Zürcher Diskußjonen/Zürcher Diskußjonen No. 16–17
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[1] No. 16–17. [Zweiter Jahrgang.] 1899.
Nachdruk verboten.
Wie weit sind wir heute von der barbarisch-grobsinlichen Kampfesweise entfernt, mit der Heine seiner Zeit Platen in Grund und Boden wetterte, und welche Fortschritte haben wir inzwischen in der Abschäzung feiner künstlerischer und sitlicher Nüanßen gemacht. Ein Angriff, selbst in der zündend-wizigen Form eines Heine, den heute ein Künstler, oder Schriftsteller, oder irgend ein Polemiker gegen seinen ästetischen oder wißenschaftlichen Gegner unter der Devise „du bist ein Päderast, du bist ein Homosexualer, du bist Sexual-Perverser, du bist ein warmer Bruder!“, oder wie alle diese schönen und unschönen sexualen Fluchwörter heißen mögen, unternehmen wolte, würde höchstens beim Gallerie- oder Parterr-Publikum künstlerischen Empfangens eine Lache, beim Parkett- und Loschenpublikum aber eine entschiedene Remonstrazjon finden in dem Sinne: Greife Du Deinen Gegner auf künstlerischem, sachlichen, öffentlichen Gebiet, auf dem Gebiet seiner profeßjonellen Leistung, an, aber nicht auf Grund seiner homosexuellen Liebhabereien und Neigungen, die bei ihm ebenso das Resultat seiner Gesamt-Organisazjon sind, wie Deine hetero-sexuale Neigung die Folge Deiner inneren Anlage. Der Schluß: du bist ein Päderast, ergo sind deine Verse schlecht! fält heute platt zu Boden. Wir brauchen heute nur Namen wie Oskar Wilde, Paul Verlaine, Frank Wedekind, Max Dauthendey, George Rodenbach, die alle teils rein homosexuale Tipen, teils sujets mixtes, darstellen, zu nennen, und uns der eigentümlichen zart-filigranartigen Nüanße zu erinnern, die sie in die Literatur gebracht haben, Nüanßen, die wie Orchideen mit ihren schwebenden, wie aus Tau gebauten Kelchen in die mehr wurzelstämmigen Rosen und Schwertliljen des bekanten Kulturgartens hineinhängen, um zu verstehen, daß es sich hier nicht nur um patologische Leibes- und Geisteszustände, sondern auch um Neuschöpfungen auf ästetischem und seelischem Gebiet handelt. Und was wollen hier schließlich ein par beliebig herausgegriffene Namen sagen: die ganze literarische Schule der in den „Blättern für die Kunst“ zu Wort gekommenen literarisch-simbolistischen Richtung mit ihrer gläsernen, kristallharten Sprache, ihren fisch-artigen Empfindungen und ihrer aalglatten, seelischen Unberührtheit, deren Hauptvertreter in Wien wohnen, ruht auf einer unsinlichen, dem Verkehr mit dem Weib abgewanten, fast abstrakt-ästetischen Basis, und hat wol gerade dadurch einen großen Einfluß in unserem heutigen Kunstleben gewonnen.
[2] Gewiß, das große, unbarmherzige Gesez unserer menschlichen Ordnung und Fortpflanzung, und der direkt von ihr abhängigen Geistesrichtung und Seelenstimmung, ist das der Hetero-Nomität auf geschlechtlichem Gebiet, das der in sexuellen und geistigen Gegensäzen sich aussprechenden menschlichen Anlage, aber dies ist biologisch betrachtet nur eine Zufallsstufe, wenn auch eine in der Entwiklung sehr hochstehende Stufe, – die Natur leistet alle übrigen Spielarten und Fortpflanzungs-Möglichkeiten, alle übrigen Mischungen und Verbindungsmöglichkeiten. Bienen und Wespen und viele andere Gattungen aus der niederen Tierwelt pflanzen sich nicht nur in zweigeschlechtlichem, sondern auch in eingeschlechtlichem Tipus fort, andere haben den zwei-geschlechtlichen Aparat als Zwitter in einem einzigen Individuum vereinigt, und wenn auch die hohe Stufe des in entgegengesezten Geschlechtern auseinandergetretenen Menschentipus, auf dem unsere ganze Kultur beruht, offen und klar zu Tage liegt, warum sollen sich nicht unter den Menschen ähnlich wie unter den Bienen gewisse Tipen absondern, die sich, wie die Arbeits-Biene, geschlechtlich gar nicht beteiligen, nur Honig und Waben bauen, nur Geist und Aestetik konstruiren, und dann nach vollbrachter Lebensaufgabe friedlich, reinlich und ehrbar sterben? Was sind denn beispielsweise unsere großen Filosofen und Dichter wie Nietzsche und Kant, die sich dem Geschlechtsgenuß, wie Schopenhauer und Goethe, die sich wenigstens der Ehe, entzogen, Anderes, als Arbeits-Bienen, die die Fortpflanzung und Erhaltung der Menschenraße anderen, grobsinlicheren Individuen überlaßend, nur geistig produzirten, und die Unsterblichkeit im Reiche der Ideen, der Unsterblichkeit im Reiche der Leiber vorzogen? Solte es nicht auch auf rein künstlerischem, rein ästetischem Gebiet solche Arbeits-Bienen geben, die, wie Queen Mab und Oberon aus spinnwebartigem Geistesstoff gebaut, ihren Geschlechts-Aparat mehrweniger neglischiren, oder nach ihrer launischen, seltsamen Art verwenden, jedenfalls ihn nicht mit dem gegensätzlichen Pol eines anderen Individuums zur Erzeugung von Nachkommenschaft verwenden, dafür nun aber rein geistig, rein nach dem Schönheitsbegriff, oder doch rein ästetisch erzeugen, nur Honig und kunstvolle Waben ihren Mitmenschen darbieten? Und soll man diese sensiblen, hoch-geistig veranlagten, wie Zitter-Aale organisirten Individuen um dieses in ihnen unabänderlich wirkenden Gesezes halber ihren roheren Brüdern zur Knebelung und Beschimpfung übergeben und hinter Gefängnismauern verschmachten laßen?
Sehen wir zu, wie die Erkentnis und Beurteilung dieser seltsamen Menschenspezjes sich im Laufe dieses Jahrhunderts bei uns im Abendlande Bahn gebrochen hat. Noch die constitutio criminalis Theresiana vom Jahr 1769 bestimt, daß „ein Knabenschänder, oder aber, da sonst ein Mensch mit dem anderen sodomitische Sünd getrieben hätte, der soll anfangs enthauptet, und nachfolgends deßen Körper samt dem Kopfe verbrennet werden.“[1] Natürlich steht der berüchtigte und allerchristlichste Sächsische Rechtslehrer Benedikt Carpzov noch auf demselben Standpunkt, obwol er weiß, daß „dieses Verbrechen durch ganz Italien weltbekant ist, und daß der Erzbischof von Benevent und päpstliche Legat Giovanni della Casa es durch seine Dichtungen auch noch verherlicht hat.“[2] Er meint, daß es ein zum Himmel schreiendes Verbrechen sei – foedam malignitatem in coelum usque clamare – welches dem christlichen Glauben einen nimmer zu tilgenden Schandfleck einbrenne – fidei Christianae maculam fere non extinguendam inurit – und dasselbe sonach jedenfalls mit Köpfen zu bestrafen sei.[3] Es ist bemerkenswert, daß, je älter und reifer eine Kultur wird, um so milder die Anschauungen über die Kriminabilität dieser erotischen Neigung sind. In England und Amerika wurde Päderastie noch bis in die jüngsten Zeiten mit dem Tote bedroht und bestraft. Das preußische Strafgesez der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, also etwa gleichzeitig mit der constitutio criminalis Theresiana, bestimt nur „langjährige Zuchthausstrafe und ewige Verbannung“ (Casper’s Handbuch der gerichtl. Medizin, bearb. v. Liman, 6. Aufl., Berlin 1876, S. 181). Mit Zuchthausstrafe begnügten sich dann die meisten abendländischen Gesezbücher in diesem Jahrhundert, so auch [3] das Baierische v. J. 1861 (Artikel 214). Das österreichische hatte sich im Jahre 1852 ebenfalls mit 1–5 Jahren schweren Kerkers zufrieden gegeben, eine im Strafgesezentwurf von Ende der siebziger Jahre versuchte Milderung aber zu Gefängnis abgelehnt (Krafft-Ebing, R. von, Lehrbuch der gerichtl. Psychopathologie. 2. Aufl. Stuttgart 1881. S. 236). Der norddeutsche Bundesstrafgesez-Entwurf v. J. 1869 hatte sogar jede strafrechtliche Bestimmung fallen gelassen. Das heutige deutsche, ungarische und schweizerische Gesezbuch bestimt im Allgemeinen nur Gefängnisstrafe, kann also bis auf einen Tag heruntergehen. Eine Petizjon an den deutschen Reichstag um gänzliche Aufhebung jeder strafgesezlichen Bestimmung, an deren Spize der Name des bekanten Kriminalisten Franz von Liszt steht, ist im Gange. Die heutigen Gesezbücher von Italjen, Frankreich und Belgien kennen eine Strafbestimmung gegen Päderastie nicht mehr.[4]
Eine ganz andere Richtung gewinnen wir, wenn wir die ästetisch-psichologische Würdigung verfolgen, welche diese seltsamen Naturen in unserem Jahrhundert gefunden haben. Es ist höchst auffallend, daß die Berührung mit Italjen und mit der italjenischen Renäßanße, wie wir sie schon oben bei Carpzov konstatiren konten, die Kentnis der orjentalischen Sitten und Gebräuche, die Verknüpfung mit der Antike durch die klaßischen Studien, die Beschäftigung mit Sokrates und den anderen griechischen Dichtern und Filosofen, die der „Knabenliebe“, ebenso wie der „Phrynenliebe“, eine pädagogische, übersinliche, rein-geistige Seite abgewannen, die Uebersezungen Anakreontischer Lieder, ja selbst Goethe’s gelegentliche, diesbezügliche Wendungen in den „Venezjanischen Epigrammen“, weder bei den Gebildeten überhaupt, noch bei den Juristen im Spezjellen die geringste Aenderung ihrer Anschauungen zu bewirken im Stande waren. Es mußte Einer jener ganz Kühnen kommen, der unter Preisgebung jeder gesellschaftlichen Stellung, aller Achtung bei seinen juristischen Kollegen, unter Brüskirung von seit Jahrhunderten überlieferten, festgewurzelten Anschauungen – „deßen, was Miljonen heilig ist“, wie heute der technische Ausdruk lautet – die sechsfache Mauer umwarf, die das „schauerliche Geheimnis“, wie es noch in Casper’s „Gerichtlicher Medizin“ heißt, umgab, und vor aller Welt offen, vernünftig und frei redete. Dieser Mann war der Hannoversche Amtsaßeßor Karl Heinrich Ulrichs, der seit 1864 eine große Reihe populär gehaltener Schriften über den Gegenstand herausgab, die großes Aufsehen erregten und zum großen Teil konfiszirt wurden. Er führte den Namen „mann-mänliche Liebe“ ein, wodurch er den ganzen Gegenstand über die rein karnalen Beziehungen hinaushob, und nante die betreffenden Menschen, wol in Anlehnung an F. von Ramdohr’s Buch „Venus Urania“, „Urninge.“ Die zwölf Schriften, die Ulrichs über dieses Tema veröffentlichte, sind heute noch weitaus das Beste, rein-menschlich Liebenswürdigste und wißenschaftlich Tüchtigste, was über den Gegenstand je geschrieben wurde.[5] Ulrichs erklärte gleich von Beginn der ersten Schrift mit offenem Freimut, daß er selbst Urning sei, und schon der ganze Stil mutet als etwas Eigenes, Neues und Ungewohntes an. Richtig ist, daß schon vor Ulrichs einzelne Aerzte wie Casper (Vierteljahresschrift für gerichtliche Medizin, I, 1. Berlin 1852), Tardieu (Annales d’Hygiène, Vol. IX, Paris 1858), und gelegentlich auch filosofische und schönwißenschaftliche [4] Autoren, wie der englische Romanschriftsteller Tobias Smolett (in seinem „Roderick Random“ 1748)[WS 2], von Ramdohr (Venus Urania, über die Natur der Liebe, 3 Teile, Leipzig 1798–99), Heinse (in der Vorrede zu „Begebenheiten des Encolp“, Rom 1773), Hösli [WS 3] (Eros, 2 Bde. Glarus 1836–38), Schopenhauer (Parerga und Paralipomena, Berlin 1851) auf die Knabenliebe zu sprechen kommen, und ihre tiefere, zwangsmäßige Fundirung im menschlichen Organismus ahnen. Im Uebrigen stellen sich aber alle diese Forscher noch durchaus negativ zu dem Gegenstand. Es ist daher ganz unrichtig, wenn Krafft-Ebing in seinem Vorwort zu Moll, „Die konträre Sexualempfindung“, Berlin 1891, sagt: „Der medizinischen Forschung gebührt hier das Verdienst, aufklärend gewirkt und der Wahrheit, dem Recht und der Humanität zum Sieg verholfen zu haben“ (Seite V). Im Jahre 1864, als in England und Amerika noch Totesstrafe auf päderastischen Umgang stand, hatte sich noch kein Arzt für das natürliche Vorkommen dieser Spielart ausgesprochen. Casper ist über die Erkentnis, daß es sich um eine angeborene krankhafte Anomalie handle, nicht hinausgekommen. Sein von Liman bearbeitetes „Handbuch der gerichtlichen Medizin“ nent die Knabenliebe noch in der 6. Auflage vom Jahr 1876 ein „Laster“, ein „schauerliches Geheimnis“, ein „Verbrechen“, einen „traurigen Vorzug der Menschenspezies“ (Seite 180–182). Sehr viel beßer ist das nicht, als Carpzovius. Daß in Deutschland wenigstens die übergroße Mehrzahl der Forscher auf Ulrichs ruhen, zeigt der Umstand, daß dieselben sich die Ansichten Ulrichs bis auf deßen Nomenklatur angeeignet haben. Dagegen verdanken wir allerdings Krafft-Ebing selbst ein nicht hoch genug zu schäzendes Werk über die hier in Rede stehende Materje, seine „Psichopatia sexualis“, aber erst im Jahre 1886. Und hier, wo die psychologisch-ästhetische Würdigung dieser Menschenspezies für uns im Vordergrunde steht, muß insonderheit der überausgroße Wert hervorgehoben werden, den die Selbst-Biografieen von Urningen, die seinem Buche beigegeben sind, für die seelische Erkentnis dieser intereßanten Zwittergeschöpfe besizen. Hier zeigte sich zum erstenmale auf Grund von in lauterster Ehrlichkeit abgegebenen Selbst-Bekentnißen, daß die Urninge eine überaus feinfühlige, zartbeanlagte, Schmetterling-gleiche, in der übergroßen Zahl der Fälle vor jedem grobsinlichen, karnalen Verkehr zurükschrekende, mit äußeren Simbolen sich begnügende, für Alles Rein-Gefühlsmäßige, für Musik, Poesie, Kunst, ästetische und filosofische Fragen eminent begeisterte und sehr oft begabte Menschenklaße darstellen, – eine Menschenart, deren Empfindungsleben vom Weib vielleicht geahnt, vom normalen, heterosexualen, brutal-sinlichen Mann kaum verstanden werden kann – wobei sich nun ganz neue Beziehungen des Urningtums für das Kunstleben ergaben, in der Richtung, daß der Urning, weit entfernt nach dieser Richtung als minderwertig, eher als prädestinatorisch begabt angesehen werden mußte, und nun weiterhin von hier aus ganz neue Perspektiven für die Betrachtung der griechischen Kunst, der gesamten antiken Kultur, sich ergaben.
Versuchen wir auf dem Hintergrund dieser spärlichen fisjologischen und filosofisch-ästetischen Bemerkungen den literarischen Streit Heine’s und Platen’s, in dem sich zwei markante Tipen dieser grundverschiedenen Gefühlsweise gegenübertraten und sich das Gesicht zerkrazten, auf’s Neue zu beleuchten, sozusagen von unserem heutigen Standpunkt eines beßeren Verständnißes des Urningtums zu revidiren. Dabei komt nun vor Allem in Betracht, daß der Urning, entsprechend seiner heimlichen, feinfühligen, verschloßenen Natur überhaupt kein Polemiker ist, Platen also schon von Haus aus mit zu geringen Kräften sich in den Kampf einließ, während der sinlich-strozende Heine natürlich mit dem dem heterosexualen Tipus angeborenen Elan sich auf den Gegner stürzte. Aber wenn nur Platen, abgesehen von seiner mangelnden Begabung für gewalttätige, höhnische und satirische Kampfmittel, wenigstens auf seinem eigenen Gebiet, dem Gebiet seines serjösen, dichterischen Schaffens, als klaßischer Dichter, auf eine große Leistung hätte hinweisen können, etwa so wie Goethe, dann konte ihn der frivol-agreßive, vor keiner Konsequenz zurükschrekende, auf seine erotische Vollkraft pochende Gegner noch immer nicht aus dem Sattel heben. Aber Platen konte eben auf keine große Leistung hinweisen. Er gehörte zu jenen achtungswerten, mäßig-begabten Dichtern, die der Welt wenig zu sagen haben und dieses Wenig durch eine möglichst korekte, tadelfreie Form zu verdeken suchen, die von Literarhistorikern in Schuz genommen, und deren Auflagen von Schul-Rektoren, Preis-Richtern und Konfirmazjonsgeschenk-Verteilern in die Hand genommen werden müßen, mit einem Wort zu jenen Dichtern, die das Publikum „langweilig“ nent. In allen diesen Punkten war Heine das gerade Gegenteil. [5] Wie kamen nun die beiden Hern aneinander?
Der nächste Anlaß waren einige unwichtige Xenjen des Dichters Immermann, welche Heine 1827 im II. Bande der „Reisebilder“ aufnahm. Die stärkste dieser Immermann’schen Xenjen, welche den über alle Maasen eitlen Dichtergrafen in hellste Wut versezte, lautete:
Von den Früchten, die sie aus dem Gartenhain von Schiras stehlen,
essen sie zu viel, die Armen, und vomiren dann Ghaselen.
Platen hatte kurz zuvor zwei Hefte „Ghaselen“ (Erlangen 1821 und 1824) und einen „Spiegel des Hafis“ (Erlangen 1822) veröffentlicht. Die Strofe mußte sich also wesentlich auf ihn beziehen. Auch die andere Xenje:
„Ganz bewältigt er die Sprache;“ ja, es ist, sich tot zu lachen,
seht nur, was für tolle Sprünge läßet er die Armen machen!
mußte Platen, der sich auf die Formvollendung seiner Dichterwerke, als deren wesentliches Element, nicht wenig einbildete, auf sich gemünzt halten. Am 18. Februar 1828 schrieb er seinem Freunde, dem Grafen Friedrich Fugger, der ihm Heine’s Buch mit den Immermann’schen Xenjen zugesant hatte, nach München: „Daß die Epigramme auf mich und Rückert gehen, unterliegt keinem Zweifel. Was den Juden Heine betrifft, so wünsche ich wol, daß meine Münchener Freunde (denn er ist in München) ihn gelegentlich mystifizirten, und ihn zur Rede stellten, was ihn zu dem Wagestück verleitet, einen offenbar Größeren, der ihn zerquetschen kann, so unbarmherzig zu behandeln. Er solle sich gnädiger anlassen, und meine Ghaselen, die den Beifall Goethe’s, Schelling’s und Sylvester de Sacy’s erhalten, nicht ganz verachten.“ (Nachlaß des Grafen von Platen. Leipzig 1852. Band II. p. 87-99 und: Strodtmann, A., Heine’s Leben und Werke. 2. Aufl. Berlin 1873. I. p. 572.) Heine, welcher sich damals in Italjen befand, lernte dort einen Intimus Platen’s, den Kunsthistoriker Freiherrn von Rumohr kennen, welcher ihm bereits verriet, daß er ganz Schlimmes zu erwarten habe. In der Tat, im November 1829 nach Hamburg zurükgekehrt, fand er bereits das Rachewerk Platen’s, den „romantischen Oedipus“ vor, welcher ihn gerade an seiner verwundbarsten Stelle, der jüdischen Abstammung traf. „Synagogenstolz“, „Same Abrahams“ und „Petrark des Laubhüttenfestes“, lauteten die nicht gerade sehr geschmakvollen, aber wolgezielten Pfeile seines ergrimten Gegners. Erklärlich bleibt diese Angriffsform, wenn man die selbstverliebte Eitelkeit Platen’s, welcher durch die Xenjen aufs Tiefste verlezt, in Berüksichtigung zieht. Wie groß Platen von sich selber dachte, zeigt unter Anderem, daß er sogar eine Situazjon im Leben Jesu herbeizuziehen sich nicht scheute, um seinen Dichterruhm mit dem gehörigen Nachdruck zu betonen:
„Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Bist du der König der Juden?
Nicht leugnet Der es bescheiden hinweg, er erwiderte ruhig: Du sagst es.
Euch sagt der Poet: Das bin ich!“ (Parabase zum I. Akt des „Oedipus“).
Heine, welcher sich erst vor kurzem durch die Taufe, „das Entreebillet, in die europäische Kultur“, natürlich ohne innere Ueberzeugung, gelöst hatte, schäumte vor Wut. Der „nie abzuwaschende Jude“ brante dem deutschen Dichter auf der Seele, und ließ ihn eine empfindliche Rache nehmen.
„Gestern Morgen habe ich den Grafen Platen ausgepeitscht – schrieb er u. A. an Immermann am 17. November 1829. – Sie, Immermann, haben den Richter gespielt, und ich will den Scharfrichter spielen, oder vielmehr recht ernstlich darstellen. Der „Oedipus“ hat in Berlin nur Unwillen erregt, desto mehr wird er hier (Hamburg) von einer gewißen Klike, die mit dem Grafen steißlich einverstanden ist, sehr goutirt. Ihnen soll der dritte Teil der Reisebilder dedicirt werden, worin die Spolia opima des großen Champion der Klaßicität enthalten sind etc.“ – Nachdem aber das Buch mit der bekanten Diatribe gegen Platen, welche diese Auspeitschung enthielt, erschienen war (Reisebilder, II. Teil, Die Bäder von Lucca, Hamburg 1830), wurde ihm doch etwas Angst, und er beschließt, wie der folgende Brief zeigt, in einer späteren Gesamtausgabe die Platen’sche Episode wegzulaßen: „Wenn mal das Ganze gedruckt wird, wird auch der Herr Graf wie sich’s gebührt, aus dem Buche hinausgeschmißen. Nicht gegen ihn habe ich Groll, sondern gegen [6] seine Kommittenden, die ihn mir angehetzt. Ich sah den guten Willen, daß man mich in der öffentlichen Meinung vernichten wollte, und ich wäre ein Thor oder ein Schurke gewesen, wenn ich Rücksichten und Verhältnisse halber schonen wollte. Mein Leben ist so rein, daß ich ruhig erwarten kann, daß man allen Skandal gegen mich aufwühle. Ich war so mäßig, daß ich keinen Skandal auftischte, daß die wenigen Personalnotizen, die ich gab, nur das Litterarische erklären sollten. Der Dieb, der in Odensee im Zuchthause sitzt – ist ein Graf Platen. Während Platen bei Cotta wedelte, schrieb er an Schenk, daß Cotta ihn verhungern lasse, daß man etwas bei dem König (Ludwig I. v. Baiern) für ihn thun müsse, daß er ja doch nicht lange leben könne, er sei in der Auflösung. Zu jener Zeit beschwor mich Beer gegen Schenk nichts Nachtheiliges von Platen zu sagen, weil von Schenk die königliche 600-Guldengnade abhinge – ich sprach zu seinen Gunsten, ich stimmte Madame Cotta für ihn, ich that noch mehr, was ich jetzt verschweigen muß – und zu derselben Zeit schrieb der Elende den „Oedipus.“ Heiliger Gott! welcher Bassesse der Schmeichelei ist solch’ Auswürfling der Adelskaste fähig! Ich weiß Greuel, die ich nicht dem Papier zu vertrauen wage. Sein Groll gegen Sie hat minder persönliche Anläße. Er empfiehlt sich nur dadurch einem Bund von Pfäffchen, Baronen und Pädrasten, der verbreiteter und mächtiger ist, als man glaubt.“ u. s. w. (an Immermann, Ende Dezember 1829, Briefe v. H. Heine. Hamburg 1863. I. S. 363).
Folgen wir jezt Heine eine Streke bei seinem Scharfrichteramte. Nicht mit einem einzigen gewaltigen Ruk schlug er den Feind zu Boden, sondern er bediente sich zuvor vieler schmerzhafter Nadelstiche, welche den Gegner tief verwunden mußten. Wir können hier nur einige der markantesten der mit aristophanischem Pinsel gemalten Nummern der allbekanten Schlammbäder von Lucca wiedergeben, denen er das Zitat aus „Figaro“ vorsezte.
„Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen,
So mag er’s sagen,
Ich spiel’ ihm auf.“
„Das ist eben das Schöne – schreibt Heine – an diesem Dichter, daß er nur für Männer glüht, in warmer Freundschaft; er gibt uns den Vorzug vor dem weiblichen Geschlechte, und schon für diese Ehre sollten wir ihm dankbar sein. Er ist darin größer als alle anderen Dichter, er schmeichelt nicht dem gewöhnlichen Geschmack des großen Haufens, er heilt uns von unserer Passion für die Weiber, die uns so viel Unglück zuzieht. – O Weiber! Weiber! wer uns von euren Fesseln befreit, der ist ein Wohlthäter der Menschheit. Es ist ewig schade, daß Shakespeare sein eminentes theatralisches Talent nicht dazu benutzt hat, denn er soll, wie ich hier zuerst lese, nicht minder großherzig gefühlt haben, als der große Graf Platen, der in seinem Sonnette von Shakespeare sagt:
„Nicht Mädchenlaunen störten deinen Schlummer,
Doch stets um Freundschaft sehn wir warm dich ringen:
Dein Freund errettet dich aus Weiberschlingen,
Und seine Schönheit ist dein Ruhm und Kummer.“[6]
„Der Standpunkt, von wo ich den Grafen Platen zuerst gewahrte, war München, der Schauplatz seiner Bestrebungen, wo er bei allen, die ihn kennen, sehr berühmt ist, und wo er gewiß, so lange er lebt, unsterblich sein wird. Besonders lobte man seine Zuvorkommenheit gegen Jüngere, bei denen er die Bescheidenheit selbst gewesen sei, indem er mit der liebreichsten Demut ihre Erlaubnis erbeten, dann und wann zu ihnen auf’s Zimmer kommen zu dürfen, und sogar die Gutmüthigkeit soweit getrieben habe, immer wieder zu kommen, selbst wenn man ihm die Lästigkeit seiner Visite auf’s Deutlichste merken lassen. Dergleichen Erzählungen haben mich gewissermaßen gerührt, obgleich ich diesen Mangel an Personalbeifall sehr natürlich fand. Vergebens klagte oft der Graf:
„– Deine blonde Jugend, süßer Knabe,
Verschmäht den melancholischen Genossen.
So will in Scherz ich mich ergehn, in Possen,
Anstatt ich jetzt mich bloß an Thränen labe,
Und um der Fröhlichkeit mir fremde Gabe
Hab’ ich den Himmel anzuflehn beschlossen.“
[7] „Vergebens versicherte der arme Graf, daß er einst der berühmteste Dichter werde, daß schon der Schatten eines Lorbeerblattes auf seiner Stirne sichtbar sei, daß er seine süßen Knaben ebenfalls unsterblich machen könne durch unvergängliche Gedichte.[7] Ach, eben diese Celebrität war keinem lieb und in der Tat, sie war keine beneidenswerte. Ich erinnere mich noch, mit welchem unterdrückten Lächeln ein Kandidat solcher Celebrität von einigen lustigen Freunden unter den Arkaden von München betrachtet wurde. Ein scharfsichtiger Bösewicht meinte sogar, er sähe zwischen den Rockschößen desselben den Schatten eines Lorbeerblattes …… Er ist kein Dichter, sagen die Frauen, die vielleicht – ich muß es zu seinem Besten andeuten – hier nicht ganz unparteiisch sind, und vielleicht wegen der Hingebung, die sie bei ihm entdecken, etwas Eifersucht empfinden, oder gar durch die Tendenz seiner Gedichte ihre bisherige vortheilhafte Stellung in der Gesellschaft gefährdet glauben …… Was finden Sie in den Gedichten des Grafen von Platen-Hallermünde? frug ich jüngst einen solchen Mann. Sitzfleisch! war die Antwort. Sie meinen in Hinsicht der mühsamen, ausgearbeiteten Form? entgegnete ich. Nein, erwiderte Jener, Sitzfleisch auch in Betreff des Inhalts ……“
Der keusche, klaßisch-kühle Stil Platen’s schien Heine, deßen sinlich-explosiver Charakter dafür nicht die nötige Ruhe hatte, durchaus unverständlich geblieben zu sein. Auch daß es gerade die homosexuale Psiche sein mochte, welche Platen zum künstlerischen Schaffen anspornte und befähigte, mußte Heine nach dem damaligen Stand der Wißenschaft fremd geblieben sein. Wie weit er daneben griff, zeigt eine folgende Stelle aus den „Bädern von Lucca“: „… in der erlauchten Liebhaberei des Grafen sehe ich nur etwas Unzeitgemäßes, nur die zaghaft verschämte Parodie eines antiken Uebermuths. Das ist es ja eben, jene Liebhaberei war im Alterthum nicht in Widerspruch mit den Sitten, und gab sich kund mit heroischer Oeffentlichkeit …“ – Heute wißen wir, daß das homosexuale Gebahren nicht Uebermut noch Liebhaberei, sondern Zwang ist.
Zu Heine’s Glük unterblieb ein bereits in den Zeitungen angekündetes gerichtliches Nachspiel, da Platen es für vernünftiger hielt, zu schweigen. Doch die Urteile beim Publikum und in der Presse lauteten fast alle zu Heine’s Ungunsten. Er habe sich durch die Platen-Nummer unendlich geschadet, gesteht Heine selbst in einem Schreiben an Varnhagen von Ense vom 4. Febr. 1830, Neben vielen Andern brachte auch der „Gesellschafter“ vom 3. Febr. 1830 eine überaus scharfe Kritik, ebenso ein Artikel in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ vom 23. Januar desselben Jahres, welcher den Titel „Rügen, Platen und Heine“ führte, und der den letzteren als verachtungswürdig hinstelte. Auch die älteren und neueren Literarhistoriker und Heine-Biografen beurteilen das Paskill vorwiegend in ungünstiger Weise. (Vergl. u. A.: Joseph Hillebrand, Die deutsche Nationallitteratur im XVIII. und XIX. Jahrhundert, 3. Aufl. Gotha 1875. Bd. III. S. 317-330. Karl Gödeke, Elf Bücher deutscher Dichtung. Leipzig 1849. Bd. II. S. 472. Grundriß zur Gesch. d. deutschen Dichtung. Dresden 1881. Bd. III. S. 451; Adolf Strodtmann, H. Heines Leben und Werke, 2. Aufl. Berlin 1873. Bd. I. S. 601–11; Robert Prölß, Heinrich Heine, Stuttgart 1886. S. 169–78). Erwähnt [8] sei nur noch das Urtheil Ernst Elster’s, welcher in seiner Heineausgabe in der Einleitung zum dritten Bande der Reisebilder ausführt: „Heine hatte sich hier von allem Anstandsgefühl entblößt gezeigt, er hatte vom Haß verblendet, sich eines Mittels bedient, den Gegner zu vernichten, das schlechthin als gemein bezeichnet werden muß. Wir müssen es bedauern, daß Heine seine Absicht, den Grafen in späteren Auflagen „herauszuschmeißen“ nicht ausgeführt hat, und so in den „Reisebildern“ neben den zartesten Blüten des Gefühls, der unerfreulichste Schmutz stehen geblieben ist.“
Nur Johannes Prölß ist in seinem fleißigen, gründlichen „Das junge Deutschland, ein Buch deutscher Geistesgeschichte“, Stuttgart 1892, S. 143-148, nicht im Entferntesten geneigt, Heine anzuschuldigen. Er sieht ebenfalls, wie Heine, in jenem Angriffe Platen’s im „Romantischen Oedipus“ nicht nur einen Gegenhieb gegen Immermann’s Xenjen, sondern einen sistematischen Anlauf der bayerischen „Pfaffen und Junker“, Heine aus der Gunst Cotta’s, des Verlegers Platen’s, Minister von Schenk’s, der Heine eine Filosofie-Profeßur an der Münchner Universität versprochen hatte, und der vornehmen Damen-Aristokratie München’s, die Heine’s Lirik schäzte, zu verdrängen. Dies ist auch vollständig gelungen. Allerdings erst, nachdem Heine die „Hinterhaltigkeit des gräflichen Gegners im Intriguiren, Dichten und Lieben an den Pranger gestellt hatte“, wie Prölß sich ausdrükt. In der Tat erfahren wir jezt aus J. Friedrich’s Biografie Döllinger’s (München 1899. Bd. I.), daß dieser leztere, der an der Spize der strengkatolischen, wenn auch nicht gerade jesuitenfreundlichen Partei in München stand, ein Intimus Platen’s war, den er schon von Bamberg her kante, und daß er es war, der die heftig-agreßiven Artikel in die „Eos“, dem Parteiblatt der Katoliken (München 1828, Nr. 132, 1829 Nr. 1 u. 137.) gegen Heine schrieb [Siehe auch: Gustav Karpeles, Heine und Döllinger, in: „Zeitgeist“, Berliner Tageblatt 1899 Nr. 1 und: L. Götz, Ignaz v. Döllinger, Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1898. Nr. 261]. – Cotta nahm aber auch Heine’s Vorgehen gegen einen seiner Autoren sehr übel. Aus Prölß erfahren wir nämlich auch zum erstenmal, daß Heine’s Versuch, aus dem Verlag Campe’s in den klaßischen Cotta’s zu gelangen, nunmehr, Ende 1829, abgelehnt wurde. Es war ein Glük. Denn 6 Jahre später, 1835, erließ der deutsche Bundestag sein bekantes Edikt gegen die Schriften des „jungen Deutschland“, die Buchhandlungen wurden überwacht, die Löwenthal’sche Buchhandlung in Mannheim, die Gutzkow’s „Wally“ edirt hatte, gänzlich aufgelöst, und Gutzkow zu drei Monat Gefängnis verurteilt. Währenddem saß Heine ruhig und geborgen im Campe’schen Verlag in Hamburg. Denn der republikanische Senat dieser freien Stadt, der täglich das Salzwaßer des nahen freien Meeres in seine Nüstern sog, kümmerte sich blutwenig um die Verwarnungen und Edikte einer idjotischen Kreatur, wie dieses östreichischen Grafen von Münch, der als Bundestagsgesanter den ganzen Brei mit dem „jungen Deutschland“ angerührt hatte, zu dem sich dann auch die protestantischen Bundesstaaten zögernd niedersezten, um ihn wirklich zum Gaudjum von ganz Europa auszulöffeln. „Sie tun mir leid – sagte damals der französische Minister Comte de Serre zu einem deutschen Diplomaten – Sie führen Krieg gegen Dichter und Studenten!“ –
Es entsteht die Frage: Läßt sich der wißenschaftliche Nachweis führen, daß Platen in seinem Empfinden von homosexualer Natur, also Urning, war? Vor Heine hatte schon der Berliner Dichter und Kritiker Ludwig Robert (1778–1832) Platen wegen des unmänlichen Charakters seiner Gedichte scharf angegriffen: „Der Anblick der ekelhaften Mißgeburt – schreibt er in einer im Uebrigen wolwollenden Kritik – kann nicht widerlicher sein, als in diesen schönen Versen das glühende Körperlob der Jünglinge, dieses für sie kraftlose Schmachten, diese Eifersüchtelei, dieses jammervolle Verschmähtsein, diese unmänliche Weibheit im Gefühle der Freundschaft“ (Jahrbücher für wißenschaftliche Kritik, hrsg. von Hegel, Berlin 1829. S. 601). Man sieht hier nebenbei das absoluteste Misverstehen für das fisjologisch und psichologisch gegebene Empfindungsleben, wie das Urning’sche. – Moll, der Lord Byron von dem zuweilen ausgesprochenen Verdachte der konträren Sexualempfindung freispricht, hält Platen derselben entschieden verdächtig: „Er scheint bei seinen Lebzeiten ziemlich allgemein dieses Renommée gehabt zu haben. Die Gedichte, die er an Männer gerichtet hat, in denen er den Freund feierte, mußten hierzu wesentlich beitragen; freilich wird von anderer Seite [9] eingewandt, und auch Karl Goedeke, ein Biograph des Dichters, erwähnt dies, er habe in seinen Gedichten den Geist der orjentalischen Poesie nachahmen wollen.[8] Der Umstand, daß Platen auch Liebesgedichte an das weibliche Geschlecht verfaßte, konnte seinen Ruf als Männerfreund nicht ändern. Platen hatte anfangs die Absicht, durch den Grafen Fugger eine Klage bei dem Königlichen Kammergerichte in Berlin gegen Heine anzustellen, ließ aber die Sache schließlich ruhen, weil, wie man glaubt, Heine den Wahrheitsbeweis antreten wollte.“[9] („Die konträre Sexual-Empfindung“, Berlin 1891, S. 51 f.). Daß auch der schon erwähnte Karl Heinrich Ulrichs Platen als Urning in Anspruch nimt, erscheint nicht weiter verwunderlich, da die Homosexualen, wie alle Minderheiten und sektirerisch Gearteten, die in ihre Nähe Kommenden, sich mit ihnen Beschäftigenden, oder über sie Schreibenden, für ihresgleichen halten. Aber auch Dr. med. Hirschfeld (Charlottenburg) reiht Platen in die von ihm sogenante Gruppe der Uranides supérieurs ein. Er schreibt in einer Studje „Das Rätsel im Leben der Herzogin von Alençon“ (Der Hausdoktor, Berlin 1897, Nr. 392) wo er auf die Beziehungen Ludwig’s II. von Baiern zu der genanten Herzogin zu sprechen komt, u. A.: „Man vergleiche die innigen Liebesbriefe des Königs an den Schöpfer des „Lohengrin“, „Tannhäuser“, „Siegfried“ und „Parsifal“, in denen die Begeisterung des heiligen Johannes lodert, die Enthüllungen von Josef Kainz über seine Beziehungen zu König Ludwig, welche vor einigen Jahren mit Recht Aufsehen erregten, endlich die Arbeiten von Jolland, Grashey, Evans über die Leiden des Fürsten, fassen wir das alles zusammen, so tritt uns in Ludwig II. das Urbild eines Uranide supérieur entgegen, ähnlich wie wir es in Karl XII. von Schweden, Eugen von Savoyen, Wilhelm von Oranien, Michelangelo, Winkelmann, Platen, Christine von Schweden, Sonja Kowalewska, Oscar Wilde und vielen Anderen verfolgen können.“
Doch die sichersten und unumstößlichen Beweise für die konträre Sexualempfindung des Dichtergrafen, liegen uns jezt in der eigenen Beichte desselben, in seinen kürzlich veröffentlichten Tagebüchern vor.[10] Was jeder einigermaßen unbefangene Psichologe längst aus seinen Gedichten und seinem Leben erraten hatte, ist nun klar erwiesen.[11] Platen gesteht selbst, daß er sich nicht zu Personen des andern, sondern solchen des eigenen Geschlechts in Liebe hingezogen fühlte, daß er konträrsexual empfand, mithin Urning war. Kein heterosexual Denkender hat wohl je seine Geliebte inbrünstiger angebetet, Keiner den Schmerz unerwiderter Liebe, die Qual unverstandener Gefühle erschütternder zum Ausdruck gebracht als er. Diese Herzensergüße nehmen mindestens ein Drittel des dikleibigen bis jezt erschienenen ersten Bandes des Tagebuches aus den Iahren 1813-1817 ein; alle Torheiten und [10] Absonderheiten des jungen Poeten sind treu gebeichtet. Das von dem geliebten Freunde zurükgelaßene Taschentuch preßt er inbrünstig an die Lippen, die Stunden und Minuten, da er den jungen Freund nur erblikt, vermerkt er sorgsam, in schmachtenden Gedichten besingt er denselben in rührendster Weise. „Dieses Memorandum meines Lebens“ wie Platen sein Tagebuch titulirte, versah er als Motto mit dem Jean Paul’schen Spruch: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Nur einige der markantesten Stellen seiner Bekentnisse sollen hier wiedergegeben werden.
Zunächst spricht Platen von seinen Kameraden im Kadettenhaus zu Ansbach: „.... Ich komme nun zu Joseph Xylander,[12] dem spätestens erworbenen, aber damals bei weitem innigsten meiner Freunde. Wir waren mehr als drei Jahre in einem Hause beisammen (in der Cadettenanstalt), ehe wir uns näher kennen lernten. Erst im März 1810 brachte uns ein sympatischer Zug plötzlich näher. Ich muß gestehen, daß eine kleine Intrigue dabei im Spiele war, doch darf ich kühn sagen, daß mich mein Freund so sehr liebte, als ich ihn. Wir waren einander alles. Wir genoßen einige Monate lang das reinste höchste Glück, das die Freundschaft zu gewähren im Stande ist. Wir vergaßen sogar ziemlich alles über uns selbst, sehnten uns beständig nach einander und brachten sogar die wenigen Minuten des Stundenwechsels pünktlich bei einander zu … Doch was uns fehlte, war mehr gegenseitiges Vertrauen; so viel wir beisammen waren, so wenig redeten wir zusammen, riefen immer noch einen Dritten zur Unterhaltung herbei, der die Flammen des Gesprächs schüren mußte. „Ich war zu voll“, schrieb Xylander in einem späteren Briefe, „um mit Dir von gleichgültigen Dingen zu sprechen, und zu schüchtern, um von dem zu sprechen, was ich in so hohem Grade empfand“, (Tagebücher S. 25–26).
Es folgen einige für das intime Seelenleben Platen’s sehr bezeichnende „Selbstbetrachtungen“, aus der Zeit seines Paschendienstes am Hofe Ludwig I. in München. Der geliebte Freund, welchem diese flammenden Gefühlsergüsse gelten, war der junge Sohn des damaligen französischen Gesandten, Grafen Mercy: „.... Der einzige Freund, der mich verstund, der gleiche Neigung und Denkweise mit mir teilte, diesen einzigen hast Du geraubt, Schicksal auf immer. Ich verlange Ersatz, ich habe große Forderungen an dich zu machen. Es lebt einer, der mir dies alles ersetzen könnte, gestern habe ich ihn wiedergesehen. Glücklich war ich, ehe ich ihn sah, glücklicher als ich ihn sah; doch elend werde ich sein, da ich ihn nicht mehr sehen werde. – O, es ist seltsam mit des Menschen Wünschen. Ich verlange nur Mitgefühl, und alle glänzenden Güter der Erde ekeln mich an. Schätze! Würden! Ruhm! Was sind das für unser Herz? Vereine sie alle auf Dein gepriesen Haupt, wer bürgt Dir für die Lücke in Deinem Busen! … Wie wohl ist mir in seiner Nähe, wie geht mir das Herz auf. Eine sanfte Regung erfüllt meine Seele. So muß es einem heiligen Geiste sein, der in’s Elysium eintritt. Ihn erschütterte nichts mehr, was ihn auf Erden bewegt hat … Ich möchte ein Maler sein. Wie glücklich ist, wer diese teuren Züge auf der Leinwand nachbilden und den Gegenstand seiner Liebe im Werke seiner eigenen Kunst immer betrachten kann. Wenn mir das zu Teil geworden wäre, dann wäre er mir immer nahe, und täglich würde ich mich an seinen Zügen weiden.... Diese Nacht habe ich von ihm geträumt, ein freundlicher schöner Traum, wie er selbst freundlich schön ist. Meine Hand lag in der seinigen; das wird nimmer in Wahrheit geschehen, meine Hand wird nimmer in der seinigen liegen … Sollt’ ich ihn nicht mehr sehen, o Gott, so laß doch diese Liebe nicht auslöschen. Es ist die Liebe zu allem Schönen und Wahren und Vollkommenen. In ihm sehe ich alles Himmlische vereint..... Ich kann nicht ohne ihn sein. Ich fühle eine unbeschreibliche Leere. O Wohlthat seines Anblicks, die mir nur selten zu Teil geworden, o unabsehbare Reihe von Tagen, die ich ohne ihn werde verleben müssen. Und gezwungen sein, sich so hinzuschleppen, im Gefühle des Elends so auszudauern und an nichts eine Nahrung des Geistes oder Herzens zu finden. Ich kann nicht ohne ihn sein …“ (Tagebücher S. 59). [11] „Ich habe ihn wiedergesehen. Womit verdiene ich diese Güte, o Vorsehung? Und noch mehr Gnade ließest du mir zu Teil werden. Als das Schauspiel zu Ende war, schlich ich mich in die Loge des Grafen M. und nahm dort den Anschlagzettel, den er vielleicht in der Hand hielt. Zum Mindesten war er in seiner Nähe, das ist genug“ (Tagebücher S. 63).
Beim Verlassen des Dienstes als Leibpasche notirt Platen in sein Tagebuch: „Heute hatte ich zum letzten Male Tafeldienst beim Könige. Von was ich mich ungern trenne, fast ist es kindisch, es niederzuschreiben, ist nichts anderes als mein Galakleid, das mir so teuer ist, als weiland Werthern sein blauer Frack, in dem er Lotte zum ersten Mal gesehen hatte. Auch mich knüpfen süße Erinnerungen an dies Kleid, auf welchem einen Augenblick M’s. schöne Hand ruhte“ (ebenda S. 99).
Literarisch und psichologisch von außerordentlichem Wert ist das Folgende, da es von einem begabten, geistig hochstehenden Menschen stamt, und da es in der ehrlichen Form einer Mit-sich-selbst-Aussprache – in Tagebuchform – niedergeschrieben ist, deßen Veröffentlichung Platen wol kaum auch nur ahnen konte, wobei noch zu berüksichtigen ist, daß der Verfaßer in der Erinnerung eine Zeit wieder auffrischt, da er als fünfzehnjähriger Pasche am Hofe König Ludwig’s I. von Baiern Dienst tat:
„Ich bestrebte mich, in diesen Fragmenten, das Charakteristische meiner Neigung herauszuheben und zugleich eine Probe meines damaligen Styls und poetischen Ideenkreises zu geben … Ich gewöhnte mich, meine Hoffnungen und Träume der Liebe an Personen meines eigenen Geschlechts zu verschwenden und suchte in ihrer Freundschaft dasjenige Ziel zu erringen, das der Liebende in der Ehe sucht. Ich gewöhnte mich, die Frauen mehr zu verehren, als zu lieben, die Männer mehr zu lieben als zu verehren. Ich bin schüchtern von Natur, aber am wenigsten bin ich’s in ganz ungemischter Gesellschaft von Weibern, am meisten in ungemischter Männergesellschaft. Am meisten gefiel mir die Zartheit des Weibes, aber ich sah sie nicht als etwas Auswärtiges, sondern als etwas auch meinem Wesen Innewohnendes an. Ich glaubte, daß der beschränkte Kreis einer Frau nicht fähig wäre, mich lange zu fesseln, und daß bei Weibern der größte Teil des schönen Geschlechts durch Affektation verderbt sei. Ich glaubte, daß sich bei einem Gegenstande der Neigung meines eigenen Geschlechts treue Freundschaft und reine Liebe eng vereinen ließen, während bei Weibern immer mehr Begierde vermischt sei. Der Verfolg wird zeigen, daß M. und der Prinz von W.[13] nicht die letzten waren, die mich mächtig anzogen. Als ich die Abreise des französischen Gesandten und seiner Familie vernahm, richtete ich meine ganze Hoffnung auf den Prinzen. Ich hatte ihn bisher nur zweimal gesehen, da er nicht in München garnisonirte. Als mir M. alles war, bemerkte ich noch gar nicht, daß meine Neigung eine von andern ganz verschiedene Richtung genommen hatte, und ich dachte nicht an den Unterschied der Geschlechter. Ich glaubte an gewisse sympathetische Träumereien und eine reziproke Gewalt der Liebe, war daher immer unglücklich und betrogen ....“ (ebenda S. 67–68).
„ … In dieser nach Liebe heiß verlangenden Stimmung war es, als bei einem Konzert und Deklamatorium in der Harmonie, am 12. November 1814, ein junger Offizier vom *** Regimente, Herr von Brandenstein, meine Blicke vorzüglich auf sich zog. Aus diesem Zufall entspann sich eine lange Liebe, die selbst der Entfernung trotzte, da ich mich jedem Eindrucke begierig hingab, und die Oede meines Herzens mit Träumen zu bevölkern strebte. Der Erwähnte ist jener Federigo, der in spätern meiner Blätter oft genannt wird.[14] Er ist nicht groß, aber hübsch gewachsen, seine Gesichtszüge [12] sind regelmäßig, sehr angenehm und enthalten etwas Stolzes, was mich besonders anzieht. Er ist blond wie Graf M. Ich sah ihn öfters im Lesezimmer der Harmonie, ich saß oft neben ihm und verließ mehrmals mit ihm zugleich das Haus, ich begegnete ihn auf der Straße, und alles dies trug bei, meinen Wahn zu bestärken und eine völlige Leidenschaft bei mir festzusetzen, die aber doch immer einen milden Charakterzug trug, obgleich sie oft zu einer heißen Sehnsucht gesteigert wurde. Ich hatte damals noch keine Idee, daß ein strafbares Verhältniß zwischen zwei Männern existiren könne, sonst würde mich dieser Gedanke vielleicht zurückgeschreckt haben. .... Einige Zeit später fand ich zwar in mehreren Schriften die Männerliebe erwähnt und schenkte diesem Gegenstande zuerst meine Aufmerksamkeit, da er mir in früheren Jahren bei Lesung des Plutarchs gänzlich entgangen war. Aber auch jetzt ignorirte ich noch, daß sinnliche Wollust dabei im Spiele sein könnte, dies unselige Geheimniß wurde mir erst durch einige unzüchtige Bücher von Piron[15] klar, die mir in Frankreich in die Hände fielen. Nie aber hat Begierde meine Neigung zu Federigo entweiht“ (Tagebücher S. 140–141).
Was auch hier wieder mit voller Evidenz hervorgeht, ist die, auch in Krafft-Ebing’s autobiografischen Mitteilungen von Urningen bestätigte Tatsache, daß, im Gegensaz zur heterosexualen Liebe zwischen Mann und Weib, die simpatische Neigung unter Homosexualen in der übergroßen Mehrzahl der Fälle eine flache, in der Psiche stekenbleibende, dem quietistischen Charakter des Urning entsprechende, sich paßiv und reservirt verhaltende, nicht, oder nur selten, zum Sinlichen und Motorischen vordringende Seelenerschütterung darstelt, und daß dies insbesondere bei Platen der Fall gewesen. Wir glauben annehmen zu dürfen, daß nach dieser Richtung die weiteren Bände der „Tagebücher“ keine neuen Ueberraschungen bringen werden. Hamann, der bekante Magier des vorigen Jahrhunderts, meint zwar in seinen „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ u. A.: „man kann keine lebendige Freundschaft ohne Sinnlichkeit fühlen, und eine metaphysische Liebe sündigt vielleicht gröber am Nervensaft, als eine thierische an Fleisch und Blut“ (Hrsg. v. E. Kühn. Leipzig, Reklam, [13] S. 26). Aber Hamann lebte eben, troz seiner magischen und christlichen Qualitäten, während des größten Teils seines Lebens in wilder Ehe, zeugte frisch Kinder, und kann hier, schon als Heterosexualer, nicht mitreden. – L. v. Scheffler, der eine der Herausgeber dieses ersten Bandes der Platen’schen Selbstbekentniße, schreibt über den gleichen Punkt: „Heine hat Platen vor aller Welt einer unnatürlichen Sünde geziehen. Nicht daß er es gethan (das mochte er und mögen die, welche es ihm bis in die neueste Zeit hinein nachsprechen, vor sich verantworten) sondern wie er es that, ist für die Beurtheilung der Frage von Interesse. Denn nur in dem Hineintragen eines Mißverständnißes, das dem großen Publikum sofort faßlich war und in dem bewußten Festhalten an demselben, liegt die Perfidie des Angriffs. Von Knabenliebe ist nach Heine in den Platen’schen Gedichten die Rede. Der Pamphletist übersieht hierbei geflißentlich, daß nicht Knaben, sondern junge Männer es waren, welche den Dichter für seine Poesie begeisterten, er verschweigt ebenso absichtlich, daß dieser besondere Schönheitscultus in edlen Seelen nichts Ungewöhnliches, ja daß er als Eros der Helenen Vorbedingung größter Taten auf dem Gebiete des rein Geistigen, der Kunst und Poesie gewesen ist; er sucht das Vorbild für das Phänomen anstatt auf griechischem Boden vielmehr auf dem römischen! Nero und der Harem seiner Lustknaben wird der reinen Freundschaftspoesie Platens gegenübergestellt!“ (Tagebücher S. X). –
Das ist nun Alles ganz schön. Aber Heine und Platen lagen eben im Kampfe miteinander. Und: im Krieg – das Sprichwort paßt auch in anderer Hinsicht hieher – im Krieg und in der Liebe ist Alles erlaubt. Es war höchst unklug von Platen, sich dem mordlustigen Heine zu überantworten. Hätte er geschwiegen, wie es seine – Natur ihm überhaupt vorschrieb. Er fühlte etwas Weibliches in ihm. Nun, Weiber ziehen nicht in den Krieg. Gar zum Satiriker fehlte ihm jede Begabung. Hätte er geschwiegen und ruhig seine schönen, glatten Verse weitergesponnen, wie z. B. in dem berühmten Gedicht:
„Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wieder …“
die ihm die Unsterblichkeit gesichert hätten. Und andererseits: Heine hatte gar keine Ursache, ihn zu schonen. Wiewol er als Orjentale den feinen Zusammenhang der Dinge wol kante und sehr wol ahnte, konte er sich in seiner Fechterstellung durchaus auf jenen Standpunkt der Erkentnis wie der Vorurteile stellen, wie er damals im Abendlande gang und gäbe war. Bei dem großen Publikum, welches immer weiblich empfindet, war er des Beifalls sicher. Das wäre ja auch heute nicht anders. Wenn wir auch heute auf Grund genauerer historischer, fisjologischer, psichologischer Kentniße den unweigerlich gegebenen Seelengrund eines jeden Menschen als eine unverrükbare Basis seines Schaffens und seines Daseins anerkennen – die Liebeslieder laßen wir uns nach wie vor von heterosexualen Dichtern, von der Liebe zum Weibe entflamten Jünglingen, von den Goethe, Heine und Bertran de Born singen, nicht von den Platen oder den süß-kraftlos-girrenden Mitarbeitern der „Blätter für die Kunst.“ Denn die Welt wird ja durch einige medizinische Kentniße nicht auf den Kopf gestelt. Die Liebe zum Weibe ist der Grund und Angelpunkt, auf dem unsere gesamte Organisazjon ruht, um die sich unser ganzes Dasein dreht. Denn die Liebe zum Weibe erzeugt Menschen. Die mann-mänliche Liebe erzeugt nur Gedanken und Gefühle. Für diese lezteren wird es stets schönes Drukpapier und selbstlose Verleger geben. Aber die Ersteren stehen eben für sich selbst und haben ein pochendes Herz im Leibe. Diesen Welts-Unterschied hat auch der geistvolle Ulrichs sehr wol erkant, und er verlangte nicht Anerkennung, sondern nur Duldung. Diese Duldung hätte auch Platen erfahren, wenn er nicht in unglaublicher Unkentnis des Zusammenhanges dieser Welt über die ihm gestekten Grenzen hinausgegangen wäre. Diese Duldung würde aber auch heute jenen Schöngeistern verweigert werden, die, nur mit dem Flaumbett ihrer mann-mänlichen Gefühle ausgerüstet, auf Kampf auszögen. Denn Marsyas mag im Stillen seine Flöte schnizen und im Dikicht seine bukolischen Lieder vortragen, sobald er die Himlischen angreift, wird er von Apollo unter dem Beifall der Musen geschunden werden. –
Otto Julius Bierbaum, „Das schöne Mädchen von Pao, ein Chinesischer Roman“, Berlin und Leipzig im Verlage von Schuster und Löffler, 1899. – Bierbaum ist unter die Satiriker gegangen. Er hat ein gelbes, chinesisches Gewand angezogen, welches er sich von einem Münchener Papierlieferanten machen ließ, hat ein Gong in die Hand genommen – wahrscheinlich von einem Bozener Pfannenfliker erstanden – haut auf dieses Instrument wie wahnsinnig los, so daß sein diker Schulmeisterkopf ganz puterrot wird, und speit unter den fürchterlichsten Verrenkungen und Grimaßen die dikste gelbe Galle auf die Zustände des deutschen Reichs. – Otto Julius ich warne dir! – Das geht nicht! – Du komst troz deines kurzen Halses auf das Schafott und kriegst nie den roten Adler-Orden III. Klaße. – Wie kann man nur so . . . . . . er nimt Staatsanwälte, höchste deutsche Würdenträger, Hoflieferanten, Unterstaatssekretäre, Direktoren von industriellen Etablissements, die zugleich Majore sind, wirkliche Vorstände von kgl. Geschüzgießereien u. dgl., stekt sie in gelbe Chinesische Gewänder, die mit Zeichen bedekt sind, von denen jedes einzelne in China 3 Jahre Zuchthaus bringt, und haut dann die ganze Gesellschaft mit einer langen Peitsche, die er sich von seinem Pächter in Eppan geliehen hat, durch!! – Das geht nicht! – Wenn das Höchste, was wir auf Erden besizen, wenn Se. Majestät Gott der Große – „wer?“ – Seine Majestät Gott der Große . . . . „wer ist das?“ . . . . mein Gott! – „ist es Er?“ – aber natürlich! – „Der Allermächtigste?“ – aber selbstverständlich! . . . . . „nun?“ . . . . ich sage: wenn das Höchste, was wir auf Erden besizen, wenn Se. Majestät Gott der Große in gelbes Chinesisches Reis-Papier gestekt und öffentlich mit Chinesischen Majestäts-Beleidigungen traktirt werden darf, dann schwinden die etischen Werte, auf denen unser Dasein beruht, dahin, und das Deutsche Reich stürzt in sich zusammen. – „Aber die Zustände in diesem Deutschen Reich sind auch nachgerade auf einen Punkt angelangt . . . . . .“ – Das ist ganz gleich, sie werden noch auf einen weit schlimmeren anlangen. Der deutsche Untertan hat auf die götliche Regierung zu achten. – „Das Buch kostet nur M. 3.“ – Das ist keine Entschuldigung, das ist erschwerend, jeder Edelanarchist kann sich das Buch kaufen . . . . . . – “ es ist ein Schuster und Löffler erschienen!“ – Das ist ganz gleich: Schuster und Löffler sind vorbestraft, oder doch vorverdächtigt, Schuster und Löffler kommen ebenfalls aufs Schafott! – „aber man muß doch in irgend einer Form seine Meinung . . . . .“ – nein, wenn die indirekt durch Gott inspirirte Regierung gesprochen hat, gibt es im Lande zwischen der Nordsee und den Alpenfirnen keine divergirende Meinung! – „aber man kann doch in harmlos-satirischer Form . . . . .“ – nein! – „in novellistischer Rede . . . .“ – nein! – „durch die Blumensprache . . . . .“ – nein! – „durch Seufzer . . . . .“ – nein! – „durch Rascheln mit Reis-Papier . . . .“ – nein! gar wenn dasselbe mit Zeichen bedrukt ist, unter denen die schwersten Chinesischen Majestäts-Beleidigungen verstekt sind! Wir warnen hiemit jeden Deutschen, der es wahrhaft ehrlich mit seinem Lande meint und der fest entschloßen ist, lieber das Reich zu Grund geh’n zu laßen, als die geringste Aenderung an den jezt für heilig und unantastbar erkanten Zuständen und Einrichtungen zu erlauben, – sich über der Lektüre des Bierbaum’schen Buches erwischen zu laßen. Der Verfaßer aber, dem jeder Sinn für die Heiligkeit, Tapferkeit und Artillerietüchtigkeit des frommen, auserwählten, deutschen Volkes abgeht, sei hier auf das Nachdrüklichste gewarnt! –
Vor einigen Wochen konte man in mehreren kleinen Schmierblättern absichtlich zweideutige Notizen finden, in denen unter Weglaßung des Vornamens schlechtweg von einem „Anarchisten Panizza“ die Rede war, dem „Genoßen Lucheni’s“, daß derselbe da und da ausgewiesen, dann wieder zurükgekehrt, aber von den Behörden entdekt, wiederum ausgewiesen, daß seine Schriftstüke, in denen sich aufreizende Gedichte befanden, beschlagnahmt, seine Bücher konfiszirt worden seien etc. Es handelt sich hier um eine absichtliche Verwechslung des Anarchisten Attilio Panizza in Lugano mit dem Herausgeber der „Zürcher Diskußjonen“. Man glaubte auf diese Weise die Reputazjon Attilio Panizza’s schädigen und seiner flekenlosen Ehre zu nahe treten zu können,
[15] indem man ihn mit einem verurteilten und ausgewiesenen Schriftsteller gleichen Namens verquikte, indem man ihm den „Stilkünstler“ und „Versedrechsler Panizza an die Rokschöße hing. Dieser Versuch ist gänzlich mislungen. Ein Mann der Tat, wie Attilio Panizza, ein Mann, der mit seinem Dolch für seine Ideen einzutreten bereit ist, der jeden Tag für seine Brüder auf dem Schafott zu sterben bereit ist, der nie um materjelle Verbeßerung seiner Lage, sondern stets um das Glük und Wolergehn seines Volkes sich bemüht hat, steht turmhoch über einem meinetwegen talentirten Schriftsteller, der in Ideen wacht, statt des stile (Dolchs) sich des Stils bedient, unter Angst und Gewimmer Verse produzirt, wie ein scheuer Vogel von Ort zu Ort flüchtet, Tränen vergießt, wenn er ausgewiesen wird, stets auf Verbeßerung seiner Lage bedacht ist, ein Verlagsgeschäft betreibt und die Leute um Gotteswillen bittet, sie möchten ihm seine Bücher abkaufen. Wie konte man glauben, von zwei solchen Naturen die eine, die edlere, durch zufällige Verknüpfung mit der anderen, der geringeren zu befleken! Die größeren Zeitungen haben denn auch sofort diese niedrige Absicht durchschaut, das Misverhältnis, erkant und die Notiz nicht weiter verbreitet. Und auch Attilio Panizza wurde wol kaum davon berührt. Was würde denn etwa Brutus sich seiner Zeit in Rom daraus gemacht haben, wenn eines Tages irgend ein Winkelschreiber gleichen Namens wegen seiner obszönen Verse oder eines Pamflets gegen die Regierung halber vom Liktor gezüchtigt worden wäre, und nun Gaßenbuben vor ihm, dem großen Brutus, hergelaufen wären und unter absichtlicher Verwechslung der Namen ihm in die Ohren geschrieen hätten: „Aeh! Brutus hat Klopfe gekriegt! – Brutus hat Klopfe gekriegt ….“? – Er würde gelacht haben, würde mit einer verächtlichen Bewegung das Togaende über die Schultern geworfen haben und wäre seines Wegs gegangen. – Auf der andern Seite würde aber Markus Brutus – ich wollte sagen: Attilio Panizza – sich niemals dazu hergegeben haben, durch eine derartige graße Gegenüberstellung zweier Personen, von denen die eine natürlich in Folge der stattgehabten Abschäzung eher noch höher steigt, die andere eher noch tiefer sinkt, einen armen Dichter und Federfuchser noch tiefer in die allgemeine Verachtung hinabzustoßen. Attilio Panizza würde, wenn überhaupt dieses deutsche Geschmier bis zu ihm gedrungen ist – er ist Italiener – es weit von sich gewiesen haben, durch einen irgendwie angestelten Vergleich mit seiner Größe den Herausgeber der „Zürcher Diskußjonen“, der zufällig seinen Namen trägt, herabzuwürdigen. – Mögen also die Schriftleiter der hier in Rede stehenden deutschen und östreichischen Schmierblätter sich in Zukunft beßer vorsehen, und ein wenig mehr mit dem feinen Instinkt des Volkes in solchen Dingen und der Nobleße der dabei in Betracht kommenden Personen rechnen. – O. P.
Paris. Heute, am 10. Juli 1899, am Tage, da in den hiesigen Blättern bekant wurde, daß das Denkmal für Charles Baudelaire im Herbst im Jardin du Luxembourg aufgestelt werde, traf das Telegramm aus New-York ein, daß daselbst das für Deutschland bestimt gewesene Heine-Denkmal von Herter in Bronx Borough enthüllt wurde. Baudelaire hat als wesentliches Vermächtnis nur ein Bändchen Gedichte, „Les fleurs du mal“, zurükgelaßen, welches bei seinem ersten Erscheinen ganz Paris in den höchsten ästetischen Schreken versezte, und deßen Einfluß, troz tiefgreifender Wirkung auf einzelne Dichtergruppen, in Frankreich kein universeller war (Brockhaus’ Konversazjons Lexikon kent ihn nicht einmal). Heine, der fast während seiner ganzen Laufbahn neben herbem Tadel großes Lob gefunden, hat jezt seit bald einem Jahrhundert die lirische Ausdruksweise sowie die künstlerisch geartete Prosa in der umfaßendsten Weise beeinflußt, und in beiden Gattungen fast alle Späteren in seine Geleise gezwungen. Man kann nur mit dem Gefühl tiefer Beschämung diese beiden Daten in der Behandlung nazjonaler Dichter nebeneinanderstellen. Und man wird diese so verschieden sich kundgebende Dankbarkeit diesseits und jenseits des Rheines nur dann begreifen, wenn man sich erinnert, daß die Aeußerungen des Gemüts hier/hiev in Frankreich eine spontane Kundgebung des Volkes, in Deutschland nur durch Verleitgabe von Seite der Regierung oder der Geistlichkeit möglich sind. Sind also solche Aeußerungen leztgedachter Gattung polizeimäßig und niederträchtig, so wird man wißen, wo die Quellen zu suchen sind.
Fußnoten
Bearbeiten- ↑ Constitutio criminalis Theresiana oder der Römisch-Kaiserl. zu Hungarn und Böheim etc. etc. Königl. Apost. Majestät Mariä Theresia, Erzherzogin zu Oesterreich, etc. etc. peinliche Gerichtsordnung. Wien 1769. S. 208.
- ↑ „Hoc facinus per Italiam notissimum est, adeo ut nec puduerit Joannem Casam, Archiepiscopum Beneventanum, Legatum Pontificium, hoc laudibus celebrare. At rarius a Germanis committitur, quibus laus et encomium pudicitiae, et quod tale scelus minus noverint per Dei gratiam, jure debetur.“ Bened. Carpzovii Practicae novae imperialis Saxonicae Rerum Criminalium pars secunda Lipsiae 1723, p. 178.
- ↑ „Qui venere abutitur, cum hominibus coëundo contra naturam, usu naturali relicto, capite truncandus est. l. c. p. 180.
- ↑ In diesen Ländern war es übrigens nicht so sehr die Einsicht von der Unvermeidlichkeit des Uebels, als die Erkentnis, daß die furchtbaren moralischen Verwüstungen der chantage – der Erpreßungen der mänlichen Prostituirten – schlimmer seien, als das Uebel selbst, welche die Aufhebung der betreffenden gesetzlichen Bestimmungen bewirkten.
- ↑ Forschungen über das Rätsel der mannmänlichen Liebe von Numa Numantius. „Vincula frango“: – „Vindex“, Sozial-juristische Studien über mannmänliche Geschlechtsliebe von Numa Numantius. Leipzig 1864. – „Inclusa“, Antropologische Studien über mannmänliche Geschlechtsliebe von Numa Numantius. Leipzig 1864. – „Vindicta“, Kampf für Freiheit von Verfolgung von Numa Numantius. Leipzig 1865. – „Formatrix“, Antropologische Studien über urnische Liebe von Numa Numantius. Leipzig 1865. – „Ara spei“, Moralfilososische und sozialfilosofische Studien über urnische Liebe von Numa Numantius. Leipzig 1865. – „Gladius furens“, das Naturrätsel der Urningsliebe und der Irrtum als Gesezgeber von K. H. Ulrichs. Eine Provokazion an den deutschen Juristentag. Als Fortsezung der Schriften von Numa Numantius. Kaßel 1868. – „Memnon“, Die Geschlechtsnatur des mannliebenden Urnings, von K. H. Ulrichs. 2 Abtlgn. Schleiz 1868. – „Incubus“, Urningsliebe und Blutgier, von K. H. Ulrichs. Leipzig 1869. – „Argonauticus“, Zastrow und die Urninge des pietistischen, ultramontanen und freidenkenden Lagers von K. H. Ulrichs. Leipzig 1869. – „Prometheus“, Beitrag zur Erforschung des Naturrätsels des Urningismus und zur Erörterung der sitlichen und gesellschaftlichen Interessen des Urningtums von K. H. Ulrichs. Leipzig 1870. – „Araxes“, Ruf nach Befreiung der Urningsnatur vom Strafgesez von K. H. Ulrichs. Schleiz 1870. – „Critische Pfeile“, Denkschrift über die Bestrafung der Urningsliebe an die Gesezgeber von K. H. Ulrichs. Stuttgart 1879. Die meisten dieser Schriften sind heute vergriffen. In Neudruck erschienen sind die sechs ersten bei Max Spohr in Leipzig. Die Litteratur über homosexuale Geschlechtsliebe ist während der letzten Jahre enorm gestiegen. In Leipzig (bei Max Spohr) erscheint im „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Berücksichtigung der Homosexualität.“ Auch der von Adolf Brand (Berlin-Neurahnsdorf) Hrsg. „Der Eigene“ beschäftigt sich vorwiegend mit diesen Problemen.
- ↑ Nr. 5 der „Sonette“, überschrieben: „Shakespeare in seinen Sonetten“, in: Gesammelte Werke des Grafen August von Platen Stuttgart, J. G. Cotta. 1870. Bd. I. S. 204.
- ↑ Die Sonette, auf die hier Heine anspielt, ist die 58te bei Platen, und lautet in der zitirten Cotta’schen Ausgabe S. 224 wie folgt:
„Wenn einen Freund du suchst für’s ganze Leben,
der dich durch Freude soll und Schmerz geleiten,
so wähle mich, du findest keinen zweiten,
und keinen fähigern, sich hinzugeben.
Zwar kann er nicht, wie du, ein Wonneleben
durch seine Schönheit um sich her verbreiten:
doch alle horchen gern den Lieblichkeiten,
die ihm begeistert auf der Lippe schweben.
Ich fürchte nur, es möchte dich erbittern,
wenn ich mir selbst so hohes Lob verstatte,
blos um vor dir in falschem Glanz zu flittern;
sonst würd’ ich sagen, daß auf diese glatte,
noch junge Stirn, mit ungewißem Zittern,
der Schatten fällt von einem Lorberblatte.“Diese Sonette wird gewiß der durchschnitliche Heterosexuale für „stark“ ansehen; das ist sie aber ganz sicher nicht; von einer direkt karnalen Anwandlung kann hier kaum die Rede sein, denn sonst würde sie Platen kaum veröffentlicht haben. Daß Heine sie aber von der Seite nahm, war sein polemisches Recht.
- ↑ Goedeke, deßen auffallendes Eintreten für Platen ebenso bekant ist, wie seine grimmige Feindschaft für Heine, schrieb die Biografie des ersteren in den von dem schon genanten Freund Platen’s, Grafen Friedrich Fugger, herausgegebenen „Gesammelte Werke des Grafen August von Platen“, Stuttgart, Cotta 1839. – Goedeke macht dazu in seinem „Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung“ die Notiz: „Ich habe keinen Anteil an der Herausgabe gehabt und die dürftige Biografie nur aus Liebe für den Dichter beigesteuert“ (Band III. S. 570. Dresden 1881).
- ↑ Heine schreibt bezüglich dieses Punktes an Immermann: „Der Graf Platen hat mir doch noch viel Zeit gekostet, da man mir mit Prozeßen drohte, und ich, der ich zur Exceptio veritatis entschloßen war, beständig schlagfertig mit Daten und Witzen Stand halten mußte. Dergleichen lang’ im Kopfe halten müßen, ist Anfangs verdrießlich und hernach ekelhaft. Jetzt erscheint mir das Ganze wie ein literarisches Märchen.“ Aus Helgoland vom 10. August 1830.
- ↑ Die Tagebücher des Grafen August von Platen, herausg. von G. von Laubmann und L. von Scheffler. Stuttgart, Cotta 1898.
- ↑ Hier noch eines dieser ganz charakteristischen Gedichte Platen’s (No. 63 in der schon zitirten Ausgabe):
„Qualvolle Stunden hast du mir bereitet,
die aber nie an dir der Himmel räche,
sonst müßten fließen deine Tränenbäche,
wenn von der Lippe dir mein Name gleitet.
Doch bis Gewisheit jeden Wahn bestreitet,
will gern ich dich, und tät’ ich es aus Schwäche,
verteid’gen Freund! von auf der Oberfläche
geschöpften Zufallsgründen nie verleitet.
Zwar würd’ ich kaum dir zum Verteid’ger taugen,
doch stets bedienst du dich als deiner beiden
Fürsprecher listig meiner beiden Augen:
so lang sie sich an deinem Blike weiden,
so müßen Liebe sie aus ihm sich saugen,
du aber, lies in ihrem Blik mein Leiden!“ - ↑ Jos. Karl August Ritter von Xylander (1794–1854) Militärschriftsteller, später Bundestagsgesanter Baiern’s.
- ↑ Prinz von Waldeck, Verwanter des Königs, fiel bald darauf in der Schlacht bei Hanau 1813.
- ↑ Auf diesen Federigo oder Leutnant von Brandenstein bezieht sich das folgende Seite 152 der „Tagebücher“ mitgeteilte Gedicht:
So schleich ich durch das Leben weiter,
Wie ein verirrter Geist,
Ich habe keinen Begleiter
Der mir die Heimat weist.
Ich werd’ ein Fremder bleiben,
Verlassen und allein,
Mich auf und nieder treiben
Und nimmer glücklich sein.
[12] Und schmückt der Lenz auch wieder
Flur, Garten und Gehölz,
Ich bückte mich nicht nieder
Nach schöner Blumen Schmelz.
Nur eine möcht’ ich finden,
Dann fahre wohl, o Schmerz!
Ich suche Mitempfinden
An eines Freundes Herz.
Wer kennt die goldne Blüte,
Und sucht sie nicht allein?
Sie keimt aus deiner Blüte
Geliebter Brandenstein.Von unvergleichlichem psichologischem Interesse ist noch die folgende gleichzeitige (1814), also nicht retrospektive, Betrachtung des jungen Platen über das gleiche, oben mitgeteilte, Begegnen, welche uns die subjektiv enorm gefangene, für alles objektive Geschehen gänzlich unfähige Seelenstimmung des 18-jährigen Verliebten zeigt:
- „(23. Nov. 1814.) Ich war in meine Lektüre vertieft, als plötzlich die edle Gestalt vor mich hintrat (in der „Harmonie“ in München). Er nahm eine Zeitung, die mir zur Seite lag. Wie war ich froh, ihn wieder zu sehen. Er saß ungefähr vier Stühle von mir entfernt. Ich verließ meinen Sitz ein paar Augenblicke, um ein Journal zu holen; unterdessen gingen die Personen, die zwischen uns ihren Platz hatten, und B. setzte sich auf den Sessel neben mich. Ich war halb berauscht durch diese Nachbarschaft. Ich nahm mich zusammen, um ein geheimes Zittern zu verbergen, das mich ergriff und obschon ich ganze Seiten in einem Journal von de la Motte Fouqué las, so habe ich doch nicht einen Buchstaben behalten; demungeachtet war von Gegenständen der Poesie die Rede, von Dingen, die mir sonst die interessantesten würden geschienen haben. Aber nun kam ich mir selbst vor, wie Don Carlos in der Kapelle, als die Kleider gewisser Damen hinter ihm rauschten, ich verlor mein Fassungsvermögen. Ich hatte mich gegen acht Uhr bereits zum Gehen fertig gemacht, als er gleichfalls aufstand. Ich ging rasch zur Thür hinaus, er folgte mir in ein paar Minuten. Wir kamen fast zugleich an die Thür des Vorsaals, er öffnete sie, und ließ sie mir offen. Er sprang die Treppe hinunter, ich ungefähr zehn Schritte hinter ihm. Wir gingen im Gange nebeneinander; am Thore machte er eine kleine Zögerung, so daß ich gezwungen war, vorauszugehen. Er ging rechtwärts gegen die Hauptwache, ich linkwärts. Es scheint mir doch ein stummes Verhältnis zwischen uns zu walten.“ (Tagebücher, S. 148.)
- ↑ Es ist der französische Dichter Alexis Piron [† 1773], deßen Ode à Priape „fameuse par l’immoralité“ ihm den Verlust der Zughörigkeit zur französischen Akademie durch Ludwig XV. einbrachte. Fontenelle, der Sekretär der Akademie, sagte damals: „Wenn Piron die Ode gemacht hat, dann muß man ihm zwar zürnen, ihn aber in die Akademie aufnehmen; hat er aber die Ode nicht gemacht, dann hinaus mit ihm!“ Si Piron a fait la fameuse Ode, il faut bien le gronder, mais l’admettre; s’il ne l’a pas faite, fermons lui la porte! – Was Platen hier anlangt, so wäre wirklich die Frage gestattet: Wie komt es, daß er gerade die unzüchtigsten Werke Piron’s, die niemals mit seinen übrigen Werken zusammengedrukt, und damals wie heute äußerst selten und schwer zu beschaffen waren, so genau kent?
Anmerkungen (Wikisource)
Bearbeiten- ↑ Vermutlich ein Pseudonym Oskar Panizzas.
- ↑ Zu den Nebenfiguren in Tobias Smolletts (1721–1771) Erstlingsroman The Adventures of Roderick Random (1748) zählen die negativ als homosexuelle Stereotypen dargestellten Captain Whiffle und Earl Strutwell. Laut Robinson (2006) handelt es sich bei den beiden um »the two most famous homosexual characters in eighteenth-century English fiction«. Vgl. David M. Robinson: Closeted Writing and Lesbian and Gay Literature: Classical, Early Modern, Eighteenth-century. Ashgate, Aldershot 2006, ISBN 978-0-7546-5550-3.
- ↑ Heinrich Hösli [Hössli] (1784–1864), Tuchhändler in Glarus.
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