Textdaten
Autor: Adelheid Popp
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Titel: Zum Frauentag!
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aus: Die neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie 29,1 (1911), Heft 24, S. 836–838
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Dietz
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Erscheinungsort: Berlin
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Zum Frauentag!
Von Adelheid Popp (Wien).

Der Frauentag, zu dem die sozialistischen Frauen rüsten, wird das weibliche Proletariat als Bannerträgerinnen des gleichen Rechtes sehen. In Deutschland und Österreich erheben sich die Frauen des Proletariats zu einer imposanten Kundgebung für die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes. Und die Kunde kommt, daß auch das weibliche Proletariat der Schweiz am selben Tage, am 19. März, sich unserer Kundgebung, wenn auch in kleinerem Umfang, anschließen wird.

[837] Ein „Tag der Frauen“ bricht heran, die Landesgrenzen werden im Geiste niedergerissen, um einer gemeinsamen Sehnsucht, einem einigen Willen Ausdruck zu geben.

Von der neuen Welt kam die Anregung. Die sozialdemokratische Partei Nordamerikas hat als die erste, vor zwei Jahren am 28. Februar, zum ersten Male in allen Staaten der Union, in Massenversammlungen die Forderung nach dem Stimmrecht der Frauen erhoben. Die Idee hat begeisternd auf uns in der alten Welt gewirkt, und als Genossin Zetkin der Internationalen Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 den Antrag unterbreitete, nach dem Vorbild, das uns Amerika gegeben, in allen Ländern einen Frauentag zu veranstalten, da waren wir alle in hellster Begeisterung. Die sozialistischen Frauen Deutschlands und Österreichs einigten sich auf einen gemeinsamen Tag. Und so gehen wir dieser ersten großen Kundgebung für das Frauenwahlrecht entgegen. „Eine Utopie“, höhnen die Philister, und „eine Verrücktheit“, sagen jene, die in der Wahl der Worte weniger heikel sind. Wer aber wollte bezweifeln, daß auch manch braver, guter, getreuer und pflichtbewußter Sozialdemokrat den Kopf schüttelt über das „verfrühte“ Drängen und Treiben der Genossinnen? Ja, daß Frauen selber, vom Rechte ausgeschlossene, bei harter Arbeit ergraute, von Sorgen und Mühsal gebeugte Frauen, ein mitleidiges Lächeln oder ein tadelndes Wort nicht unterdrücken können angesichts unseres Beginnens? Aber welche Idee hat je auf einen Schlag sich die Welt erobert? Wann je gelang es, im ersten Sturme nicht nur Dämme einzureißen, sondern gleichzeitig ein festes und neues Gefüge zu errichten? Die alte Auffassung von der Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft muß erst einer neuen weichen, die Erkennung der veränderten Lebenslage der Frau muß erst noch weitere Kreise erfassen, um dahin zu gelangen, daß den modernen Ansprüchen der Frauen Gerechtigkeit gezollt wird. Der Weg ist noch weit, die Hindernisse sind noch zahlreich. Gegen eine ganze Welt von falschen Vorstellungen haben wir anzukämpfen, aber wir haben den Mut, wir haben auch die Ausdauer, und wir fühlen die Kraft in uns, damit fertig zu werden. Die zu uns gehören und zu denen wir gehören, werden nicht nur wir überzeugen, die Tatsachen werden das ihrige beitragen. Was könnte ich an dieser Stelle sagen über die harten Notwendigkeiten, die die Frauen und Mädchen in die Fabriken und in die Bureaus drängen? Wenn es heute in Deutschland über neun Millionen erwerbstätige Frauen gibt, wenn in Österreich fast sechs Millionen berufstätig sind, wenn Hunderttausende Kinder schon im Mutterleib als Signum des Kapitalismus den Todeskeim empfangen, wenn der Herd kalt ist, weil die Frau, die Gattin und Mutter die Maschine bedient, was ist da noch übrig von den „natürlichen“ Aufgaben der Frauen?

Die Schlote rauchen, die Fabrikpfeifen rufen und entvölkert sind die Heime der Arbeiterfamilien, vernichtet ist das Mutterglück, zerstört ist das Familienleben. Mädchen im „mannbarsten“ Alter sind unverheiratete Arbeiterinnen und ihre eigenen Ernährerinnen. Kein Beschützer, kein Ernährer ist für sie vorhanden, höchstens der Arbeitskollege, der entschlossen ist, der Arbeit Freud und Leid mit ihr zu teilen.

Die Arbeiter heißen ihre Kolleginnen willkommen zu gemeinsamem Kampfe um bessere Lebensbedingungen. Die Frauen aber, die die Arbeit kennen gelernt haben, die sehen und fühlen, wie die Organisation sie stark macht, sie können sich nicht begnügen, nur auf gewerkschaftlichem Gebiet um ihres Lebens [838] Notdurft zu ringen. Ihr Blick weitet sich und ihr Ziel wird ein größeres. Sie sehen das Wirken der Sozialdemokratie und lernen von den Lehren, die sie gibt. Sie hören von der Gleichberechtigung aller Menschen und lernen fragen: Wo sind unsere Rechte? Warum verwehrt man uns das Recht, gleich unseren Arbeitsbrüdern, unseren Gatten und Vätern an der Gesetzgebung mitzuwirken?

Die Sozialdemokratie verheißt in ihren Programmen den Frauen die Befreiung von der Lohnknechtschaft, von jeder Form der Unterdrückung, von der politischen Rechtlosigkeit. Und die Frauen sammeln sich unter dem Banner der Sozialdemokratie und fordern alle, die sich des ihnen zugefügten Unrechtes bewußt sind, zu Kampf und Wehr auf. Den erwachten Unterdrückten erscheint es niemals zu früh, den Kampf gegen die Unterdrückung zu beginnen. So haben auch die österreichischen gleich den deutschen Genossinnen dem Frauentag als Kundgebung für die Forderung nach dem Stimmrecht der Frauen jubelnd zugestimmt. Wir wissen wohl: wir stehen erst am Anfang des Kampfes. Dieser Kampf soll aber so begeistert, so zielbewußt und lebendig geführt werden, daß Freund und Feind die Überzeugung gewinnt: es ist ernst.

Und die schwarzen Kolonnen, die man als Schreckgespenst anführt! Den Klerikalismus, der die Frauen des Proletariats in seinen knöchernen Armen halten und ihren Geist in Fesseln zwängen soll? Fürchten wir uns nicht. Der Katholizismus ist gewiß eine gewaltige Macht, der Klerikalismus ein heimtückischer Feind. Aber fürchten wir ihn nicht. Der Industrialismus, der die Frau aus dem Heim gerissen hat, hat sie auch, wenn auch oft ihnen selbst noch nicht bewußt, aus den Krallen des religiösen Fanatismus gerissen.

Die Agitation für das Frauenwahlrecht wird diese Arbeit weiterführen. Jede von den Hunderttausenden Flugschriften, die für den Frauentag verbreitet werden, die zahlreichen Versammlungen ziehen die Frauen immer näher in den Bannkreis des welterlösenden Sozialismus. So stellt sich der Frauentag nicht nur als eine mächtige Kundgebung für das erwachende proletarische Bewußtsein der Frauen dar, sondern auch als eine wertvolle Agitation für die gesamte sozialdemokratische Partei.

Der 19. März 1911 wird die sozialistischen Frauen Deutschlands und Österreichs auf dem ersten großen Feldzug um die gleichen Rechte der Frauen sehen, und dem Sozialismus werden gleichzeitig neue Bataillone zugeführt werden.

In diesem Sinne möge der erste Frauentag unserer verbrüderten Parteien nicht nur ein Kampfestag für die Frauen, sondern ein Ruhmestag für die Sozialdemokratie sein. Gibt es noch eine Partei, die es uns gleich tun kann aus eigener Kraft, aus eigenem Streben, bewußten Sinnes und festen Wollens?