Zur Charakteristik amerikanischer Frauen

Textdaten
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Autor: C. L. Bernays
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Titel: Zur Charakteristik amerikanischer Frauen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 222–224
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ehrlichkeit und Genauigkeit der Amerikanerin
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Zur Charakteristik amerikanischer Frauen.
Von C. L. Bernays in Missouri.


Schon seit zwanzig Jahren wurde in den Vereinigten Staaten, meist von excentrischen Frauen, die politische Gleichstellung beider Geschlechter verlangt. Seitdem aber, theils um den Forderungen abstracter Gerechtigkeit zu genügen, theils aus minder rühmlichen Parteigründen, den Farbigen das Stimmrecht verliehen werden soll, seitdem kann man wohl sagen, ist die große Mehrzahl aller gebildeten Amerikanerinnen für diese Ansicht gewonnen, und das Ende des Jahrhunderts wird nicht herankommen, ohne daß diese größte aller Neuerungen hier durchgesetzt sein wird. Mit vollstem Recht fragen unsere Frauen, wenn Neger, unwissende, rohe, ungebildete und nur in untergeordnetem Grade bildungsfähige und bildungsbedürftige Neger für fähig erachtet werden, an der Selbstregierung dieses Volkes Theil zu nehmen, warum sie selber dazu nicht gerade so gut berufen sein sollen. Täglich komme ich mit den bescheidensten, sittsamsten und anspruchslosesten Frauen der mittleren und höheren Stände zusammen, und ich finde nur in seltenen Ausnahmen die Ansicht vertreten, daß die Frau nur in’s Haus, nicht auf’s Forum gehöre.

Nun kommt es hier nicht darauf an, was ich selbst von der Sache halte. Doch aber mag es gesagt sein, daß ich aus zwei ganz besondern Gründen die politische Gleichstellung der beiden Geschlechter, so weit sie überhaupt thunlich ist, für das Volk der Vereinigten Staaten wünsche. Der erste ist, daß dadurch wesentlich zur höheren Gesittung der Männer im öffentlichen Leben beigetragen wird, und der zweite, daß die Frauen sich durch ihre Emancipirung in eine Lage begeben, in welcher sie auch den Männern das Recht zugestehen müssen, daß diese ihre Irrthümer und Sünden in einer aufrichtigen, ungeschminkten Weise behandeln, wie es im jetzigen Stande ihrer Passivität nicht geschehen kann. Im Stande der Unfreiheit können die Frauen jedem ihnen von den Männern gemachten Vorwurfe mit der vollkommen berechtigten Antwort begegnen: „So wie wir sind, habt Ihr uns gemacht. Laßt uns erst frei sein, und dann macht uns für uns selbst verantwortlich.“

Viel hundert Frauen waren während des Krieges im Bundesschatzamt angestellt, um die Tausende von Millionen Bankzettel, von je fünf Cents oder etwa sieben Kreuzern das Stück bis zu tausend Dollars oder zweitausendfünfhundert Gulden, zu beschneiden und in Päckchen zusammen zu legen. Nicht ein einziger Bankzettel wurde entwendet, während bei der vorsichtigsten Wahl männlicher Beamten ohne jeden Zweifel Unterschleife vom kleinsten bis zum größten Betrage alltäglich gewesen wären. Man hörte von Bacchanalien und wild vollbrachten Nächten im Schatzamt. Die Sittsamkeit jener Frauen wurde vielfach als von zweifelhafter Natur geschildert; ihre Rechtschaffenheit hat Niemand in Zweifel gezogen.

Von dieser Thatsache erhielt ich Kunde, als ich gerade in einem kleinen Städtchen in Kentucky ein Regiment Illinoiser Truppen auszuzahlen hatte. Mein zerschnittenes Kleingeld war zu Ende, und ich hätte am folgenden Tage mit der Zahlung nicht fortfahren können, ohne wenigstens hundert von den Bogen, auf welchen je zwanzig kleine Fünf-Cent-Noten zusammengedruckt waren, vorerst zu parcelliren. Da sah ich einen Haufen aus der Schule zurückgekehrter Knaben und Mädchen vor der Thür meines Hauptquartiers spielen. Ich rief sie herein. Es waren fünf Knaben und sechs Mädchen. Ich versprach jedem einen nagelneuen Zehn-Cent-Zettel, wenn sie mir die hundert Bogen zerschneiden wollten. Sie willigten freudig ein, denn auf’s Geldverdienen ist unsere Jugend schon im allerfrühesten Alter sehr erpicht. Dann setzte ich die Knaben zusammen und ebenso die Mädchen, und gab jeder Partie fünfzig Bogen. Als sie fertig waren, ließ ich die Päckchen von meinem Clerk zählen. Von denen, welche die Knaben zerschnitten und gebunden, war nur eines von zehn richtig, während in allen Päckchen der Mädchen auch nicht ein einziger Zettel fehlte. Eines von den Mädchen war die Tochter des Pflanzers, in dessen Hause ich mein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Ich erzählte ihr am Abend das Resultat der Zählung; es hätte ein Dollar und fünfundvierzig Cents im Ganzen gefehlt, und zwar sei das Fehlende von den Knaben entwendet worden. Flugs eilte das Mädchen aus dem Zimmer, lief zu all’ ihren Gespielinnen, jagte sie von Haus zu Haus zu den Knaben, die mit am Zerschneiden geholfen hatten, [223] und sie zwangen Einen wie den Andern den kleinen Raub wieder herauszugeben. Jeder von den Knaben hatte ein paar Cents entwendet. Geradezu strahlend von innerer Genugthuung brachte sie mir am nächsten Morgen das entwendete Geld: „Wir Mädchen haben Alles von den Buben herausgekriegt. Nur fünf Cents fehlten, die hat meine Mutter zugelegt!“

Von jetzt an glaubte ich an die mir von Washington aus verbürgte Mittheilung. Ich bin fest überzeugt, daß, was hier im Kleinen geschehen ist, auch im Großen eintreten werde, wenn die Frauen einmal ihre Hand mit in der Verwaltung unserer öffentlichen Angelegenheiten haben. Die Frauen werden die Männer zwingen, rechtschaffener zu sein. Es ist eine Thatsache, daß bis vor wenigen Jahren unter vielen hundert Sträflingen in unserem Zuchthause in Missouri auch nicht ein einziges Frauenzimmer saß. Erinnere ich mich recht, so war es im Jahr 1858, als eine Frau aus St. Louis zu mehreren Jahren Gefängniß verurtheilt wurde, weil sie aus Eifersucht ihren Geliebten erschossen hatte. Der damalige Gouverneur des Staats entließ die Frau augenblicklich in die Freiheit: „Im Zuchthause zu Jefferson City sei keine comfortable Einrichtung für Frauen!“ Daß dabei die allgemein herrschende Scheu der Männer zu Grunde liegt, eine Frau oder ein Mädchen zu verklagen, und der Gerichte, sie zu verurtheilen, ist freilich richtig. Aber es ist nicht weniger richtig, daß die amerikanischen Frauen in Bezug auf Rechtschaffenheit ein unendlich empfindlicheres Gewissen haben, als die Männer. Wenn beide Geschlechter einander gleichgestellt werden, wird das Niveau der öffentlichen Rechtschaffenheit ein höheres sein. Gewiß ist, daß die Frauen nach und nach von den laxen Begriffen der Männer angesteckt werden; sobald aber das Gleichgewicht hergestellt ist, wird ohne Zweifel die öffentliche Moral im Ganzen bedeutend gewonnen haben.

Auf der andern Seite dagegen begehen unsere Frauen Irrthümer und haben sie schlechte Seiten, über die frei von der Leber weg man erst dann wird sprechen dürfen, wenn sie vollkommen emancipirt sind. Unter diesen hebe ich zwei hervor, die eng mit einander zusammenhängen. Den ersten haben sie wohl mit der größten Anzahl ihrer Schwestern, wenn auch vielleicht nicht in gleich hohem Grade, gemein, während der zweite außer den Vereinigten Staaten nur in den allerhöchsten Regionen der englischen und französischen haute volée zu Hause ist, hier aber leider nicht nur in der älteren Bevölkerung der Städte angelsächsischen Ursprungs allgemein herrscht, sondern auch schon dergestalt die neue Einwanderung ergriffen hat, daß, wenn die Frauenemancipation sie nicht davon heilt, die zweiten und dritten Generationen der neu eingewanderten Frauen gerade so sehr davon befleckt sein werden, wie die ältere Frauenwelt.

Eine der besondern schlimmen Eigenthümlichkeiten der Amerikanerinnen ist ihr Auffassen des Lebens von der alleräußerlichsten Seite. Ihre Putz- und Genußsucht kennt in der Regel keine andere Grenze, als die der vollkommensten Ermüdung. Zwar ist in allerneuester Zeit eine gewisse prätentiöse Einfachheit unter den Frauen reicher Familien älteren Datums als Unterscheidungsmerkmal von dem pfauenartigen Auftreten der hier „Shoddies“ genannten Emporkömmlinge Mode geworden, aber man kann nicht sagen, daß diese reflectirte Einfachheit jener Frauen inneren Gründen entsprungen wäre und deshalb ihr Leben auch innerlicher gemacht hätte. Bei Weitem die größte Mehrzahl der Frauen und Mädchen in den höheren oder, besser gesagt, reicheren Classen bringen ihre ganze Zeit mit Vorbereitungen ihrer Toilette zu Gesellschaften, Concerten und Theatern zu. Tausende von Familien werden dadurch alljährlich ruinirt und andere Tausende würden ruinirt werden, wenn nicht die unglaubliche Energie der Männer und Hülfsquellen, von denen man anderwärts sich kaum einen Begriff machen kann, die Mittel zur beständigen Erneuerung dieser glänzenden Flitterwelt wieder beschafften. Mit diesem großen Leiden hängt aber ein anderes zusammen, das nicht nur die Frauenwelt im Allerinnersten demoralisirt, sondern durch das auch unser herrliches Land sehr bald entvölkert würde, wenn ihm nicht die stets wachsende Einwanderung eine neue Menschensaat zuführte. Es ist dies der ausgesprochene und allgemein ausgeführte Entschluß unserer Frauenwelt, so wenig Kinder als nur immer möglich aufzuziehen. Ich lasse das Wie mit einem dichten Schleier bedeckt. Die Thatsache selbst aber ist gerade in diesen Tagen durch statistische Aufstellungen im Staate Massachusetts und durch eine gründliche Ausführung eines Doctor Allen in Lowell dergestalt an’s Licht gezogen und in ihrer ganzen erschreckenden Wahrhaftigkeit dargestellt worden, daß an ein Verschweigen oder Beschönigen nicht mehr gedacht werden kann. Es hat sich nämlich in Massachusetts herausgestellt, daß unter der angelsächsischen Bevölkerung die Zahl der Geburten in je einer Generation von mehr als siebenhundert vor etwa zweihundert Jahren heute auf circa hundertundvierzig herabgesunken ist, und daß die neueingewanderten Familien ungefähr fünfmal so viel Kinder haben, als die der älteren Einwohnerschaft. In dürren Worten schreibt Dr. Allen dieses entsetzliche Verhältniß der physischen Verderbniß und Schwäche der Frauen der älteren Bevölkerung und ihrem Entschlusse zu, gar keine oder nur äußerst wenige Kinder aufzuziehen.

Jeder vernünftige und sittliche Mensch wird uns zugeben müssen, daß der bloße Comfort und die länger erhaltene Schönheit der Mütter ungenügende Gründe für eine so weitgehende Abweichung von den natürlichen Gesetzen und den bisher unter guten Menschen gültig gewesenen Grundsätzen der Sittlichkeit sind. Alles Raffinement der Sitten, die höchste Eleganz, der zierlichste Körperbau, so hoch wir sie auch anschlagen, erscheinen uns als ein armseliger Preis für einen geschwächten Körper und für ein vom Wurme des Vorwurfs angenagtes Gemüth. Schon sind es die Städte nicht mehr allein, die dieses Leiden heimsucht, denn allerwärts breitet es sich mit der Bildung auf dem Lande aus. Schon sind es nicht mehr die alten angelsächsischen Familien, in denen die schreckliche Sitte herrscht, sondern sie greift bereits tief hinein in die neue Bevölkerung. Was Malthus zum Glück umsonst den Oekonomisten gepredigt, das ist der Hoffahrt gelungen. Möge dagegen, wie ich’s mit Sicherheit hoffe, die Emancipation der Frauen ein wirksames Mittel sein.

Ich nannte Raffinement feiner Sitten, höchste Eleganz und zierlichen Körperbau einen armseligen Preis für geschwächte Gesundheit und ein nagendes Gewissen, und ich setze hinzu, daß, sofern es das äußerliche Leben betrifft, die amerikanischen Frauen aller Wahrscheinlichkeit nach den höchsten Rang unter ihren Schwestern anderer Nationen einnehmen. Alle ohne Ausnahme wissen sich mit Sicherheit, Grazie und Urbanität in jedem Cirkel zu bewegen; Alle ohne Ausnahme verstehen es, ihre Toilette mit ihrer Individualität in die kleidsamste Harmonie zu bringen; Alle ohne Ausnahme schreiben eine elegante Handschrift und concipiren fehlerfrei und zierlich stylisirte Briefe und Alle führen auch eine verbreitete Correspondenz. Ja, mehr als das, Alle wissen sich mit wunderbarer Geschicklichkeit in die hier so häufigen Wechsel des Glückes zu schicken, und unter den allergewöhnlichsten Arbeiten versteht es die zurückgezogene Amerikanerin, die Eleganz ihrer Sitten zu bewahren und ihre Bildung hoch oben zu erhalten über der ihr aufgedrungenen äußeren Lebenslage. Aber sie haben weder die Tiefe des Gemüthes der deutschen Frau, noch den sprudelnden Geist der Französin. Sie sind kalte, oberflächliche, durch Eleganz und stereotype Behandlung der Männer in Decorationen verwandelte Geschöpfe, aus denen die ganze, unverkürzte Freiheit erst wieder rechte Weiber machen muß. Freilich darf man bei der Beurtheilung der amerikanischen Frauenwelt nicht unberücksichtigt lassen, daß der demokratische Zug, welcher durch die ganze Union geht, auch auf die Frauen seinen mächtigen nivellirenden Einfluß ausübt und daß damit in engem Zusammenhange stehend, nirgends in der Welt die Tyrannei der Mode unwiderstehlicher ist, als in Amerika.

Mit Blitzesschnelle, möchte man sagen, dringen bei der fortwährenden Völkerwanderung, die von Süden nach Norden und zurück, mehr aber noch von Osten nach Westen stattfindet, die absurdesten Moden in die entferntesten Winkel des Landes, und kaum sind die ersten falschen Waden auf dem Broadway in New-York erschienen, so werden auch schon ungeheuere Ladungen des wunderlichen Artikels nach dem fernsten Westen geschafft. Eine neue Agriculturmaschine, ein neuer Roman, ein neues Kleidungsstück, eine verbesserte Pumpe, eine neue Sorte von Mützen oder Clen ist im Osten eingeführt worden, und nach sechs bis acht Wochen kann man die Neuigkeit in Nebraska, ja sogar in Neumexico in allen Kaufläden finden. Werden Bärte in Boston getragen, so läßt der letzte Hinterwäldler alsbald seinen Bart stehen; finden es die Yankee-Damen für gut, nur zwei Kinder zu bekommen, so bestrebt sich die ganze Frauenwelt im ganzen Lande, dem östlichen Vorbild nachzukommen. Kaum eine Familie in Städten und auf [224] Dörfern, in denen eine Wasch- und Nähmaschine fehlte, und wenn die Prosperität nur noch zwei einzige Jahre so fortgedauert hätte, wie sie die Beschaffung der ungeheuern Summen von Papiergeld erzeugt, so wäre auch kaum ein Haus mehr gefunden worden ohne ein Pianoforte; Ich kann mich nicht entsinnen, jemals einen Amerikaner gesehen zu haben, der nicht ein Taschenmesser und eine Uhr bei sich gehabt hätte, und ich glaube nicht, daß drei Procent der ganzen männlichen erwachsenen Bevölkerung jemals dasselbe Messer länger als drei Monate und dieselbe Uhr länger als drei Jahre besessen hätten. Das Beste ist für den Allergeringsten nicht zu gut; und wo es nicht angeht, das Neueste von der besten Qualität zu besitzen, so muß es doch wenigstens das Neueste der Form nach sein.

In allen diesen Dingen leistet die Frauenwelt das Wunderbarste. Werden kurze Haare die Modetracht, so schneidet sich das ganze Geschlecht von einem Ende des Landes bis zum andern die Haare ab; trägt man dann wieder lange Locken, so werden sie fertig gekauft, und nicht Eine von allen Mädchen oder Frauen möchte den Glauben erregen, daß es ihre eigenen Haare seien, die sie zur Schau tragen. Die Kunst der Zahnärzte ist nur darum hier so hoch entwickelt, weil sich zahllose Frauen ihre gesunden, aber nach Farbe oder Stellung ihnen mißfälligen Zähne ausreißen lassen, um dafür ein neues ebenmäßiges Gebiß zu bekommen. Sind Perlen und edle Steine in der Mode, so trägt sie Jedermann, und wenn auch vielleicht nirgends in der Welt so viele echte Diamanten getragen werden, wie hier, so will doch Niemand, der falsche Steine trägt, den Glauben verbreiten, daß sie echt seien. Der demokratische Trieb des gleichen äußeren Auftretens verlangt Befriedigung, und dabei kommt es ganz allein auf den Schein und auf weiter nichts an, als auf den Schein.

Und gerade wie von äußerlichen Dingen gilt derselbe demokratische Gleichheitstrieb auch vom seelischen Leben. Ohne Unterschied der Classen und des Bildungsstandes, der im Ganzen viel weniger verschieden ist, als in alten Culturländern, strömt die gesammte Bevölkerung, namentlich aber die Frauen, populären Rednern, Vorlesern, Ausstellungen von Kunstwerken und musikalischen Productionen zu. Gewisse Geistesrichtungen bemächtigen sich plötzlich der ganzen Nation, und gerade wie zu gewissen Zeiten das ganze Volk eine Art von Betwuth ergreift, gerade so freigeistelt in diesem Augenblicke Alles und beschäftigt sich Alles mit der Frage der Weiberrechte. Ja, noch mehr, und aufmerksamen Beobachtern kann diese demokratische Merkwürdigkeit nicht entgehen: nicht nur, daß der Bildungsgrad der meisten Amerikaner ohngefähr derselbe ist, geradeso ist auch ihre Bildungsfähigkeit nahezu dieselbe, und eine gewisse Mittelschlächtigkeit des Intellects schließt sowohl die niedrigsten Grade europäischer Stupidität, als auch die höchsten Grade europäischer Begabung aus. Der letzte Krieg, der doch gewiß jeder Befähigung fast ohne Ausnahme Gelegenheit gegeben, sich hervorzuthun, hat auch nicht einen einzigen genialen Menschen offenbart. Auf der anderen Seite ist aber noch auch sicherlich niemals ein Land so vollkommen zerwühlt worden, in welchem die Romantik solch’ kärgliche Ausbeute gemacht hätte, als hier. Ich habe als Zahlmeister der Armee Monate lang in unsern Lagern zugebracht, habe den Krieg in allen seinen Stadien mitgemacht, – aber ich erinnere mich weder jemals einem besonders geistreichen Gespräch zugehört, noch eine romantische Scene mit angesehen zu haben. Und doch habe ich zahllose höhere und niedere Officiere so intim gekannt, als es nur die an sich zur Intimität ganz besonders reizende Stellung eines Zahlmeisters möglich macht. Gesunder Menschenverstand, Fanatismus und soldatische Leichtfertigkeit sind mir überall begegnet; besonders auffallende, über das gewöhnliche Niveau weit hervorragende Befähigung aber habe ich so wenig als Romantik in unserer Armee angetroffen. Sigel und Blenker hatten etwas Freischärlich-Romantisches an sich, vielleicht auch General Fremont, – für ihre Carriere ist es besonders förderlich nicht gewesen.

Diese Gleichheit in Genüssen und Begierden, in Gewohnheiten und Lebensanschauungen, dieses verhältnißmäßig wenig schwankende Niveau der Bildung und selbst der Intelligenz ist ein großer Segen, ja eine absolute Nothwendigkeit für die demokratische Zukunft einer Nation. Durch all das werden Standesunterschiede und wird die Verknöcherung von gewissen Richtungen verhindert, die unfehlbar zum Aristokratismus in der einen oder der anderen Form führen würden. Daß dadurch das Leben nicht sehr farbenreich und mannigfaltig wird, liegt auf der Hand. Aber diejenigen Fortschritte, die unleugbar die wesentlichen Unterschiede zwischen der neuen Demokratie und den alten Culturformen bilden, so groß oder so gering sie nun auch sein mögen, treffen hier niemals ausschließlich gewisse Kategorien der Bevölkerung, sondern gehören Allen nahezu gleichmäßig an. Eine Ausnahme davon machen nur die Neueingewanderten aus allen Ländern. Nicht, daß ihnen gesetzlich auch nur das allergeringste Hinderniß im Wege stände, nein, aber das demokratische Gleichheitsgefühl ist ein erworbenes und kein angeborenes oder willkürlich greifbares. Um es ganz zu entwickeln und eins mit dem amerikanischen Bürgerthum werden zu lassen, bedurfte es einer zweihundertjährigen demokratischen Erziehung. Das bloße Auswandern aus der Monarchie in die Republik giebt diese Erziehung nicht!