlich, wie er den König sagen lässt, ihre Zehnten nicht entrichten. Diese Zehnten können sich aber, wie aus anderen Stellen bei Lambert hervorgeht, eigentlich nur auf die Thüringer beziehen. Lambert verbindet hier zwei Volksstämme, die hinsichtlich der Motive ihrer Erhebung nichts mit einander gemein haben. Folgerichtig hätte unser Autor sowohl in Sachsen als auch in Thüringen den Aufstand ausbrechen lassen müssen; aber im Widerspruch mit dem Eingang seines Berichtes beginnen die Sachsen allein die Erhebung. Erst pag. 122 tritt die Verknüpfung beider Volksstämme wieder zu Tage. Gleichsam als habe er von ihrer Gemeinsamkeit noch gar nichts geredet, berichtet er uns von einer Gesandtschaft der Sachsen an die Thüringer, worin jene aufgefordert werden, am Kampfe gegen die Krone theilzunehmen. Ganz bezeichnend wird diese Nachricht mit folgenden Worten eingeleitet: quantascumque possent gentes et regna adversus regem concitarent; auch hier die oft hervorgehobene Uebertreibung (vergl. Diss. S. 106), denn er erwähnt nachher nur die Thüringer. – Hinsichtlich der Motive der Erhebung herrscht bei Lambert die grösste Verworrenheit. Um so merkwürdiger berührt den Leser die Nachricht pag. 237, der erste Aufstand sei durch die schlauen Ermahnungen der Fürsten erregt worden[34].

Pag. 169 nennt Lambert den Papst Nicolaus, vor welchem sich der Bischof von Bamberg wegen einer Anklage auf Simonie zu verantworten hatte, während er pag. 78 Alexander II. richtig angeführt hatte.

[318] Wem Lambert die Veranlassung jener grossen Unruhen zu Köln, die er ausführlich beschreibt, zur Last legt, ist zweifelhaft. Pag. 152 bezeichnet er gewissermassen den Satan, „talium furiarum incentorem demonem“, als den eigentlichen Urheber. Vom Könige ist gar nicht die Rede. Als er aber bei der grossen Lebensschilderung Anno’s auf dessen Verhältniss zum Könige zu sprechen kommt und ausführlich von ihrer heftigen Feindschaft zu einander handelt, lässt er sich von seiner augenblicklichen Darstellung so mitfortreissen, dass er dem Könige den Aufstand zuschreibt (pag. 213). Kurz darauf wird auch dies hinwiederum vergessen; er schreibt pag. 216: Sic gravis illa tempestas, quae spiritu diabolico suscitata totam concesserat Coloniam, conquievit.

Pag. 121. Einige der versammelten Fürsten rathen dem König nach der Harzburgflucht, die gegen die Polen aufgebotenen Reichstruppen gegen die aufständischen Sachsen zu führen; zehn Seiten vorher (pag. 111) hatte aber Lambert erzählt, der König habe sich von Anfang an mit dieser Absicht getragen und die gegen die Polen angesagte Expedition nur als einen Vorwand gebraucht (sub occasione Polenorum volebat in Saxoniam exercitum ducere). Freilich erscheint dies nur als Gerücht (ut fama vulgatior postmodum loquebatur); nichtsdestoweniger wissen aber die Sachsen ganz genau um des Königs Plan, denn Lambert fügt bei: his atque huiusmodi indiciis [?] principes Saxoniae malum, quod cervicibus suis impendebat, animadverterunt.

Pag. 227. Auf die Aufforderung der Sachsen, die Partei des Königs zu verlassen, antwortet Otto von Nordheim, er müsse erst auf Grundlage der bekannten Bedingungen (die natürlich alle wieder angeführt werden) einen Vergleich mit Heinrich IV. zu erreichen suchen, und schickt Gesandte an denselben ab. Ohne dessen Bescheid abzuwarten, „praesidio quoque ab utroque monte – – – abducto, communem deinceps cum Saxonibus ac socialem vitam agebat“. – Wenige Seiten weiter (pag. 237), wo der ganze Vorfall wiederholt wird, wartet Otto tatsächlich auf die Erwiderung Heinrich’s und, als dieser auf seine Vorschläge nicht eingeht, erklärt er feierlich: „dass er nun mit voller Freiheit die Sache der Sachsen verfechten werde“.

Pag. 57. Anfangs schreibt Lambert: Der König willigte in alles, was man ihm befahl, mit knabenhafter Leichtfertigkeit; gleich darauf zweimal „persuaso rege“. Wozu die Ueberredung?

[319] Dies führt uns zur Darstellung der

Goslarer Streitigkeiten im Jahre 1063 (pag. 49).

Delbrück knüpft an diese Vorgänge eine Untersuchung, bei der er die Parteilichkeit unseres Autors in schärfster Weise zeigen will. Nach Lambert bestraft der jugendliche König die Unruhestifter auf die denkbar ungerechteste Weise; Egbert als Verwandter geht frei aus, der Abt von Fulda ist allein schuldig, nur durch grosse Bestechungen kann er sich retten. Darin sieht Delbrück (S. 16) eine Verleumdung, die Lambert dem zwölfjährigen Knaben zugefügt habe. „Denn noch im Verlaufe derselben Erzählung berichte uns Lambert, als er eine Handlung der Reichsregierung loben will, dass dieselbe in der Hand Anno’s von Köln und Otto’s von Baiern gewesen sei: wenn also eine Bestechung stattgefunden habe, so müssen diese beiden Helden Lambert’s bestochen worden sein – – –. Lambert habe also dem König Heinrich einen Vorwurf gemacht, von dem er wusste, dass er nicht ihm, sondern den beiden Männern gebührte, die unser Autor stets als ein Muster eines geistlichen und eines weltlichen Fürsten hinstelle“ (vergl. Querner[35] S. 10 ff.).

Dieses harte Urtheil kann nur dann seine Gültigkeit haben, wenn sich Lambert bei Niederschrift seiner Worte wirklich des jugendlichen Alters des Königs und mithin der Verantwortlichkeit der Regentschaft bewusst war. Dieses bestreite ich auf das entschiedenste; bei unbefangener Lectüre seiner Schilderung[36] glauben wir nicht einen zwölfjährigen Knaben, sondern einen seiner königlichen Würde bewussten, kräftig entwickelten Jüngling vor uns zu haben. Heftig ist in der Kirche der Kampf entbrannt, der König sucht zu vermitteln, unter Anrufung seiner königlichen Majestät beschwört er die Massen (rex inter haec vociferans et sub obtentu regiae maiestatis populum adiurans). Man ermahnt ihn, für sein Leben zu sorgen. Mit Mühe, schreibt Lambert, bahnte sich der König einen Weg durch die immer dichter zusammengedrängte Menge (vixque inter constipatam artius multitudinem eluctatus, in palatium se recepit). Auch im weiteren Verlauf, besonders bei Schilderung der Folgen, die die Bestrafung des Fuldaer Abtes herbeiführte, berücksichtigt Lambert das Knabenalter Heinrich’s nicht im geringsten. Als dem Knaben [320] die Rebellion der Fuldaer Klosterbrüder gegen ihren Abt gemeldet werden soll, geschieht dies schriftlich, „ne rei tam atrocis novitas repente nunciata regi stuporem incuteret“ (!).

Fällt hiermit Delbrück’s Voraussetzung, nämlich das Bewusstsein Lambert’s, dass eigentlich die Regentschaft verantwortlich ist, so erklärt sich leicht, dass Lambert auch jenes Urtheil ganz ohne böse Absicht dem Könige zuschreibt.

Uebrigens ist dies nicht der einzige Fall, wo Lambert das Alter des Königs ausser Acht lässt. Pag. 40 anno 1058: sedem apostolicam protinus, inconsulto rege et principibus, invasit Benedictus. Heinrich ist 7 Jahre alt! Pag. 41: rex habita cum primoribus deliberatione, in demselben Jahre. Pag. 45: rex Willihelmum – – – et Epponem cum duce Boemorum – – – illuc misit. Was die Kaiserin oder die Regentschaft anordnet, wird gedankenlos dem königlichen Knaben zugeschrieben[37].

Auf Lambert’s Worte: „quorum [sc. Anno und Otto] tunc arbitrio res publica administrabatur“ darf man wohl kein allzugrosses Gewicht legen, oder gar, wie Delbrück, die Vorstellung daraus ableiten, als habe Lambert damit die Verantwortlichkeit der Regentschaft ausdrücken wollen. So oft nämlich Lambert auf Persönlichkeiten zu reden kommt, die mit dem Könige in irgend welchem Zusammenhang stehen, liebt er es, deren Einfluss auf denselben und auf die Staatsgeschäfte nachdrücklich hervorzuheben. So schreibt er zwei Seiten weiter, pag. 56: Educatio regis atque ordinatio omnium rerum publicarum penes episcopos erat, eminebatque inter eos Mogontini et Coloniensis archiepiscoporum auctoritas. Otto von Nordheim, den er kurz vorher erwähnt hat, ist vergessen. Bald darauf scheint an dessen Stelle der Graf Wernher getreten zu sein. Dass Heinrich diesem Grafen die „villa monasterii Kirchberg“ gegeben hat, ist für Lambert Grund genug, denselben in dieselbe hohe Stellung zu rücken, wie Adalbert von Bremen[38]: „hi duo pro rege imperitabant“. Uebrigens weiss er von diesem Wernher bis zu seinem zwei Jahre [321] später erfolgten Tode gar nichts zu berichten. – Pag. 79: Clarus eo tempore in palatio et magnae in re publica auctoritatis erat Otto, als Einleitung zur Schilderung des Mordanschlages des Egino. – Pag. 95: Liutpoldus de Merseburg, quidam regi carissimus, cuius opera et consiliis familiarissime uti solitus erat. – Pag. 116: Eppo Citicensis episc. et Benno Osenbruggensis episc. eorumque consilio et prius tranquilla et nunc turbata re publica omnia faciebat; kurz vorher, pag. 111, hatte er dasselbe von den niederen Schwäbischen Räthen ausgesagt: ad eorum nutum cuncta regni negocia disponebantur (vergl. Diss. S. 110). – Pag 206: Ruotpertum Goslariensem praepositum – – – fecit episcopum, eo quod regi familiarissimus et omnibus eius secretis semper intimus fuisset, et omnium, quae rex perperam et praeter regiam magnificentiam in re publica gessisset, potissimus incentor extitisse putaretur.

Im Zusammenhang mit diesen Bemerkungen über Lambert’s Ansichten von dem Einfluss der verschiedensten Persönlichkeiten auf die Regierungsangelegenheiten sei es mir gestattet, auf seine Nachricht von der

Regentschaft aller Bischöfe[39],

die im Anschluss an das Kaiserswörther Attentat erzählt wird, einzugehen. Man hat den Worten Lambert’s im Allgemeinen Glauben beigemessen, so Giesebrecht[40] „das Gesammtregiment der Bischöfe“, Waitz[41], selbst Nitzsch[42]. Auch Meyer von Knonau[43] verwirft dieselbe nicht vollständig, er hält die Verordnung Anno’s, nach der die Geschäftsführung zwischen den Bischöfen wechseln solle, wenigstens nicht für unmöglich. In dieser Massregel sieht er nämlich einen wohlüberlegten Schritt Anno’s, der „den vorhandenen Groll zurückdrängen“ und „die gänzliche Billigung der von ihm einseitig herbeigeführten Vergewaltigung Heinrich’s IV. durch die an den Früchten derselben betheiligten geistlichen Fürsten erzielen“ sollte. Hierbei habe sich Anno wohl mit der [322] Ueberzeugung getragen, „dass die Sache in dieser Weise, weil schlechthin nicht durchführbar, nicht zur thatsächlichen Vollendung gelangen werde“. Freilich gibt Meyer von Knonau zu, „dass dieses Gesammtregiment der Bischöfe nicht zur Ausführung gekommen ist“.

Und doch erheben sich gegen diese Nachricht hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit die schwersten Bedenken. Es lassen sich einmal Erwägungen allgemeiner Natur gegen ihre Glaubwürdigkeit anführen. Die Frage nämlich, was Anno eigentlich mit dieser Bestimmung bezweckte, lässt sich nicht beantworten. Hätte er, falls es ihm wirklich ernst mit seiner Verordnung war, nicht durch diesen freiwilligen Verzicht auf die Regierung sofort nach der That seiner Handlungsweise, die doch auf eine Abstellung der unter der Regentschaft der Kaiserin eingerissenen misslichen Zustände abzielte, jede Berechtigung abgesprochen? Sein Verzicht hätte ja eine viel schlimmere Wirthschaft im Gefolge haben müssen, als die war, die er abstellen wollte. Lambert’s Motivirung ist ganz äusserlich und beruht auf einer Anschauung, der wir auch sonst in den Annalen begegnen. Man vergleiche mit dieser Stelle pag. 79, wo die „invidia“, der Anno vorbeugen will, die Ursache des Sturzes Otto’s von Nordheim wird; hier wie dort findet sich die Gegenüberstellung von „invidia“ und „gloria“.

pag. 48.
     
pag. 79.
Episcopus, ut invidiam facti mitigaret, ne videlicet privatae gloriae potius quam communis commodi ratione haec admisisse videretur – – – Sed sicut semper gloriam sequi solet invidia, invidentes ei plerique homines nequam, qui malitiae suae potentiam eius atque immoderatam gloriam obstare querebantur – – –

Ferner ist die Ausführung der Massregel, so wie Lambert sie verstanden wissen will, unmöglich. Lambert gibt nämlich keinen Aufschluss darüber, wer zu bestimmen hat, in welcher Diöcese der König sich aufzuhalten habe. Sehen wir davon einmal ab, lag es nicht schon in der Hand des ersten Bischofs, der in diese Lage kam, den König überhaupt nicht mehr wegziehen zu lassen oder wenigstens, wenn die Vorräthe für die grosse Hofhaltung aufgezehrt waren, nur zu einem befreundeten, gesinnungstreuen Bischof zu schicken? In dieser Lage befand [323] sich aber Anno, der die ganze Sache angeregt haben soll. Wie unpolitisch und unvernünftig müssen uns die Bischöfe erscheinen, die nicht sofort eingesehen hätten, wie null und nichtig von Anfang an diese Bestimmung war! Können wir Lambert’s Autorität wegen so etwas annehmen? Welche Rolle würden aber erst die weltlichen Fürsten gespielt haben, die sich auf diese Weise jedweden Einflusses auf die Reichsregierung beraubt hätten? – Von einem regelmässigen Turnus weiss Lambert denn auch nichts, und an einen solchen ist schon dem Itinerar nach nicht zu denken. Zieht man ferner in Rechnung, dass Lambert selbst nichts von einem Gesammtregiment der Bischöfe zu berichten weiss, neben Adalbert und Anno hier Otto von Nordheim, dort den Grafen Wernher, Liutpold von Mörsburg und andere nennt, so bleibt uns zur gänzlichen Verwerfung seiner Nachricht nur die Antwort auf die Frage übrig, was ihn zur Auftischung dieser Geschichte gebracht hat.

Sie beruht lediglich auf einer unglückseligen Combination.

Lambert hat erfahren, Anno habe sich, als Haupt der Verschworenen, vor einer Reichsversammlung gerechtfertigt, was uns Sigebert von Gembloux (Mon. SS. VI) anno 1062 ausdrücklich berichtet: „de hac re coram cunctis ratione habita“. In der diesem Vorgange folgenden Zeit sieht Lambert besonders Bischöfe in der Regierung thätig. In herkömmlicher Weise wird beides verknüpft. Wenn er hierbei von einer Theilnahme aller Bischöfe redet, so ist dies eine Uebertreibung, die nicht ernst zu nehmen ist, da sie auf seiner in der Diss. S. 106 nachgewiesenen Manier beruht. Charakteristisch ist, dass er diese einmal konstruirte Vorstellung nicht so leicht wieder los wird. Bei einer geeigneten Gelegenheit, unbekümmert um den daraus entstehenden Widerspruch, kommt sie ihm von selbst in die Feder. Er schreibt am Schlusse des Berichtes über den Sturz Adalbert’s in deutlicher Anlehnung pag. 69: „Sic iterum rerum publicarum administratio ad episcopos rediit (seiner Darstellung nach war der Sturz des Erzbischofs nicht nur von den Bischöfen, sondern von den „principibus regni“ veranlasst worden), ut singuli suis vicibus, quid regi, quid rei publicae facto opus esset, praeviderent“.

Wie aus den angeführten Beispielen hervorgeht, scheitern Lambert’s Berichte trotz aller seiner Anstrengung, ein zusammenhängendes Ganzes zu erzielen, an den zahllosen Widersprüchen [324] und Verkehrtheiten. Diese beruhen einmal auf dem Mangel eines ausreichenden Ueberblicks und ferner darauf, dass er bei jedem einzelnen Fall möglichst alles sagen will, was nur angebracht werden kann, ohne hierbei das an anderer Stelle Vorgeführte genügend zu berücksichtigen.

Zu den seine Historiographie beengenden Momenten – seiner mangelhaften Kenntniss in Folge dürftiger Berichterstattung, seinen typischen Vorstellungen, den ungeschickten Combinationen, mangelndem Gesammtüberblick bei breiter Detailschilderung – kommt noch etwas äusserst Wichtiges, die Beschränktheit seiner Auffassung hinzu. Mitten in den grossen Bewegungen lebend, die das Reich ergriffen, fehlt es ihm an einer auch nur einigermassen hinreichenden Beurtheilung derselben. Er ist vor allem Mönch[44] und zwar Hersfelder. Als treuer Sohn seines Klosters betrachtet er die grossen Ereignisse, deren hochgehende Wogen stürmisch an seine Klostermauern schlugen, wenn man so sagen darf, durch sein Klosterfensterchen. Lambert gesteht die Beschränktheit seines Standpunktes selbst einmal mit den Worten zu: „nos non statuisse omnia scribere, quae in republica vel ecclesia gesta sunt aut geruntur, utpote monasterii carcere inclusos nec hominum expertos nec valde curiosos“. Vor allem macht sich dies in der Beurtheilung des Königs geltend. Unter seinen Mitbrüdern war man auf den jugendlichen König nicht allzugut zu sprechen. Wir können hier nicht alle Momente anführen, die diese Missstimmung erregten, jedenfalls gehörte die auf der Erfurter Synode durch Heinrich herbeigeführte Regelung der Zehntangelegenheit mit zu den wichtigsten. Beachtet man ferner, wie oft sich der König in Hersfeld aufhielt, das recht mitten im Schauplatz der Kämpfe lag, was alles die Truppenansammlungen um Hersfeld im Gefolge hatten, so wird man begreifen, dass diese Magenfrage des Klosters auch unsern Bruder Lambert in Angst und Kummer versetzte. Der Zehntangelegenheit wird, wie wir oben Seite 306 zeigten, die Ursache alles Uebels zugeschrieben; das sagt Lambert rund heraus. Schritt für Schritt lässt sich der kleinliche Standpunkt Lambert’s nachweisen, wie er denn auch z. B. für die Investiturfrage, für die Ursachen, die den Bruch Gregor’s mit Heinrich herbeiführten, [325] kein Verständniss hat und ganz unvermittelt plötzlich mit dem Bannspruch des Papstes in seine Darstellung hineinplatzt. Auch sei hier nochmals an die eigenthümliche Verschmelzung der Thüringer und Sachsen, an die Motivirung des Sachsenaufstandes, an seine unklare Vorstellung über den Gang der Regierungsgeschäfte – gibt er doch z. B. nirgends ein richtiges Bild von der Art der Regentschaft oder den Befugnissen des Königs – an die Scheidungsangelegenheit und besonders an die Ausführungen meiner Diss. S. 99: „Der König und seine Umgebung“ erinnert.

Von welch’ ungeheurer Tragweite musste nun im Hinblick auf das bisher Angeführte die Benutzung einer Quelle, wie des Carmen de bello Saxonico, werden?


III.
Lambert’s Verhältniss zum Carmen de bello Saxonico.

Unsere Untersuchung wird wohl am schnellsten zu einem Ziele führen, wenn wir einmal vorerst von Pannenborg’s Hypothese der Identität Lambert’s mit dem Carmendichter gänzlich absehen, zumal sich aus der Art und Weise, wie unser Autor das Gedicht benutzt hat, die Unmöglichkeit dieser Annahme leicht ergeben wird. Die Aenderungen und Abweichungen nämlich, die in den Annalen dem Carmen gegenüber auftreten, lassen sich sämmtlich aus den uns bekannten Factoren der schriftstellerischen Individualität Lambert’s erklären, mithin können beide Schriften nicht von einem und demselben Autor verfasst sein; denn eben jene Factoren, die bei gleicher Autorschaft auch im Gedichte ihre Geltung haben müssten, können nicht zugleich die Erklärung für die Art der Benutzung abgeben auch bei noch so auffälligem Zusammentreffen gleicher Wortverbindungen[45].

[326] Wir werden uns den Standpunkt, den Lambert dem Gedichte gegenüber einnimmt, im allgemeinen in ähnlicher Weise zu denken haben, wie bei Abfassung der Vita Lulli zu Eigil’s Vita Sturmi (vergl. Diss. S. 40 ff.). Er tritt an das Gedicht mit der festen Ueberzeugung heran, dass die Ereignisse in demselben von einem durchaus falschen Standpunkte aus dargestellt wurden.

Von Anfang an stossen wir auf einen grundsätzlichen Unterschied der Auffassung. Hatte das Carmen die Erhebung der Sachsen als eine Auflehnung gegen die Gesetze erscheinen lassen, die der König zur Abstellung der in seiner Minderjährigkeit eingerissenen recht- und gesetzlosen Zustände erlassen hatte, so weiss Lambert von diesem charakteristischen Zug, der den wirklichen Verhältnissen, wie wir sie uns jetzt vorstellen, am nächsten kommt, anscheinend nichts zu berichten. Er hat den Aufstand der Sachsen, wie wir oben S. 317 zeigten, gänzlich anders motivirt. Trotzdem weiss er ähnlich wie in der Vita Lulli dieses seiner Auffassung widersprechende Moment, freilich an anderer Stelle, zu verwerthen[46].

Carmen I, 11.
     
Ann. pag. 48.
Domni regis adhuc pueri gens
 effera laxis,
Dum fluit imperiis nec habebat
 iura timoris,
– – –
Quod fuerat libitum sibi
 quisque
secutus eorum.
 et temporis oportunitate, quia, rege adhuc in puerilibus annis constituto, singuli quod sibi animus suggessisset facere impune poterant.

Indem Lambert diese Stelle herübernimmt, geräth er mit seiner eigenen Darstellung in Widerspruch. Auf der folgenden Seite nämlich (pag. 49) kommt er auf jene Goslarer Streitigkeiten zu reden, wo von den „pueriles anni“ nichts mehr zu merken ist, und die Frevler, wenn auch ungerecht, immerhin bestraft werden. Andererseits tritt dieser Standpunkt sonst bei Lambert nirgend hervor, ich erinnere nur an seine Auffassung von der Ursache des Kaiserswörther Attentates, das er kurz vorher (pag. 47) erzählt hatte.

Die Verwendung einzelner Motive des Gedichtes tritt deutlich [327] in den Regierungshandlungen Anno’s hervor. Pag. 99 hatte Lambert in herkömmlicher Weise den Einfluss Adalbert’s auf den König und Staat berichtet (receptus non modo in gratiam et familiaritatem sed pene in regni consortium et omnium quae publice vel privatim agenda erant societatem (s. oben S. 320), was übrigens, wie schon Giesebrecht (III S. 1110, Anm. zu S. 153) bemerkt, gar nicht in dem Masse der Fall war. Nach Adalbert’s Tode lässt Lambert naturgemäss wieder den Einfluss Anno’s schärfer hervortreten. Hierbei überträgt er auf ihn dasjenige, was das Gedicht vom Könige ausgesagt hatte. Die Herbeirufung Anno’s geschieht, weil

Ann. pag. 100.
     
Carm. I, 15.
     Passim per totum regnum innocentes opprimebantur, pupilli et viduae diripiebantur, monasteria et ecclesiae vastabantur et ruptis iniquitas habenis in omne quod voluisset facinus impune bachabatur. Ecclesias spoliant, viduis sua
 diripiebant
,
Pupillos miserosque premunt,
 vi cuncta geruntur;
– – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ante nimis laxas huic genti
 strinxit habenas
Ecclesiis viduis, miseris vi rapta
 requirit;
Nec fecit quisquam post haec
 impune rapinam.

Der Zusatz Lambert’s: „permotus [sc. rex] tandem vel ipsa rei acerbitate vel proclamantium importunitate“ ist typisch (Diss. S. 103).

Anno. (Ann.)
     
Rex. (Carmen.)
(jenes bereits oben angeführte)
Frena iniecta sunt vaganti usque ad id tempus licentiae.      Ante nimis laxas huic genti
 strinxit habenas.

Lambert’s: „Divites, si qui per potentiam pauperes opressisse delati fuissent – – – castigavit“ ist durch Carm. I, 17 „pauperis heredem statuit fortuna potentem“ veranlasst.

Durch die Regierungshandlungen Anno’s wächst das Ansehen des Königs: „in rege ipso – – – paternam virtutem et paternos mores brevi exsuscitaret“. Das Gedicht (I, 20) spricht von „rex ut teneros superat, virtutibus annos“; ferner I, 38: „Rex tam virtutum quam regni nobilis heres Patris avique tui“. Freilich widerstreitet hier diese durch das Carmen veranlasste Wendung [328] seiner ganzen Fortführung des Berichtes; denn der Rücktritt Anno’s wird gerade „pravis libidinibus et iuvenilibus ineptiis“ Heinrich’s verursacht. Auch hatte Lambert den Charakter Heinrich’s III. in gar keinem so glänzenden Lichte gezeichnet und den Sachsen (pag. 38) die Worte in den Mund gelegt: „nec procul ab fide aberat, filium in mores vitamque patris – – – iturum esse“, indem sie sich „crebris conventiculis de iniuriis, quibus sub imperatori affecti fuerant“, beklagen[47].

Von ganz besonderer Wichtigkeit erscheint mir Carmen I, 30: Coniurata dolo gens, weil dieses „coniurata“ unserem Autor die Veranlassung abgegeben haben mag, den Sachsenaufstand mit einer Verschwörung zu beginnen. Man hat bis jetzt wenig darauf geachtet, dass sowohl Bruno als auch die Altaicher Annalen eine solche geradezu ausschliessen. Bei Beiden ist vor dem Peter- und Paulstage, also vor dem 29. Juni, durchaus nichts geschehen, was auch nur entfernt an eine Verschwörung der Sächsischen Fürsten erinnern könnte. Bruno erzählt c. 33, Heinrich habe die Sachsen nach Goslar auf den oben erwähnten Tag berufen, damit dort über allgemeine Reichsangelegenheiten im gemeinschaftlichen Rathe der Fürsten verhandelt werde. „Alle eilten freudig dahin, weil sie hofften, dass die Leiden, welche sie schon so lange erduldet hatten, endlich einmal ein Ende finden würden.“ Als nun der König sie gar nicht anhört, ja nicht einmal empfängt, beschliessen sie, sich mit Gewalt Abhilfe zu verschaffen. Noch in der Nacht kommen sie zusammen, Tag und Ort (Wormsleben) werden festgesetzt, wo man über die zu ergreifenden Massregeln berathschlagen will. Bruno bemerkt nachdrücklich: illa dies et haec causa bellum primitus incepit; illa dies principium omnium, quae sequuntur malorum, fuit. Von einer geheimnisvollen, weitverbreiteten Verschwörung ist nicht die Rede; sofort nach der Zurücksetzung durch den König bricht der offene Aufstand aus. Ganz ähnlich ist der Vorgang nach dem Altaicher; nach einem vergeblichen Versuche der Sachsen, zu Goslar eine Abstellung der drückenden Zustände herbeizuführen, hebt der Aufstand an.

Ich stehe nicht an, Lambert’s Verschwörung vor dem 29. Juni, [329] die ganz dem Typus gemäss erzählt wird, auf jenes Wort zurückzuführen, dies um so mehr, als auch die Gesandtschaft der Sachsen an den König, die Lambert vor dem Peter- und Paulstage berichtet, auf das Gedicht zurückgeht. Was[48] er pag. 112 von „His atque huiusmodi principibus“ bis „adulta iam satisque roborata coniuratione, legatos mittunt ad regem“ erzählt, ist bis in’s kleinste ein Produkt seines Geistes (vgl. Diss. S. 56. 70. 76. 79. 82. 104. 107. 115).

Dem Carmen folgend berichtet Lambert hierauf eine Gesandtschaft der Sachsen an den König. Bereits Giesebrecht (III, p. 1125) und Meyer[49] (S. 23) haben seine Nachricht mit [330] Recht verworfen, denn Bruno und der Altaicher wissen nichts von derselben. Möglicherweise hatte das Carmen die Goslarer Vorgänge im Auge[50]; etwas Bestimmtes lässt sich darüber nicht angeben. Lambert, der über die Ereignisse zu Goslar eine sehr mangelhafte Kenntniss besitzt – weiss er doch nichts von der Berufung durch den König, von dessen eigenthümlichem Betragen, das uns aus Bruno und dem Altaicher einigermassen verständlich wird –, verlegt die aus dem Carmen übernommene Gesandtschaft nach Goslar. Hinsichtlich des Inhalts der Rede weicht er von dem Gedichte ab; er gibt hierfür seinen Typus (vgl. Diss. S. 79), verwendet aber wie bei der Einleitung Einzelheiten des Gedichtes an anderer Stelle. Auf der Rede beruht z. B. ein Theil der Schilderung Lambert’s, die sich mit der Bedrückung der Burgbesatzungen beschäftigt:

Carm. I, 42.
     
Lambert pag. 110.
  – – – pupillus et advena quivis

Indigenas prohibent silvis
 communibus uti,
Pascua praeripiunt, abigunt
 armenta gregesque.
 Omnia quae in villis et agris erant, in dies eruptione facta diripiebant, tributa et vectigalia silvarum et camporum importabilia exigebant, et sub praetextu decimarum [eine charakteristische Ergänzung vgl. S. 306 u. 317] totos simul greges abigebant.

Ferner klingen die Worte Carmen I, 41: „Vim qui ferre solent aliis in partibus orbis, Hanc nobis faciunt – – –“ unter Hereinziehung eines typischen Elementes (Diss. S. 88) bei Lambert pag. 117 nach: „ceteris enim gentibus vacatione data – – – nos solos sibi peculiariter elegerat“ und mit deutlicher Wiederholung pag. 244: „quod barbaris gentibus vacatione data, in subditos sibi populos dedita opera ferrum distrinxisset et in eorum nece hostili crudelitate grassaretur.

Die Benutzung wird aber um so zwingender erwiesen, als [331] sich damit die letzten Räthsel der typischen Gestaltungsform der Anklagereden in den Annalen lösen (Diss. S. 75).

Carmen I, pag. 98: „Leges redde tuis ablataque patria iura!“ mag Lambert’s: „suas leges tutas inviolatasque manere pateretur“ und „legitima a primis temporibus constituta“ veranlasst haben. Eine Sallusteische Reminiscenz (Diss. S. 91) kann nebenbei noch eingewirkt haben.

Bezeichnend ist, dass Lambert in Bezug auf die Güter der Sachsen das Verhältniss einfach umdreht (ähnlich der Vita Sturmi gegenüber). Im Carmen sind es die Fürsten, welche durch Raub Güter an sich gerissen haben, in den Annalen der König. Carmen I, 64: „Illi, ne perdant quae plurima rapta tenebant“. Lambert pag. 118: „patrimonia nobis per vim erepta“ und 115: „ut principibus Saxoniae, quibus sine legitima discussione bona sua ademerat, – – – satisfaceret“[51].

An Stelle der sachgemässen Antwort des Carmen (I, 52–60) erscheint bei Lambert einfach der Typus: leviter et contemptin legatis respondit nihilque certi reportantes dimisit (Diss. S. 104). Die Carmen-Antwort gab die directe Erwiderung auf die vorausgegangene Rede der Sachsen. Da Lambert für dieselbe, wie wir sahen, etwas Anderes eingesetzt hatte, konnte er hier mit den Worten des Königs nichts anfangen, er bringt sie an einer anderen Stelle. (Darüber auch Pannenborg. S. 106). Pag. 110: bei ähnlicher Situation – Klagen der Sachsen, Antwort des Königs –

Carmen I, 53.
     
Lambert pag. 110.
 Nec quisquam frustra queritur
 mihi vindice digna.
Non vestras leges, non ius
 discindere quaerens,
Passis usque modo miseris vim
 rapta reposco.
 – – – dicente rege, ista eos pro iniusta decimarum retentione pati, seque, tamquam vindicem causae Dei, necessario armata manu eos cohercere, qui legibus ecclesiasticis sponte nollent adquiescere.

[332] Nirgends sonst begegnen wir in den Annalen wieder dem Ausdruck „vindex“ in Bezug auf den König, was in Anbetracht seines Stils als ein Beweis für die Entlehnung angesehen werden darf.

Pag. 117 wird eine Bemerkung des Königs den Sachsen in den Mund gelegt.

C. I, 59.
     
Lambert pag. 117.
Regni primates mihi
 conveniantque fideles;
Horum consilio super hac re
 subpeditabo.
 tempus locumque constituerent, quo rex tocius regni principes evocaret, ut iuxta communem sententiam et obiecta purgaret et quae correctionis egere viderentur, corrigeret.

Hierbei ist besonders auf Carmen I, 52: „Corrigo, si qua piis meritis adversa tulistis“ und 58: „si qua tamen vestrae superest querimonia genti“ hinzuweisen.

Die Bemerkung des Carmen (I, 76), die Verpflegung der Burgbesatzungen betreffend,

„victum quoque largiter addit“

wird trotz des dadurch entstehenden Widerspruchs übernommen. Lambert schreibt im Zusammenhang mit der Belagerung der Heimburg, die er dem Carmen nacherzählt[52], pag. 125: „cibaria, quantumvis copiose congesta“, und in deutlicher Anlehnung pag. 145: „ubi primum cibaria, quae in diutinam belli administrationem affatim congesta fuerant, consumpsissent – – –. Pag. 105 aber, wo er zum ersten Male von den Burgen spricht, hatte er ausdrücklich hervorgehoben, dass die Burgen von Anfang an mit Lebensmitteln kärglich versehen waren: – – – castellis munitissimis exstruxit [333] praesidiumque imposuit. Quibus cum victui necessaria minus sufficerent, permisit, ut ex proximis villis et agris hostili more praedas agerent“. Diese Ansicht geht auch sonst durch die Annalen hindurch (Diss. S. 108, wo einige Stellen aufgezählt sind). So wird auch hier die Benutzung des Carmen die Ursache eines Widerspruchs.

Dass Lambert das Gedicht in der nun folgenden Schilderung der Belagerung von Goslar und der Kämpfe, die sich daran knüpfen, vor sich liegen hatte, geht schon aus Pannenborg’s Ausführungen (S. 114–121) hervor. Interessant ist, wie Lambert auch hier die Schilderung seiner Vorlage erweitert. Bereits in der Diss. (S. 117) wurde auf die Benutzung des Livius (II, 50) hingewiesen. Pannenborg will auch im Carmen eine Anlehnung an denselben angenommen wissen, während sich dieselbe nur auf die Zusätze beziehen kann; ich erinnere an die „erheuchelte Flucht“ und an das „plötzliche Schreien“, wovon im Carmen nichts steht.

Wichtiger ist die Benutzung des Carmen bei der Darstellung der

Gerstunger Verhandlungen[53].
(C. II, 26–45. Lambert pag. 128–129.)

Lambert’s Bericht, scheinbar ausführlicher und genauer, ist nichts weiter als eine durch typische Vorstellungen aufgeschwellte Erweiterung des Carmen.

 Einleitung des Berichtes:

C. II, 31:
 Ipse doli nihil esse ratus, permiserat illis. Der König lässt arglos die Zusammenkunft zu, an der er selbst nicht theilnimmt.

Lambert pag. 128: Ipse eo venire noluit, sed in civitate Wirceburg exitum rei praestolabatur. Das „doli nihil esse ratus“ greift Lambert pag. 129 auf mit den Worten: Qui protinus nihil haesitans, pedibus ut dici solet[54], in sententiam abiit.

[334]  Zusammenkunft:

C. II, 32:
 Pontifices igitur, primi comitesque ducesque

 Conveniunt iuncti Saxonibus aequore campi.

Bei Lambert namentliche Aufführung und zwar in der in der Diss. S. 59 besprochenen typischen Weise.

Hierauf folgt im Carmen die Beschwerde mit der Motivirung des Aufstandes; besonders beachtenswerth ist C. II, 36: „Qualiter impulsi cepissent talia niti“, und Lambert pag. 128: „quae calamitas eos ad haec extrema coegisset“. Im Uebrigen bewegen sich sowohl Lambert als auch Carmen nur in allgemeinen Ausdrücken, es werden keine Einzelheiten hervorgehoben.

Dann folgt bei beiden die Umstimmung der Gesandten; bei Lambert ein Zusatz, der im Munde der Sächsischen Fürsten wenig Sinn hat, aber typischen Ursprungs ist: „pro libertate sua, pro coniugibus [!], pro liberis [!] arma sumpsissent“.

Das Gedicht springt hierauf sofort zur Beschlussfassung über; anders Lambert, der seinem begonnenen Typus gemäss einschiebt: „Cumque toto triduo consilia contulissent, et quid facto opus esset, communi sollicitudine perquirerent, haec postremo cunctis sententia convenit.

 Beschluss der Fürsten:

C. II, 39:
  – – – se regem commonituros.

 His ut ius patrium reddat, commissa remittat.

Lambert: ut Saxones regi pro admissa in eum atque in rem publicam temeritate satisfactionem congruam proponerent, rex autem eis et facti impunitatem et iniuriarum – – – securitatem – – – promitteret.

Ausser diesem Beschluss, der sich mit dem Carmen deckt, berichtet Lambert noch einen zweiten, geheimen, von welchem das Carmen nichts weiss. Edel und Meyer (S. 27) haben einleuchtend gezeigt, dass der geheime Beschluss gar keinen Sinn haben kann, zumal auch Berthold a. 1073 ihn nicht kennt. Edel bemerkt schon: „Wie sollte Lambert Kenntniss erhalten haben von diesem Beschlusse, der doch ganz geheim bleiben musste, der nur den Vertrautesten bekannt sein konnte.“ Der Bemerkung Meyer’s: „Die Thatsache der späteren Entsetzung König Heinrich’s wirft ihren Schatten weit zurück,“ können wir uns voll und ganz anschliessen. [335] Wie ein rother Faden zieht sich die Absicht der Fürsten, den König zu entthronen, durch die Annalen hindurch[55]. Selbst die Ablehnung Rudolf’s steht in ihrer Begründung nicht vereinzelt da; pag. 237 lässt Lambert den Otto von Nordheim ebensolche moralische Erwägung anstellen. Rudolf: „nunquam se in hoc consensurum, nisi a cunctis principibus conventu habito (was natürlich eine Vorwegnahme der späteren Ereignisse ist), sine nota periurii, integra existimatione sua id facere posse decerneretur“; Otto: „nec – – – ignominiam habiturum, praeterea nulla iam sacramenti, quo ei fidem dixerit, religione teneri – – – proinde omni periurio absolutum“.

Auch der Schluss des ganzen Berichtes[56], die Art und Weise, [336] wie der König die Nachricht von den Gerstunger Beschlüssen aufnimmt, zeigen deutliche Anklänge, nur dass an Stelle eines Lobes für den König eine typische Wendung eingesetzt wird.

Carmen II, 46:
 Principibus cunctis sic in contraria versis

 Fortis rex, patria virtute nitens et avita,
 Non sua fortunae subiecit colla superbae,
 Maluit in paucis multorum victor haberi
 Quam cedens multis tanto caruisse triumpho.

Lambert pag. 138: Interea rex cum videret, quod paulatim a se principes deficerent – – – pudore compulsus pariter et necessitate (Diss. S. 103) statuit extremam fortunae aleam temptare et cum Saxonibus ubi primum copia fieret, collatis signis dimicare, magis eligens vitam honeste quam regnum per dedecus amittere (Diss. S. 76). Der ganze Gedankengang ist ähnlich, wenn sich auch nur wenige wörtliche Entlehnungen finden, jedoch dies gehört eben zu den wichtigsten Merkmalen seiner Arbeitsweise, die wir an der Vita Lulli hinsichtlich des Ausschreibens der Quellen klargelegt haben.

Auch in der Schilderung des Winters 1074 finden sich Berührungen.

 Carmen II, 147:

Cum glacialis hiems cursus frenarat aquarum,
Undaque, navigiis prius, est modo pervia plaustris.
In stabulis armenta, ferae silvisque rigebant – – –
Talis tempestas Saxonum contigit alas.

Lambert pag. 139: Frigus erat validissimum, et hiberna siccitate arebat omnia, in tantum ut flumina non superficie tenus glacie constricta, sed tota praeter solitum in glaciem conversa viderentur. Unde panis inopia vehementer laborat exercitus – – –. Fluvium glacies pedestri itinere commeabilem fecerat[57]. Die Bemerkung des Carmen, dass die Kälte [337] dem „cursus aquarum“ Zügel angelegt habe, verwendet er geschickt in der Weise, dass nun die Mühlen stillstehen, und bringt dies mit der Nothlage des Heeres in Zusammenhang: „eo quod, propter rigorem fluminum ubique cessante molarum usu, ipsum quod forte invenissent frumentum comminuere non poterant“.

Die breite Schilderung der Unstruter Schlacht beruht ausser der in der Diss. S. 119 gezeigten, vielfachen Anlehnung an Sallust in ihrem grössten Theile auf dem Carmen[58]. Lambert folgt diesem in jedem einzelnen Punkte, nur dass er seinem bisher beobachteten Verfahren gemäss manches ändert. Kein wichtiger Vorfall ist ausgelassen, während hingegen Einzelheiten theils aus Sallust und aus typischen Vorstellungen, theils aus eigener Kenntniss hinzugefügt sind.

 Carmen III, 130:

Ecce vident nigras glomerari pulvere nubes
Et magis atque magis tenebras insurgere campis.

Lambert pag. 183: cum repente conspicantur caelum pulvere obtenebratum, exercitum, super arenam maris innumerabilem, totam adiacentis campi latitudinem. (C. III, 115:

Ergo tegunt latos passim tot milia campos
Quot vel pontus agit fluctus)[59].

[338] Das Gedicht verschweigt aus leicht erklärlichen Gründen die Ueberrumpelung der Sachsen; es wollte eben die Grösse des königlichen Sieges durch nichts abschwächen und verkleinern. Lambert hat natürlich keine Veranlassung, diese allgemein bekannte Thatsache, die sowohl Bruno als auch Berthold berichten, zu unterdrücken, er weiss vielmehr dieses die Niederlage der Sachsen entschuldigende und mildernde Moment nicht stark genug zu betonen. So wendet er Carmen III, 136:

Ergo manu conferre parant cunctasque phalangas
Sacrilegas bello disponunt ordine longo

geradezu ins Gegentheil: „Nec legiones ordinare angustia temporis sinebat, nec militem adhortari“.

Zwischen die beiden Etappen des Vorrückens Carmen III, 138:

Regius instructis processit suaviter alis
Miles et adversos properabat in hostes

schaltet Lambert noch die Erzählung der arglosen Ruhe der Sachsen ein: „Ita paulatim servatis ordinibus ad castra Saxonum procedunt – – – Ruhe der Sachsen – exercitum ad ipsa castra oprimenda – – – properare“.

Den gemeinsamen Kampf der Schwaben und Baiern (C. III, 140–142) umschreibt unser Autor in dramatischer Ausgestaltung[60].

An Stelle der poetisch ausgeschmückten Schlachtschilderung des Gedichtes setzt Lambert seinen Typus und flicht einige Episoden ein. Was er von Otto von Nordheim aussagt, beruht auf Sallust (Diss. S. 120). Der Carmenvers III, 167, der Heinrich persönlich kämpfend einführt: „Cum fortis subito rex irruit agmine denso“, wird berichtigt. Der König, durch Boten um Hilfe gebeten, sendet den Grafen Hermann und die Babenberger „cum repente ex uno latere H. – – – ex alio latere Babenbergenses milites signa inferunt“. Damit tritt denn auch bei beiden die Entscheidung ein.

C. III, 172:
 Nec mora, seu tenuis ventorum flamine pulvis

 Diffugit, a facie regis sic agmen et omne:
 Scutis dorsa tegunt, volucri cursuque recedunt.

[339] Lambert: „Non ultra Saxones vim multitudinis sustinere poterant; paulatimque cedentes – – – tandem versis frenis omnes diversas in partes aufugerunt“. Hierauf berichten beide Flucht, Verfolgung und Niedermetzelung. Dann kommen beide zum zweiten Male auf eine „Staubwolke“ zu sprechen. Nochmals erwähnen sie die Grausamkeit der Verfolger, um hierauf den Untergang zu schildern, den viele der Fliehenden in der Unstrut fanden. Beide erwähnen hierbei das im Rücken der Flüchtigen drohende Schwert. Carmen III, 186:

Sic et ad Unstardi veniunt vada fluminis alti.
Quid faciant? Quos a tergo ferit hosticus ensis,
Altus ab adverso Unstardus tardabat abire – – –

Lambert: Plurimam etiam partem fluvius Unstrut, dum metu gladii imminentis praecipitantius irruunt, obsorbuit.

Die Nacht macht dem Kampfe ein Ende; so bei Lambert wie bei dem Carmen. Es folgt die Plünderung des Sachsenlagers, bei beiden die Bemerkung, dass man reichliche Lebensmittel gefunden habe. Auch hier gebraucht Lambert für „victus“ des Carmen das ihm geläufigere Wort cibus, ähnlich wie oben S. 332 zweimal „cibaria“ für (Carmen) „victum“. Es folgt nun eine Seltsamkeit, die Pannenborg mit Recht hervorhebt und die sich nur aus einer Benutzung erklären lässt: „obgleich es bei beiden schon Nacht ist, greifen sie nochmals auf den Abend zurück“.

C.III, 213: Rex vespertinus victor de caede reversus. Lambert pag. 186: Rex paulo post occasum solis – – – in castra revertitur.

Bevor Lambert mit den Worten: „occisos terra obruunt – – – unde quisque oriundus erat, sepeliendos remittunt, vulneratis curam adhibent“ den Schlussbericht des Carmen wiederholt:

„Imperat exquiri, quae saucia, quaeve suorum
Corpora per campos iaceant occisa cruentos
Saucia committi medicis, defuncta sepulchris

schiebt er die Stelle aus Sallust ein, auf die wir bereits in der Diss. (S. 121) verwiesen haben[61].

[340] Damit dürfen wir wohl unsere Untersuchung über die Benutzung des Carmen in den Annalen abschliessen, ohne damit den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen. Gegen unsere Bemerkung auf S. 325, dass mit dem Nachweis dieser engen Beziehung zwischen den beiden Werken auch zugleich die Unmöglichkeit der Verfassergleichheit bewiesen sei, wird nichts einzuwenden sein; denn alle Abweichungen und Aenderungen liessen sich, soweit ein Eindringen in die unsern Autor bewegenden Factoren überhaupt möglich war, aus seiner schriftstellerischen Individualität erklären[62].

[341] Was folgt aus der Benutzung des Carmen in den Annalen für die Erkenntniss der Historiographie Lambert’s? – Das Gedicht kann nicht als eine Quelle im modernen Sinne des Wortes aufgefasst werden; dasselbe ist ihm nur eine Vorlage; er verwendet dasselbe zur Ausschmückung und Erweiterung seiner Darstellung, stellenweise dient es ihm zur Disposition. Lambert hat aus dem Carmen nichts gelernt, er hat weder seine Kenntniss erweitert noch berichtigt, ja er hat vielmehr die in vieler Hinsicht richtigere Auffassung des Gedichtes vollständig ignorirt. Er sieht in demselben eine Tendenzschrift, und schreibt das Carmen als solche aus, ohne sich aber hierbei stets seiner anderen Darstellung ganz bewusst zu sein. Die Folge hiervon waren zahlreiche Widersprüche, die wir anmerken konnten. Offenbar misst Lambert seiner Kenntniss, seiner Auffassung einen weit grösseren Glauben bei, als der im Carmen; er hält sich für befugt, die seiner Ansicht nach verdrehte Darstellung des Gedichtes zu verbessern. Damit gewinnt aber Bresslau’s Ansicht von der Bedeutung des „Klosterklatsches“ für viele Einzelheiten der Annalen eine ganz hervorragende Stütze. Auf dem Klosterklatsch, auf der Autorität seiner Mitbrüder beruht Lambert’s Ueberzeugung. Nur dadurch, dass er sich mit einer grossen Menge im Einklang wissen mochte, konnte er dem Carmen gegenüber an seiner Auffassung festhalten. Nicht unser biederer Mönch allein, seine Mitbrüder müssen für seine Darstellung verantwortlich gemacht werden. Sie waren es, die ihm z. B. die Wirren des Reiches als einen Ausfluss des Zehntstreites erscheinen liessen, sie waren es, die seine Auffassung von dem Charakter des Königs beeinflussten. In unserem Autor haben wir den verdichteten Niederschlag dieser schwülen und dumpfen Atmosphäre vor uns.


IV.
Kritik einzelner Nachrichten.
Der Kaiserswörther Königsraub.

Mit den Worten: „Den Hergang erzählt in anschaulicher Weise der Hersfelder Mönch Lambert, welcher allerdings in seinem Kloster leicht die genaue Kunde davon erhalten konnte, da noch [342] im Verlaufe dieses Sommers die Hofhaltung in dessen Mauern verlegt wurde“, rechtfertigt Meyer von Knonau die Aufnahme des Lambert’schen Berichtes in die Jahrbücher (I, p. 278).

Unseren früheren Ausführungen gemäss (vgl. Diss. S. 68 u. oben S. 312) können wir in diesem Umstande allein keinen Beweis für die Zuverlässigkeit der Nachricht sehen. Lambert’s Erzählung scheint uns aber aus anderen Gründen geradezu unhaltbar. Vor allem ist sie mit den übrigen unter sich übereinstimmenden Berichten nicht in Einklang zu bringen. Was melden uns diese? Als der unterrichtetste von ihnen muss der Altaicher Annalist angesehen werden. Mit schlichten Worten erzählt er uns den Vorgang. Nach erfolgter Beschlussfassung sind die Verschworenen unerwartet (ex improviso) mit einer grossen Menge (cum grandi multitudine) an den Hof zu Kaiserswörth geeilt. Nach Wegnahme des Kreuzes und der königlichen Lanze (der Insignien) aus der Kapelle bringen sie den König auf ein Schiff und führen ihn, ohne dass Jemand Widerstand geleistet hätte (nulloque obsistente) nach Köln. Nach ihm stellt sich uns das Attentat auf die Reichsregierung als ein gewaltsamer Akt dar, als ein Raub im vollsten Sinne des Wortes. Der Ausdruck „regem ipsum navi imponunt“ deutet schon auf das Gewaltthätige ihres Vorgehens hin. Es ist eine Ueberrumpelung, die wir sich da abspielen sehen, das liegt sowohl in dem „ex improviso“ als auch in der Thatsache, dass Niemand den König zu retten sucht, weil die Attentäter eben in grosser Anzahl waren.

Diese Darstellung findet nun in sämmtlichen Quellen mit Ausnahme Lambert’s ihre Bestätigung. Ueberall begegnen wir Ausdrücken, die auf ein gewaltsames Vorgehen schliessen lassen[63].

[343] Lambert’s Bericht widerspricht dem Altaicher in allen Punkten, eine Combination beider ist ausgeschlossen. Dieses beweist schon der Eingang. Nach Lambert haben sich die Verschworenen längere Zeit am Hofe aufgehalten, bis sie endlich zum Werke schreiten, während sie nach den Altaicher Annalen unversehens am Hofe erscheinen und sofort den Raub ausführen. Gesetzt auch, diese Nachricht Lambert’s beruhe auf einem Irrthume, so scheitert die Verbindung beider Erzählungen an der Unmöglichkeit, die von dem Altaicher und von Berthold angeführte Wegnahme der königlichen Insignien aus der Kapelle in Lambert’s Darstellung einzuschalten. Die Mitführung der Insignien steht ausser allem Zweifel, da sie, von der zweimaligen Erwähnung in den Quellen ganz abgesehen, selbstverständlich ist; der mittelalterlichen Anschauung gemäss konnte nur derjenige als der rechtmässige und anerkannte Machthaber gelten, der im Besitze der königlichen Insignien war. Es sind nur drei Möglichkeiten für die Einfügung vorhanden; erstens: vor der Entführung des königlichen Knaben; zweitens: gleichzeitig mit derselben; drittens: nach derselben. Den zweiten und dritten Fall schliesst Lambert’s Erzählung selbst aus, weil sich, wie er berichtet, alle diejenigen, „quos episcopus factionis suae socios ac ministros paraverat“, auf dem Schiffe befanden, mit welchem der König entführt worden sein soll. Nach Lambert ist Niemand vorhanden, der die Insignien aus der Kapelle fortgeschafft haben könnte. – Der erste Fall ist geradezu undenkbar, denn der Raub der Reichsinsignien aus der königlichen Pfalz, der ohne Anwendung von Waffengewalt nicht ausführbar war, hätte doch die Aufmerksamkeit des Hofes in hohem Masse erregen müssen[64].

[344] Nach alledem wird das Urtheil berechtigt sein, dass beide Gruppen – hie Lambert, dort der Altaicher und die übrigen Berichte – nicht zwei verschiedene Versionen eines und desselben Vorganges darstellen, sondern sich gegenseitig ausschliessen; folglich muss die eine von beiden falsch sein. Wem wir dieses Prädikat zuerkennen müssen, kann nicht zweifelhaft sein, zumal die Erzählung unseres Autors, wie aus der Anmerkung hervorgeht, durchaus keinen Anspruch auf innere Wahrscheinlichkeit erheben kann. Ferner berücksichtige man, was wir über Ursache (Diss. S. 95 und oben S. 326) und Folge (S. 321) des Kaiserswörther Attentates bemerkt haben.

Gibt es nun aber für die Entstehung seines Berichtes eine einigermassen wahrscheinliche Erklärung? Jedenfalls ist von einer absichtlichen Fälschung abzusehen; wenigstens ist kein Grund ausfindig zu machen, der Lambert veranlasst haben könnte, die gewaltsame Wegführung in eine listige Entführung umzugestalten. Er kann seiner Darstellung nach von einem gewaltsamen Raub Heinrich’s überhaupt nichts erfahren haben. Für das aber, was ihm zugetragen wurde, lässt sich eine Vermuthung anführen, sofern man sich von dem Standpunkte, unserem Autor die Erfindung aller Sonderheiten zuzuschreiben, [345] freimacht. Wandernde Spielleute werden es gewesen sein, die jene Kunde in sein Kloster brachten; es ist ja zur Genüge bekannt, wie sie neben den Wandermönchen meist die Verbreiter historischer Thatsachen waren. Von einem Orte nach dem andern ziehend, meist in den Klöstern übernachtend, verbreiteten sie singend und sagend die Kunde von den Dingen, die die Welt bewegten. – Es war so ein rechter Spielmannsstoff, dieses Kaiserswörther Attentat. Wir können es uns recht wohl vorstellen, wie einer von ihnen unserem lauschenden Mönch anschaulich und lebendig den Vorgang ausmalte, wobei er geschickt ein Sagenmotiv in seine Erzählung einwob. Fast in allen Spielmannsdichtungen, die uns, wenn auch aus etwas späterer Zeit, überliefert sind, wird die Entführung von Königskindern in ähnlicher Weise erzählt. Vor allem im Rotharilied, das so recht typisch für die ganze Gattung ist; die von dem König Rothari geraubte Tochter des Byzantinischen Kaisers wird vermittelst eines reich ausgeschmückten Schiffes, auf das sie gelockt wird, entführt. Dann erinnere man sich der Entführung Hilde’s in der Kudrun (Avent. V–VII). Ist es nicht sehr einleuchtend, dass solch ein Spielmann Lambert’s Gewährsmann war, zumal sich dann auch die eigenthümliche, von keiner andern Quelle berichtete Geschichte von dem Fluchtversuch des Knaben erklären liesse, die leicht in einer phantasievoll bewegten Seele eines Spielmanns entstehen konnte?


Sturz Adalbert’s von Bremen zu Tribur 1066.

Den ausführlichen Bericht Lambert’s (pag. 67) hat Meyer von Knonau mit vollem Rechte bei seiner Darstellung dieses Vorganges (I, pag. 488) unberücksichtigt gelassen. Im Folgenden soll eine Zergliederung und damit eine Erklärung der von den übrigen Quellen abweichenden Erzählung Lambert’s versucht werden, weil uns dieselbe das Zusammenwirken einzelner Elemente seiner Historiographie veranschaulichen kann.

Nach dem Verfasser der Jahrbücher gestaltet sich das Ereigniss kurz folgendermassen: Auf der Reichsversammlung zu Tribur wurde von den Verschworenen „Heinrich IV. die Aufforderung vorgebracht, Adalbert von seiner Seite fortzuschicken, die Verfügungen, welche auf dessen Rath geschehen waren, als aufgehoben zu erklären. Der Druck war ein so gewaltiger, und [346] der Erzbischof fühlte sich in solcher Weise schutzlos und von Nachstellungen umringt, dass er sogleich seine Sache aufgab und in der nächsten Nacht vom Hoflager entfloh“.

Schon Lambert’s Motivirung der Verschwörung ist hinfällig, in äusserlicher Weise wird eine seiner Vorstellungen, nämlich die von dem Mangel des königlichen Hofhaltes (Diss. S. 108), mit dem Sturze Adalbert’s verknüpft. Hier so wenig, wie beim Kaiserswörther Attentat kennt Lambert den eigentlichen Grund der Missstimmung unter den Fürsten. Lambert erzählt: Nicht nur der lange Aufenthalt des Königs in Goslar, was nach Delbrück (S. 11) nicht richtig ist, verursachte die Nothlage der königlichen Hofhaltung, sondern vor allem der Hass der Einwohner und Aebte gegen den Erzbischof, demzufolge jene ihre Abgaben nicht entrichten wollten; alle nämlich beschuldigten denselben, dass er sich unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit mit dem Könige die „monarchiam manifestae tyrannidis“ aneignen wolle. In sprunghafter Weise werden nun auf einmal die omnes – oben nur die Sachsen – zu den „principes regni“. Unter Anwendung des Verschwörungstypus (Diss. S. 55) fährt Lambert fort: „non ultra laturi iniuriam videbantur principes regni. Archiepiscopi Moguntinus et Coloniensis cum ceteris, quibus curae erat res publica, crebra conventicula faciebant atque omnes in commune, quid facto opus esset, consulere rogitabant“. Indem nun Lambert auch weiterhin seinem Typus folgt, geräth er in eine Darstellung, die dem wahren Sachverhalt widerspricht. Die Zusammenkunft der Reichsfürsten zu Tribur nämlich, in Wirklichkeit eine von Heinrich angesagte Reichsversammlung (vgl. M. v. K. I, 488), erscheint als ein einseitig von den Verschworenen anberaumter Hoftag: „diem generalis colloquii omnibus indixere regni principibus, ut Triburiam convenientes – – –“ und nachher „statuta dies“. Ueber die Unglaubwürdigkeit der Drohung der Verschworenen: „aut regno ei [sc. regi] cedendum esse, aut familiaritate et amicitia Premensis archiepiscopi defungendum“ haben wir bereits oben S. 334 gehandelt.

Typisch schreibt Lambert weiter: „Perlato Goslariam atrocis rei nuncio, rex ad statutam diem concitus properabat“. Thatsächlich hat Heinrich erst zu Tribur von der Sache erfahren, ganz abgesehen davon, dass Heinrich nicht in [347] Goslar, sondern in Mainz sich befand. Die typische Wendung veranlasst Lambert auch hier zu einer Widernatürlichkeit. Warum kommt denn Heinrich überhaupt zu dem von den Fürsten berufenen Tage, wenn er bereits weiss, was ihm dort droht? Auch Meyer von Knonau macht auf die Unwahrscheinlichkeit dieses „atrocis rei nuncius“ aufmerksam. Aehnlich schreibt aber Lambert z. B. pag. 73: Rex accepto nuncio graviter permotus copias celerrime contraxit, was glaubwürdig ist; pag. 83: Perlato ad regem nuncio – – – Goslariam concitus remeavit. Pag. 85: Rex accepto nuncio nihil moratus copias – – – celerrime contraxit. Pag. 160: Territus rex tam atroci nuncio – – – ad Renum concitus remeavit.

Abweichend von den übrigen Quellen, die die nächtliche Flucht Adalbert’s melden, berichtet Lambert von einem Fluchtversuch des Königs, der aber durch „ministri regis“ vereitelt worden sein soll. Diese Geschichte beruht wohl auf einer Verwechslung der Person; aus allem bisher Angeführten geht ja hervor, dass Lambert sehr schlecht unterrichtet war. Den Fluchtversuch, der übrigens gleichfalls im Typus (Diss. S. 70) erzählt wird, mochte Lambert um so mehr für wahrscheinlich halten, als durch denselben Heinrich gegen jene von ihm angenommene Drohung der Fürsten doch irgend etwas gethan zu haben schien. Von diesem Standpunkte aus ist es auch erklärlich, dass Lambert nichts von dem nächtlichen Entweichen Adalbert’s weiss, vielmehr schreibt: Contumeliose itaque eiectus est de curte regia cum omnibus tyrannidis suae fautoribus [?]. – Ueber die Schlussbemerkung Lambert’s, die Rückkehr der Reichsregierung in die Hände der Bischöfe, siehe unsere Ausführung S. 323.

Auch Lambert’s weitläufige Erzählung von den Tagen zu

Tribur und Oppenheim (pag. 243 ff.)

lässt sich nicht allzu schwer in ihre einzelnen Bestandtheile auflösen; mehr wie irgendwo anders zeigen sich gerade hier die verhängnissvollen Folgen seiner historischen Arbeitsweise. Bevor wir auf seine Darstellung eingehen, müssen wir in möglichster Kürze den Verlauf jener Ereignisse skizziren. Die Grundlage unserer Auffassung bildet ein Aufsatz von Jaroslaw Goll: Der Fürstentag von Tribur und Oppenheim[65]. Auch Heyck’s[66] Schilderung, [348] die sich anlässlich der Betheiligung des Herzogs Berthold von Kärnthen eingehend mit den Triburer Vorgängen befasst, wurde berücksichtigt; Heyck hat in richtiger Erkenntniss der Sachlage vermieden, Einzelheiten der Erzählung Lambert’s in seine Darstellung aufzunehmen.

Nachdem durch Ankunft der päpstlichen Legaten die Verhandlungen der Fürsten zu Tribur eine andere Wendung genommen hatten, so dass man für’s erste von einer Wahl eines Gegenkönigs Abstand nahm und sich in Unterhandlung mit dem zu Oppenheim sich aufhaltenden Könige einliess, kam es zwischen Heinrich und jenen zu einem Vertrage. In demselben unterwarf sich der König folgenden Bedingungen: Worms dem Bischofe zurückzugeben, an den Papst zur Gelobung seiner Genugthuung und Busse ein Schreiben zu richten, die Regierung nach dem Rathe der Fürsten zu führen. Damit hatte Heinrich durchaus nicht die von Gregor ausgesprochene Suspension von der Regierung anerkannt. Nach Abfassung jenes Schreibens begab sich der König nach Speier, die Fürsten aber tagten weiter. Einseitig, ohne Mitwissen des Königs, fassten sie noch einen weiteren Beschluss, den Papst nach Deutschland einzuladen, „dissensionem huiusmodi compositurus“, wie Berthold sich ausdrückt. Zu gleicher Zeit verpflichteten sie sich eidlich, wenn Heinrich sich über Jahr und Tag nicht vom Banne gelöst habe, ihn nicht mehr als König anzuerkennen.

Vorausgreifend muss bemerkt werden, dass Lambert’s ganzer Bericht auf der falschen Annahme beruht, jener Beschluss der Fürsten hinsichtlich einer Einladung des Papstes nach Deutschland und jene eidliche Verpflichtung gehörten mit zu den von Heinrich anerkannten Bedingungen. Sein Irrthum ist durch mangelhafte Kenntniss veranlasst, wie er ja auch nichts von jenem Schreiben Heinrich’s an Gregor weiss. Seine Darstellung enthält folgende Bestandtheile:

1. Typus der Versammlung (Diss. S. 61). Sieben Tage (ibid. pag. 73).

2. Aufzählung der Vergehen Heinrich’s; es ist dies eine Zusammenstellung aller bezüglichen Stellen. Eine Aufzählung erscheint überflüssig.

3. Die Gesandtschaft des Königs an die Fürsten, die seine Unterwerfung unter ihre Beschlüsse meldet. Die Worte Heinrich’s: [349]nihilque deinceps circa rerum publicarum administrationem absque communi consulto acturum, postremo ultro se iure suo cedere eisque gubernandi disponendique pro suo arbitratu tocius regni ius potestatemque facere, dummodo aequo animo paterentur, sola regni nominis regiique cultus rata sibi manere insignia“ kehren bei Lambert später als eine der Oppenheimer Bedingungen wieder (pag. 248): nihil circa publica negocia suo iure disponens, nullam regii apparatus pompam, nulla regni dignitatis insignia. Lambert berichtet nämlich im Widerspruch mit den übrigen Quellen, dass der König in jenem Vertrage gelobt habe, sich in die Stadt Speier zurückzuziehen und dort ohne königliche Hofhaltung zu leben. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Aufenthalt, den Heinrich freiwillig wählte, um daselbst die Antwort Gregor’s auf sein in Oppenheim erlassenes Schreiben abzuwarten und sich zu der dort gelobten Busse vorzubereiten. Bei der oben hervorgehobenen mangelhaften Kenntniss Lambert’s darf es nicht verwundern, dass er in diesem auf Oppenheim unmittelbar folgenden Aufenthalt zu Speier eine von Heinrich erfüllte Verpflichtung erkennt; Lambert liebt es ja, alle Vorkommnisse in Wechselbeziehung zu bringen. Diese combinirte Bedingung erscheint in obiger Stelle als ein Vorschlag Heinrich’s; freilich bemerkt unser Autor dann später nicht, dass es sich mit jener Forderung der Fürsten nur um Anerkennung des königlichen Vorschlages handle. Das ist unserem Autor längst aus dem Sinne. Uebrigens zeigt die Darstellung, die in indirecter Redeform abgefasst ist, die bewussten Schlagworte des I. Schemas (Diss. S. 75): rata sibi manere – – – quod si – – – admitterent, paratum se quibus sacramentis – – – fidem facere.

4. Die Antwort der Fürsten wird wie auch sonst mit „ad haec illi“ eingeleitet. An der Spitze der Erwiderung findet sich wie üblich eine Negation. Nulla, inquiunt, iam supersunt argumenta. Pag. 117 bei ähnlicher Situation: ad haec illi: Non eadem, inquiunt, – – –; pag. 143: Nullum, inquiunt – – –. Auch: iterum alios atque alios misit – – – Sed illi in eadem sententia fixi obstinatique manebant, ist typisch. Pag. 118: Qui iterum missi, iterumque remissi, in eadem eos sententia obstinatos invenerunt. Pag. 177: Iterum alios atque alios miserunt; sed eodem omnes rigore obfirmatas – – – aures invenerunt. [350] Pag. 200, im Wortlaute abweichend: Triduo in hac cunctatione cessatum est (vgl. Diss. S. 60) legatis assiduo euntibus ac redeuntibus atque in eadem verba regis – – – aures obtundentibus.

5. Die Meldung Lambert’s, man habe auf beiden Seiten zum Kampfe gerüstet, um durch Waffengewalt eine Entscheidung herbeizuführen, ist wenig glaubhaft, da die übrigen Quellen darüber schweigen[67]. Ich vermuthe in dieser ganzen Geschichte eine auf eine dramatische Steigerung abzielende Ausschmückung. Wir sind solchen dramatischen Zusätzen schon anderwärts begegnet, z. B. in der Vita Lulli c. X (Diss. S. 38), in der Unstruter Schlachtschilderung (S. 338).

6. Die Oppenheimer Bedingungen stellen ähnlich wie die Gerstunger Friedensbedingungen (Diss. S. 84) eine Zusammenschweissung einer Reihe theils gar nicht zur Sache gehöriger, theils combinirter Punkte dar.

α) Die auf Mariä Lichtmess berufene Zusammenkunft ist, wie oben bemerkt, eine falsche Auffassung des nach Heinrich’s Weggange gefassten Beschlusses der Fürsten.

β) Desgleichen „quod si ante diem anniversarium excommunicationis suae – – – excommunicatione non absolvatur[68]“.

[351] γ) Lambert betont verschiedentlich, dass man den König den „leges palatinae“ gemäss behandeln werde. Einmal scheint er folgendes darunter zu verstehen: rem integram Romani pontificis cognitioni reservare; dann, was in den Worten liegt: nec legibus deinceps regnum repetere possit, quod legibus ultra administrare, annuam passus excommunicationem, non possit. Hat Lambert bestimmte Grundsätze im Auge? Ich glaube kaum, wenigstens wäre dann nicht zu verstehen, wie er in einer und derselben Sache neben einander „iuxta palatinas leges“ und „ecclesiasticas“ schreiben könnte, pag. 257: deinceps iuxta palatinas leges indignus regio honore habeatur, und pag. 258: regio deinceps honore indignus iuxta leges ecclesiasticas decerneretur[69].

δ) Ueber den Speierer Aufenthalt haben wir schon oben gesprochen.

ε) Worms erhält hier im Munde der Gesandten dasselbe Epitheton, das Lambert sonst angewendet hatte: arcem belli; vgl. pag. 133: belli sedem, hanc regni arcem.

Zum Schlusse sei noch bemerkt, dass die Worte: „rex, cuius omnisque spes omnesque in artum coactae fuerant“, im Widerspruch stehen mit dem Beginn des Berichtes, wo das „contractis in unum suae partis assertoribus – – – suos – – – in unum coire atque arma expedire iubebat, ut in ulteriorem ripam progressos confestim proelio adoriretur“ keineswegs die jeglicher Hilfsmittel baare Lage des Königs andeutet.

Die Verknüpfung dieser Momente ergab sich uns auf ganz [352] natürlichem Wege. Wird man bei der nun einmal feststehenden Thatsache seiner geringen Kenntniss hier von einer Fälschung, von einer Verschiebung der Dinge gegen besseres Wissen reden dürfen?

Hinsichtlich der Vorgänge zu und nach

Canossa

muss ich mich auf einige Bemerkungen beschränken; eine eingebende Erörterung ist ohne eine Kritik sämmtlicher Quellen nicht zu erzielen, wofür aber in dem Rahmen dieses Aufsatzes kein Raum ist.

Merkwürdig ist die Antwort des Papstes auf Heinrich’s erste Anfrage, ihn vom Bann zu lösen: quin immo, si innocentiae suae confideret, omni timoris scrupulo liberatus, statuto die in Augustam, quo ceteri principes convenire statuissent, fiducialiter occurreret. Dieser Tag war aber nach Lambert auf den 2. Februar anberaumt, die Antwort fiele kurz vor den 25. Januar, an welchem Tage Heinrich seinen Büssergang antrat. Es ist einfach undenkbar, dass Gregor dem Könige diese Antwort gegeben hat; hätten sie doch beide nicht bis zum 2. Februar in Augsburg sein können.

Die Bedingungen, die Heinrich vor der Absolution zugestehen muss, lassen sich auf den ersten Blick als eine Wiederholung der zu Oppenheim mit den Fürsten eingegangenen erkennen.

Canossa pag. 258.
     
Oppenheim pag. 247.
1. Dem Sinne nach ähnlich; hier sei p. 257 abgedruckt, wo die erste Bedingung ähnlich wie oben S. 349 als Vorschlag H.’s auftritt.
1. ut die et loco, quemcunque papa designasset, evocatis ad generale concilium Teutonicis principibus praesto esset – – – et ad eius sententiam vel retineret regnum, si obiecta purgasset, vel aequo animo amitteret, si probatis criminibus regio deinceps honore indignus iuxta ecclesiasticas leges [letzteres ist auch eine Wiederholung, vgl. S. 351]. quacumque die, quocumque loco papa praecipiat – – – omnibus quae accusatores eius obiecissent criminibus, et iuxta sententiam eius regnum vel retenturus, si obiecta purgasset, vel aequo animo, si causa cecidisset, amissurus.

[353]

2. usque ad eam autem diem – – – nulla regii cultus ornamenta, nulla regiae dignitatis insignia sibi adhiberet, nihil circa rerum publicarum administrationem iuxta consuetudinem suo iure ageret, nihil, quod ratum fore oporteat, decerneret;       2. p. 248. nullam regii apparatus [p. 245 cultus pompam], nulla regiae dignitatis insignia iuxta solitum adhibens usque ad sinodicam causae suae examinationem – – – nihil circa publica negocia [p. 244 nihil circa rerum publicarum administrationem] suo iure disponens.
3. Ruotbertum – – – ceteros – – – a sua in perpetuum familiaritate amoveret. 3. omnes – – – extemplo a convictu contubernioque suo amoveat.
4. Quod si – – – potens confortatusque in regno perstitisset, subditus Romano pontifici semper dictoque obtemperans foret. 4. si – – – Romano pontifici per omnia subditum se dictoque obtemperantem fore polliceatur.
5. ad ultimum, si quid horum praevaricaretur, irritam fore hanc – – – absolutionem – – – principesque regni, omni deinceps quaestione, cuncta iurisiurandi religione liberatos, regem alium – – – creaturos esse. 5. porro si quid horum praevaricetur, tum se omni culpa omni iurisiurandi religione, omni perfidiae infamia liberatos – – – quid rei publicae expediat [d. h. die Wahl eines neuen Königs] omni consilio visuros.

Uebrigens ist auch die Situation selbst bei Lambert zu Canossa dieselbe wie zu Oppenheim. Ich will nun freilich nicht leugnen, dass der König sowohl dort als auch hier erst Boten zur Unterhandlung geschickt hat, nur möchte ich dagegen Verwahrung einlegen, den Einzelheiten Lambert’s, als auf zuverlässiger Kunde beruhend, irgend welchen Werth zuzuschreiben. Die Aehnlichkeit in beiden Schilderungen geht so weit, dass z. B. in Oppenheim wie in Canossa die Vorschläge des Königs nichts anderes sind, als eben ein Theil der nachher einzugehenden Bedingungen, Vorschläge, die so von dem Könige nie vorgebracht sein können. Beide Male schickt erst der König eine Botschaft, sein Vorschlag wird zurückgewiesen, dann folgt wiederholtes Schicken. Hier wie dort nimmt der König die harten und schweren Bedingungen mit Freuden an. Pag. 248: gratulatus admodum – – – promptissime per omnia obedientiam [354] pollicetur. Pag. 259: Gratanter rex accepit conditiones, et servaturum se omnia – – – promittebat.

Gestützt auf die in Gregor’s Regesten erhaltene Promissio Canusina beweist Delbrück „die Verfälschung dieser Bedingungen“, indem er besonderes Gewicht auf den dritten oben angeführten Punkt legt, auf die Entlassung der königlichen Rathgeber, wovon nämlich in der Promissio nichts steht. Nach ihm ist dies deshalb untergeschoben, um den am Schlusse vorgesehenen Fall (Bruch des Vertrages durch Rückberufung der Räthe) in möglichster Evidenz eintreten zu lassen. Diese Entlassung der Räthe ist aber nicht gegen besseres Wissen erwähnt, sondern beruht, wie wir zeigten, auf der Wiederholung des Oppenheimer Vertrages. Lambert, der auch hier äusserst mangelhaft unterrichtet ist, setzt eben in seinem Streben, möglichst ausführlich und breit zu schreiben, jene Bedingungen ein, die ja zum Theil das Richtige trafen. Uebrigens bemerkt Fischer[70], dass Lambert die Gefangennahme der päpstlichen Gesandten durch den Bischof von Placentia, mithin die eigentliche Ursache des neuen Bruches mit Gregor, nicht gekannt hat. Was konnte ihm also näher liegen, als in dem plötzlichen Auftauchen der alten Rathgeber in der Umgebung Heinrich’s, das nur eine Folge des Bruches war, die Ursache desselben zu sehen? Den Bruch mit dem Papste führt ferner Lambert durchaus nicht als einen willkürlichen Schritt Heinrich’s ein, sondern als eine That, zu welcher den König die Umstände mit eiserner Nothwendigkeit zwangen. Unter Aufwendung einer Reihe typischer Vorstellungen schildert er die verlassene Lage des Königs. Pag. 262: adulta postremo seditione (Diss. S. 55) una omnium voluntas, una sententia erat (ibid. S. 113), ut abdicato patre – – – filium eius, licet impubem adhuc et regni negociis immaturum, regem sibi facerent (s. oben S. 335). Mit Mühe beruhigt sie Heinrich; doch gibt man ihm nicht die nöthigen Lebensmittel; pag. 263: sed neque consuetam ei reverentiam deferebant, neque tam sumptuosa, ut prius utque regiam magnificentiam decuerat, servitia ei exhibebant (Diss. S. 108). Nicht einmal auf Beute dürfen die königlichen Truppen ausgehen (!): ut praedas forte de agris et villis agere volentes armata manu coercerentur (ibid. [355] S. 109). Zum Schluss bemerkt denn auch unser Autor: Territus rex insolita rerum facie – – – gravi sollicitudine et metu perurgebatur, nec ullum usquam effugium inveniebat, nisi in reconciliandis forte – – – Italorum animis. Ratus itaque huius rei unicum hoc esse praesidium, ut initum cum Romano pontifice foedus abrumperet. Und dieses soll ein tendenziöser Geschichtsfälscher im Sinne Delbrück’s geschrieben haben, der hier keinen der vielen, die Handlungsweise Heinrich’s mildernden, ja gewissermassen rechtfertigenden Vorgänge unterdrückt hätte?

Delbrück erblickt in den „plerique ex principibus Teutonicis“ (pag. 265), die sich auf dem Fürstentag zu Ulm zusammenfanden, eine „Parteiübertreibung“ Lambert’s, da Berthold ausdrücklich nur wenige als anwesend bezeichne. Ein Blick auf Lambert’s Darstellung lehrt uns aber, dass wir es auch hier mit einer typischen Wendung zu thun haben (vgl. Diss. S. 107): statuerunt, ut principes Saxoniae et omnes, quibuscumque res publica curae foret – – – occurrerent et communi consilio, quid facto opus esset, decernerent. Dort in der Diss. (S. 59) wiesen wir nach, dass alle Versammlungen Lambert’s „überaus zahlreich“ besucht seien.



Anmerkungen

  1. Darauf hat besonders H. Bresslau (JBG I p. 144) aufmerksam gemacht.
  2. Heidelberger Dissertation. Würzburg 1890.
  3. Dass ich mich hierbei auf dem rechten Pfade befand, beweist mir vornehmlich die günstige Besprechung meiner Dissertation durch Herrn Prof. Dr. G. Meyer von Knonau (DLZ 1891 Nr. 13 p. 460), der als Verfasser der Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich IV. und V. als der berufenste Kritiker anzusehen ist, ferner die Thatsache, dass meine Untersuchung über die „Arbeitsweise Lambert’s, erläutert an dessen Vita Lulli“, die im ersten Kapitel meiner Dissertation abgedruckt ist, von der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin den Preis der Droysen-Stiftung zuerkannt erhielt.
  4. Aus dem bei Verarbeitung des Quellenmaterials zur Vita Lulli beobachteten Verfahren liessen sich folgende Hauptmomente aufstellen:
    I. Lambert benutzt seine Quellen nicht nur in Bezug auf Nachrichten über seinen Heiligen, sondern schreibt dieselben, wenn auch in freier Weise, dahin aus, dass er geeignete Charakterzüge, Episoden und sonstige Einzelheiten, die von anderen Heiligen ausgesagt werden, einfach auf den seinigen überträgt.
    II. Die Vorgänge, die 3 Jahrhunderte zurückliegen, werden durchweg im Gewande und in der Anschauung seiner eigenen Zeit erzählt, wobei er Einzelheiten unter Benutzung zeitgenössischer Vorstellungen hinzufügt.
    III. Für eine Nachricht folgt er nicht der glaubwürdigsten Quelle, sondern vereinigt verschiedene, ja sich widersprechende Berichte.
    IV. Das Wesentlichste ist sein Streben nach pragmatisirender Darstellung, daraus erklärt sich, was für die Beurtheilung der Annalen von Bedeutung ist:
    V. die Behandlung der historischen Abschnitte seiner Biographie. Von der Ueberzeugung getragen, dass ihm die sich widersprechenden Quellen nicht die lautere Wahrheit berichten, hält er sich für befugt, den ursächlichen, ihm überlieferten Zusammenhang der Ereignisse zu ändern, ohne hierbei aber irgend ein wichtiges Vorkommniss zu unterdrücken.
    VI. Von Interesse ist die auffallende Erscheinung, dass er sich bei der Darstellung zweier gleichen Vorgänge in leicht erkennbarer Weise wiederholt (Diss. p. 45). Die Erklärung haben wir ausser in dem Umstande, dass er an beide Berichte mit denselben Voraussetzungen herantritt, in dem weiter unten anzuführenden typischen Elemente zu sehen.
  5. Eine eingehende Untersuchung ergab, dass er
    I. eine gewisse Gewandtheit in der Verwendung der ihm zu Gebote stehenden sprachlichen Mittel besitzt, dass
    II. dieselben aber nicht reichlich sind, was sich in doppelter Weise bemerklich macht, nämlich einmal
    III. in der häufigen Wiederholung derselben Redewendungen und Gedankenverbindungen, und dann
    IV. in dem typischen Elemente, d. h. in der schematischen Ausgestaltung einer grossen Anzahl von Vorgängen, wie Verschwörungen, Versammlungen, von Ansichten über Fürsten und deren Beziehungen zu ihrer Umgebung u. s. w.
    V. Von phantasievollem Schwunge seiner Erzählung kann nicht die Rede sein, man ist im Gegentheil berechtigt, seine Darstellung monoton, wort- und gedankenarm zu nennen. Reinh. Kubo (Beiträge zur Kritik Lambert’s von Hersfeld. Hallenser Diss. 1890) weist auf Aehnliches hin, doch hat er es nicht verstanden, diese Erscheinung zu einem wirksamen Kriterium zu gestalten. Für seine Bemerkung (p. 55): „Wir müssen demnach annehmen, dass unser Autor – – – auch über derartige Ereignisse (bei denen eben eine „formelhafte Darstellung“ vorhanden ist) nur ganz oberflächlich unterrichtet war“, hat er keine Beweise zu erbringen gewusst. Meine von Kubo unabhängige Untersuchung führt in vielen Fällen den Beweis, dass sich nahezu bei allen Nachrichten, die eine Beeinflussung durch das typische Element erkennen liessen, auch eine völlig mangelhafte Kenntniss ergab. Man vergleiche Diss. p. 62. 67. Für unsere Betrachtung ist dies von hervorragender Bedeutung. – Kubo beruft sich auf Bresslau, was dieser aber N. Archiv XVI p. 210 als unberechtigt abweist.
  6. Mon. Germ. SS. V p. 137.
  7. Für die Abschnitte der Annalen, die in dem 1. Bande der Jahrbücher berücksichtigt sind, ist keine Literatur angegeben, da dieselbe dort jeweils vollständig angeführt ist.
  8. Kubo (p. 31) macht sich die Sache äusserst leicht, wenn er bemerkt: „Seine Gehässigkeit gegen den König und den Erzbischof gibt ihm die Zwischengedanken ein.“
  9. Dieses hebt auch Meyer von Knonau (p. 625 Anm. 1) hervor.
  10. Er erzählt, der Gesandte des apostolischen Herrn habe dem Erzbischof mit schrecklichen Drohungen angekündigt, dass, wenn er der Urheber dieser unrechtmässigen Scheidung würde, er bei Lebzeiten des Papstes niemals mehr des priesterlichen Amtes theilhaftig würde.
  11. Man beachte die Wiederholung derselben Ausdrücke.
  12. Natürlich hat dieselbe in der Art, wie sie der Altaicher berichtet, nicht stattgefunden, da dem Briefe nach ja dem Legaten von Siegfried jede Entscheidung zugesprochen worden war.
  13. Gerade in dem Schwanken des Königs müssen wir einen starken Beweis gegen eine Verabredung sehen.
  14. Vgl. Meyer von Knonau I p. 662.
  15. Diss. p. 102.
  16. ib. p. 60.
  17. ib. p. 75.
  18. Diss. p. 75.
  19. ib. p. 104.
  20. ib. p. 103.
  21. Die aufgebauschte Schlussbemerkung Lambert’s: „Id ipsum aliis, qui Saxoniae contigui erant, regibus (?) et gentibus iniungit“, die nur noch von Bruno (c. 36) überboten wird, lässt die Haltlosigkeit seines Berichtes im grellsten Lichte erkennen. Wenn nämlich Heinrich IV. wirklich allen benachbarten Königen und Volksstämmen einen ähnlich grossen Theil von Sachsen, wie dem Dänenkönige, versprochen hätte, was wäre dann noch von Sachsen und Thüringen zur Unterjochung übrig geblieben?
  22. Heinrich IV. hoffte in seinen gegen die Billunger gefassten Plänen von ihrem Feinde, dem Dänenkönige, unterstützt zu werden.
  23. Delbrück, Ueber die Glaubwürdigkeit Lambert’s von Hersfeld. Bonn. Diss. 1873.
  24. Uebrigens widerspricht sich Delbrück selbst, denn am Schlusse seiner Erörterung bemerkt er: „nur kann man nicht mit Gewissheit behaupten, dass Lambert selber der Erfinder war“. Hiermit wird der Vorwurf der Fälschung gänzlich zurückgenommen.
  25. Ranke, Zur Kritik Fränkisch-Deutscher Reichsannalistik. Sämmtl. Werke Bd. 51–52 p. 136.
  26. Giesebrecht, Deutsche Kaiserzeit III p. 1129. Anm. zu S. 241 bis 244.
  27. J. v. Pflugk-Harttung, Beiträge zur Kritik von Bonizo, Lambert und Berthold. Die Wahl Gregor’s VII. (NA XIII p. 327).
  28. Meiner Ansicht stimmt Meyer von Knonau (DLZ 1891 Nr. 13 p. 462) mit den Worten bei: „Einige speciellere Ausführungen, so über die Unwahrscheinlichkeit der Mon. Germ. SS. V S. 198 erzählten dreitägigen Flucht Heinrich’s IV. von der Harzburg – – – sind ganz überzeugend“.
  29. Freiburg i. Br. 1891. S. 41 ff.
  30. Einige Seiten weiter p. 134 gibt Lambert eine ähnliche Erklärung: quidam ex castello Goslarium privatae rei aliquid ibi acturi venerunt.
  31. Heyck hat bei seiner Beweisführung dieses Moment ganz ausser Acht gelassen. Heinrich hatte ja gar nicht nöthig sich zu vertheidigen; damit fällt aber die Voraussetzung, dass Lambert’s Worte auf denen des Königs beruhen.
  32. p. 163: Hildebrandus – – – decreverat, ut secundum instituta antiquorum canonum presbiteri uxores non habeant, habentes aut dimittant aut deponantur, nec quisquam omnino ad sacerdotium admittatur, qui non in perpetuum continentiam vitamque coelibem profiteatur. Hoc decreto per totam Italiam promulgato, crebras litteras ad episcopos Galliarum transmittebat.
    p. 192: anno 1075. apostolicae sedis litteras et mandata deferens, quibus ei – – – praecipiebat – – – ut presbiteros omnes – – – cogeret, aut in praesentiarum coniugibus renunciare, aut se in perpetuum sacri altaris ministerio abdicare.
  33. NA XIII p. 277: Lambert lässt sich stets vom Einzelnen leiten, wenn es auch anderem schnurstracks entgegenläuft. Er nimmt auch gar keinen Anstoss, sich mehr oder weniger zu widersprechen, die in der Gesammtwirkung unwahrscheinlichsten Dinge aufzutischen. Auch hier zeigt sich zu viel Kleben am Einzelnen, zu viel Scharfsinn, wenn man dem Autor immer gleich bewussten Betrug vorwirft. Man sollte vielmehr seine Einfältigkeit und Gedankenlosigkeit betonen.
  34. Ueber die Verschmelzung der Sachsen und Thüringer vergleiche man auch Kubo p. 20 ff.
  35. Berner Diss. 1877.
  36. Meyer von Knonau I p. 328 folgt Lambert ziemlich genau.
  37. In den Urkunden ist dieses die übliche Form. Da aber Lambert nirgends irgendwelche Vertrautheit mit Urkunden erkennen lässt, wird Obiges wohl schwerlich darauf zurückzuführen sein. Zur Vita Lulli hat Lambert z. B. das reiche Hersfelder Archiv nicht benutzt. Vgl. Diss. S. 13.
  38. Man vergleiche darüber die zutreffenden Worte Meyer’s von Knonau (I p. 485 Anm. 177).
  39. p. 48: „statuit [s. Anno] ut episcopus quilibet, in cuius diocesi rex dum temporis moraretur, ne quid detrimenti res publica pateretur, provideret, et causis, quae ad regem delatae fuissent, potissimum responderet“.
  40. Deutsche Kaiserzeit III p. 84 u. p. 1094.
  41. Waitz, Deutsche Verf.-Geschichte VI p. 219.
  42. Nitzsch, Das Deutsche Reich unter Heinrich IV. (HZ 45 p. 197).
  43. I p. 286.
  44. Vgl. Kubo p. 23 ff. u. 61.
  45. Natürlich ist in dem Rahmen dieses Aufsatzes kein Platz, die Benutzung des Carmen in allen seinen Theilen nachzuweisen; es muss genügen, wenn wir einige besonders charakteristische Stellen hervorheben. – Die Beweisführung P.’s bringt es mit sich, dass ich mich trotz der grundsätzlichen Verschiedenheit der Resultate hinsichtlich der Belegstellen mit seinen Ausführungen berühre. – Das Carmen wurde in der Schulausgabe der Mon. Germ. v. Holder-Egger benutzt, wo sich in der Praefatio die einschlägige Literatur verzeichnet findet, die ich desshalb nicht anführe.
  46. Man vergleiche unsere Ausführungen S. 302 Anm. 2, III.
  47. Auf die Unglaubwürdigkeit dieser Stelle komme ich weiter unten zu reden.
  48. Auch Giesebrecht (Deutsche Kaiserzeit III p. 1133) hat aus chronologischen Gründen die Haltlosigkeit des Lambertischen Berichtes in vielen Einzelheiten nachgewiesen, ohne aber in der Verwendung desselben im Texte consequent zu sein. – Die namentliche Aufführung der Verschworenen bei Lambert kann nicht als Beweis für eine genaue, eingehende Kenntniss verwendet werden. Die Liste lässt deutlich die Art ihrer Zusammenstellung erkennen. I. führt Lambert alle Sächsischen Bischöfe an, alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben der Namen ihrer Sitze geordnet; ausgenommen sind die von Zeitz und Osnabrück, die offen zum Könige hielten. Diese Aufzählung scheint erfunden; einmal treten die Bischöfe mit Ausnahme Hezil’s von Hildesheim in diesem Jahre in keiner Weise hervor, andererseits bekennt sich nach Bruno c. 39 (also erst im Jahre 1074) nur die Hälfte der Bischöfe, und zwar die von Halberstadt, Merseburg und Paderborn, und der Erzbischof von Magdeburg offen gegen den König. Friedrich von Münster gehört nach Bruno c. 27 u. 50 zu den Anhängern Heinrich’s. – II. Lambert nennt von den Sächsischen Fürsten solche, die in seinen Annalen sonst einmal vorkommen und eine antikönigliche Gesinnung erkennen lassen; Otto v. Nordheim, der aber nach Giesebrecht (p. 1121) nur zögernd an die Sache ging (nach einem Briefe Hezil’s von Hildesheim. Docum. A. 9), den Markgrafen Uoto, Dedi und bezeichnend auch hier dessen Gemahlin (p. 73 „Incitamentum tamen illi furoris vel maximum erat uxor saevissima“, hier p. 113 „et omni marchione animosior at implacatior uxor eius Adela“); ferner „Egbertus marchio Thuringorum, puer adhuc infra militares annos“ (vgl. p. 239 „puer longe adhuc infra militares annos“. – III. lässt sich annehmen, dass er die Aufzählung der Fürsten vor sich hatte, die sich zu Spiraha (p. 204) dem Könige ergaben. In beiden Fällen sind die Namen alphabetisch geordnet; dies pflegt Lambert sonst nicht zu thun (vgl. p. 106. 222. 239). Die Ausnahme p. 114 Diedericus comes vor Adalbertus comes spricht nur für unsere Ansicht, denn p. 204 steht Diedericus comes de Cadalenburg, Adalbertus comes de Thuringia.
  49. Königsberger Diss. 1877.
  50. Die einleitende Darstellung des Carmen, das alle das Ansehen Heinrich’s schmälernde Vorfälle unterdrückt, ist überaus flüchtig gehalten. Dieses beweist besonders die eigenthümliche Motivirung der Burgenbesetzungen.
    I, 74:
    Ut perspexit eos rex nolle venire vocatos,

    Sex ibi castellis multo munimine firmis
    Praesidia imposuit, victum quoque largiter addit.

  51. Lambert verschweigt den Namen des Sächsischen Redners (Meginfridus), welchen das Gedicht anführt. An und für sich ist dies nicht auffällig; ähnlich in der Vita Lulli, wo c. II (Mon. Germ. SS. XV p. 136) Lambert den Namen der Base Lull’s Berthgit, die in seiner Vorlage Othlo lib. II c. 25 erwähnt war, nicht nennt, wohl aber ganz unmotivirt den ihrer Mutter. Uebrigens konnten ihm, da vor dem 29. Juni keine Gesandtschaft an den König abgeschickt wurde, Erkundigungen über Meginfrid nur ein negatives Resultat liefern.
  52. Dass Lambert hier in diesem Zusammenhange die Burgen namentlich aufführt, ist durch das C. veranlasst, das jetzt erst dieselben erwähnt. Lambert berichtet jetzt alles von den Burgen, was er weiss; so schildert er auch jetzt erst die Einnahme der Lüneburg, deren Besitzergreifung durch den Bruder des Herzogs Magnus, Hermann, nach ihm selbst schon vor der Harzburgflucht geschehen war. Dadurch kommt Lambert zurückgreifend nochmals auf den Aufenthalt des Königs in Hersfeld zu reden (p. 125), weil Heinrich daselbst die Freilassung des Magnus, die Folge der Kapitulation und Gefangennahme der Lüneburger Besatzung, verfügt hatte, während er p. 120, wo er des Königs Aufenthalt in Hersfeld berichtet, davon nichts schreibt und nur bemerkt: Quatuor deinceps diebus ibidem commoratus est [sc. rex] operiens exercitum – – –.
  53. Edel (Forschungen XXV p. 570) hat das Auseinandergehen beider Berichte evident nachgewiesen und scharf betont, dass wir im Carmen die bessere Quelle zu sehen haben.
  54. Vgl. Lambert p. 38 filium in mores vitamque patris pedibus, ut aiunt, iturum esse.
  55. Die wichtigsten Stellen sind:
    Schon im Jahre 1057 (!) p. 38 wollen die Sachsen in Ahnung der kommenden Dinge dem königlichen Knaben das Reich entreissen: „filio eius, dum adhuc aetas oportuna iniuriae esset, regnum eriperent“.
    Anno 1066 p. 68: anlässlich des Sturzes Adalbert’s von Bremen. Man stellt dem 10jährigen König das Ultimatum: „aut regno ei cedendum esse aut familiaritate et amicitia Premensis archiepiscopi defungendum“. Mit Recht hat Meyer von Knonau I p. 489 hiervon ganz abgesehen.
    p. 137: „periclitanti rei publicae rectorem, qui omnibus placuisset, constituerent“; was natürlich nicht geschah.
    Ferner vergleiche man:
    p. 143.
         
    p. 146.
     Duci quoque Ottoni vehementer insistebant, ut accepto super se regno, ducatum sibi praeberet ineundi certaminis.  Quod Saxones – – – regem, quem deinceps belli ducem habeant, constituere vellent.

    p. 262: „ut abdicato patre, qui ultro regni fascibus indignum se effecisset, filium eius – – – regem sibi facerent“ (siehe darüber weiter unten).

  56. Im Anschluss an C. II, 42:

    Sed quibus inducti primates artibus illi
    Genti consensum tunc prebuerint scelerosum
    Hoc alias patefit, mihi vita salusque supersit,

    schreibt Pannenborg (S. 123): „Was der Dichter versprach, hat der Annalist gehalten. Er hat den im Gedicht verschwiegenen, weil anstössigen Inhalt der Sächsischen Reden frei dargelegt.“ Pannenborg bringt aber dafür nicht eine Stelle aus dem Gerstunger Bericht, sondern aus den Verhandlungen zu Corbei als Beleg vor, die Lambert einige Seiten vorher dargestellt hat. Wenn Lambert wirklich der Carmendichter war, warum hat er dann sein Versprechen nicht da eingelöst, wo er durch die Wiedervornahme seines Gedichtes daran erinnert wurde? – Nach Pannenborg hätte Lambert bereits damals an die überzeugende Wahrheit der gegen Heinrich vorgebrachten Anklagen geglaubt und sie nur desshalb, „weil anstössig“ verschwiegen, ja er hätte bereits damals den Plan gehabt, die Sache nochmals und zwar im richtigen Lichte darzustellen (!).

  57. Was den Feldzug Heinrich’s gegen die Sachsen selbst betrifft, so berichten Lambert and Carmen gerade das Gegentheil. Nach dem Gedichte unterwerfen sich die Sachsen, weil sie einmal schlecht bewaffnet sind, andererseits durch die Kälte so leiden, dass sie das in voller Schlachtordnung anrückende Heer des Königs in grosse Furcht versetzt. Bei Lambert umgekehrt, hier ist das königliche Heer in Folge der Kälte geschwächt, der König fürchtet die Menge der Gegner u. s. w. Dieses beweist scharf und einschneidend gegen eine Verfassergleichheit, nichts gegen die Benutzung, da Lambert’s Verfahren in keiner Weise auffällig ist (vgl. Diss. S. 40 der Streit Lulls mit dem Kloster Fulda).
  58. Die Aufzählung und Anordnung des königlichen Heeres lässt Lambert aus, er bewegt sich theils in allgemeinen Ausdrücken, theils schreibt er den Sallust aus (Diss. 119). Lambert mochte für diese Dinge weniger Interesse haben; Kubo (S. 62) weist auf Lambert’s religiösen Sinn hin, der das Auseinandergehen seines Berichtes von dem des Carmen erklärlich mache. — Darf man überhaupt verlangen, dass Lambert alles, was das Carmen bringt, wiederholt? Lambert ist ja Zeitgenosse und weiss manches aus eigener Kenntniss. Es wäre die Aufgabe einer Specialuntersuchung, die Motive aufzufinden, die Lambert bei Benutzung des Carmen in jedem einzelnen Falle bestimmten.
  59. Es ist nochmals besonders darauf aufmerksam zu machen, dass Lambert „wörtliches Abschreiben geflissentlich vermeidet“ und oft nur die „Schlagworte“ beibehält (vgl. Diss. S. 15 u. 32).
  60. Nec impetum sustinere vel ad horam Suevi potuissent, nisi loco motis iamque retro ferentibus dux Welf cum exercitu Baioarico concurrisset. Die übrigen Berichte wissen davon nichts, auch Berthold spricht in Uebereinstimmung mit C. von dem gemeinsamen Angriff der Sachsen und Baiern.
  61. Das Verfahren Lambert’s hinsichtlich der Gestaltung seines Textes lässt uns bis ins kleinste die in seiner Arbeitsweise bei Bearbeitung der Vita Lulli dargelegten Momente erkennen, unsere dortigen Resultate werden auf das glänzendste bewiesen.
  62. Auf Pannenborg’s stilistische Beweisführung hier einzugehen, fehlt es mir einmal an Raum, andererseits hat Holder-Egger, dessen gründlicher Kenntniss des Lambert’schen Stils wir den Nachweis der Autorschaft Lambert’s für die Vita Lulli und die Annalen verdanken, in einer Recension obiger Schrift (NA XV) eine Widerlegung der P.’schen Hypothese in Aussicht gestellt. Ich kann mich auf weniges beschränken. Stilistische Anklänge der Annalen an das Carmen erklären sich einmal aus der Benutzung des Gedichtes und dann aus der Gleichzeitigkeit der Abfassung, die dieselbe Schulbildung bedingt. Gegen die Verfassergleichheit spricht als wesentlichster Factor das Fehlen des für unseren Autor so überaus charakteristischen typischen Elementes in C. Freilich finden sich auch im Gedicht zahlreiche Wiederholungen (I, 142 u. II, 193; I, 199 u. II, 143; II, 79 u. II, 126; II, 180 u. III, 284; II, 135 u. III, 110; I, 213 u. III, 176), aber man wird ihnen keinen Werth beilegen dürfen, weil ihnen gerade in den Annalen nichts Aehnliches zur Seite gestellt werden kann. Die betreffenden Carmenstellen finden sich bei Lambert fast durchwegs mit anderen Worten wiedergegeben. Es treten in Carmen sogar Wiederholungen auf, die dem Annalentypus geradezu widersprechen. So z. B. wenn in C. vor einem Aufstande regelmässig Boten im Lande herumgeschickt werden.
    II, 130.
    Denique per patriam mittebant nuncia totam,

    Cunctus ut ad bellum populus properaret agendum.

    III, 97.
    Emittunt equites strictis mucronibus acres

    Per totam patriam vulgi concire catervas
    Omnes ad bellum
    .

    Bei Lambert tritt das nirgends hervor; bei seinen Aufständen handelt es sich immer nur um Zusammenkünfte (Diss. S. 58). Auf eine Bemerkung Edel’s (S. 553) ist noch besonders hinzuweisen: „Jedem Leser wird es bei Lectüre des Carmen auffallen, dass so oft die Darstellung durch Fragen, Ausrufe, direkte Anreden und Ermahnungen an die Sachsen, durch Vorwürfe an die betreffenden Personen unterbrochen ist – – – man muss über das gänzliche Fehlen dieser Sonderheit in den Annalen bei der Annahme eines gemeinsamen Verfassers für beide Werke sehr verwundert sein.“ Auch wir können nicht verstehen, wie Lambert in der Prosa ein Element seiner schriftstellerischen Individualität hätte verleugnen sollen, von dem er in der poetischen Darstellung einen so überaus reichen Gebrauch gemacht haben würde!

  63. Berthold: „Henricum regem – – – cum lancea et aliis insignibus a matre imperatrice vi arripuit“ (sc. Anno), auch hier werden die Insignien ausdrücklich erwähnt. Auf diesen wichtigen Factor komme ich noch zu reden. – Ann. Weissemburg.: A. – – – regem – – – matri subripuit. – Ann. Ottenbur.: Rex puer a matre distrahitur. – Triumph. s. Remadi Lib. I c. 2: puero a matre per vim abstracto. – Bruno c. 1: Anno – – – eum [sc. puerum] {{SperrSchrift|violenter|.1} matri eripuit. – Ekkeh. Chron. univ. (a. 1056): Anno qui – – – pueri navi imponens [„navi imponunt“ Altahenses] matri abduxit. – Ann. August.: H. rex puer – – – imperatrici – – – surripitur. – Annalista Saxo: Rex puer – – – a matre imperatrice subtrahitur. – Liber de Unitate eccles. conserv. Lib. II: – – – H. adhuc valde puerum – – – subtraxerunt. Nur Sigeb. von Gembloux fügt etwas hinzu, das auf eine listige Art hinweisen könnte: „regem puerum violenter et industrie captum“; doch scheint es mir nicht unbedingt nothwendig, hierbei an die von Lambert erzählte Geschichte von dem geschmückten Schiff zu denken, da sich das „industrie“ ganz gut auf die Veranstaltung im allgemeinen beziehen kann. – Bei diesen vielen Zeugnissen ist das argumentum ex silentio gegen die listige Entführung immerhin von Bedeutung. Die Stellen sind nach Meyer von Knonau (I p. 277 Anm. 77) citirt.
  64. Uebrigens enthält Lambert’s Erzählung selbst eine Reihe von Seltsamkeiten. Zuerst fällt auf, dass Niemand gewagt hat, den König zu befreien. Bei den Altaicher Annalen ist dies natürlich, da der Hof mit grosser Ueberzahl überrumpelt wurde. Nach Lambert waren ja Schiffe in ausreichender Menge vorhanden, hatte doch Anno selbst mehrere mitgebracht. Warum verfolgt man die Flüchtigen nicht? Nur jammernd und klagend folgt die „cetera multitudo“, die ans Land übergesetzt ist, dem davonfahrenden Schiffe; Hülfe hat man nicht für den König. (Das „quod regia maiestas violata suique impos facta foret“ ist übrigens typisch. Diss. S. 104.) – Aeusserst merkwürdig ist die Bemerkung Lambert’s: „Qui [sc. rex] dum quadam die post solemnes epulas factus esset hilarior (!)“; bedurfte es denn eines solchen Mittels, um einem zwölfjährigen Knaben etwas Wunderbares zu zeigen? Ja, Anno soll denselben sogar zur Besichtigung überredet haben, was bei dem augenblicklichen Zustande des Knaben leicht war! (Facile hoc persuasit puero.) – Welch einen complicirten Mechanismus, welch ein Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der niederen Organe bedingt aber erst das Folgende! Die Instruction der Ruderknechte setzt voraus, dass sie genau wussten, man macht den Knaben „hilarior“ und bringt ihn heute zum Kahn; zum Abfahren bereit sitzen sie in dem offenen Rheinkahn – als einen solchen müssen wir uns nämlich das Schiff Anno’s vorstellen. Niemand sieht darin ein verdächtiges Zeichen. Wie sollen wir uns aber erst vorstellen, dass sich alle Verschworenen – hoch und niedrig (socii ac ministri) zugleich mit dem König auf das Schiff drängten, sonst aber Niemand, der bereit war, den Knaben zu befreien?
  65. MIÖG II p. 391.
  66. Heyck, a. a. O. p. 66 f.
  67. Die Fürsten beschliessen, den König „proxima luce“ anzugreifen; aber auch dieser hat seine Truppen zusammengezogen, „incisa spe dilationis impetrandae“. Schon erwartet man den Zusammenstoss, „ecce primo diluculo sequentis diei“ kommen Gesandte, die mit Heinrich verhandeln sollen. Freilich weiss Lambert nichts von den Motiven der plötzlichen Sinnesänderung, die eine nächtliche Versammlung bedingt, zu berichten.
  68. Wenn Lambert hinzufügt „suo praesertim vicio“, so macht dies den Eindruck, als ob ihm die zukünftigen Ereignisse – H.’s Aufbruch von Speier, der beschwerliche Alpenübergang, die Tage von Canossa – vorschwebten. Jedenfalls will Lambert damit ausdrücken, dass nichts den König abhalten soll, sich vom Banne zu lösen. Dass den König nicht die Furcht, durch sein Verschulden die Lösung zu versäumen, zum Aufbruche nach Italien anregte, wie es offenbar Lambert’s Auffassung ist (er schreibt nämlich p. 249: Rex etiam certo sciens, omnem suam in eo verti salutem, si ante anniversarium diem excommunicatione absolveretur, – – – optimum factu sibi iudicavit pro eo tum statu rerum suarum, ut in Gallias proficiscenti Romano pontifici intra Italiam occurreret et anathematis absolutionem quoquo posset modo impetrare conaretur), geht aus Goll’s Ausführungen klar hervor. Heinrich sah in den ohne sein Mitwissen gefassten Beschlüssen der Fürsten, vor Allem in der Einladung des Papstes nach Deutschland zu kommen, einen Vertragsbruch und will sich nicht in Augsburg, wie es die Fürsten herbeiführen möchten, sondern in Italien mit Gregor versöhnen. Uebrigens hat Lambert hiervon eine dunkle Kunde: nec satis tutum suis rationibus existimans, ut expectato intra Galliam Romani pontificis adventu, sic infesto iudici, sic obstinatis accusatoribus causam addiceret ventilandam.
  69. Auch hier haben wir es mit verschwommenen Begriffen zu thun, ähnlich wie mit dem in der Diss. S. 92 angeführten „per calumpniam = sine legitima discussione“. Auch sonst begegnen wir diesen „leges palatinae“, bereits p. 76: ut secundum palatinas leges iusta existimatione habita, p. 234: cum iuxta palatinas leges extremo in eos supplicio animadvertere possit. In den Annalen spukt es an allen Ecken und Enden von „leges“ – ich erinnere nur an die „leges maiorum“, an die Gegenüberstellung von „ius caeli, ius fori, legibus humanis vel canonum sanctionibus“ (Diss. S. 75), ohne dass wir ihnen etwas Greifbares unterlegen könnten.
  70. Rostocker Diss. 1882 S. 101.