Zu Deutschlands Sagenthron

Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Zu Deutschlands Sagenthron
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 554–556
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zu Deutschlands Sagenthron.
Eine Thüringer Bergfahrt. Von Friedrich Hofmann.
Madonna Thuringia. – Die „Güldene Aue“ – Der Rothenburger Einsiedler. – „Du schöner Wald“ – Die Rothenburg. – Die erste deutsche Dampfmaschine. – Die Kaiserburg. – Deutschlands Sagenthron. – Die falschen Barbarosse. – Der Sagenbaum und die Wunderblume. – Der Schmied von Jüterbogk und die Prinzessin. – Die Schlacht am Welfisholz und Deutschlands Einheit. – Die Schlucht der Wollweda. – Das Rathsfeld und das denkwürdige Wort. – Thomas Münzer’s Schlachtberg. – Die Barbarossahöhle. – Prinzenraub. – Das Echo des heiligen Thals.

„Halle!“ rief der Schaffner in den Waggon, und „Grüß Gott, mein Thüringen!“ rief ich, denn auf der Saale linkem Strande stehen die Füße der schmucken Jungfrau im Schooße Deutschlands, deren schönes Haupt die Wartburg ist. Und sie muß der Madonna gleichen, die Thuringia, denn sie hält ein wunderschönes Kind im Arm, es lacht aus dem Wäldermantel des Harz, den sie um ihre linke Schulter geworfen, heraus, seine Füße reichen bis Wallhausen und Brücken, sein Haupt ist Heringen, Kelbra sein Herz und sein Name „Goldene Aue“. Also wird er auch Recht gehabt haben, jener Graf Bodo von Stolberg, da er vom Kreuzzuge aus Palästina heimkam und wieder vom Kyffhäuser in die Thale hinabschauend ausrief: „Gehet mir mit dem gelobten Lande! Ich nehme die Güldene Aue dafür."

Lange Zeit war dieses geschichte- und sagenreiche Thal- und Bergland mit dem Kyffhäuserthurm als Wahrzeichen nur ein Wallfahrtsort für die sogenannte „schwärmerische Jugend“ im altdeutschen Rock; die Besucher mehrten sich, jemehr das Nationalgefühl in Deutschland Gemeingut wurde; nachdem aber eine Eisenbahn die goldene Aue durchzieht und die Jahre 1848 und 1866 an der Nation gerüttelt, wollen Tausende zum alten Barbarossa, und das allein schon verpflichtet uns, auch unsere Leser zu einer solchen Thüringer Bergfahrt einzuladen.

An einem schönen Sommer-Sonntagmorgen sagte ich in Roßla dem Dampfroß Valet. Da lag sie vor mir weit ausgedehnt, des Kyffhäusergebirgs, dieses im Norden von dem Helme-, im Süden von dem Wipperfluß umgrenzten Bergreviers, steile Nordwand mit ihrem dichten Wäldervorhang und den dunkeln Falten ihrer tiefen Schluchten, zur Linken auf höchster Höhe der Thurm der Kyffhäuserburg, gerade vor mir, der grünen Riesenkuppel eines versunkenen Domes gleich, der Berg der Rothenburg und zu ihren Füßen Thürme und Dächer von Kelbra.

Ich eilte zur Rothenburg hinüber, vor deren Berge ich nach etwa einer halben Stunde stand, und bald darauf umfing mich der Schatten in hohen, feierlichen Waldeshallen.

Meine Fahrt fiel noch in die Zeit, wo auf der Rothenburg der Dichter und Kaufmann Friedrich Beyer aus Kelbra als der in Thüringen allbekannte „Rothenburger Einsiedler“ gemüthliche Wirthschaft führte. Wer damals die originelle Benutzung der beschränkten Räumlichkeit für zahlreiche Gäste, die Grotten, Häuschen und Plätzchen, die der fleißige Einsiedler im Verlaufe von fast dreißig Jahren alle eigenhändig hergestellt, neben dem Alten selbst betrachtete, war gewiß mit Beiden zufrieden und fühlte sich behaglich. Jetzt ist leider, nach Beyer’s ziemlich rücksichtsloser Beseitigung von dieser schwarzburgischen Stätte, aus der poetischen Einsiedelei eine gewöhnliche Schenke geworden.

Der freie nach Süden schauende Platz vor der ehemaligen Einsiedelei fesselt Jeden, auch den Weitgereisten. Vor uns senkt der Berg sich zu einem tiefen Thale ab, genannt „das heilige Thal“, und jenseits erhebt sich eine hohe steile Bergwand, an welche zur Linken und Rechten wieder andere Höhenzüge sich anschließen, bald sanft übereinander aufsteigend, bald kühn vorspringend; nur zur Rechten neigen sich die Höhen zur hereinwinkenden Goldenen Aue nieder, – und all’ diese Bergwände und Vorsprünge sind der üppigste, grünste Laubwald, nichts als herrlicher Wald, wohin das Auge blickt, hochstämmig, weitästig, laubwogend und aufathmend mit millionenblättrigem Rauschen! Das Auge schwelgt in dieser unnennbar wohlthuenden Fülle, es schweift nach allen Seiten hinaus und ruht wieder aus, und wo es ruht, ist grüne entzückende Herrlichkeit. Aus tiefster Brust, Alles um mich vergessend, mußte ich laut hinaussingen:

„Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch dort droben?“

Die Rothenburg war von geringem Umfange; die meisten Grund- und Seitenmauern, eine hohe Giebelwand, die Fenster des Rittersaales und ein mächtiger runder Wartthurm sind noch bis zu ziemlicher Höhe erhalten. Das Anziehendste auch dieser Ruine ist aber ihre Lage, ihre „Aussicht“. Vor dem nördlichen Eingänge tritt ein Altan hinaus, auf dem in einer Nähe, die das unbewaffnete Auge beherrscht, der ganze obere Theil der Goldenen Aue uns zu Füßen liegt. Umrahmt von dem grünen Kyffhäusergebirg im Süden und den dunkeln Nadelwäldern der Vorberge des Harz von Norden her, dehnt wie ein einziges ungeheures Aehrenfeld die breite Ebene des Thales sich aus, und die Städtchen und Flecken, Dörfer und Weiler, die grünen Wäldchen und Wiesen, die Fruchtbäume der Straßen, das Ufergebüsch der Helme – das Alles lag so klar und ruhig, wie auf Goldgrund gemalt, zwischen der Fülle des Erntesegens. Bis zu dem Ohmgebirge des Eichsfeldes reicht zur linken der Blick und diesem zur Rechten gipfelt Höhe über Höhe sich auf, bis der Doppelrücken des Brocken mit seinem dunklen verschwimmenden Blau das ganze Bild krönt.

Neben diesem Prachtstück der Natur hat die Geschichte der Rothenburg und ihrer Bewohner für uns wenig Anziehungskraft. Dennoch nimmt ein Kreuzgewölbe, von einer Säule getragen, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. In einer Nische desselben soll der berühmte Püsterich gefunden worden sein, jene zwei Fuß hohe hohle Erzfigur, die einen unförmlich dicken knieenden Knaben vorstellt, der zwei Oeffnungen im Kopfe hat. An die Ergründung der Bedeutung des Püsterich, der jetzt das Sondershäuser Naturaliencabinet ziert, ist schweißtriefende Gelehrsamkeit verwendet worden; er stieg bis zum slavischen Götzen, ja bis zum Germanengott des Donners hinauf und bis zur Branntweinblase herunter. Unsere dampfkundige Zeit thut am besten daran, in ihm die erste deutsche Dampfmaschine zu verehren, mittels deren kluge Priester ihrem Willen als dem ihres Gottes den nöthigen Nachdruck zu verschaffen wußten; denn wenn man den alten Püsterich halb mit Wasser gefüllt über Feuer setzt und seine beiden Oeffnungen verpflöckt, so benimmt er sich wie der jüngste Dampfkessel: wenn das Feuer seine Schuldigkeit gethan hat, fahren Pflöcke und Dampf donnernd und zischend in’s Freie – und mehr brauchten die Priester für ihren Zweck gewiß nicht. Dem frommen Betrug dieser Art gebe ich sogar den Vorzug vor den Wundern ungenähter Röcke, weinender Crucifixe und curpfuschender Heiligengebeine.

Auf einem freien Plätzchen vor dem Wartthurm sieht man im Osten den Thurm der Kyffhäuserburg über alle Wälder emporragen. Von ihm, nach dem ich mich tausend Male in der Sagen- und Kaiser- und Reich-Schwärmerei meiner Jugend gesehnt und den ich nun erst als Graukopf schauen sollte, trennte mich hier nur noch ein Wegstündchen. Da galt kein Halten mehr.

Die ersehnte Ruine kommt uns auf dem ganzen Weg nie zu Gesicht und erst an seinem Ende, wo er plötzlich ansteigt, steht mit einem Male, wie auf einem grünen bebuschten Kegel, der ungeheuere, massige, schaurig zerrissene Barbarossa-Thurm vor uns, röthlichgrau, wie seines Kaisers Bart, in den blauen Himmel aufragend. Ich eilte mit Jünglingshast den schmalen Treppenpfad hinauf [555] um meine Hand auf sein geschichtliches und sagenerfülltes Gestein zu legen.

Und nun dieses Rundbild! Gegen anderhalbtausend Fuß hoch auf des Gebirges Scheitel den Jahrhunderten trotzend erhebt der Thurm selbst noch an seinem Fuße uns durch das Gefühl majestätischer Erhabenheit über alle Lande ringsum und alle Höhen nah und fern. Da liegen zu unseren Füßen im weiten Umkreise Auen und Wälder, Dörfer und Städte, Schlösser und Ruinen – dort, im Osten, Allstedt mit seinem Schlosse, Artern und Sangerhausen, jenseits der Goldenen Aue die langgestreckten dunkeln Linien der Berge des Vorharz, daraus hervor leuchtend und ragend da die Trümmer von Questenberg, weiter die Josephshöhe mit ihrem Kreuz, dann der Eichenforst, der Rammberg mit der Victorshöhe und vom Blau des Himmels leise geschieden der Brocken – der alte Sagennachbar Blocksberg –, etwas westlicher Nordhausen mit seinem hohen Petrithurme, und ganz im Westen begrenzt, über die freundlich herüberwinkende Rothenburg sich erhebend, das Ohmgebirg den Blick, die Hafenburg tritt hervor, dann schließt sich das Nachbargebirg der Hainleite mit dem Jagdschloß Possen und nach geringer Unterbrechung das der Finne mit der Doppelruine Sachsenburg an, und zwischen beiden grüßen die Thürme von Erfurt und Weimars Ettersberg herüber und über sie alle spannt seine fernen blauen Bogen der Thüringerwald. Es ist auf den ersten Blick sonnenklar: welchen Glanzes und Ruhmes Schlösser und Burgen rings umher sich rühmen mochten, alle beugten ihr Haupt vor der Kaiserburg.

Nur wer hier gestanden, wundert sich nicht mehr darüber, daß unser Volk gerade diesen Berg und seine Burg durch die schönste und bedeutungsvollste seiner Sagen verherrlicht hat: die Lage von Barbarossa’s Verzauberung und dem Glauben an seine und des Reichs endliche Erlösung. Der Kaiser Friedrich, so lautet sie allbekanntlich, war in den Bann gethan, jede Kirche und Capelle ihm verschlossen. Da ritt der edle Held kurz vor der Osterzeit zur Jagd, nur seine liebsten und Treuesten bei ihm, auch sein geliebtes Töchterlein. Und im Walde am Kyffhäuser nahm er ein Zauberfingerlein hervor und drehte es und verschwand mit Allen von der Erde. Aber er wird nicht verschwunden bleiben, sondern, wenn ein Adler die Raben vom Kyffhäuserthurm vertreibt, wieder hervorkommen zu Kampf und Sieg,

Da wird er seines Schildes Last
Hangen an den dürren Ast

eines Birnbaums, der auf dem Rathsfeld steht, und er wird die Pfaffen demüthigen und das heilige Land befreien, und die Herrlichkeit des deutschen Reichs wird aufgehen, und das ist Deutschlands Sagenthron und der graue Thurm ist seine Denksäule!

Kein Wunder, daß dieser Volksglaube von manchem falschen Barbarossa mißbraucht wurde. Es sind deren im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zwei verbrannt, zwei „heimlich hinweggeschafft“ worden, und dennoch fand sich noch im Jahre 1545 ein fünfter, der größeres Aufsehen erregte, als alle früheren, vor dem sogar Fürsten in Furcht geriethen, denn die Meisten glaubten damals noch wirklich an Barbarossa’s Wiederkehr, und große Volksmassen strömten dem Kyffhäuser zu, den großen Kaiser zu begrüßen, bis der langbärtige Alte sich als einen Schneider aus Langensalza zu erkennen gab. Der Graf von Schwarzburg schonte ihn als einen armen Irren und gewährte ihm „sein lebelang umbs Golleswille das Allmuß“. Aber so tief und fest stand der Glaube an Barbarossa’s Schlummern im Kyffhäuser und seine Wiederkehr, daß alle diese Täuschungen ihn nicht erschütterten.

Darum will auch ich ihn nicht erschüttern; er ist ja so schön, und alle die Hunderte von Sagenzweigen führen so klar zu dem Stamm des Bannes hin: zum unterirdischen Hofhalt des Kaisers, der so rein menschlich alles Gute und Schlimme der überirdischen Hofhalle fortpflegt. Da walten Gerechtigkeit und Laune des Herrn, Schalkerei und Uebermuth des Dienervolks, besonders der Zwerge, „ganz wie bei uns“, und die Bedürfnisse der Menschenkinder, Lust an Glanz und Pracht, Vergnüglichkeit und Kurzweil fordern auch hier ihre Befriedigung, und nur deshalb gehen Ritter und Zwerge und sogar der Kaiser und die Prinzessin so gern mit den Menschen droben um, belohnen oder bestrafen, erfreuen oder necken sie, und diese erzählen dann weiter und treiben den Sagenbaum zu immer neuen Blüthen. Bald öffnet sich ihnen der Ritterkeller voll köstlichen Weins, bald die Kaiserhalle voll Gold und Edelstein; bald verschwinden Heerden im Berg, denn der Hofhall bedarf ihrer, bald wird einem Bauer sein Hafer abgekauft, denn die Rosse des Kaisers und der Ritter fressen noch immer; bald erlustiren sich die Ritter mit Kegeln beim Thurm, bald lustwandelt die Prinzessin allein und zeigt dem Glücklichen die berühmte, glückverheißende blaue Wunderblume. Und daß die Prinzessin Leinknotten ausstreut, beweist, daß sie und ihre Hoffräulein fleißig die Spindel führen – und wie tanzt sie so gern! Wenn ein Hirt oben die Schalmei bläst, oder lustige Musikanten dem Kaiser ein Stücklein zum Gruß aufspielen, kommt sie mit zwei brennenden Kerzen hervor und tanzt so freudig und belohnt die Musikanten reichlich aus ihres Vaters Schatz. Besonders freut es mich, daß auch der Schmied von Jüterbogk mit drunten ist. Weil er den Tod auf seinen Birnbaum gebannt und den Teufel so lederweich geschmiedet hatte, erhielt er weder im Himmel noch in der Hölle Einlaß. Er aber machte kurz Federlesen: er stieg hinab zum Kaiser Friedrich, der nahm ihn gar wohl auf und da beschlägt er die Rosse und bedient den alten Kaiser, am liebsten und freudigsten aber des Kaisers holdiges Töchterlein, und dasselbe verkehrt mit ihm ganz besonders gern, denn so ein aller Schmied und eine gute Prinzessin, die halten merkwürdig zusammen.

Vom alten Kaiser-Friedrichsthurm, der, von Mauern und einem besondern, noch sichtbaren Wallgraben umgeben, die Oberburg bildete, gelangen wir zu einem weiteren Plateau. Hier war Raum zu Palästen, Höfen und Gärtchen, hierher führte auch das Hauptthor, das „Erfurter Thor“ genannt, weil hier zwischen den Höhen der Finne und Hainleite die Thürme der Thüringer Hauptstadt am sichtlichsten herüberschauen. Jetzt ist Alles öde und wüst. Nur eine kleine Wirthschaft hat sich hier eingenistet mit einem bescheidenen Häuschen, Lauben und Bänken. Einzelne Mauertrümmer und ein verschütteter Brunnen erinnern allein an die vergangene Pracht. Eine tiefe Schlucht, wohl später durch einen Steinbruch vergrößert, der Fundort versteinerter Baumstämme, trennt diesen Theil der Burg von der Capelle, welche die schönsten Reste der Ruinen zeigt, und dem ehemaligen Gottesacker, und weiter am Berg hinab steigen noch mächtige Mauertrümmer der alten Befestigung auf, so daß kaum eine volle Stunde zur Umgehung der ganzen Kaiserburg ausreicht.

Die vier kaiserlichen Pfalzen der Goldenen Au, Tilleda, Wallhausen, Ahlstedt und Memleben, sind Zeugen, wie oft und gern die Beherrscher Deulschlands in dieser Gegend weilten. Die Kyffhäuserburg, die stärkste aller Bergvesten Thüringens, war wohl schon in dem Besitz der sächsischen Kaiser und soll damals schon fast ein halbes Jahrtausend alt gewesen sein. In die Geschichte tritt sie durch ihren ersten tiefen Fall. Drunten in Wallhausen hatte Kaiser Heinrich der Fünfte den Sachsen den Grafen von Mansfeld zum Herzog aufgedrungen. Aber die Fürsten und Edlen der Sachsen sammelten ein Heer und vernichteten des Kaisers Macht in der großen Schlacht am Welfisholze, in welcher die damalige letzte Hoffnung auf Deutschlands Einheit zu Grunde ging. Das ist jetzt siebenhundertdreiundfünfzig Jahre her! Viele Gerettete des Kaiserheeres flohen in die Kyffhäuserburg. Drei Jahre lang vertheidigten sie sich, dann erlag die Veste und ward von der Sachsen Rache in einen blutigen Trümmerhaufen verwandelt. Das Alles hat der alte Thurm gesehen. Und er sah die Veste in neuer Pracht erstehen, sah die Flammen von sechszig Burgen am Himmel lodern, als Kaiser Rudolph den Thüringer Raubadel züchtigte, sah dann die Rothenburger Beichlingen als kaiserliche Burggrafen walten und, nachdem die Schwarzburger des Landes Herren geworden, den Berg von einem Heiligenschein umgeben, der von dem wunderthätigen Kreuz der Capelle ausstrahlte und Tausende von Wallern zu seinen Höhen rief. Der Gottesacker ward zur Goldgrube, denn nur die Reichsten konnten das Glück erkaufen, sich hier begraben zu lassen. Da kam Luther und vertrieb die Pfaffen und ihr Kreuz, wie das Pulver längst das Ritterthum vertrieben hatte – und nicht im Sturm der Waffen, nicht durch die Gewalt einer Feindeshand, sondern an der Gleichgültigkeit der Menschen ging die Kaiserburg unter. Der verlassene Berg ward öde und wüst, und keine Chronik meldet, wohin die Trümmer der verfallenen Pracht gekommen. Der Thurm hat’s auch gesehen, aber der schweigt.

Seitdem waren Schatzgräber, goldsuchende Venetianer und Räuber des Berges unheimliche Bewohner und die letzten Pfleger seines Sagenbaumes. [556] Wer etwa „das Gruseln lernen“ will, dem empfehle ich, am östlichen Abhang des Bergs hinabzusteigen und sich dann rechts zu wenden. Tief und dunkel zieht dort die Schlucht der Wollweda, vom klaren Taterborn durchrieselt, den kahlen und von mächtigen Steinbrüchen tief ausgehöhlten Berg entlang. Es ist ein wahrer Schauergang, wild durcheinander liegt das herabgestürzte Gestein und drohend hangen über unseren Häuptern die unterwühlten Felsen. Aber wie tief sie auch hinein drangen, Barbarossa’s Zauberhöhle haben sie nicht erschlossen. Dagegen haben Bergleute unweit Frankenhausen wenigstens eine Vorhalle zu ihr entdeckt und dahin eilte ich nun, als zum dritten Ziel dieser Bergfahrt.

Die breite Straße nach Frankenhausen, zu welcher man vom Kyffhäuser zurückkehren muß, führt uns zur Hochebene des Rathsfeldes. Links liegt ein schwarzburgisches Jagdschloß mit guter Wirthschaft; rechts dehnen saftig grüne Wiesen, vom Wald in großem Bogen begrenzt, sich aus. Hier also steht der Birnbaum, an welchem Kaiser Friedrich seinen Schild aufhängen wird. Hier ist er oft citirt worden im Sturmjahr Achtundvierzig, hierher strömten Tausende zu Volksversammlungen und riefen nach Kaiser und Reich. Alle die gewaltigen Reden auf dem Rathsfeld sind verschollen, nur eine einzige hat sich im Volk erhalten und zeugt von der Begeisterung der Treuen für das deutsche Banner. Stundenweit hatte ein Bäuerlein die schwarz-roth-goldene Ehrenlast getragen, schwer keuchte er den Berg hinauf, aber dennoch sprach er das denkwürdige Wort: „Ich schwitz’ wie ein Esel, aber nicht um fünfzig Thaler gäb’ ich die Fahne her.“

Beim Rathsfeld fand sich ein wegkundiger Genosse zu mir, mit dem ich den kürzesten, schwer zu findenden und leider noch immer nicht durch Wegweiser bezeichneten Waldpfad hinab in das Wipperthal ging. Als ich unten die Thürme von Frankenhausen und den Schlachtberg sah, stand abermals ein blutiges Stück Geschichte vor meinen Augen. Hier war die letzte Schlacht Thomas Münzer’s und seiner Bauern, hier kämpften Kittel und Knüttel gegen Harnische und Karthaunen, bis siebentausend dreihundert dreiundzwanzig Bauern erschlagen lagen und ihre Weiber und Kinder in der Wagenburg über Frankenhausen ein so furchtbar entsetzliches Wehklagen erhoben, daß die Stätte das Geheul und Geschrei genannt ward; jetzt haben sie „Eulengeschrei“ daraus gemacht.

Das ganze Thal ist nach der Sage einst eine Meeresbucht gewesen, und die Geologen bestätigen, die Salzlager der Frankenhäuser Saline beweisen dies. Selbst die Höhle, die wir jetzt besuchen, soll ein solches Salzlager gewesen sein, über welchem die Fluth einen Gypsberg aufschwemmte. Als das Meer aus dem Thal gewichen war, löste allmählich das beständig von oben ein dringende Gebirgswasser die Salzmasse auf, die Gypshöhle ward immer größer und zuletzt blieb als Filtrat der völlig aufgelösten Salze nur eine mergelartige Bodenmasse übrig, wie sie noch heule dort zu sehen ist. Diese Erklärung verdanken wir einem bei der Bergarbeit, die zur Entdeckung der Höhle führte, beschäftigt gewesenen Fachmann, dem Herrn Bergverwalter F. Herthum in Könitz bei Saalfeld, welcher über diese „Barbarossa-Höhle“ ein besonderes Schriftchen (Leipzig bei Ed. Wartig) veröffentlichte, das wir jedem Besucher dieser Naturmerkwürdigkeit empfehlen. – Entdeckt wurde die Höhle in der Weihnachtswoche 1865. Unter den Fäusteln der Bergleute, welche einen Stollen als Hülfsbau eines Unternehmens auf Kupferschiefer trieben, öffnete sich plötzlich der geheimnißvolle Raum.

Der Eingang hat einen sonderbaren Wächter, die Ruine eines einst berüchtigten Raubnestes, der Falkenburg. Gerade unter ihr gelangen wir zu den Jahrtausende verborgenen Geheimnissen der Tiefe jetzt auf einem sehr bequemen Pfade in einem Stollen von nahe an sechshundert Fuß Länge. Bergleute begleiten uns als Führer; Lichter kauft man am Eingang. Die Länge der ganzen, in der Hauptrichtung von Süd nach Nord laufenden Höhle beträgt etwa tausend Fuß; zum Theil sehr umfangreiche Seitenhöhlen verdoppeln diese Länge für unsere Gehstrecke. Ich brauchte zur Durchwanderung derselben in allen ihren Theilen anderthalb Stunden. Dreierlei zeichnet diese Gypsgrotte besonders aus. Die den Höhlenfirst bildenden Gypslagen sind in einzelne Gypstafeln wie aufgeblättert und hängen bald in äußerst dünnen, beim Anschlag klingenden Scheiben, bald wie zarte Blätter, bald wie gegerbte Thierhäute oder gar täuschend ähnlich wie Speckseiten von der Decke herab. Das ist ein köstlicher Schmuck, der bei dem Wechsel der Schatten durch die wandelnde Beleuchtung immer neue Zeichnung darbieten. An den meisten dieser Platten, jedoch wegen der Höhe der Gewölbe, die von zehn bis zu fünfzig, ja wohl achtzig Fuß aufsteigt, und wegen der schwachen Beleuchtung nur selten sichtbar, dagegen an den Seitenwänden ganz scharf hervortretend, ist ein anderer dieser Höhle ganz eigenthümlicher Schmuck: durch Fältelungen des Alabasters in den Schichtungszonen grauen Plattengypses entstanden höchst regelmäßige, bald tapeten- und bordüren-, bald schriftartige Zeichnungen, die, je heller sie beleuchtet sind, als eine um so wunderbarere Zierde hervortreten. Der dritte Schmuck sind die im Verhältniß zum Höhlenraum bedeutenden sieben Wasserflächen. Und zwar ist dieses Wasser so klar, so durchsichtig, daß bei schwacher Beleuchtung ein Unterschied zwischen dem Wasserstande und der trockenen Sohle kaum zu bemerken und es eben deswegen nicht ganz ungefährlich ist, von den gutgebahnten Wegen nach rechts oder links ohne größte Vorsicht abzuweichen. Um so mehr tragen sie zur feenhaften Pracht bei, wenn jenseits ihrer größten Flächen bengalische Feuerpulver abgebrannt werden, denn sie sind dann Spiegel des Höhlenschmucks und Selbstschmuck zugleich.

Und doch thut uns der Strahl der Sonne noch einmal so wohl, wenn wir wieder in ihrem Lichte stehen. Von rechts her sind wir zur Höhle gekommen; wir wenden uns jetzt links am Falkenburger Berg hin und sehen denselben bald von großartigen Steinbrüchen bis zu bedeutender Höhe bloßgelegt. Unmittelbar über denselben erhebt sich ein Fels mit einem von unten sichtbaren thorähnlichen Loch, an welches sich die jüngste Romantik dieses Zaubergebirges knüpft. Vor einigen Jahren lief durch die Zeitungen die Kunde von einem neuen, jedoch vor der Ausführung vereitelten Prinzenraub. Ein Doctor Weiß hatte den Plan entworfen, ein Kind der Schwarzburg-Rudolstädtischen Fürstenfamilie zu entführen; der Zweck der romantischen Unthat soll auf Erpressungen hingerichtet gewesen sein. Die Vorbereitungen waren weit gediehen und eine gegen achtzig Fuß tiefe Felsenhöhle, zu welcher jenes Loch über den Steinbrüchen den einzigen Zugang bot, war zum Aufenthaltsort des geraubten Prinzen ausersehen. Es war Winterzeit. Weiß soll deshalb Wasserflaschen in den hintersten Theil der Höhle gestellt haben, um zu prüfen, wie stark der Frost hier wirke, denn Feuer hätte man nicht schüren dürfen, um nicht den Rauch zum Verräther des Verstecks zu machen. Weiß kam in’s Zuchthaus, ward aber später – „Was hilft’s mir, daß er im Zuchthaus sitzt!“ sagte der gütige Fürst – nach Nordamerika entlassen.

Mein Tagewerk war vollendet, ich kehrte über das Rathsfeld und durch den dämmernden Wald zur Rothenburg zurück. Hier bereitete mir der gute Einsiedler noch eine unvergeßliche Ueberraschung. Die letzten Lichter waren erloschen, die letzten Gäste gegangen. Es war wonnige Ruhe nah und fern. Selbst der Wald schlief mit allen seinen Blättern. „Den will ich aufwecken,“ sagte der Alte, „der muß Dir den Gutenachtsgruß bringen.“ Da holte er ein großes Sprachrohr herbei und sang voll und gezogen nach der Waldschlucht hinüber die Töne eines Dreiklangs – und hervor brach’s aus dem heiligen Thal wie ein stimmenreicher voller Männerchor, wohl zehn Secunden lang hallte der Dreiklang in den Waldeshallen dahin, leiser und leiser, bis er verhauchte. Ich stand mit verhaltenem Athem vor dem neuen Wunder und lauschte dann den Worten des Alten, der erzählte, daß dort tief in dem Grunde eine Wallfahrtskirche versunken sei, weil eine wilde Rotte die Priester gemordet und den Tempel geschändet, und die Geister der Märthyrer wären es, sagte er, die nur in heiligen Tönen den Weckeschall der Menschen erwiderten. Einem Worte, noch so laut gerufen, gäben sie keine Antwort. Ich machte den Versuch, ich rief die der feierlichen Stimmung des Augenblicks angemessensten Worte hinüber, aber Wald und Thal blieben stumm. Als aber der Alle das Rohr wieder zu Hülfe nahm, da hallte Dreiklang auf Dreiklang, zum Choral verbunden, wie ein hundertstimmiges Lied ohne Wort, durch die Schauer der Nacht. Noch im Schlummer unter des Einsiedlers Strohdach klang es in mir fort, das Echo des heiligen Thals.