Zerstreute Blätter aus Tagebüchern

Textdaten
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Autor: August Freiherr von Seckendorff
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Titel: Zerstreute Blätter aus Tagebüchern
Untertitel:
aus: Der Nürnberger Trichter, Nr. 7, S. 25–26
Herausgeber: Hermann Wimmer
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848
Verlag: Friedrich Campe
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung:
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Zerstreute Blätter aus Tagebüchern.
Gesammelt von August Dorff.

1.

Um mit Ochsen in Berührung zu kommen, braucht man eben nicht in das bayerische Gebirge zu reisen, dazu hat man in Dörfern und Städten Gelegenheit und Auswahl genug. Höflichkeit kann man von Ochsen auch nicht verlangen, am wenigsten von einem, der in der Einsamkeit der Alpen erzogen ist, bis zu deren Höhen die Civilisation des städtischen Rindviehes noch nicht gedrungen ist. Wenn sich aber solche Thiere außer ihrer angebornen Grobheit auch noch feindselig gegen friedliche Wanderer zeigen, so wird die Sache ärgerlich.

Mir ist in den Hundstagen des Jahres 1846 eine solche viehmäßige Feindseligkeit widerfahren.

Ich war bereits vier Stunden auf einem Gebirgspfade, dessen zahllose Steine einen unangenehmen Eindruck auf meine dünnen Schuhsohlen und durch diese auf meine Füße machten, fortgestiegen; die Sonne brannte mir garstig heiß auf den Pelz, mein Durst war noch ärger als mein Hunger, und – ich bin ein Künstler. – Die poetische Stimmung, in welche mich die großartige Umgebung der Alpenwelt versetzt hatte, vermochte nicht länger meine irdischen Bedürfnisse zu beseitigen.

Man kann sich denken, welche Freude mir bei einer plötzlichen Biegung des Pfades der Anblick einer naheliegenden Sennhütte machte. Die Aussicht auf frische Milch und Butter, ganz leise auch der Gedanke an eine hübsche Sennerin, stärkte mich wieder, und rasch eilte ich den steilen Pfad hinab auf die Hütte zu, aber – Armer Sterblicher! wenn du glaubst, nach langem Ringen am Ziele deiner Wünsche zu sein, so ist manchmal ein Ochs im Stande, dir den Weg zu verrennen und deine schönsten Hoffnungen zu vernichten!

Auf dem Wiesenabhange vor der Hütte weidete das Vieh, und der Stier, vulgo Brummelochs, schwänzelte gar freundlich um eine schöne Kuh herum, welche jedoch seine massiven Liebkosungen wenig berücksichtigte. War es nun der Gram verschmähter Liebe oder das Ungewohnte meiner ihm gänzlich fremdartigen Erscheinung – genug, der Kerl machte bei meiner Annäherung ganz absonderlich drohende Geberden. Er ringelte den Schweif in die Höhe, wühlte mit den Hörnern in den Boden und begleitete diese Pantomimen mit einer recht kräftigen Baßstimme. Dies alles schien mir anzudeuten, daß er es auf einen Kampf mit mir abgesehen hatte. Was nun thun? – Unsere Voreltern, die Germanen, schlugen freilich mit eiserner Faust den Auerochsen zu Boden; allein ich bin erst im Jahre 1823 geboren, ein schwacher Sohn des neunzehnten Jahrhunderts; historische Thatsachen konnten mir also in diesem kritischen [26] Moment äußerst wenig nützen zur Vertheidigung gegen diesen kräftigen Sohn der Berge. Ich dachte daher, der Gescheidteste giebt nach, nahm alle meine Kräfte zusammen und lief, meinen Verfolger auf den Fersen, einem nahgelegenen Fichtenwäldchen zu. Während ich aber vermöge meines

geringen Umfanges mit der Leichtigkeit eines Eichhörnchens zwischen den dichtverwachsenen Stämmen durchschlüpfte, hatte der Ochs Mühe genug, seinen ungeschlachten Corpus durchzudrängen; bald hatte ich einen großen Vorsprung und ein ziemlich hoher Felsblock, den ich rasch erkletterte, schützte mich hinlänglich vor der weiteren Verfolgung meines Widersachers, der nun auch seinerseits mit zornigem Gebrüll wieder umkehrte.

Bei mir aber waren Hunger, Durst und Müdigkeit auf einmal weg. Auf einem nicht unbedeutenden Umwege, wobei ich die Sennhütte sorgfältig vermied, suchte ich meinen Pfad wieder auf und gelangte nach einer halben Stunde an das Fischerhaus am Eibsee, wo mich ein Bad im See und eine tüchtige Mahlzeit vollkommen restaurirte.

Seit jenem Tage gehe ich allen uncivilisirten Ochsen möglichst aus dem Wege.