Zum Nationalturnfest in Leipzig

Textdaten
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Autor: Hth.
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Titel: Zum Nationalturnfest in Leipzig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 475, 476
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[475]
Zum Nationalturnfest in Leipzig.


Die Tage, da sich Deutschlands turnende Jugend auf den ewig denkwürdigen Fluren der Leipziger Völkerschlacht festlich versammeln wird, rücken immer näher heran, und das ganze Vaterland nimmt Theil an einer Feier, wie so groß und mächtig lange keine begangen worden ist von Menschenkindern. In der That, das dritte allgemeine Fest der deutschen Turner gewinnt eine Ausdehnung, die selbst die hochfahrendsten Erwartungen weit übertrifft; das gute Leipzig, das in seinen geschichtlichen Erinnerungen wohl manchen Zusammenstoß gewaltiger Kriegerschaaren aufzuzählen hat, wird diesmal wahrhaft überflutet werden von einer friedlichen Volksmenge, zu Tausenden und Abertausenden werden die deutschen Stammesgenossen einziehen in die festliche Stadt, um auf dem Schauplatze [476] der großen Erhebung unseres Volkes von Neuem das unlösliche Band ihrer Zusammengehörigkeit zu festigen.

Seit Wochen schon herrscht in der festgebenden Stadt eine Aufregung, die auf ein großes, und zwar frohes und freudiges Ereigniß vorbereitet. „Turnfest“ und „Turngäste“ sind die Worte, die Einem in der vielfältigsten Verbindung aus allen Gesprächen und Unterhaltungen, sei es in der Familie, sei es beim Glas Bier, sei es in ernsten Versammlungen oder in der Tagespresse, entgegenklingen. Da sorgt man sich um die wohnliche Unterbringung der Turner, dort wird eben etwas „Neues“ vom Turnfeste erzählt, dort endlich werden die sonderbarsten Vermuthungen, Zweifel, Bedenken, Hoffnungen und Erwartungen laut. Wer hätte aber auch nicht seinen Anteil an dem großen Feste! Die Hausfrau überlegt, wo sie wohl die lieben Gäste am bequemsten und weichsten betten könne, während der Papa mit Künstlern und Tapezierern den Schmuck des Hauses überlegt, Fahnenstoffe einkauft und Guirlanden bestellt, deren sinniges Aneinanderreihen wiederum den Töchtern des Hauses zufällt. Die Knaben brennen auf das Fest, denn sie sollen ja die fremden Turner, die sie als ältere Genossen schon im Voraus lieben und verehren, zuerst auf den Bahnhöfen empfangen und in die Stadt geleiten, dann sollen sie – und darauf sind sie nicht wenig stolz – im Zuge die ragenden Standarten vorantragen, auf denen die Namen all’ der gepriesenen deutschen Gauen und Städte verzeichnet sind. „Wir werden während des Turnfestes wohl schließen müssen,“ sagt nach reiflicher Erwägung der Geschäftsinhaber zu seinen Leuten, denen ob dieser willkommenen Freigebigkeit ihres Prinzipals das Herz freier und ruhiger schlägt, und in den Fabriken und Werkstätten sieht man alltäglich lange über Feierabend arbeiten, lediglich um des Turnfestes willen, auf dessen Mitfeier der schlichte Arbeiter einen ebenso gerechten Anspruch hat, als der reiche Kaufherr, und dem er sich ganz und ungenirt, frei von den Mühen des Alltagslebens hingeben will. Wer nun gar das Vergnügen hat, Mitglied des großen Festausschusses zu sein, dem wird es vollends turnfestlich zu Muthe; seine specielle Aufgabe – denn Arbeitstheilung macht sich hier mehr als anderswo nothwendig – verfolgt ihn unter Umständen im Traume, mahnend stellt sich ihm der Schemen eines furchtbaren bärtigen Turners vor, so daß er kaum den Morgen erwarten kann, um sich von Neuem an die vielumfassenden Festvorbereitungen zu machen. „Zum bevorstehenden großen Turnfeste“ endlich ist das Aushängeschild von Hunderten geschäftlicher Anzeigen, in denen uns echte und unechte Stoffe in schwarz-roth-gold, roth und weiß, grün und weiß und blau und gelb, Anfertigung von Guirlanden, wohl auch – Schwindel muß ja immer dabei sein! – „schwarz-roth-goldene Turnerseife mit dem Bildnisse des Vaters Jahn“ angepriesen werden.

Schließen wir uns einer der zahlreichen Schaaren Schaulustiger an, die jetzt fast zu allen Stunden des Tages auf den Festplatz hinaus pilgern. Sobald wir die letzten Häuser der Stadt hinter uns haben, zeigt sich uns schon von Weitem die Festhalle, ein Riesenbau, der nunmehr in seiner ganzen Majestät dasteht. Ihr gegenüber, auf der unteren Seite des Festplatzes, erheben sich zwei gewaltige Tribünen, bestimmt, wie es scheint, ein ganzes Volk zu tragen. Den Platz selbst betretend, auf dem es noch vor Kurzem wie vor Olims Zeiten auf der Erde wüst und leer war, gewahren wir allerlei größere und kleinere Gerüste, vor Allem jene 600 Turngeräthe, an denen sich die deutsche Turnerschaft vergnügen wird, sodann die verschiedenen Musik-, Fahnen- und Rednertribünen, die Gerüste vieler Buden, in denen die Festgenossen allerlei Kurzweil finden sollen, endlich, verschämt an die äußerste Umplankung angelehnt, verschiedene Bauten von unzweifelhaft hoher Bedeutung, auf die wir hier wohl nicht näher einzugehen brauchen.

An die Festhalle wird eben der letzte Schmuck angelegt – Fahnen in den deutschen, sächsischen und Leipziger Farben, rothe und weiße Stoffe, Guirlanden etc. Die äußere Bekleidung des Mittelbaues ist es hauptsächlich, die unsere Aufmerksamkeit erregt. Auf hohem Fußgestelle ragt eine Kolossalstatue der Germania, ein improvisirtes Werk des Bildhauers Albrecht; weiter unten, gerade über dem Haupteingang zur Halle, eine Gruppe von Sinnbildern, deren Ausführung der Festausschuß dem Maler Leutemann verdankt. Es lag die allgemeine Anordnung bereits im Entwurfe des Architekten Lipsius; an dem Maler also war es, die Gemälde mit der Erscheinung der Germania in Verbindung zu bringen, Beide zu einem geistigen Ganzen zu vereinigen. Wie dem Künstler diese Aufgabe gelungen, darüber zu urtheilen überlassen wir unseren Lesern, denen wir eine getreue Nachzeichnung vorlegen. Das Mittelbild stellt die festliche Versammlung der deutschen Stämme und Stände unter dem Banner der über ihnen thronenden Germania dar, während die Medaillons zu beiden Seiten die Lipsia und die Saxonia, gleichsam die Gastgeber, in deren Bereich das Fest gefeiert wird, vorstellen. Die verschiedenen Stände der festlich Versammelten sind durch ihre äußere Erscheinung bezeichnet: ein junger Krieger mit Schwert und Lanze, hinter ihm ein feuriger, patriotischer Schneider mit der Scheere, in der Mitte ein Gelehrter mit der Schriftrolle, als geistiger Führer die Fahne haltend, um welche sich das Volk schaart; vor ihm ein Landmann, die Sichel im Gürtel – denn das Fest fällt in die Erntezeit – hinter diesem endlich ein Künstler mit der Mappe und – der Schaumweinflasche, so daß also Ackerbau, Handwerk, Wehrstand, Kunst und Wissenschaft vertreten sind. Die verschiedenen Stämme sind bezeichnet durch Wappen der deutschen Staaten, welche von den versammelten Festgenossen mitgebracht sind und von Festknaben zu einer Gruppe um einen Marschallstab zusammengestellt werden. Die Lipsia bedarf keiner Erklärung – sie hält das Wappenschild der Stadt, trägt die Mauerkrone, und in dem hinter ihr liegenden Geldsack mag man sich jene 75,000 Thaler denken, mit denen sie das Fest ausrichtet. Die Saxonia, den Staat Sachsen darstellend, der sich ja dem Turnfeste so wohlwollend gezeigt hat, trägt Diadem, Königsmantel und Schwert, und stützt sich auf das sächsische Wappenschild, das Fest, wie es auf dem Mittelbilde dargestellt ist, scharf beobachtend – Für die Herstellung des großen Bildes, welches 11 Ellen hoch ist (die runden Seitenbilder haben einen Durchmesser von 3¾ Ellen), fand der Maler keinen Raum, der außer der Höhe zur Aufstellung auch genügendes Licht für die Höhe geboten hätte; er mußte das Bild malen, indem es am Boden lag, während er selbst auf einem darüber erbauten niedrigen Brettergerüste saß. Wollte er seine Schöpfung von Weitem übersehen, so mußte er auf einer Leiter bis dicht unter das Dach seiner „Malerhütte“ steigen. Die Bilder sind mit enkaustischen (Wachs-) Farben gemalt, da diese jeder Witterung widerstehen (was gewöhnliche Oelfarben nicht thun) und im Sonnenlichte nicht schimmern. Die größeren Figuren werden 5½ Ellen hoch, also ziemlich doppelte Lebensgröße, was aber in der Höhe (die Basis der Bilder ist ungefähr 31 Ellen vom Boden, in gleicher Höhe mit dem Dachfirst des Mittelschiffes) kaum bemerkt werden wird.

Aber auch dem Innern der Festhalle fehlt ein würdiger künstlerischer Schmuck nicht. Ein gewaltiger Fries, die Hermannschlacht darstellend, 70 Fuß lang, ein gelungenes Werk des Bildhauers Haertel aus Weimar, ziert die Rückwand der Halle, die dadurch zum hehren germanischen Parthenon wird. Eine glücklichere Idee kann es nicht geben; sie ist um so glücklicher, als das großartige plastische Bildwerk das erste ist, welches jene erste gewaltige That der Deutschen in solchem Umfange und solcher Vollendung verherrlicht. Das schöne Werk ist Eigenthum der Großherzogin von Weimar; ihr und dem wackeren, strebsamen Künstler haben die Festgenossen den Schmuck zu verdanken.

Es ist unseren Lesern bekannt, daß die Zahl der zum Feste angemeldeten auswärtigen Turner 14,000 übersteigt. Eine eigenthümliche Erscheinung ist dabei die auffallend schwache Vertretung des gesammten westlichen Deutschlands, während der ganze Osten ziemlich stark vertreten ist. Namentlich ist die Betheiligung der Oesterreicher, ebenso aber auch der Ostpreußen eine große. Am massenhaftesten aber kommen die Turnersleute aus Berlin – ca. 1200! Das Ausland wird u. a. durch Deputationen aus Amerika (1 Mann aus Hoboken im Staate Ohio), aus London (8), aus der Schweiz (5), aus Siebenbürgen (5), aus Italien (Pisa 2, Verona 1), Amsterdam (5), Rotterdam (5) etc. vertreten sein. Von den siebenbürgischen Abgeordneten führen sogar zwei ihre Frauen, der eine zwei Töchter zum deutschen Feste; die Leute sind wacker deutsch, haben aber ihr großes Vaterland noch nie gesehen.

So sehen wir froher Hoffnung der festlichen Zeit entgegen. Unter den abertausend Boten, die die Kunde von der großen Zusammenkunft des deutschen Volkes auf dem Boden der Leipziger Schlacht durch Wort und Schrift in alle Gauen des Reichs hinaustragen werden, soll auch die „Gartenlaube“ sich finden. Bis dahin aber ruft sie allen ihren lieben Lesern einen freundlichen Festesgruß zu!

Hth.