Zum hundertjährigen Geburtstage Friedrich Fröbel’s (Gartenlaube 1882)

Textdaten
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Autor: Wichard Lange
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Titel: Zum hundertjährigen Geburtstage Friedrich Fröbel’s
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 4–9
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Friedrich Fröbel
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Zum hundertjährigen Geburtstage Friedrich Fröbel’s.
Eine Skizze von Wichard Lange.

Man wird ihn feiern, diesen Geburtstag, am 21. April dieses Jahres, und hoffentlich in einer Weise, die des Mannes würdig ist und unserer Nation zur Ehre gereicht; denn selten ist einem deutschen Manne eine so wohlverdiente Berühmtheit zu Theil geworden, wie sie Friedrich Fröbel genießt. So weit die „Gartenlaube“ dringt — das heißt so weit die menschliche Civilisation auf diesem Erdenrund reicht — kennt man den Namen: Friedrich Fröbel, wenn man auch selbst im Vaterlande noch viel zu wenig unterrichtet ist über seine eigentliche Bedeutung. Darum kann und will sich gerade dieses Organ der Pflicht nicht entziehen, zur richtigen Würdigung des vielgenannten Mannes seinen Beitrag zu liefern.

Das Leben Fröbel’s zerfällt in zwei scharf getrennte Hälften: in der einen Hälfte ist er ein Suchender, Irrender und Ringender, eine Art Ritter vom heiligen Graal; die zweite beginnt, als er gefunden, was er gesucht hat, und nun die Hebel ansetzt zur Verwirklichung seiner Lebensidee, die ihm so wichtig erscheint, daß er sie als einen förmlichen Wendepunkt in der Zeitentwickelung betrachten zu müssen glaubt. Erst ist er der irrende, tappende, schwankende, dann der klar schauende, selbstbewußte, thatkräftige, an sich und seine Mission felsenfest glaubende Mann, den nichts irre machen kann in seinem Streben und der trotz aller Hindernisse und Enttäuschungen siegesgewiß in die Zukunft blickt.

1. Der suchende Fröbel.
„Das Kind ist des Mannes Vater.“ Lewis.

Eine geregelte Schulbildung hat Fröbel nicht genossen; er gehört also zu der nicht geringen Zahl von sogenannten Autodidakten, denen die Welt so vieles verdankt. Dafür aber hat ihn das Leben selbst in eine harte Schule genommen, und da er als genial angelegter Mensch schon früh in sich hineinschaute, da er alle empfangenen Eindrücke sorgfältig fest hielt und verarbeitete, da er, wie alle groß angelegten Naturen, ein Herz voll Liebe in der Brust trug, das andere Menschenkinder bewahren wollte vor dem, was er selber gelitten, und alles zu spenden begehrte, was er an geistigen Schätzen errungen, so hat ihn das Leben selbst zuerst zum Erzieher und dann zum Erzieher der Erzieher gemacht.

Mit einigem Grauen erinnerte er sich seiner frühen Jugendzeit; denn es wurde ihm nicht geboten, was Kinder nach Lessing mehr bedürfen als Christenthum, vielleicht auch mehr als äußere Pflege und Sorgfalt — die Mutterliebe fehlte nämlich. Und daraus hat er gelernt, daß diese das A und O aller Erziehung ist, sodaß jede pädagogische Reform, welche diese entwickelnde und belebende, ja himmlische Macht nicht aufnimmt in ihr Calcül, wie etwa die von Johann Gottlieb Fichte vorgeschlagene, als menschenverderblich betrachtet werden muß. Die Ursache aber dieser trübseligen Erfahrung,

[5]

Kommt, laßt uns den Kindern leben!
Friedrich Fröbel.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

[6] die unser Pädagog machen mußte, war folgende. Nicht lange nach seiner Geburt im Pfarrhause zu Oberweißbach starb seine Mutter, und nun „schaltete an verwaister Stätte die Fremde liebeleer“. Friedrich zeichnete sich weder aus durch ein angenehmes Wesen, noch durch frühzeitig hervortretende Begabung. Die Stiefmutter, welche bald ihre eignen Kinder zu pflegen hatte, stieß ihn daher zurück, und der streng orthodoxe, pflichttreue Vater, welcher über die Seelen von 5000 Menschen zu wachen sich für verpflichtet hielt, hatte keine Zeit zur Pflege seines Sohnes, hätte auch schwerlich die Mutter ersetzen können. So irrte und träumte der Knabe, sich selbst überlassen, und sein Blick wurde früh nach innen gelenkt. Den einzigen Trost gewährte ihm ein mit Mauern umgebener Garten hinter dem Pfarrhause. Hier beschäftigte er sich frühzeitig mit Naturbeobachtung und Naturpflege; diese Beschäftigung, dieses edle Vergnügen wollte später der Gründer der „Kindergärten“ der gesammten Jugend verschaffen, weil er ihre wohlthätige Kraft ehemals an sich selber verspürt hatte.

Die Leiden des Knaben im Elternhause wurden aufgehoben durch einen Oheim mütterlicherseits, den Superintendenten Hoffmann in Stadtilm, der ihn in sein Haus nahm. Oheim und Neffe verkehrten in einem liebevollen, vertrauten Tone; der ehemals an Haus und Garten gebannte Knabe durfte mit seines Gleichen frei verkehren, sich austummeln in Gottes freier Natur und seiner jugendlichen Laune freien Lauf lassen. Bei dieser Gelegenheit lernte der zukünftige Erzieher, daß Liebe mehr wirkt, als bittere Strenge, erfuhr auch, daß das beste Spielzeug für Kinder die Kinder selber sind, will sagen: daß in fröhlicher, spielender Gemeinschaft die Jugend am besten gedeiht. Endlich erfuhr er an sich und seinen Genossen die erfreuende, belebende und entwickelnde Macht des Spieles, den Einfluß einer periodischen Ungebundenheit und die Zucht, welche unverdorbene Kinder auf einander auszuüben im Stande sind. Als Schöpfer der Kindergärten hat er alle diese Erfahrungen und früh gewonnenen Einsichten vortrefflich zu verwerthen gewußt.

Die glücklichen Tage im Hause des Oheims rauschten schnell vorüber; die erste Jugendzeit war dahin, und es sollte nun zur Berufswahl geschritten werden. Da man im Elternhause das unerschütterliche Vorurtheil gefaßt hatte, daß der Friedrich kein Talent zum Studium habe, und da man auch wohl die Kosten des Studiums scheute, so ersparte man dem Knaben die Wahl und damit die Qual, gab ihn bei einem Förster in die Lehre und überließ ihn sorglos diesem Manne und sich selbst. Die Sorglosigkeit rächte sich; denn der Förster that seine Schuldigkeit nicht. Wohl aber gefiel dem Lehrlinge das ungebundene Herumstreifen durch Wald und Feld, und ob er gleich nicht systematisch zum Lernen angehalten wurde, so erregte doch Mutter Natur, der er sich stets innig vertraut fühlte, sowie die Lectüre einiger wissenschaftlicher Bücher, die ihm im Forsthause zufällig in die Hände fielen, seinen Hunger nach geistiger Speise dermaßen, daß der heiße Wunsch in ihm aufstieg, gleich seinem Bruder Christoph sich der altbewährten und altberühmten thüringischen Alma mater an die Brust zu werfen und auch zu schöpfen aus den dort reichlich fließenden Quellen menschlicher Erkenntniß. Gedacht, gethan!

Ausgerüstet mit einem kleinen mütterlichen Erbtheil, rennt er ganz unreif auf die Universität, treibt sprachliche und alle möglichen Studien und beschließt nach verhältnißmäßig kurzer Zeit diese Studien Schulden halber im Carcer. Jetzt ist er entblößt von allen Mitteln und dem Anscheine nach von Gott und aller Welt verlassen; er soll und muß Geld verdienen und verdingt sich zu dem Behufe als Schreiber in technischen Anstalten Süddeutschlands und wirkt als solcher zuletzt auf einem Rittergute in Mecklenburg. Ersparnisse und ein kleines Erbtheil setzen ihn endlich in den Stand, seine mechanische Thätigkeit, die ihm selbstverständlich als eine drückende Last erschien, abzuschütteln. Immer aber weiß er noch nicht, was er will und wozu er eigentlich bestimmt ist. Nur seines riesigen Bildungsdranges und der ihm von der Natur verliehenen technischen Anlagen ist er sich bewußt. Letztere hofft er am besten verwerthen zu können als Architekt; er beschließt deshalb, sich dem Baufache zu widmen, und wendet sich zu dem Behufe nach Frankfurt am Main, da er gehört hat, daß ihm hier die beste Gelegenheit, ein geschickter Baumeister zu werden, geboten sei. In dieser Stadt trifft er nach kurzem Aufenthalte mit dem damaligen Direktor der dortigen „Musterschule“, einer Schule, die den ausgesprochenen Zweck hatte, Pestalozzi’sche Ideen zu verwirklichen, mit Gruner, zusammen, erzählt diesem von seinem Leben und Streben, Hangen und Bangen und erhält von ihm schließlich den Rath, Schulmann zu werden, also seine ganze Kraft der Jugenderziehung zu widmen. Da fällt es ihm, wie er selbst sagt, wie Schuppen von den Augen, und da ihm Gruner zugleich auch die helfende Hand reicht, so erfaßt er diese freudig und wird Lehrer an der „Musterschule“ zu Frankfurt am Main.

2. Fröbel als Schulmann.

Der junge, eifrige Lehrer fühlte sich glücklich und behaglich; denn die Irrfahrten waren vorüber, und all sein Thun und Treiben entsprach seiner Neigung und Begabung. „Dem Fische im Wasser kann nicht wohliger sein als mir“ — schrieb er an seinen Bruder. Wo man die Absicht hatte, dem „Vater Pestalozzi“, dessen Ruhm bereits die Welt erfüllte, in allen Stücken zu folgen, da war natürlich auch von Pestalozzi tagtäglich die Rede. Also ist erklärlich, daß in der feurigen und thatkräftigen Seele unseres jungen Schulmannes der dringende Wunsch entstand, den schweizerischen Reformator und seine pädagogische Werkstatt aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Die erste Ferienzeit schon gab die erwünschte Gelegenheit, diesen Wunsch zu befriedigen. Vor seinem ersten Abschiede aus Yverdun faßte er sogleich den Vorsatz, sobald als möglich dorthin zurück zu kehren, also der Jünger Pestalozzi’s zu werden. Als er wieder in Frankfurt angekommen war, genügte dem aufstrebenden Schulmann die einseitige Thätigkeit in der Schule, die hier nur einen Theil der gesammten erziehlichen Thätigkeit umfaßt, nicht mehr. Er wird daher Erzieher zweier Knaben aus einem vornehmen Hause. Da er nun das vollständige Vertrauen dieses Hauses genießt, so weiß er die Eltern seiner Zöglinge zu bereden, ihn und die Knaben zu Pestalozzi zu senden, damit er Erzieher und Zögling zu gleicher Zeit sein kann und den ihm anvertrauten Brüdern eine Erziehung, die er für eine überaus segensreiche hält, zu bieten vermag. Wie redlich er diese seine Doppelstellung bei Pestalozzi ausgenutzt hat, davon giebt ein an die Fürstin von Rudolstadt gerichteter Bericht ein ausführliches und vollgültiges Zeugniß. Vollständige Befriedigung fand er indessen bei Pestalozzi nicht. Mit dem Meister sah der Jünger ein, daß alles Lernen auf den Erwerb klarer und ausreichender Anschauungen gestützt werden müsse, da, um Schopenhauer’s Worte zu gebrauchen, die Anschauungen in unserem Geiste die Constanten[WS 1], die Begriffe aber die Zettel sind, und da, wo die Anschauungen nicht in genügendem Maße vorhanden sind, der menschliche Geist einer Zettelbank gleicht, in der die nöthigen Deckungsmittel fehlen; allein es wurde unserem Forscher bereits klar, daß zur Erziehung doch noch etwas mehr gehört, als Lernen und wieder Lernen. Auch erkannte er haarscharf, daß nur derjenige von Naturgemäßheit des Unterrichts reden kann, welcher weiß, was Naturgemäßheit überhaupt ist, der also die Natur belauscht und den Gang ihrer Entwickelung erkannt hat. Der Entschluß, das Universitätsstudium wiederum aufzunehmen, lag also nahe. Meister und Jünger schieden übrigens auf das Freundlichste und Freundschaftlichste aus einander. Ahnungsvoll schrieb jener seinem größten Schüler in das Stammbuch: „Der Mensch vollendet sich selber durch Schweigen und Thun.“

1811 bezieht Fröbel, getrieben durch seine in Yverdun gewonnene Ueberzeugung, zum zweiten Mal die Universität und geht dieses Mal nach Göttingen, und ein Jahr darauf nach der neugegründeten Hochschule zu Berlin. Mit heiligem Ernste und riesigem Fleiße betreibt er jetzt das Studium der Naturwissenschaft und ergänzt nebenbei seine lückenhafte philologische Ausbildung. Da steht 1813 das Volk auf, und der Sturm bricht los. Vater Jahn wirbt unter den Studirenden Jünglinge für den Befreiungskampf, wirbt auch Friedrich Fröbel und führt ihn der Lützow’schen Schaar zu. Der also Geworbene lernt im Kriege Heinrich Langethal und Wilhelm Middendorff, beides junge Theologen, kennen und sucht sie für seine Lebensidee zu gewinnen. Für seine Lebensidee, sagen wir; denn in Fröbel’s Seele stand der Vorsatz fest, sich nicht allein der Erziehung auch ferner zu widmen, sondern auch auf dem von Pestalozzi eingeschlagenen Wege pädagogisch-reformatorisch zu wirken. Als Preußen 1806 durch Napoleon niedergeschlagen war, wurde in den edelsten Seelen der Fichte’sche Gedanke einer Totalverjüngung und Totalerneuerung der Nation auf dem Wege einer verbesserten Volkserziehung lebendig; wie also hätte sich ein Friedrich Fröbel diesem allgemeinen Streben und Ringen entziehen können? Keine Aussicht auf ein angenehmes Leben und eine ruhmreiche Stellung [7] hätte ihn bewegen können, seinen auf die Erziehung gerichteten Sinn zu ändern. Trotzdem nahm er nach dem Kriege eine Stellung als Custos im mineralogischen Museum zu Berlin an, schlug aber eine Professur der Mineralogie, die man ihm anbot, aus, legte plötzlich seine Stelle nieder und verschwand ebenso plötzlich und ohne Abschied zu nehmen aus dem Gesichtskreise seiner beiden intimen Freunde Heinrich Langethal und Wilhelm Middendorff.

3. Fröbel als pädagogischer Reformator.

Bald aber hörten die beiden Freunde wieder von ihm. Er war im Jahre 1816 nach Griesheim, einem thüringischen Pfarrdorfe, gezogen. Allda war sein geistlicher Bruder am Typhus gestorben, und die Wittwe fühlte sich verlassen mit ihren drei Söhnen Julius, Karl und Theodor. Dieser seiner Schwägerin wollte er Hülfe bringen und mit ihren Söhnen zugleich seine „allgemeine deutsche Erziehungsanstalt“ beginnen. Wilhelm Middendorff, sein vertrautester Freund, trat ihm alsbald zur Seite, während Heinrich Langethal zunächst seine theologischen Studien vollendete.

1817 wurde die Anstalt, die sich verhältnißmäßig rasch entwickelte, von Griesheim nach Keilhau bei Rudolstadt, in einen an Naturschönheiten reichen Thalkessel, verlegt, der von der Natur eigens für eine Erziehungsanstalt geschaffen zu sein scheint. Hier nun begann ein so reges und originelles erziehliches Leben und Streben, wie es die Welt vielleicht kaum zum zweiten Male gesehen hat. Bald schloß sich auch Langethal dem Kreise an, und so war für alle Lehrfächer des erziehlichen Ganzen gesorgt.

1818 giebt Fröbel dem Institute eine weibliche Stütze in einem feingebildeten, edlen Weibe, das in Keilhau von Anfang an in hohem Grade verehrt wurde. Henriette Wilhelmine, Tochter des Kriegsraths Hoffmeister in Berlin, verließ ihre großstädtische Situation, um dafür ein Leben in Dürftigkeit und voller Opfer und Entbehrungen aller Art einzutauschen. Bis zum Jahre 1839 hat sie ihrem ruhelos wirkenden Manne treu beigestanden und ist ihm auf geistigem Gebiete eine zuverlässige Stütze gewesen. Sie ruht auf dem Friedhofe zu Blankenburg in Thüringen.

Leider wurde das herrlich sich entwickelnde, originelle erziehliche Leben in Keilhau sehr bald gestört. Auf die Zeit des nationalen Aufschwunges folgten die Tage eines schmählichen Niedergangs. Nachdem 1819 die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse gefaßt waren, galten vaterländische Gesinnung und Erziehung plötzlich für ein Verbrechen. Und da beide in der Fröbel’schen Anstalt warm gepflegt wurden, so sah man sie bald mit scheelen Augen an und häufte Anklagen auf Anklagen gegen sie, die von der Rudolstädter Regierung energisch abgewehrt wurden, dennoch aber ihre Wirkung nicht verfehlten. Trotz der Großthat Christian Fröbel’s, des ältesten Bruders unseres Friedrich, der sein einträgliches Fabrikgeschäft verkaufte, all sein Hab und Gut dem Bruder bedingungslos zu Füßen legte und sich mit seiner ganzen Familie in seinen Dienst stellte, gerieth die Anstalt gegen das Ende der zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts hart an den Rand des Verderbens, da man ihr den Zuzug abzuschneiden wußte. Der Schöpfer des Ganzen verließ 1831 verstimmt, aber nicht entmuthigt, die Stätte seiner ersten Wirksamkeit, gründete in der Schweiz zu Wartensee eine neue Anstalt, verlegte sie nach Willisau, richtete ein Waisenhaus in Burgdorf ein und leitete einen Wiederholungscursus für schweizerische Lehrer.

Dann aber geht er über seine bisherige Wirkungssphäre hinaus und richtet den Blick auf die früheste Erziehung. 1837 eröffnet er eine Anstalt für die früheste Kindheitspflege in Blankenburg und gelangt allmählich zur Darstellung jener erziehlichen Institution, die unter dem Namen „Kindergarten“ bekannt ist. Die alte Mutteranstalt Keilhau wurde inzwischen von dem Neffen und späteren Schwager Wilhelm Middendorff’s, Johannes Barop, fortgeführt und glücklich über Wasser gehalten, sodaß sie stets einen festen Stützpunkt für die weitgehenden Bestrebungen ihres Gründers bilden konnte. 1840 erläßt Fröbel einen Aufruf zur Gründung eines allgemeinen deutschen Kindergartens. Dann macht er, stets in Begleitung seines Busenfreundes Middendorff, gewissermaßen Missionsreisen in Deutschland; so wirkte er z. B. für seine Sache in Dresden und in Hamburg. 1849 siedelte er über nach dem Jagdschlosse Marienthal bei Liebenstein, das ihm der Herzog von Meiningen eingeräumt hatte. Hier erlebt er einen namenlosen Schmerz. Er wird nämlich von dem preußischen Ministerium unter von Raumer als ein Unchrist geächtet, und seiner jüngsten Schöpfung wird der Eintritt in Preußen verboten. Bald aber richtet die deutsche Lehrerwelt das Auge auf ihn, bereitet ihm 1852 zu Gotha eine herzerhebende Huldigung und nimmt sich seiner Sache an. Das war die letzte große Freude seines kampferfüllten, arbeitsvollen und vielbewegten Lebens. Er stirbt am 21. Juni 1852, und sein Freund Wilhelm Middendorff folgt ihm schon am 27. November 1853 nach.

4. Die Weltanschauung Fröbel’s und sein Erziehungssystem.

Der Mann, der also lebte und starb, war nach Geburt, Charakter und Denkweise ein echter Sohn unseres Vaterlandes. Pestalozzi war ein deutscher Schweizer, Amos Comenius ein Czeche. Pestalozzi’s Pädagogik hatte von Anfang an eine socialpolitische Richtung: ihn jammerte des armen Volkes, und er wollte ihm durch eine verbesserte Erziehung aufhelfen; Fröbel aber ließ sich einzig und allein durch seine philosophische Weltanschauung leiten, aus der sich die Fortführung und theilweise Umgestaltung des Erziehungswesens mit nothwendiger Consequenz ergab. Jener erhielt seinen Anstoß durch die Idee Rousseau’s; dieser arbeitete aus sich selbst heraus, und seine Ideen verrathen nur hin und wieder rein zufällige Anklänge an die Geistesarbeit gleichzeitiger Denker. Fröbel ging zwar bei Pestalozzi in die Schule und glaubte zuerst Pestalozzianer zu sein; allein schon in seinem ersten schöpferischen Anlaufe schieden sich seine Wege von denen des großen Schweizers. Schwerlich wird man ihm wirkliche Menschengröße absprechen können; denn die eine Hälfte seines Daseins erscheint, wie bereits angedeutet, als ein unausgesetztes, rastloses, in die Tiefe gehendes Ringen nach innerer Erleuchtung, als ein ruheloses Streben nach Lösung des Welträthsels und Gewinnung einer Lebensidee. Und als ihm diese Lösung, gemäß seiner Individualität, gelungen und diese Idee ihm aufgegangen ist, giebt er sich in der zweiten Hälfte seines Lebens derselben interesselos und mit voller Aufopferungsfähigkeit hin, erträgt willig jede Verfolgung und jedes Ungemach, kennt keine Ermüdung und ist jeden Augenblick bereit, sich für seine Sache allenfalls kreuzigen zu lassen. Getragen und getrieben wird er allein von der Liebe zur Wahrheit, von der Liebe zur Menschheit, von der Liebe zur Jugend. Er erkennt den Entwickelungsgang aller Dinge, das Gesetz der Analogie, den harmonischen Einklang des Menschenlebens mit dem Naturleben. Tief erfaßt er die Menschennatur und täuscht sich doch in dem Einzelnen, bringt Allen ein Herz voll Wohlwollen und Vertrauen entgegen und wird gerade aus diesem Grunde von nicht Wenigen getäuscht.

In Folge seiner gründlichen Naturstudien hatte er die Ueberzeugung gewonnen, daß alles Leben trotz aller Gegensätze und Kämpfe im tiefsten Grunde ein einiges sei. Aber einen außerhalb der Welt wirkenden menschlich-persönlichen Gott konnte er ebenso wenig begreifen, wie ihn Goethe begreifen konnte.

„Was wär’ ein Gott, der nur von außen stieße,
Sich und die Welt am Finger laufen ließe?
Ihm ziemt’s die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen.“

Dieser innerweltliche Gott, den Goethe und mit ihm Fröbel annahm, ist durchaus kein unchristlicher Gott; wenigstens widerspricht er nicht dem Paulinischen Christenthume. Denn dieses lehrt bekanntlich: „Gott ist nicht fern von einem Jeglichen unter uns; denn in ihm leben, weben und sind wir.“

Diese Ansicht von Gott aber führt schließlich zu einer Auffassung der Welt als eines großen, einheitlichen Lebganzen, das, um mit Goethe zu reden, weder Kern noch Schale hat, sondern beides mit einem Male ist und von einem vernünftigen und allmächtigen Allwillen nach ewigen Principien getragen, erhalten und entwickelt wird. Sprößling an diesem nach allen Seiten hin unendlichen Lebensbaume ist alles Lebendige, das, so weit wir das Ganze zu überschauen im Stande sind, im Menschen seinen höchstentwickelten Ausdruck erhält. Das Wesen des Ganzen waltet innerhalb der Schranken der Individualität auch in dem Einzelnen und kündigt sich im Menschen an als ein dreifacher Trieb: einmal als Sehnsucht nach Einklang mit dem alles bestimmenden, vernünftigen Allwillen, der Gottheit; zweitens als Sehnsucht nach Einklang mit allen übrigen Sprößlingen des alles umfassenden und alles erhaltenden Lebensbaumes, zuhöchst der Menschheit, und endlich als Sehnsucht nach innerem Einklang, welcher durch Unterordnung aller Triebe unter die durch ethische Motive erleuchtete Vernunft errungen wird. Es wohnt demnach [8] dem Menschen eine unendliche Sehnsucht inne nach Lebenseinigung: nach Einigkeit mit Gott, als religiöses Verlangen; nach Einigkeit mit der Welt, als Natur- und Menschenliebe; nach Einigkeit im eigenen Selbst als ethisches Streben, dessen Befriedigung Ruhe und Freudigkeit, dessen Hemmung Unruhe und Schmerz erzeugt. Somit ist auch die Parole für eine naturgemäße Menschenerziehung gefunden; sie lautet: allseitige Lebenseinigung. Alle Erziehung aber muß, von diesem Standpunkte aus betrachtet, nothwendig eine nachgehende, duldende, gewissermaßen leidende sein; denn wie das große organische Lebganze, die Welt, so entwickelt sich auch sein kleiner Sprößling, der Mensch, von innen heraus und gemäß einer bestimmten Gesetzmäßigkeit. Man kann von diesem gesetzmäßigen Entwickelungsprocesse nun die störenden Einflüsse fern halten und ihn in einem möglichst energischen Flusse zu erhalten suchen durch Anregung zu einer systematischen gedeihlichen Kraftbethätigung. Die Individuen sind eine besondere Mischung der menschheitlichen Elemente, und auch diese Mischung läßt sich nur auf Kosten des ganzen Menschen verändern oder gar aufheben. Die erziehliche Genialität zeigt sich in der scharfen Erfassung dieser Individualität und in der Geschicklichkeit, ihr entsprechend zu verfahren.

Abwehr der störenden Einflüsse und allseitige Kraftbethätigung — so heißt also die Doppelforderung menschlicher Erziehung. Die Kraftbethätigung kann aber wiederum eine doppelte sein: sie kann sich äußern als Receptivität oder Empfänglichkeit und als Productivität oder schöpferische Kraft. Der Mensch entwickelt sich nicht allein dadurch, daß er Aeußerliches innerlich macht, das heißt den geistigen Gehalt der Außenwelt zu seinem inneren Eigenthum erhebt, sondern noch viel mehr dadurch, daß er Innerliches äußerlich macht, das heißt Veränderungen an den Dingen der Außenwelt hervorbringt, die den Stempel seines Geistes tragen. Als Knospe am unendlichen Lebensbaume ist er seinem Schöpfer verwandt, ist also ein schaffendes Wesen, das sich nur durch Schaffen entwickeln und vollenden kann und darum auch im Schaffen seinen höchsten Genuß und seine reinste Freude findet. Daraus folgt, daß er von früh an angehalten werden muß, nicht allein zu hören und zu lernen, sondern auch zu schaffen und zu gestalten. Diese Forderung Fröbel’s ist vielfach mißverstanden und bespöttelt worden, weil man, sobald sie laut wurde, immer nur an das abstract geistige Produciren gedacht hat, wozu der Mensch die Fähigkeit erst in reiferen Jugendjahren erhält. Man hat dabei vergessen, daß es auch ein körperliches Gestalten und Schaffen giebt, welches zwar auch geistige Kraft verlangt, aber nur diejenige, welche dem Menschen von da an, wo sein Bewußtsein erwacht, unbestritten eigen ist. Die Anleitung des Menschen zu diesem Gestalten und Schaffen darf aber keine zufällige, planlose sein, wenn sie wirklich eingreifend wirken, dauernde Früchte tragen und der Gesammtentwickelung der Menschheit zum Heile gereichen soll, sondern muß systematisch geregelt, das heißt prinzipiell geordnet sein. Den Fingerzeig für diese Regelung giebt uns die Natur selbst an die Hand. Wie alle Lebenserscheinungen Vermittelungen entgegengesetzt-gleicher, das heißt im Spiegel sich deckender Hälften, so sind auch alle Lebensprocesse Ausgleichungen entgegengesetzter Strebungen. Sucht man daher Beschäftigungen, so muß man sich, falls man nicht der Willkür anheimfallen und dadurch seine Wirksamkeit in Frage stellen will, leiten lassen von diesem Gesetze aller Entwickelung.

Unser schöpferischer Pädagog hat diesen Weg betreten und mit aller Entschiedenheit eingehalten, als es sich um die Construction der Spielmittel für die vorschulpflichtige Jugend, also um die Einrichtung des Kindergartens handelte. Zu einer praktischen Anwendung und Darlegung seiner Anschauung und jener Principien auf die spätere Entwickelungszeit der Jugend ist er nicht mehr gekommen, sondern hat es der Zukunft überlassen müssen, diese Konsequenzen seiner Denkweise zu ziehen; ein Mensch, kann eben nicht alles leisten.

Mit aller Entschiedenheit aber betont er, daß die Abwehr schädlicher Einflüsse, wie er sie in seinem Kindergarten bietet, ähnliche Anstalten auch für die reifere Jugend fordere. Die Idee der „Jugendgärten“, die namentlich durch Schwab in Wien vertreten wird, fordert etwas Aehnliches. Sodann behauptet er ebenso entschieden, daß die jetzige Erziehung der reiferen Jugend an Einseitigkeit kranke, da sie einmal sich einer vollständigen Vernachlässigung des körperlichen Schaffens und Gestaltens, und zweitens einer Bevorzugung der Receptivität, also der Empfänglichkeit, vor der Productivität, also der schöpferischen Kraft, schuldig mache. Sie verleite, so sagt er, zur Körperträgheit und Werkfaulheit und lasse etwa die Hälfte der menschlichen Fähigkeiten unentwickelt. Getrieben von der Einsicht in unverkennbare wirtschaftliche Mißstände, fühlt man jetzt die Wahrheit dieser Behauptung vielfach heraus und verlangt häusliche Beschäftigungen, Arbeitsschulen etc. Das sind Zeichen dafür, daß die Zeit heranrückt, in welcher man zur Verwirklichung der Fröbel’schen Idee schreiten wird.

Für diese Verwirklichung erhoffte Fröbel nichts vom Staate, sondern alles vom Volke. Dereinst müsse die Zeit kommen — so meinte er — in welcher die ganze Gesellschaft die Erziehung als ihre wichtigste Angelegenheit betrachten werde, als eine Angelegenheit, in welcher Jeder, welchem Berufe er auch obliege, sich ein Stück irdischer Unsterblichkeit erringen könne; denn was man für die Jugend wirke, das trage Früchte, welche in die Ewigkeit hinein reifen. Dann werde man seiner Standarte folgen, auf welche er mit großen glühenden Lettern geschrieben hatte:

„Kommt, laßt uns den Kindern leben!“

In dieser Zeit werde sich die Gesellschaft veranlaßt, sehen, sich in sogenannte „Erziehungsfamilien“ zu theilen. Eine Corporation von Familien also werde in ihrem Bezirke für die gedeihliche Entwickelung aller Kinder des Bezirks sorgen, auch für die der Armen und Aermsten. Sie werde sorgen für deren körperliche und geistige Pflege und Entwickelung durch Kinder- und Jugendgärten, und in ihnen das Gestalten und Schaffen, das körperliche und geistige Produciren zum leitenden Principe erheben — also einmal die nöthige Abwehr anti-erziehlicher Einflüsse in die Hand nehmen und dann dem Schöpfertriebe genügende Nahrung und Anleitung verleihen. Das abstracte Lernen werde basirt werden auf dieses Gestalten und Schaffen und dadurch der gesammte Unterricht eine urneue Grundlage erhalten. Die Folge müsse dann eine Erneuerung des gesammten nationalen und allgemeinen Menschenlebens sein.

Die Hoffnung unseres pädagogischen Kämpfers wird nicht zu Schanden werden, wenn sie auch heute oder morgen noch nicht in Erfüllung geht. Die ganzen Bewegungen auf socialem Gebiete drängen darauf hin, und die Bestrebungen, welche auf Errichtung von „Jugendgärten“ und „Arbeitsschulen“ hinauslaufen, erscheinen schon als Pionniere einer neuen pädagogischen Aera. Alle Vorschläge dieser Art aber stehen isolirt da und haben nur sporadische Bedeutung, so lange sie nicht durch eine consequente und allseitige Verwirklichung des Fröbel’schen erziehlichen Systems tiefen Grund und Boden und systematischen Zusammenhang erhalten.

Wir brechen hier des uns knapp zugemessenen Raumes halber ab, obgleich wir noch viel zu sagen hätten über diejenige Schöpfung Fröbel’s, welche ihn berühmt gemacht hat in aller Welt, nämlich über den Kindergarten und namentlich über dessen Bedeutung für das weibliche Geschlecht und das Familienleben. Der Entwurf dieser Fröbel’schen Schöpfung verräth fürwahr eine ebenso große Tiefe wie poetische und ästhetische Anziehungskraft. Schon das Wort „Kindergarten“, das unserem Reformpädagogen urplötzlich einfiel, bekundet die Doppelseitigkeit seiner Gestaltungen.

Wir wünschen unserem Helden, was Goethe seinem Freunde Schiller wünschte, daß ihm nämlich die Nachwelt ganz gewähren möge, was ihm das Leben nur halb ertheilt hat, und darum auch der bevorstehenden Feier möglichste Allgemeinheit und Würdigkeit. Wenn eine Nation ihre bedeutenden und großen Männer nach Gebühr ehrt, so ehrt sie sich selbst. Neben den jetzt die Generation beherrschenden materiellen Interessen giebt es bekanntlich auch geistige Interessen, und das deutsche Volk hat von jeher bewiesen, daß es diese höher zu schätzen weiß, als jene. Gerade dieser Umstand hat uns im Stadium unserer politischen Ohnmacht und Zerrissenheit die Bezeichnung „Volk der Denker und der Träumer“ eingetragen. Dieses „Volk der Denker und der Träumer“ ist mächtig und realistisch geworden, darf auch den nunmehr eingeschlagenen Weg nicht vernachlässigen; aber trotzdem sollte es mitten auf dieser Bahn und inmitten des realistischen Kampfes zeigen, daß der Deutsche niemals seine eigenste und beste Natur zu verleugnen vermag, wenn er auch seine Schwächen abzuschütteln weiß; es sollte am 21. April beweisen, daß es einen seiner genialsten Denker und Träumer zu würdigen versteht, nämlich den Pfarrerssohn von Oberweißbach, Friedrich Fröbel.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Contanten