Zedler:A und O
A und O, (Α, Ω) ist ein Sprichwort, welches aus dem Griechischen Alphabet entsprungen, und bedeutet α, Alpha den Anfang, ω, Omega das Ende. Christus nennet sich Gleichnißweise das α und ω, Apoc. 1,8.11. c. 21,6 c. 22,13. anzudeuten, daß er sey der erste, weil niemand vor ihm gewesen, und der letzte, weil niemand nach ihm seyn würde. Ambrosius Hexaem. I, c. 3. Christus ist also der Anfang ohne Anfang: gleichwie das α der erste Buchstabe ist, und vor demselben kein anderer vorhergehet; so ist und kan auch vor Christo kein anderer GOtt und GOttes Sohn seyn, als welcher mit dem Vater und Sohn von Ewigkeit gewesen, und in Ewigkeit seyn wird ein einiger GOtt.
Clemens Alexandrinus Libr. IV. Stromat. saget: Betrachtet man dieses Sprichwort α und ω in der Ordnung, wie nemlich die Buchstaben auf einander folgen, so wird in Auf- oder Herabsteigen dieses Alphabets derjenige Buchstabe, welcher scheinet der letzte zu seyn, iederzeit der erste seyn: e. g. fänget man von dem Ω, als dem letzten [6] Buchstaben im Alphabet an, u. gehet zurück bis auf das Α; so wird alsdenn das Ω der erste, und das Α der letzte: fange ich aber von dem Α an, so wird Α alsdenn auch zum Anfangs-Buchstaben werden: betrachtet man also diese beyden Buchstaben α und ω als die ersten von dem Alphabet, so wird man befinden, daß keine andern vor demselben vorher gehen, und man also deutlich (man mag von oben herunter, oder von unten zurück gehen) einen Anfang ohne Anfang wahrnehmen können; schliesset dannenhero, daß Christus ohne Anfang und Ende ein ewiges und unermeßliches Wesen sey.
P. Andr. Schottus meinet, daß α und ω so viel als ewig heisse. Epiphan. in Anchorato Origen. Tractat. I. in 5. Joh. Pier. in Hieroglyph. L. XLII, c. 34. So heisset auch Christus mit Recht der Anfang aller erschaffenen Creaturen, der Schöpffer, Ursprung, und Ursache aller Dinge. Er hat alles erschaffen, Es. 41,4. c. 43,10. c. 44,6. c. 48,12. Ps. 104,29.30. Er nennet sich selbst den Anfang der Creatur GOttes, Apoc. 3,14. Joh. 1,12. Col. 1,15.17. Christus ist das α und ω, das vollkommenste Wesen, ein Zusammenhang und Begriff aller Vollkommenheiten; gleichwie das α und ω in der Ordnung des Griechischen Alphabets alle übrigen Buchstaben in sich begreiffen. Christus ist ferner, in so ferne wir Ihn als die Mittels-Person und unsern Erlöser betrachten, das α und ω. Denn ausser, vor und nach Ihm ist kein anderer Christus, Erlöser und Seligmacher: gleichwie in diesem Alphabet vor dem α und nach dem ω kein ander Buchstabe mehr zu erblicken.
Dieses Gleichniß, dessen sich der HErr Christus selbst bedienet, ist zu mercken wider die Pseudo-Christos, die sich in denen ersten Seculis hervor gethan; desgleichen wider der Schwärm-Geister ihren eingebildeten und blossen imaginativischen Christum. Denn Christus, der wahre Meßias, ist eintzig und allein der Anfänger und Vollender unsers Glaubens, Ebr. 12,2: und ist in keinem andern Heyl, ist auch kein anderer Nahme den Menschen gegeben, darinnen wir sollen seelig werden, Act. 4,12. Er ist das Α, das ist: Anfang, Brunnquell, Ursprung; und das Ω, das ist: der Zweck und Ziel aller menschlichen Glückseeligkeit, Heil und Lebens; In welcher Absicht auch die Medici bey denen Recept-Formuln sich dieser Buchstaben zur Uberschrifft statt eines guten Wunsches offt bedienen.
Christus ist endlich auch das Α und Ω der Heiligen Schrifft. Denn von Christo wird der Anfang der Heiligen Schrifft gemacht, und mit demselben endiget sich dieselbe. Moses machet mit Christo Gen. 1,3. c. 3,15. den Anfang, und Malachias beschliest mit demselben, Malach. 4,2.5.6. Im Neuen Testament fängt Matthäus mit Christo an, und Johannes in der Offenbahrung endiget mit demselben. Er ist also der Anfang, Grund und Eckstein dieses geistlichen Baues, nemlich der heiligen Schrifft. Er ist das Wort des Vaters, welches uns den Rath GOttes verkündiget, Matth. 11,21. Luc. 10,22. c. 16,13 seqq. Und dieses ist die Ursache, warum viele in den alten Zeiten diese Buchstaben vor Geheimniß-volle Kennzeichen gehalten.
Es ist hierinnen hauptsächlich Colarbasius, so um die Mitte des andern Jahr-hundert nach Christi Geburt gelebet, bekannt. Sintemahl Epiphanius haeres. 35. Augustinus ad quod vult Deum de haeres. und Colarbas. von ihm melden, daß er dieses Sprichwort Α und Ω sehr gemißbrauchet und aus selbigen per anagramma viele ungereimte und gefährliche Lehr-Sätze gezogen; sich dessen auch zur Beschönigung seiner eiteln Meinungen, gleich als eines Deckmantels (weil es [7] Christus selbst im Munde geführet) seiner Boßheit auf eine unverschämte Art bedienet.
Besser haben es gemacht die Väter der ersten Kirche, welche diese beyden Buchstaben Α und Ω in ihre Leichen-Steine graben lassen. Tertullianus de Monogam. c. V berichtet von denen recht-gläubigen Spaniern, daß sie, da unter denen Gothischen Königen die Arianer sehr überhand genommen, sich dieser Worte Α und Ω zur Grabschrifft bedienet, vermuthlich zum Kennzeichen, daß sie auf ihren Erlöser Christum, als den Anfänger und Vollender ihrer Seligkeit, verschieden. Und so Misandern in Bibl. Ergötzligk. N. T. A. 1699. p. 1127. zu trauen, so sind noch jetzo zu Rom alte Grabmahle übrig, auf welchen diese beyde Buchstaben, in der Mitten ein Creutz habende, befindlich, nemlich α + ω, und in des Mabillon und Ruinart Ouvrages posthumes Tom. I, p. 253.281. ist eine Inscription anzutreffen, welche diese beyden Buchstaben mit dem Monogrammate Christi und zweyen Tauben vorstellet: wie auch auf Müntzen beym Harduin Opp. p. 487, a.
Die Rabbinen werffen auch eine Frage auf, wie es denn käme, daß er der erste Buchstabe in der H. Schrifft ein ב und nicht ein א sey. Einige vermeinen es errathen zu haben, wenn sie vorgeben, das Wort ארור maledictio, der Fluch, fange sich von einem א an, und also hätte lieber Moses mit dem ב den Anfang gemacht, weil ihnen ein Wort ברכה eingefallen, welches den Seegen bedeutet, und sich also Moses, nach ihrer Einbildung, des Seegens-Buchstabens, des ב, den Anfang damit zu machen, nicht ohne Ursache bedienet.