Zedler:Quedlinburg, ein Fürstlich Frauenzimmer-Stifft


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Quedlinburg, die Haupt-Stadt

Band: 30 (1741), Spalte: 160–164. (Scan)

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Quedlinburg, Quedelingenburg, Quedlingeborch, Lat. Abbatia Quedlinburgensis, ein Fürstlich Frauenzimmer-Stifft, Lutherischer Religion, deren Aebtißin ein Stand des Reichs ist. Es liegt zwischen den Fürstenthümern Halberstadt und Anhalt. Der Glorwürdigste Kayser Heinrich I, der Vogler, hat den ersten Grund des Stiffts Quedlinburg geleget. Denn wie er ein sonderbahrer Liebhaber der Jägerey und Vogelfangs gewesen, wovon ihm auch der Beyname geblieben, hat ihm selbige Gegend am Hartze so sehr vergnüget, daß er vor andern seinen Ländern hieselbst einen bequemen Auffenthalt gesuchet, und den Sitz erwählet, auch hiernächst die Stadt mit allem Zugehör seiner Gemahlin Mechtildä zum Witthum ausgesetztet, und den 17 Septembr. im Jahr 929 übergeben.

Nachdem nun itztgedachter Kayser die Hunnen, über 40000 Mann, bey Merseburg glücklich geschlagen, und zu dessen gutem Erfolg in einem Gelübde eine Stifftung gewidmet hatte, richtete er sein Absehen vornemlich auf Quedlinburg, und machte allhier, mit Genehmhaltung seiner Gemahlin, den Anfang zu einem Kirch- und Kloster-Bau, Gott und dem heiligen Servatius zu Ehren, welchen, nach seinem bald darauf erfolgten Absterben, die Gemahlin Mechtildis fortgesetzet, dessen Sohn aber und Nachfolger am Reich, Otto I, vollführet, das Stifft den 10 Septembr. im Jahr 937. mit herrlichen Gütern und Freyheiten begabet, und seine Frau Schwester Mechtildem als erste Aebtißin damit beliehen, gestalt selbige Schenckung Pabst Agapetus der II und andere mehr bekräfftiget, das Stifft von aller Bischöfflichen Gewalt ausgenommen, und dem Päbstlichen Stuhl allein unmittelbahr unterworffen.

Nach der Zeit ist das Stifft bey den alt hergebrachten und einem Reichs-Stande zukommenden hohen Gerechtsamen durch Kayserliche Hulde jedes mahl erhalten und beschützet; wie denn Otto der I selbst dem regierenden Kayser seines Geschlechts das Schutz-Recht vorbehalten, mit dem Beyfügen, daß dafern etwan ein Kayser aus einem andern Hause erwählet würde, dennoch der Mächtigste in seiner Familie Erb-Vogt bliebe.

Wem aber, solcher Verordnung gemäß, nach Abgang diesrs Duchlauchtigsten Hauses, im Anfang des XI Jahrhunderts die Schirm-Gerechtigkeit vom Stifft aufgetragen, ist nicht ausfündig gemacht. Vermuthlich mag selbige dem benachbarten Fürstlichen Hause Anhalt übergeben seyn, immassen die Marggr. von Brandenb. Ascanischen Stammes im XIII Jahrhunderte die Vogtey zur Lehn getragen, womit sie die Grafen von Reinstein, vielleicht wegen ihrer Entfernung, wieder veraffterlehnet. [161] Im XIV Jahrhundert, als der Brandenburgische Anhaltische Stamm in Churfürst Johann IV verloschen, ist Rudolph der I Churfürst zu Sachsen, auch Ascanischen Stammes, im Jahr 1320 damit beliehen worden, doch mit Bedingung, die Vogtey dem Grafen von Reinstein, als ein Affterlehn, ferner zu überlassen.

Wie aber nachgehends die Bischöffe zu Halberstadt mit denen Grafen von Reinstein in harte Streitigkeiten verfallen, und sich die alte Stadt Quedlinburg in Bischöflichen Schutz begeben hatte, masseten sich ermeldte Bischöffe der Vogtey zugleich an, welche sie endlich im Ausgang selbigen Jahrhunderts, dem Stadt-Rathe gegen 200 Marck Silbers versetztet.

Hierauf ist das Stifft vielen beschwerlichen Unruhen unterworffen gewesen, die sich am meisten im Jahr 1460 geäussert, und endlich 1477 zum öffentlichen Kriege ausgeschlagen. Allermassen die Aebtißin Hedwig, durch Beystand ihrer Herren Brüder, Churfürst Ernests und Hertzog Alberts zu Sachen, die Stadt mit Gewalt erobert, des Stadt-Raths gewohnte Widerspenstigkeit gezüchtiget, und die bisher übel gebrauchte Freyheit eingeschräncket. Wobey ebenfalls der Bischoff zu Halberstadt, durch Vermittelung Hertzog Wilhelms von Braunschweig, die vorangemaßte Vogtey der Aebtißin völlig wieder abgetreten, so sie hernach an ihren Herrn Bruder zu einem rechten Mann-Lehn hinwieder gegeben, auf welche Art nachhero dessen sämmtliche Nachfolger, auch Se. Churfürstliche Durchlauchtigkeit zu Sachsen, Friedrich August, des 21 September im Jahr 1695 vom Stiffte beliehen worden.

Ob nun wohl solcher gestalt das Schutz-Recht bey dem gesammten Hause Sachsen erblich gewesen, so haben doch Ihro Königl. Majestät in Polen und Churfürstliche Durchlauchtigkeit zu Sachsen, sothane Schirm-Gerechtigkeit, sammt der zum Fürstenthum Halberstadt, und der davon relevirenden Grafschafft Hohnstein gehörigen Reichs-Vogtey, ingleichen dem Schultzen-Amte in der Reichs-Stadt Nordhausen, an Ihro Königliche Majestät in Preussen und Churfürstliche Durchlauchtigkeit von Brandenburg, gegen Erlegung drey mal hundert tausend Reichs-Thaler, durch einen besondern Transact cediret.

Dahero dann Ihro Churfürstliche Durchlauchtigkeit durch drey Compagnien zu Fuß den 30 Jenner 1698 die Posseß nehmen lassen, gestalt auch die Tradition den 5 Mertz von Chur-Sachen, wiewohl mit beständiger Protestation der Frau Aebtißin, geschehen, überdieß die Huldigung am 8 Septembr. eingenommen, und endlich am 14 Octobr. die Accise einseitig eingeführet, wowider das Stifft und sämmtliche hohe Interessenten dißfalls bey Ihro Kayserlichen Majestät Klage erhoben. Die Brandenburgischen Scribenten behaupten sonsten, daß ihrem Herrn das Jus Advocatiae schon vorher zugestanden.

Von der Schutz-Gerechtigkeit aber dependiren noch viele andere Jura, vornemlich die hohen Gerichte; die Nieder- oder Erb-Gerichte in der Stadt seyn der Aebtißin zuständig. Sonst hat auch vor Alters die Aebtißin ihre gewisse Erb-Beamten gehabt, wie unter andern [162] aus denen Documenten der Aebtißin Osterlindis im Jahr 1230 und Gertrudis im Jahr 1241 zu ersehen, worinn eines Hermanns, als Erb-Truchses, Diderici, als Erb-Schencken, Bernhards, als Marschallen, und Ottens, als Erb-Cämmerers, gedacht wird. Ingleichen ist die Stadt in dem Hanseatischen Bunde mit begriffen gewesen.

Das Capitul bestehet aus vier hohen Standes Personen, als der Frau Aebtißin, Pröbstin, Decanißin und Canonißin, und können nur wenigstens Freyherrliche, oder von unmittelbarem Reichs-Ritter-Stande zu solchen Würden gelangen. Der Lehn-Hof des Stiffts ist sehr ansehnlich, sintemalen Chur-Brandenburg, das Chur- und Fürstliche Haus Braunschweig-Lüneburg, das Fürstliche Haus Anhalt, unterschiedliches vom Stifft zu Lehn tragen, dergleichen hohe Investitur kein ander Fräulein Stifft zu verrichten hat. Keine Aebtißin kan ohne des Erb-Schutz-Herrn Vorwissen und Bewilligung erwählet werden, und muß die Confirmation nicht vom Pabst, sondern vom Kayser, der weltlichen Regalien halber erhohlet werden.

Das Stifft gehöret zum Ober-Sächsischen-Krayse, und hat auf Reichs-Tägen den Sitz auf der Rheinischen Prälaten-Banck. Das Stifft Quedlinburg hat: 1) die Stadt Quedlinburg, nebst den Dörffern Ditfurt und Suderode, deren letzteres aber, ungeachtet dem Stiffte von undencklichen Jahren her die Jurisdictio Territorialis und Episcopalis darüber zugestanden, erst von des Amts Stecklenburg Pfand-Inhaber, dem Obrist-Wachtmeister von Waldeck von Arneburg im Jahr 1677 und nach dessen Tode von der Chur-Brandenburgischen Regierung zu Halberstadt angefochten, und gar mit Gewalt entzogen, weßwegen denn von Ihro Kayserlichen Majestät Mandata Poenalia ergangen; doch stehet man von Stiffts-Seiten in Hoffnung, solchen Streit durch gütlichen Vergleich hinzulegen, und die habende uralte Gerechtsame beyzubehalten.

2) Die Confirmation der Aebte des Klosters Michelstein in der Grafschafft Blanckenburg, welches die Aebtißin, Beatrix II, Kaysers Friedrichs Barbarossa Tochter, in der Mitte des XII Jahrhunderts gestifftet, und allein dem Stuhl zu Rom, und dem Stiffte Quedlinburg unterworffen gewesen, wofür der Abt dem Stiffte einen Dienst-Wagen mit 4 Pferden, nebst jährlicher Entrichtung 30 Gülden, halten müssen, so aber die Aebtißin Anna II, Gräfin von Stollberg, in dem Vergleich vom Jahr 1566 mit Ernest und Caspar Ulrichen, Gebrüdern, Grafen von Reinstein und Blanckenburg, Aebten zu Michelstein, in 90 Reichs-Thaler verändert. Und wie nach Absterben des letztern Grafen von Reinstein und Blanckenburg, auch confirmirten Abts Johann Ernests im Jahr 1599 die Grafschafft Blanckenburg, an das Durchlauchtige Haus Braunschweig-Lüneburg und zwar Hertzog Henrich Julium, postulirten Bischoff zu Halberstadt, verfallen, ist selbem, vermöge des Recesses vom 21 May des Jahrs 1597, auch die Succeßion der Abteylichen Würde nebst dem Jure patronatus und praesentandi beygeleget worden. Da sie denn zugleich sich anheischig gemacht, jährlich 100 [163] Reichs-Thaler abzutragen, und solche aus dem Hofe Winningen, welchen Fürst Otto von Anhalt mit aller Gerechtigkeit im Jahr 1282 dem Kloster geschencket, zu reichen angewiesen.

Als aber im Jahr 1623 von dem damaligen Abte des Klosters Michelstein, Hertzog Christian von Braunschweig, auch Bischoffen zu Halberstadt, zwar mit Genehmhaltung der Aebtißin zu Quedlinburg, Hertzogin Dorotheen Sophien zu Sachsen, und Hertzog Friedrich Ulrichs zu Braunschweig, gemeldter Hof Winningen, an Fürst Ludovicum zu Anhalt, für 36000 Reichs-Thaler versetzet, nachmals an den General Graf Königsmarck, und von diesem an den Landgrafen von Hessen-Homburg Pfand-Weise gebracht, ist die jährliche Zahlung sothaner Summe meist ins Stecken gerathen, weßwegen denn bey der Fürstlichen Halberstädtischen Regierung Klage erhoben, und dem Herrn Landgrafen allbereit durch ergangenen Rechtsspruch vom 30 May 1695 die Abführung solches gebührenden Canonis auferleget worden.

Das Wappen der Aebtißin zu Quedlinburg sind 2 silberne (im Andreas-Creutz übereinander gelegte) Credentz-Messer, mit güldenen Griffen, im rothen Felde. Die Religion ist Evangelisch-Lutherisch, welche die Aebtißin Anna II, Graf Bothonis von Stollberg Tochter, im Jahr 1539 öffentlich eingeführet. Die Residentz ist das Stifft-Hauß Quedlinburg, woselbst auch der Stiffter, Kayser Heinrich I, der Vogler, im Jahr 936 begraben.

Die ietzige Aebtißin zu Quedlinburg ist Marie Elisabeth, Printzeßin aus dem Hertzoglichen Hollstein Gottorpischen Hause, gebohren den 21 Mertz 1678, wird erwählt den 15 October 1708, vom Kayser Joseph im Jahr 1710 und von Carl VI im Jahr 1714 confirmiret, von Preussen 1717 agnosciret, und sodann 1718 den 27 Jun. zur Posseßion admittiret, nachdem vorher eine zehenjährige Vacantz und grosse Streitigkeit wegen der neuen Wahl in diesem Stiffte gewesen war, womit es sich also verhielte: Die vorige Aebtißin Anne Dorothee, Printzeßin zu Sachsen-Weimar, welche am 23 Jun. 1704 verstarb, ernennete noch bey ihren Lebzeiten die Gräfin Marie Aurora von Königsmarck zu Coadjutorin, darein aber die Decanißin und Canonißin nie consentiret, dahero sie endlich zur Pröbstin erwählet worden.

In der Aebtißin letzten Kranckheit ernannte selbige, mit der zwey Capitularin Consens, die Sachsen-Weissenfelsische Printzeßin Magdalena Sybille, zur Coadjutorin: allein der König in Preussen declarirte, daß es der Erb-Vogtey zu nahe wäre, daß man ihm eine neue Aebtißin aufdringen wolte. Hingegen erklärte sich Preussen, daß man der Sachsen-Meinungischen Printzeßin Elisabeth Ernestine nicht wolte zuwider seyn. Und eben dieselbe ward auch vom Römischen Kayser, auf vorgängige Recommendation u. erste Bitte der Königin von Spanien darzu ernennet. Es wolte aber das Capitul die freye Wahl gerne behaupten, u. erwählte also die Decanißin u. Canonißin, zwey Schwestern aus dem Hoch-Gräflichen Hause Schwartzburg, im Jahr 1708 den 15 October die Hollstein-Gottorfische Printzeßin Marie Elisabeth, des heutigen Bischoffs zu Lübeck Herrn Vaters [164] Schwester; da hingegen die Pröbstin, Gräfin von Königsmarck, ihre Stimme der Sachsen-Meinungischen Printzeßin gegeben hatte. Es haben aber weyland Se. Kayserl. Majestät die Wahl der Decanißin und Canonißin caßiret, mit dem Befehl an das Capitul, daß alles bis auf weitere Verordnung in statu quo solte gelassen werden. Endlich ist ermeldete Hollsteinische Printzeßin am 15 December 1710 vom Kayser, ungeachtet alles Einwendens des Königlichen Preußischen Residentens zu Wien, bestätiget, und derselben 1718 gehuldiget worden.

Von dem Stiffte Quedlinburg handeln folgende Schrifften: 1) Kayserliche Belehnung, Gnaden-Verschreibungen und Protectoria, welche dem uralten Kayserlichen freyen weltlichen Stifft Quedlinburg ertheilet worden, samt Recessen und Verträgen, zwischen dem Chur- und Fürstlichen Hause Sachsen und dem Stiffte errichtet, und andere Miscellanea, Quedlinburg 1694 in 4.

2) Rechtliche Deduction, worinnen aus alten und neuen Kayserlichen Belehnungen, Privilegien und Donationen, auch Päbstlichen Confirmationen vorgestellet wird, daß eine jegliche Aebtißin des uralten Kayserlichen freyen Weltlichen Stiffts Quedlinburg von Zeit der Fundation bis hieher, ein immediater Reichs-Stand gewesen, und die Jura Territorii & Superioritatis iederzeit gehabt, und noch exercirt. 1696 in 4.

3) Acten-mäßige species facti cum responso JCtorum Halensium, woraus erscheinlich, was vor eine entsetzliche und detestable, auch von verpflichteten Unterthanen kaum gehörte Action, einige Quedlinburgische Rath-Glieder, wider Dero hohe Landes-Obrigkeit, nemlich der Frauen Aebtißin Hochfürstlichen Durchlauchtigkeit ausgeübet. Ingleichen 2 Responsa JCtorum Helmstadiensium einige Stiffts-Angelegenheiten betreffende und wie man mit gnädigster Herrschafft verfahren. 1698 in 4.

4) Joh. Christoph Olearii erneuertes Denckmahl einer uralten Aebtißin zu Quedlinburg, Agnesä, Conrads des Grossen, Marggrafens zu Meissen, Tochter, durch Veranlassung etlicher Bracteatorum oder alten holen Müntzen etc. Jen. 1699. in fol.

5) Prodromus Actorum Publicorum Saxo-Brandenburgicorum. Item Compendium Actorum Publicorum Quedlinburgensium. 1699. in 4. 1704.

6) An Ihro Römische Kayserliche Majestät allerunterthänigste fernere Anzeige, und exceptiones nullitatis etc. Anwalds Seiner Churfürstlichen Durchlauchtigkeit zu Brandenburg, contra der Frau Aebtißin zu Quedlinburg Durchlauchtigkeit pro cassatione Mandati inhibitorii & restitutorii S. C. mit Beylagen 1700 in fol.

7) Staats-Cantzeley, Tom. IV. c. VIII. Tom. XIII. c. XIV.

8) Zschackwitzens Rechts-Ansprüche derer gekrönten hohen Häupter, I Th. p. 281 u. ff.

9) Chron. Sax. MSC. Autor Vitae Mathildis ap. Leibn. p. 196. Mader. in antiqu. Brunsv. p. 102. Kettner. in dissert. de prima Abbat. Quedlinb. p. 4. sq. Mabillon. conf. Gundling de Henr. Aucup. §. 34. lit. h. p. 250. Ruelii & Hartmanni Concil. illustr. T. IV. p. 326. Müllers Annales Saconic.