Zum neuen Jahr (Ernst Ziel)
Um’s Fenster rauscht der Schnee. In dem Gemach
Wie ist’s so abendstill! Mit mir allein,
Das Haupt gestützt, sinn’ ich Vergang’nem nach
Und blätt’re lässig bei der Lampe Schein
Ach, was ich längst im Herzen sargte ein,
Umdämmert mich in wechselnden Gesichten –
Im Glas verduftet der Champagnerwein.
– Der Wächter ruft – es hat mich wundersacht
Horch! plötzlich welch’ ein festliches Geläute!
In meine Klause klingt der Glocke Schall.
O, wie mich das bewegt! Ist’s Festtag heute?
Nun tönt’s von allen Thürmen, Hall auf Hall,
Du bist es, heilige Sylvesternacht.
Das Fenster auf! Herein, du Winterluft!
Da liegen sie, die schneebedeckten Auen.
Welch’ holde Luft, beschwingten Blicks zu schauen
Von jedem Heerde steigt empor der Rauch,
So weit sich Stätten rings der Menschen dehnen.
Die Brust wird weit – o namenloses Sehnen!
Vom Geist der Menschheit fühl’ ich einen Hauch.
Der ganzen Menschheit dieses volle Glas!
Ich setz’ es an; ich trink’ es schäumend aus –
Und werf’ es klirrend in die Nacht hinaus.
Da schwingt vom Schneegefilde sich ein scheuer
O, sei ein Flügelbote mir, ein treuer,
Und trag’ zu Gott mein brünstig Fleh’n hinauf!
Komm’, Himmelssegen, komm’ auf diese Erde
Und gieb uns Maß im Glück, im Unglück Kraft,
Zu gutem Werk die rechte Leidenschaft,
Gefaßten Sinn in Noth und Todespein,
Im Kampf Beharren, Hoffnung bis zur Bahre
Und allem Guten Wachsthum und Gedeih’n!
Den Sonnenflug dem jungen deutschen Aare!
Das walte Gott in diesem neuen Jahre!
Ernst Ziel.