Wunderdoctoren und Magnetiseure

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Titel: Wunderdoctoren und Magnetiseure
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50–52, S. 737–740, 754–756, 770–772,
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wunderdoctoren und Magnetiseure.[1]

Der Arzt Paracelsus. – Sein Mumiensaft. – Bereitung der Waffensalbe aus Menschenschädelmoos. – Wie zwei Personen mittelst eines sympathetischen Alphabets correspondiren können. – Die Besessenen. – Besessene Weiber. – Mesmer, der Begründer des thierischen Magnetismus.

Der wunderbare Einfluß der Einbildungskraft bei der Heilung von Krankheiten ist eine bekannte Sache. Eine Bewegung der Hand oder ein Blick des Auges versetzt einen schwachen und leichtgläubigen Patienten in Schweiß oder Krämpfe, und eine Brodpille bewirkt, wenn sie mit genügendem Glauben eingenommen wird, eine Cur, besser als alle Heilmittel, welche die Pharmakopöe aufzuweisen hat.

Bei der Belagerung von Breda curirte der Prinz von Oranien alle seine Soldaten, die zu Dutzenden am Scorbut starben, durch eine philanthropische Charlatanerie mit Vorwissen der Aerzte, als alle anderen Mittel sich als fruchtlos erwiesen hatten. Der Prinz schickte nämlich den Aerzten zwei oder drei kleine Phiolen, die einen Absud von Kamillen, Wermuth und Kampher enthielten, und befahl ihnen, vorzugeben, es sei eine Medicin, die mit ungeheuren Kosten und unter vielen Gefahren aus dem Orient herbeigeschafft worden, und so stark, daß zwei bis drei Tropfen davon einer ganzen Kanne Wasser unfehlbare Heilkraft mittheilten. Die Soldaten hatten Vertrauen zu ihrem Commandanten, nahmen die Medicin mit freudiger Zuversicht und genasen in kurzer Zeit. So oft sich der Prinz sehen ließ, umringten sie ihn in Gruppen von zwanzig und dreißig Mann auf einmal, lobten seine Geschicklichkeit und überhäuften ihn mit Betheuerungen ihrer Dankbarkeit.

Dergleichen Beispiele ließen sich zu Hunderten erzählen, besonders aus der Geschichte des Hexenwesens.

Zu der Zeit, als die Goldmacherei und Alchymie überhaupt allmählich in Verfall kam und sich immer mehr Stimmen dagegen zu erheben begannen, trat plötzlich ein neuer, auf die eben besprochene Macht der Einbildungskraft gegründeter Schwindel zu Tage und fand thätige Apostel unter den Alchymisten. Die meisten derselben gaben ihr altes Gewerbe auf und wurden Magnetiseure.

Diese neue Charlatanerie erschien erst in der Gestalt des mineralischen und später des animalischen Magnetismus, unter welchem letztern Namen sie sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat und noch fortwährend Tausende hinters Licht führt. Den mineralischen Magnetiseuren gebührt als den würdigen Vorgängern der Charlatane unserer Zeit zunächst unsere Aufmerksamkeit.

Die für Paracelsus in Anspruch genommene Ehre, daß er der erste der Rosenkreuzer[2] gewesen sei, ist mehrfach bestritten worden, dagegen läßt sich schwerlich bezweifeln, daß er der erste der Magnetiseure war. Paracelsus war Arzt, wie fast alle hervorragende Adepten, und behauptete, nicht blos Gold machen und Unsterblichkeit verleihen, sondern auch alle Krankheiten heilen zu können. Er war der Erste, der in dieser letztern Hinsicht dem Magnet verborgene und geheimnißvolle Kräfte zuschrieb. Anscheinend von der aufrichtigen Ueberzeugung beseelt, daß der Magnet der Stein der Weisen sei, welcher, wenn auch nicht Metalle verwandeln, doch alle menschliche Leiden lindern und den Fortschritt der Hinfälligkeit hemmen könnte, reiste er viele Jahre lang in Persien und Arabien, um den Magnetberg aufzusuchen, von welchem in orientalischen Fabeln so viel erzählt wird.

Während er als Arzt in Basel prakticirte, gab er einem seiner Geheimmittel den Namen Azoth. Es war dies ein Stein oder Krystall, der, wie Paracelsus behauptete, magnetische Eigenschaften hatte und Epilepsie, Hysterie und andere in das Gebiet der Krämpfe [738] gehörende Krankheiten heilte. Es dauerte nicht lange, so fand der Wunderarzt zahlreiche Nachahmer. Sein Ruf verbreitete sich immer weiter, und auf diese Weise ward der erste Keim zu jenem Irrglauben gelegt, der sehr bald Wurzel faßte und im Laufe der Zeit geradezu unausrottbar geworden ist. Dies muß trotz des Leugnens moderner Verehrer und Ausüber des Magnetismus als der eigentliche Ursprung desselben betrachtet werden, denn wir finden, daß schon vor Mesmer eine ununterbrochene Reihe von mineralischen Magnetiseuren aufeinander folgt, bis Mesmer selbst erschien und dem Schwindel eine neue Gestalt gab.

Paracelsus rühmte sich, daß er im Stande sei, Krankheiten mittelst des Magnets aus dem menschlichen Körper in die Erde zu verpflanzen. Er sagte, es gäbe sechs Methoden, auf welche dies bewirkt werden könne. Eine davon wird als Probe vollkommen hinreichend sein.

„Wenn Jemand,“ sagt er, „an einer örtlichen oder allgemeinen Krankheit leidet, so versuche man das folgende Mittel. Man nehme einen mit Mumiensaft getränkten und mit fetter Erde gemischten Magnet. In diese Erde säe man einige Samenkörner, die eine gewisse Gleichartigkeit mit der Krankheit haben. Dann lasse man diese gut durchgesiebte und mit Mumiensaft gemischte Erde in ein irdenes Gefäß bringen und den darein gesagten Samen täglich mit einem Absud begießen, in welchem das kranke Glied oder der Körper gewaschen worden ist. Auf diese Weise wird die Krankheit von dem menschlichen Körper auf den in der Erde befindlichen Samen übergetragen. Nachdem dies geschehen, verpflanze man den Samen aus dem irdenen Gefäß in den Boden und warte, bis er Halme oder Blätter zu treiben beginnt. So wie diese wachsen, wird die Krankheit sich vermindern und, wenn sie ihre volle Größe erreicht haben, ganz und gar verschwinden.“

Da in dem vorstehenden Recept von Mumiensaft die Rede ist, so wird es angemessen sein, zur Belehrung des Lesers einige Worte hierüber hinzuzufügen.

Es gab Mumiensäfte von verschiedenen Arten, die alle bei magnetischen Medicinen häufig in Anwendung kamen. Paracelsus zählt sechs Arten von Mumiensäften auf. Die ersten vier, welche sich blos in der Mischung, deren sich verschiedene Völker zur Bewahrung ihrer Todten bedienten, von einander unterscheiden, sind die egyptische, die arabische, die pisasphaltische und die libysche. Der fünfte, ganz besonders kräftige Mumiensaft ward aus gehängten Verbrechern bereitet, „denn bei diesen,“ sagt Paracelsus, findet eine langsame Austrocknung statt, welche die wässerige Feuchtigkeit entfernt, ohne die ölige und geistige zu zerstören, die von den Himmelskörpern genährt und durch den Impuls der himmlischen Geister fortwährend gekräftigt wird, weshalb man ihn mit Recht den himmlischen Mumiensaft nennen kann.“ – Die sechste Art Mumiensaft ward von „aus dem lebendigen Körper ausstrahlenden Atomen oder geistigen Ausflüssen“ bereitet, obschon wir in dieser Beziehung und namentlich hinsichtlich der Art und Weise, auf welche diese Atome aufgefangen worden, aus dem, was der große Wunderdoctor darüber sagt, nicht haben klug werden können.

Kircher, der bekannte gelehrte Jesuit, durch dessen Streit mit den Alchymisten viele Betrügereien derselben entlarvt wurden, glaubte dennoch fest an die medicinische Wirksamkeit des Magnets. Als zum Beispiel ein mit einem Bruche behafteter Patient bei ihm Hülfe suchte, befahl er dem Manne, einen kleinen pulverisirten Magnet zu verschlucken, während er gleichzeitig einen aus Eisenfeilspänen bereiteten Umschlag auf die äußerliche Geschwulst legte. Er erwartete, daß auf diese Weise der Magnet, wenn er inwendig an die entsprechende Stelle käme, das Eisen und mit diesem die Geschwulst nach innen ziehen und rasch und ohne Schmerzen beseitigen würde.

So wie diese neue Theorie des Magnetismus Verbreitung gewann, fand man, daß mit irgend einer metallischen Substanz beigebrachte Wunden durch den Magnet geheilt werden könnten. Im Laufe der Zeit ging dieser Wahn so weit, daß man glaubte, man brauche ein Schwert nur zu magnetisiren, um jede von diesem Schwert herrührende Verletzung zu heilen.

Dies war der Ursprung der berühmten „Waffensalbe“, welche gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts so viel Aufmerksamkeit erregte. Zur Heilung aller von einer scharfen Waffe herrührenden Wunde, ausgenommen wenn das Herz, das Gehirn oder die Arterien verletzt waren, gab Paracelsus folgendes Recept:

„Man nehme Moos vom Schädel eines am Galgen hängen gebliebenen Diebes, echten Mumiensaft, noch warmes Menschenblut – von jedem eine Unze, Menschenfett zwei Unzen, Leinöl, Terpentin und armenischen Bolus – von jedem zwei Drachmen. Alles dies mische man in einer Reibschale gut durcheinander und verwahre die Salbe in einem länglichen engen Gefäß.“

Mit dieser Salbe sollte die Waffe, nachdem sie in Blut von, der Wunde getaucht worden, sorgfältig eingerieben und dann an einem kühlen Orte verwahrt werden. Mittlerweile sollte die Wunde gut mit reinem Wasser ausgewaschen, mit einem säubern weichen Stück Leinwand verbunden und einmal täglich geöffnet werden, um angesammelten Eiter oder andere Unreinigkeiten zu entfernen. Daß die Behandlung von gutem Erfolg begleitet war, läßt sich nicht bezweifeln, denn unsere geschicktesten Wundärzte befolgen noch gegenwärtig genau dieselbe Methode, blos mit dem Unterschied, daß sie das Bestreichen der Waffe mit Salbe unterlassen,

Uebrigens hielt man es nicht immer für nothwendig, die Waffensalbe anzuwenden, um Heilung einer Wunde zu bewirken. Man brauchte, glaubte man, das Schwert blos mit der Hand zu magnetisiren – es ist dies das erste Aufdämmern der Theorie von dem animalischen Magnetismus – um jeden durch diese Waffe verursachten Schmerz zu heben. Man behauptete, wenn man das Schwert mit den Fingern aufwärts striche, so hätte der Verwundete sofortige Linderung; striche man es dagegen abwärts, so empfände er unerträglichen Schmerz.

Zu derselben Zeit hegte man einen anderweiten sehr eigenthümlichen Begriff von der Macht und den Eigenschaften des Magnetismus. Man glaubte nämlich, es könne ein sympathetisches Alphabet auf das Fleisch gemacht werden, mittelst welches Alphabetes die betreffenden Personen, obschon Tausende von Meilen weit von einander entfernt, mit einander correspondiren und sich alle ihre Gedanken mit der Schnelligkeit der Willenskraft mittheilen könnten.

Zu diesem Zweck ward zwei Personen jeder ein Stück Fleisch vom Arme geschnitten und diese Stücken in noch warmem und blutendem Zustande eins gegen das andere vertauscht. Das auf diese Weise abgetrennte Stück wuchs an dem neuen Arm, auf den es gebracht worden, fest, behielt aber eine so enge Sympathie mit seinem ursprünglichen Gliede, daß sein früherer Besitzer jede Berührung empfand, welche dem früher ihm gehörigen Fleische widerfuhr. Auf diese vertauschten Fleischstücken wurden nun, nachdem sie festgewachsen waren, die Buchstaben des Alphabets tättowirt, so daß, wenn eine Mittheilung gemacht werden sollte, eine oder die andere der beiden Personen, wenn auch das unermeßliche Weltmeer zwischen ihnen wogte, blos ihren Arm mit einer magnetischen Nadel zu berühren brauchte, und der Freund wußte sofort, daß der Telegraph thätig war. Jeder Buchstabe, den er auf seinem eigenen Arme berührte, erzeugte auf der Stelle desselben Buchstabens an dem Arme seines Correspondenten einen augenblicklichen Schmerz.

Viele gelehrte Männer in verschiedenen Theilen Europa’s lenkten ihre Aufmerksamkeit auf das Studium des Magnets, denn sie glaubten, daß er wirklich in vielen Krankheiten mit guter Wirkung angewendet werden könne. Der Magnet, sagte man, zieht Eisen an; Eisen findet sich überall, und folglich steht auch Alles unter dem Einfluß des Magnetismus. Es ist blos eine Modification des allgemeinen Princips, welches unter den Menschen Eintracht oder Zwietracht erzeugt. Es ist dasselbe Agens, in welchem Sympathie, Antipathie und die Leidenschaften ihren Entstehungsgrund haben. Von den Gelehrten, welche sich durch ihren Glauben an den Magnetismus hervorthaten, verdienen Sebastian Würdig und William Maxwell besondere Erwähnung. Würdig war Professor der Medicin an der Universität Rostock und schrieb 1673 eine Abhandlung unter dem Titel „die neue Medicin der Geister“, worin der Verfasser behauptete, daß ein magnetischer Einfluß nicht blos zwischen den himmlischen und irdischen Körpern, sondern zwischen allen lebenden Wesen stattfände. Die ganze Welt, sagte er, stünde unter dem Einfluß des Magnetismus – das Leben werde durch den Magnetismus erhalten und der Tod sei die Folge des Magnetismus (!). – Maxwell, der andere Enthusiast, war ein eifriger Schüler des großen Paracelsus selbst und rühmte sich, er habe das Dunkel aufgehellt, in welches nur zu viele der wunderwirkenden Recepte dieses großen Philosophen gehüllt gewesen seien. Seine Werke wurden im Jahre 1679 zu Frankfurt gedruckt. Aus der nachfolgenden daraus entlehnten Stelle scheint hervorzugehen, daß er den [739] großen Einfluß der Einbildungskraft sowohl bei der Erzeugung als bei der Heilung von Krankheiten recht wohl kannte.

„Wenn man Wunder zu wirken wünscht,“ sagte er, „so abstrahire man von der Materialität der Wesen – man vermehre die Summe der Spiritualität in Körpern – man erwecke den Geist aus seinem Schlummer. Kann man nicht das eine oder das andere von diesen Dingen thun – kann man nicht die Idee fesseln, so kann man auch niemals etwas Gutes oder Großes zu Stande bringen.“ Und in der That, hierin liegt das ganze Geheimniß des Magnetismus und aller Täuschungen ähnlicher Art. Man steigere die Spiritualität – man rüttle den Geist aus seinem Schlummer wach, oder mit andern Worten, man wirke auf die Phantasie ein – man erwecke Glauben und blindes Vertrauen, und man kann Alles thun.

Zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts ward die Aufmerksamkeit Europa’s durch ein merkwürdiges Beispiel von Fanatismus beansprucht, welches die Anhänger des thierischen Magnetismus als einen Beweis für ihre Theorie geltend zu machen versucht haben. Die Convulsionäre oder Besessenen von St. Medardus, wie man sie nannte, versammelten sich in großen Massen um das Grab ihres Lieblingsheiligen, des jansenistischen Priesters Franz von Paris, und lehrten einander in Zuckungen fallen. Sie glaubten, der heilige Franz werde alle ihre Gebrechen heilen, und die Zahl hysterischer Frauen und schwachsinniger Personen aus allen Ständen, welche von nah und fern zu dem Grabmal geströmt kamen, war so groß, daß alltäglich sämmtliche dahinführende Zugänge förmlich versperrt wurden. Sich bis auf den äußersten Gipfel der Aufregung hinaufarbeitend, verfielen diese Personen eine nach der andern in Zuckungen, während einige von ihnen, die sich anscheinend noch im Besitz aller ihrer Geistesfähigkeiten befanden, sich freiwillig Qualen und Martern preisgaben, die unter gewöhnlichen Umständen hinreichend gewesen wären, ihnen das Leben zu rauben. Die Auftritte, welche hier stattfanden, waren eine Schande für die Civilisation und Religion – ein seltsames Gemisch von Obscönität, Widersinnigkeit und Aberglaube. Während Einige vor dem Schrein des heiligen Franz auf den Knieen lagen, kreischten Andere und machten den fürchterlichsten Lärm. Die Weiber strengten sich ganz besonders an. Auf der einen Seite der Capelle sah man ein paar Dutzend derselben alle in Convulsionen, während auf der andern ebenso viele, bis zu einem gewissen Grad von Wahnsinn aufgestachelt, sich die gröbsten Unanständigkeiten erlaubten. Einige von ihnen fanden ein wahnwitziges Vergnügen daran, sich schlagen und mit Füßen treten zu lassen. Eine davon war ganz besonders auf diese sonderbaren Caressen so erpicht, daß nur die empfindlichsten Hiebe sie zufriedenstellen konnten. Während ein Kerl von herkulischer Stärke mit einer schweren Eisenstange aus Leibeskräften auf sie losschlug, forderte sie ihn unaufhörlich zu erneueten Anstrengungen auf. Je heftiger er auf sie losschlug, desto besser gefiel es ihr, und sie rief fortwährend: „So ist’s recht, Bruder; so ist’s recht! O wie wohl das thut! Muth, lieber Bruder, Muth! Schlag derb, immer derber!“

Eine andere dieser Besessenen war womöglich eine noch größere Freundin vom Geschlagenwerden. Carré von Moutgéron, der dies erzählt, war nicht im Stande, sie durch sechzig Hiebe mit einem großen Schmiedehammer zufrieden zu stellen. Später bediente er sich, um einen Versuch zu machen, desselben Werkzeugs mit demselben Grade von Kraft, und es gelang ihm, mit dem fünfundzwanzigsten Hiebe ein Loch in eine steinerne Mauer zu schlagen. Ein anderes Weib, Namens Sonnet, legte sich, ohne eine Miene zu zucken, auf glühende Kohlen und erwarb sich dadurch den Beinamen des Salamanders, während Andere, die nach einem noch großartigeren Märtyrerthum trachteten, sich zu kreuzigen versuchten.

Während eines Zeitraums von sechzig oder siebzig Jahren war der Magnetismus fast einzig und allein auf Deutschland beschränkt. Männer von Verstand und Gelehrsamkeit widmeten ihre Aufmerksamkeit den Eigenschaften des Magnets, und ein gewisser Pater Hell, ein Jesuit und Professor der Astronomie an der Universität Wien, machte sich durch seine magnetischen Curen berühmt. Um das Jahr 1771 erfand er Stahlplatten von eigenthümlicher Form, die er zur Heilung verschiedener Krankheiten dem Patienten auf den bloßen Körper legte. Drei Jahre später theilte er sein System dem damals noch ganz unbekannten Anton Mesmer mit. Dieser bildete die Ideen des Pater Hell weiter aus, stellte eine neue, selbstausgearbeitete Idee darüber auf und ward auf diese Weise der Begründer des thierischen Magnetismus.

Die Feinde dieses neuen Irrglaubens haben Mesmer fast alle als einen gewissenlosen Abenteurer verschrieen, während seine Anhänger und Schüler ihn als Regenerator des Menschengeschlechts bis zum Himmel erhoben haben. Mit beinahe denselben Worten, die die Rosenkreuzer auf die Stifter ihrer Secte anwendeten, hat man ihn den Entdecker des Geheimnisses, welches den Menschen in nähere Beziehung zu seinem Schöpfer bringt, den Befreier der Seele von den erniedrigenden Fesseln des Fleisches und den Mann genannt, welcher uns in den Stand setzt, der Zeit zu trotzen und die Hemmnisse des Raums zu besiegen.

Eine sorgfältige Prüfung seiner Aussprüche und der zur Unterstützung derselben angeführten Beweise wird sehr bald zeigen, welche Meinung die richtigere ist.

Mesmer war im Mai 1733 zu Weil im Thurgau geboren und studirte Medicin auf der Universität Wien. Im Jahre 1766 promovirte er und wählte den „Einfluß der Planeten auf den menschlichen Körper“ zum Gegenstand seiner Inauguraldissertation. Da er dieses Thema ganz nach Art der alten astrologischen Aerzte behandelt hatte, so ward er deswegen, damals sowohl, als auch noch später, vielfach verspottet. Schon in jener frühen Periode seiner Thätigkeit keimten einige schwache Ideen seiner großen Theorie in seinem Geiste. In seiner Dissertation behauptete er, daß Sonne, Mond und Fixsterne gegenseitig auf einander einwirken, daß sie auf unserer Erde Ebbe und Fluth nicht blos im Meere, sondern auch in der Atmosphäre bewirken und auf gleiche Weise alle organisirten Körper durch das Medium einer subtilen beweglichen Flüssigkeit afficiren, welche das Weltall durchdringt und alle Dinge in Harmonie und Wechselwirkung bringt.

Dieser Einfluß, sagte er, werde besonders auf das Nervensystem ausgeübt und erzeuge zweierlei Zustände, welche er Intension und Remission nannte, worin er die verschiedenen, bei mehreren Krankheiten wahrnehmbaren periodischen Umwandlungen erklärt zu sehen glaubte. Als er später Pater Hell kennen lernte, ward er durch die von diesem gemachten Beobachtungen von der Wahrheit vieler seiner eigenen Ideen noch mehr überzeugt und nachdem er sich von Hell einige magnetische Platten hatte fertigen lassen, beschloß er, selbst Versuche damit anzustellen.

Der günstige Erfolg dieser Versuche setzte ihn in Erstaunen. Der Glaube der Träger der Metallplatten wirkte Wunder. Mesmer erstattete von Allem, was er vorgenommen, dem Pater Hell treulich Bericht, und Letzterer veröffentlichte diese Mittheilungen als die Resultate seiner eigenen glücklichen Erfindung, während er von Mesmer als von einem Arzte sprach, der nach seiner Anleitung curire. Mesmer nahm dies sehr übel, denn er hielt sich natürlich für eine weit wichtigere Person, als Pater Hell. Er nahm die Erfindung als seine eigene in Anspruch, beschuldigte Hell eines Vertrauensbruches und erklärte ihn für einen gemeinen Menschen, der von den Entdeckungen eines Andern Nutzen zu ziehen suche. Hell antwortete, und die Folge war ein ziemlich hitziger Streit, der mehrere Monate lang in Wien Gegenstand des Stadtgesprächs war. Hell errang zuletzt den Sieg. Mesmer ließ sich dadurch jedoch nicht entmuthigen, sondern fuhr fort, seine Ansichten zu veröffentlichen, bis er endlich auf die Theorie vom animalischen Magnetismus gerieth.

Einer seiner Patienten war eine junge Dame, welche an periodischen Convulsionen litt, die von Blutandrang nach dem Kopfe und Delirium begleitet waren. Es gelang ihm sehr bald, diese Symptome in sein System von dem Einfluß der Planeten einzupassen, und er glaubte die Perioden des Anfalls und des Rückganges voraussagen zu können. Nachdem er sich so auf ihm genügende Weise den Ursprung der Krankheit erklärt[WS 1], verfiel er auf die Idee, daß er sichere Heilung bewirken würde, wenn er sich vollständig von dem überzeugen könnte, was er schon lange geglaubt, nämlich daß zwischen den Körpern, aus welchen unser Erdball zusammengesetzt ist, eine ähnliche Wechselwirkung bestünde, wie zwischen den Himmelskörpern, vermittelst welcher Wirkung er die vorhin erwähnten periodischen Erscheinungen von Ebbe und Fluth auf künstliche Weise nachahmen könnte.

[754]
Mesmer heilt mit Handauflegen. – Mesmer’s Salon und seine magnetische Operation. – Schöne junge Männer als Magnetiseure. – Mesmer’s Schwindel der Wissenschaft gegenüber. – Schilderung des Zustandes der Magnetisirten. – Wüstlinge als Magnetiseure.

Mesmer behauptete vor Allen, die ihn anhören wollten, die magnetische Materie oder das magnetische Fluidum durchdringe das ganze Weltall – jeder menschliche Körper enthalte es und könne den Ueberfluß davon durch Aufbietung der Willenskraft einem Andern mittheilen. In einem Briefe an einen Freund in Wien sagte er: „Ich habe bemerkt, daß das magnetische Fluidum beinahe dasselbe ist, wie das elektrische, und daß es auf dieselbe Weise mit Hülfe vermittelnder Körper übergetragen werden kann. Stahl ist nicht die einzige Substanz, welche zu diesem Zwecke taugt. Ich habe Papier, Brod, Wolle, Seide, Steine, Leder, Glas, Holz, Menschen und Hunde – kurz alles, was ich berührte, in solchem Grade magnetisch gemacht, daß diese Substanzen auf kranke Personen dieselben Wirkungen hervorbrachten, wie die Elektricität.“

Mesmer fand seinen Aufenthalt in Wien nicht lange so angenehm, als er wünschte. Seine Behauptungen fanden nur Gleichgültigkeit oder Verachtung und er beschloß daher, sich einen andern Wirkungskreis zu suchen. Er reiste demgemäß nach Schwaben und nach der Schweiz. In dem letztern Lande lernte er den berühmten Pater Gaßner kennen, der zu seinem Vergnügen Teufel austrieb und die Kranken dadurch heilte, daß er blos die Hände auf sie legte. Bei seiner Annäherung fielen zarte Mädchen in Convulsionen und Hypochonder glaubten sich geheilt. Sein Haus ward täglich von Lahmen, Blinden und Leidenden aller Art belagert.

Mesmer erkannte sofort die Wirksamkeit dieser Curen an und erklärte, daß sie das unzweifelhafte Resultat seiner neuentdeckten Kraft des Magnetismus seien. Einige Patienten des Paters wurden sofort Mesmer’s Manipulationen unterzogen und an ihnen dieselben Resultate erzielt. Hierauf versuchte er seine Hand an einigen Kranken in den Hospitälern zu Bern und Zürich, und es gelang ihm, nach seiner eigenen Versicherung – obschon diese von keiner Seite bestätigt oder unterstützt ward – Blinde und Gichtbrüchige zu heilen. Mit dieser Versicherung kehrte er nach Wien zurück, in der Hoffnung, seine Feinde zum Schweigen zu bringen oder sie wenigstens zu zwingen, seinen neuerlangten Ruf zu respectiren und sein System aufmerksamer zu prüfen.

Sein zweites Erscheinen in dieser Hauptstadt war jedoch kein glücklicheres, als das erste. Er unternahm es, die damals berühmte Sängerin Paradis zu heilen, welche stockblind war und an epileptischen Zufällen litt. Er magnetisirte sie mehrmals und erklärte dann, sie sei geheilt – wenigstens sei, wenn sie es nicht sei, dies ihre eigene Schuld, aber nicht die seinige. Ein ausgezeichneter Augenarzt jener Zeit, Namens Barth, besuchte sie und erklärte, sie sei noch eben so blind, als vorher, während ihre Familie sagte, daß sie auch den epileptischen Zufällen noch eben so unterworfen sei, wie früher. Mesmer behauptete dennoch, sie sei geheilt. Er erklärte, man habe sich gegen ihn verschworen und Fräulein Paradis stelle sich blos blind, um seinem Rufe zu schaden (!). Die Folgen dieser vorgeblichen Cur bewiesen Mesmer, daß Wien nicht der rechte Platz für ihn sei. Paris, die Stadt des Müßiggangs, der Ausschweifung, der Vergnügungssucht und des Haschens nach Neuigkeiten, war der Schauplatz für einen Mann wie er, und demgemäß begab er sich dorthin.

[755] Im Jahr 1778 kam er in Paris an. Anfangs fand er nur geringe Ermuthigung und er sah, daß die Leute geneigter waren, über ihn zu lachen, als ihn in Schutz zu nehmen. Er war jedoch ein Mann, der großes Selbstvertrauen und eine Ausdauer besaß, die durch keinerlei Schwierigkeiten besiegt werden konnte. Demgemäß miethete er eine prachtvolle Wohnung und gestattete den Zutritt in dieselbe Allen, welche mit der neuen Naturkraft einen Versuch zu machen wünschten. Herr d’Eslon, ein sehr berühmter Arzt, erkannte Mesmer’s Theorie als richtig an, und von dieser Zeit an ward der thierische Magnetismus oder, wie Manche ihn nannten, der Mesmerismus in Paris Mode. Die Frauen namentlich schwärmten dafür und verbreiteten den Ruf der neuen Entdeckung in allen Kreisen der Gesellschaft. Mesmer ward der Löwe des Tages, und Vornehm und Gering, Reich und Arm, Leichtgläubige und Zweifler – alle eilten, sich von der Macht dieses gewaltigen Zauberers zu überzeugen.

Mesmer, der so gut als irgend Jemand den Einfluß der Phantasie kannte, beschloß, daß in dieser Beziehung es an nichts fehlen sollte, was die Wirkung des magnetischen Zaubers erhöhen könnte. In ganz Paris gab es kein Haus, welches so wunderschön eingerichtet und ausgestattet war wie das Mesmer’s. Kostbare Glasmalereien ließen ein gedämpftes, geheimnißvolles Licht in die geräumigen Salons fallen, die mit Spiegeln beinahe bedeckt waren. Orangeblüthen erfüllten die Corridors mit Wohlgeruch, Weihrauch dampfte in antiken Vasen auf den Kaminsimsen, Aeolsharfen seufzten melodische Musik aus fernen Zimmern, während zuweilen eine sanfte weibliche Stimme von oben oder von unten leise das geheimnißvolle Schweigen unterbrach, welches in dem Hause herrschte und Allen, die es besuchten, zur strengen Pflicht gemacht ward. Die magnetische Operation selbst fand in folgender Weise statt.

In die Mitte des Salons ward ein ovales Gefäß gesetzt, dessen längster Diameter ungefähr vier Fuß und dessen Tiefe einen Fuß betrug. In dieses Gefäß wurden eine Anzahl mir magnetisirtem Wasser gefüllte, gut mit Korken verschlossene Flaschen strahlenförmig und so gelegt, daß die Hälfe nach außen gerichtet waren. Hierauf ward Wasser in das Gefäß gegossen, sodaß es die Flaschen eben nur bedeckte, und dann und wann Eisenfeilspäne hineingeworfen, um die magnetische Wirkung zu erhöhen. Sodann ward das Gefäß mit einem eisernen Deckel verschlossen, in welchem eine Menge Löcher angebracht waren. Aus jedem dieser Löcher ragte ein langer beweglicher eiserner Stab hervor, mit dem die Patienten den kranken Theil ihres Körpers berühren sollten. Um diesen Apparat herum saßen die Patienten, hielten einander bei der Hand und drückten ihre Kniee so fest als möglich an einander an, um das Ueberströmen des magnetischen Fluidums von Einem zu dem Andern zu erleichtern. Dann traten die Magnetiseurgehülfen ein, meistens starke, schöne junge Männer, um aus ihren Fingerspitzen neue Ströme des wunderbaren Fluidums in die Patienten zu ergießen. Sie faßten den Patienten zwischen die Kniee, rieben ihm sanft das Rückgrat und stierten ihn unverwandt an, um ihn durch das Auge zu magnetisiren. Während dieser ganzen Zeit herrschte unverbrüchliches Schweigen, mit Ausnahme einiger raschen undeutlichen Gänge auf einem fernen Piano oder der melodischen Stimme einer verborgenen Sängerin, die sich in langen Zwischenräumen hören ließ. Allmählich begannen die Wangen der Damen zu glühen, ihre Phantasie erhitzte sich immer mehr und eine nach der andern verfiel in Convulsionen. Einige schluchzten und zerrauften sich das Haar, andere lachten, bis ihnen die Thränen aus den Augen flossen, während noch andere schrieen, heulten und kreischten, bis sie die Besinnung ganz verloren.

Dies war die Krisis des Deliriums. Mitten in derselben erschien die Hauptperson – Mesmer selbst. Wie Prospero schwang er seinen Stab, um neue Wunder zu wirken. In ein langes Gewand von violetter, reich mit goldenen Blumen gestickter Seide gehüllt, trug er in seiner Hand einen weißen magnetischen Stab und kam mit würdevollem Blick wie ein morgenländischer Kalif feierlich in das Zimmer hereingeschritten. Die, welche noch nicht ganz ihrer Besinnung beraubt waren, bezwang er durch sein Auge, und ihre Convulsionen wurden minder heftig. Den Besinnungslosen strich er mit den Händen über die Augenbrauen und das Rückgrat herab, beschrieb mit feinem langen weißen Stabe allerhand Figuren auf ihrer Brust, und sie kamen wieder zur Besinnung. Sie wurden ruhig, erkannten seine Macht an und sagten, sie fühlten Ströme von kaltem oder brennendem Dunste durch ihren Körper gehen, je nachdem er seinen Stab oder seine Finger vor ihnen bewegte.

Die Sensation, welche Mesmer’s Experimente in Paris hervorriefen, war ungeheuer. Kein theologischer Streit ward in den früheren Jahrhunderten der katholischen Kirche je mit größerer Erbitterung geführt. Seine Gegner leugneten die Entdeckung einer bis dahin unbekannten Naturkraft. Einige nannten ihn einen Charlatan, Andere einen Narren und wieder Andere, wie z. B. der Abbé Fiard, einen Menschen, der sich dem Teufel verkauft habe.

Seine Freunde waren in ihrem Lobe eben so ungestüm, als seine Feinde in ihrem Tadel. Paris ward mit Flugschriften über dieses Thema überschwemmt, von welchen eben so viele die neue Lehre angriffen als vertheidigten. Bei Hofe sprach die Königin selbst sich zu Gunsten derselben aus, und in der Gesellschaft war von nichts Anderem die Rede.

Auf d’Eslon’s Rath beantragte Mesmer eine Prüfung seiner Theorie durch die medicinische Facultät. Er schlug vor, man solle vierundzwanzig Patienten auswählen, von welchen er zwölf magnetisch behandeln wollte, während die andern zwölf von der Facultät nach den alten sanctionirten Methoden behandelt werden sollten. Ebenso verlangte er, daß die Regierung, um Streitigkeiten vorzubeugen, gewisse Personen bestimmen solle, die nicht Aerzte wären und den Experimenten beizuwohnen hätten, und daß der Zweck der Untersuchung nicht sei, zu erfahren, wie diese Wirkungen hervorgebracht würden, sondern ob sie wirklich die Heilung irgend einer Krankheit zu Stande brächten. Die Facultät erhob jedoch gegen die Beschränkung der Untersuchung auf diese Weise Einspruch, und der Vorschlag fiel somit zu Boden.

Mesmer schrieb nun an die Königin Marie Antoinette, um durch ihren Einfluß den Schutz der Regierung zu erlangen. Er wünschte, daß man ihm ein Schloß mit dazu gehörigen Ländereien schenke und ein reichliches jährliches Einkommen aussetze, damit es ihm dadurch möglich gemacht würde, seine Experimente mit Muße und unbehelligt durch die Verfolgung seiner Feinde fortzusetzen. Dabei deutete er darauf hin, daß es die Pflicht der Regierung sei, Männer der Wissenschaft zu unterstützen, und gab die Befürchtung zu erkennen, daß er, wenn er keine weitere Ermuthigung fände, genöthigt sein würde, seine große Entdeckung in ein anderes Land zu tragen, welches bereitwilliger sei, ihn nach Verdienst zu würdigen.

Die Regierung bot ihm eine Pension von zwanzig tausend Francs und den St. Michaelsorden, wenn er wirklich eine neue Entdeckung in der Heilkunde gemacht hätte und sie den vom König hierzu bestimmten Aerzten mittheilte. Dieser letztere Theil des Vorschlags war Mesmer nicht angenehm. Er fürchtete den ungünstigen Bericht der königlichen Aerzte und erklärte, indem er die Unterhandlung abbrach, daß es ihm nicht auf’s Geld, sondern blos darauf ankomme, seine Entdeckung sofort von der Regierung anerkannt zu sehen. Hierauf zog er sich mißmuthig und unzufrieden nach Spaa zurück, unter dem Vorwande, zur Wiederherstellung seiner Gesundheit den dortigen Brunnen trinken zu wollen.

Nachdem er Paris verlassen, forderte die medicinische Facultät den Dr. d’Eslon zum dritten und letzten Mal auf, der Theorie vom animalischen Magnetismus zu entsagen, oder gewärtig zu sein, aus dieser Corporation ausgestoßen zu werden. Weit entfernt, diesem Verlangen nachzukommen, erklärte d’Eslon vielmehr, er habe neue Geheimnisse entdeckt und verlange genauere Untersuchung. Demgemäß ward am 12. März 1784 eine königliche Commission der medicinischen Facultät bestimmt und ihr eine zweite Commission der Akademie der Wissenschaften beigegeben, um die betreffenden Phänomene zu erforschen und darüber Bericht zu erstatten.

Die erste Commission war aus den berühmtesten Aerzten von Paris zusammengesetzt, während unter den die zweite Commission bildenden ausgezeichneten Männern Benjamin Franklin, Lavoisier und Bailly, der Geschichtsschreiber der Astronomie, sich befanden. Mesmer ward in aller Form eingeladen, vor dieser Corporation zu erscheinen, verschob aber seine Ankunft bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande von einem Tage zum andern. D’Eslon war ehrlicher, denn er glaubte wirklich an den thierischen Magnetismus, was bei Mesmer wahrscheinlich gar nicht der Fall war, wohnte auch den Sitzungen regelmäßig bei und machte Experimente.

Bailly hat die Scenen, deren Augenzeuge er im Laufe dieser Untersuchung war, auf folgende Weise beschrieben: „Die in [756] großer Zahl und in mehreren Reihen um den baquet oder die Wanne sitzenden Kranken empfangen den Magnetismus nicht blos durch die aus dem baquet hervorragenden eisernen Stäbe, sondern auch durch die um ihren Körper gewundenen Schnuren, durch die Berührung des Daumens, der ihnen den Magnetismus ihres Nachbars übermittelt, und durch den Klang eines Pianoforte oder einer angenehmen Stimme, welche die Luft mit Magnetismus erfüllt. Die Patienten werden jedoch auch direct dadurch magnetisirt, daß der Magnetiseur seinen Zeigefinger oder Stab langsam vor ihren Gesichtern, über oder hinter ihren Köpfen und auf den krankhaften Theilen bewegt. Der Magnetiseur wirkt auch dadurch, daß er seine Augen auf sie heftet. Vor allen Dingen aber werden die Kranken durch Auflegen der Hände und den Druck der Finger auf die weichen Theile unter den Rippen magnetisirt – eine Manipulation, die oft sehr lange, zuweilen mehrere Stunden, dauert. Mitterweile bieten die Patienten in ihren verschiedenen Zuständen ein sehr mannichfaltiges Schauspiel dar. Manche verhalten sich ganz still und ruhig und verspüren gar keine Wirkung. Andere husten, spucken, fühlen leichte Schmerzen, örtliche oder allgemeine Hitze und brechen in Schweiß aus. Andere dagegen werden durch heftige Convulsionen gequält. Diese Convulsionen sind in Bezug auf die Menge der davon befallenen Patienten, so wie hinsichtlich ihrer Dauer und Kraft sehr merkwürdig. Sobald als einer der Patienten in Zuckungen zu fallen beginnt, werden auch mehrere Andere davon angesteckt. Die Commissare haben einige dieser Convulsionen beobachtet, die über drei Stunden dauerten. Gewöhnlich sind sie von Auswerfung eines schmutzigen, klebrigen Wassers begleitet, welches durch heftige Anstrengungen zu Tage gefördert wird. Zuweilen hat man Streifen Blut in dieser Flüssigkeit bemerkt. Diese Convulsionen charakterisiren sich durch die plötzliche unwillkürliche Bewegung aller Glieder und des ganzen Körpers, durch das Zusammenziehen der Kehle, durch die hüpfenden Bewegungen des Unterleibes, durch Umschleierung und Rollen der Augen, durch gellendes Geschrei, Thränen, Schluchzen und unmäßiges Gelächter. Vorher sowohl, als nachher, tritt ein Zustand von Ermattung oder Träumerei, eine Art Niedergeschlagenheit und zuweilen Schläfrigkeit ein. Das geringste plötzliche Geräusch verursacht ein Schaudern, und man bemerkte, daß ein Wechsel des Taktes in den auf dem Pianoforte gespielten Melodien einen großen Einfluß auf die Patienten hatte. Ein rascheres Tempo, eine munterere Melodie regte sie mehr auf und erneuete die Lebhaftigkeit ihrer Convulsionen.

Nichts ist erstaunlicher als der Anblick dieser Zuckungen. Wer sie nicht gesehen hat, kann sich keinen Begriff davon machen. Der Zuschauer erstaunt ebenso sehr über die tiefe Ruhe eines Theils der Patienten als über die Aufregung der andern – über die verschiedenen sich wiederholenden Zufälle und die dabei zu Tage tretenden Sympathien. Einige der Patienten widmen sich wechselseitig die größte Aufmerksamkeit, indem sie mit offenen Armen auf einander zustürzen, lächeln und ihre Zuneigung und Anhänglichkeit auf alle nur mögliche Weise zu erkennen geben. Alle aber stehen unter der Macht des Magnetiseurs. Es kommt nichts darauf an, in welchem Zustand von Schlafsucht sie sich befinden. Der Klang seiner Stimme, ein Blick, eine Bewegung seiner Hand erweckt sie. Unter den Patienten, welche von Zuckungen befallen werden, bemerkt man stets sehr viele Frauen, aber nur sehr wenig Männer.“

Diese Experimente dauerten ungefähr fünf Monate. Kaum hatten sie begonnen, so beschloß Mesmer, erschrocken über den drohenden Verlust sowohl an Ruhm als an Gewinn, nach Paris zurückzukehren. Einige Patienten von Rang und Vermögen und enthusiastische Anhänger seiner Theorie waren ihm nach Spaa gefolgt. Einer von ihnen, Namens Bergasse, schlug vor, für ihn eine Subscription von hundert Antheilen, jede zu hundert Louisd’or, unter der Bedingung zu eröffnen, daß er sein Geheimniß den Subscribenten enthüllte, welchen es dann freistehen sollte, beliebigen Gebrauch davon zu machen. Mesmer ging auf diesen Vorschlag bereitwillig ein, und die Verblendung seiner Anhänger war so groß, daß die bestimmte Summe nicht blos in wenigen Tagen gezeichnet, sondern auch um nicht weniger als einhunderundvierzig tausend Francs überschritten ward.

Mit diesem Vermögen kehrte er nach Paris zurück und begann wieder seine Experimente, während die königliche Commission die ihren fortsetzte. Seine bewundernden Schüler, dir ihn für seinen Unterricht so freigebig bezahlt hatten, breiteten seinen Ruf im ganzen Lande aus und gründeten in allen größern Städten Frankreichs „Harmoniegesellschaften“ zur Anstellung von Experimenten und Heilung aller Krankheiten vermittelst des Magnetismus. Einige dieser Gesellschaften waren ein Scandal für die Moralität, denn es schlossen sich ihnen Lüstlinge an, die ein unnatürliches widerliches Vergnügen daran fanden, junge Mädchen in Convulsionen zu sehen. Viele der angeblichen Magnetiseure waren notorische Wollüstlinge, welche diese Gelegenheit benutzten, um ihre Leidenschaften zu befriedigen.

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Die Erfindung des Somnambulismus. – Auch Bäume werden magnetisirt. – Magnetisirung durch bloße Willenskraft. – Sehen und Hören mit Fußzehen und Fingerspitzen. – Was ein Somambule Alles leisten kann. – Bedingungen beim Magnetisiren. – Vollständige Anleitung zur Erlernung des Magnetisirens. – Ende des Schwindels.

Die Pariser Commission erstattete endlich Bericht über den Mesmerismus und bewies darin sehr klar, daß alle hervorgebrachte Wirkungen auch ohne Streichen oder andere magnetische Manipulationen hervorgebracht werden können, daß ferner alle diese Manipulationen und Ceremonien niemals irgend eine Wirkung hervorbringen, wenn sie ohne Vorwissen des Patienten angewendet werden, und daß deshalb die Erklärung der beobachteten Phänomene in der Einbildungskraft, aber nicht in dem thierischen Magnetismus zu suchen sei.

Dieser Bericht war der Ruin von Mesmers Ruf in Frankreich, und er verließ Paris kurz nachher mit den dreihundertundvierzigtausend Francs, welche von seinen Bewunderern für ihn gezeichnet und gezahlt worden, und zog sich nach Mörsburg am Bodensee zurück, wo er am 5. März 1815 in dem hohen Alter von einundachtzig Jahren starb. Der Samen aber, den er ausgestreut, befruchtete sich von selbst und ward durch die wohlthätige Wärme der menschlichen Leichtgläubigkeit großgezogen und zur Reife gebracht.

Der Marquis von Puysegur, Besitzer eines bedeutenden Landgutes zu Busancy, war einer von denen, welche für Mesmer subscribirt hatten. Nachdem dieser Frankreich verlassen, zog sich der Marquis mit seinem Bruder nach Busancy zurück, um den thierischen Magnetismus an seinen Gutsunterthanen zu erproben und das Landvolk von allen Arten von Krankheiten zu heilen. In der ganzen Nachbarschaft bis auf einen Umkreis von zehn Meilen ward er als mit fast göttlicher Kraft begabt betrachtet. Seine große Entdeckung, wie er sie nannte, ward zufällig gemacht.

Eines Tages hatte er seinen Gärtner magnetisirt, und als er sah, wie dieser in einen tiefen Schlaf fiel, kam er auf den Einfall, eine Frage an ihn zu richten, wie an einen natürlichen Somnambulen. Er that es, und der Mann antwortete mit großer Klarheit und Genauigkeit. Der Marquis ward dadurch angenehm überrascht. Er setzte seine Experimente fort und fand, daß in diesem Zustande von magnetischem Schlaf die Seele des Schlafenden sich erweitere und in genauere Gemeinschaft mit der ganzen Natur, ganz besonders aber mit ihm, dem Marquis, trete. Er fand, daß alle weiteren Manipulationen unnöthig waren, daß er, ohne zu sprechen oder irgend ein Zeichen zu geben, dem Patienten seinen Willen mittheilen, daß er mit einem Worte von Seele zu Seele und ohne Anwendung von irgend einer physischen Operation mit ihm conversiren konnte. Gleichzeitig mit dieser wunderbaren Entdeckung machte er noch eine, welche seinem Verstand zu eben so großer Ehre gereicht. Wie viele seiner Collegen fand er, daß es eine schwere Aufgabe war, Alle zu magnetisiren, die sich bei ihm einfanden, denn es blieb ihm nicht einmal Zeit zu der Ruhe und Erholung, die für seine Gesundheit nothwendig war. In dieser Verlegenheit verfiel er auf ein sehr scharfsinniges Auskunftsmittel. Er hatte Mesmer sagen hören, daß er Stücken Holz magnetisiren könne – warum sollte er nicht im Stande sein, einen ganzen Baum zu magnetisiren?

Sofort schritt er zur Ausführung. Auf dem Gemeindeanger in Busancy stand eine große Ulme, unter welcher die Bauermädchen bei festlichen Gelegenheiten zu tanzen und die alten Leute an schönen Sommerabenden zu sitzen und einen Schoppen von ihrem selbstgebauten Weine zu trinken pflegten. Zu diesem Baume begab sich der Marquis und magnetisirte ihn, indem er ihn erst mit seinen Händen berührte und dann einige Schritte davon zurücktrat, während er Ströme des magnetischen Fluidums von den Aesten nach dem Stamme und von dem Stamme nach der Wurzel dirigirte. Nachdem dies geschehen, ließ er Bänke rings um den Baum errichten und herabhängende Schnuren an den Aesten befestigen. Wenn die Patienten Platz genommen hatten, schlangen sie die Schnuren um die kranken Theile ihres Körpers und hielten einander bei den Daumen fest, um einen ununterbrochenen Mittheilungscanal für das Fluidum zu bilden. Nun hatte der Marquis zwei Steckenpferde – den Mann mit der erweiterten Seele und den magnetischen Baum. Die Verblendung seiner selbst und seiner Patienten läßt sich nicht besser ausdrücken als mit seinen eigenen Worten. In einem Briefe an seinen Bruder vom 17. Mai 1784 sagt er:

„Wenn Du nicht bald kommst, lieber Freund, so bekommst Du meinen außerordentlichen Mann gar nicht zu sehen, denn seine Gesundheit ist jetzt beinahe ganz wiederhergestellt. Ich mache noch fortwährend Gebrauch von der glücklichen Kraft, welche ich Herrn Mesmer verdanke. Jeden Tag segne ich seinen Namen, denn ich stifte vielen Nutzen und bringe viele heilsame Wirkungen auf die armen kranken Leute in unserer Gegend hervor. Sie drängen sich um meinen Baum, und heute Morgen saßen ihrer mehr als einhundertunddreißig darunter. Er ist der beste baquet, den man sich denken kann, und unter allen seinen Blättern befindet sich kein einziges, welches nicht Gesundheit spendete. Alle Kranke fühlen mehr oder weniger die guten Wirkungen davon. Du wirst Dich freuen, das reizende Bild der Humanität zu sehen, welches dieser Baum darbietet. Ich bedauere dabei nur eins, nämlich, daß ich nicht Alle, welche zu mir kommen, berühren kann. Mein Magnetisirter – mein Verstand – beruhigt mich aber. Er lehrt mich, welches Verfahren ich einschlagen soll. Nach seiner Erklärung ist es durchaus nicht nothwendig, daß ich jeden Einzelnen berühre – ein Blick, eine Gebehrde, ja ein Wunsch ist genügend, und der Mann, der mich dies lehrt, ist einer der unwissendsten Bauern meines Dorfes. Wenn er sich in einer Krisis befindet, so kenne ich nichts Gelehrteres, Weiseres und Hellsehenderes, als er ist.“

Während der Marquis von Puysegur auf diese Weise mit seiner Ulme experimentirte, trat in der Person des Chevalier von Barbarin ein Magnetiseur anderer Art in Lyon auf. Dieser glaubte, es bedürfe des Apparats von Stäben oder baquets gar nicht, weil schon die Aufbietung der Willenskraft hinreichend sei, Patienten in magnetischen Schlaf zu versenken. Er versuchte es, und es gelang. Er setzte sich an das Bett seiner Patienten, betete, daß sie magnetisirt werden möchten, und es dauerte nicht lange, so versanken sie in einen ähnlichen Zustand, wie die Patienten des Marquis.

Im Laufe der Zeit tauchten eine beträchtliche Anzahl Magnetiseure, welche Barbarin als ihr Vorbild anerkannten und nach ihm Barbarinisten genannt wurden, in verschiedenen Gegenden auf und man glaubte, daß sie mehrere sehr merkwürdige Curen bewirkt hätten. In Schweden und Deutschland vermehrte sich diese Secte von Fanatikern sehr rasch, und man nannte sie Spiritualisten, um sie von den Anhängern des Marquis von Puysegur zu unterscheiden, welche Experimentalisten genannt wurden. Sie behaupteten, daß alle Wirkungen des animalischen Magnetismus, von welchem Mesmer glaubte, daß sie von einem die ganze Natur durchdringenden magnetischen Fluidum herrührten, schon durch die Willensäußerung einer menschlichen Seele auf die andere hervorgebracht würden und daß, wenn einmal ein Magnetiseur und sein Patient in „Rapport“ mit einander ständen, der Erstere dem Letzteren seinen Einfluß aus jeder Entfernung, selbst wenn sie Hunderte von Meilen betrüge, durch den bloßen Willen mittheilen könne. Einer dieser Leute beschrieb den gesegneten Zustand eines magnetischen Patienten auf folgende Weise:

„In einem solchen Menschen erreicht der animalische Instinct die höchste Stufe, welche in dieser Welt zulässig ist. Der Hellseher ist dann ein reines Thier ohne Beimischung von Materie. Seine Beobachtungen sind die eines Geistes. Er ist Gott ähnlich, und sein Auge durchdringt alle Geheimnisse der Natur. Wenn seine Aufmerksamkeit auf irgend einen der Gegenstände dieser Welt – [771] auf seine Krankheit, seinen Tod, seine Freunde, seine Verwandten, seine Feinde – gerichtet ist, so sieht er sie im Geiste thätig. Er durchschauet die Ursachen und Folgen ihrer Handlungen. Er wird ein Arzt, ein Prophet, ein Gott.“

Der Ausbruch der Revolution von 1789 war – wenigstens in Frankreich – für die weitere Ausbildung der Theorie vom animalischen Magnetismus ein großes Hemmniß. Die öffentliche Aufmerksamkeit ward durch weit ernstere und verhängnißvollere Ereignisse in Anspruch genommen, und Mesmer’s Anhänger verlegten den Schauplatz ihrer Thätigkeit hauptsächlich nach Deutschland. Hier wurden die Wunder des magnetischen Schlafes mit jedem Tage erstaunlicher und gewaltiger. Die Patienten erlangten die Gabe des Prophezeihens; ihr Seherblick erstreckte sich über das ganze Erdreich; sie sahen und hörten mit ihren Fußzehen und Fingerspitzen und lasen unbekannte Sprachen, wenn ihnen das Buch blos auf die Brust gelegt ward. Unwissende Bauern hielten, wenn sie einmal durch das große Mesmerische Fluidum in den Zustand der Verzückung versetzt worden, göttlichere Vorträge über Philosophie, als Plato deren jemals geschrieben, sprachen über die Geheimnisse des menschlichen Geistes mit mehr Beredsamkeit und Wahrheit, als die gelehrtesten Metaphysiker, welche die Welt jemals gesehen, und lösten schwierige theologische Fragen so leicht und schnell, wie ein Wachender seine Schuhriemen.

Während der ersten zwölf Jahre des gegenwärtigen Jahrhunderts war in keinem Lande Europa’s viel vom thierischen Magnetismus zu hören, und selbst in Deutschland gab der Donner von Napoleon’s Kanonen den Gedanken eine materiellere Richtung. Während dieser Zeit hing eine dunkle Wolke über der neuentdeckten Wissenschaft und ward nicht eher verscheucht, als bis der Franzose Deleuze im Jahre 1813 seine „Kritische Geschichte des thierischen Magnetismus“ veröffentlichte. Dieses Werk gab dem schon halb vergessenen Gegenstande einen neuen Anstoß. Zeitungen, Flugschriften und Bücher führten wieder Krieg mit einander, und viele ausgezeichnete Mediciner begannen wieder ihre Forschungen in der ernsten Absicht, die Wahrheit zu entdecken. Die Behauptungen, welche in Deleuze’s berühmtem Werke aufgestellt werden, lassen sich ungefähr in Folgendes zusammenfassen:

„Es gibt,“ sagt er, „ein Fluidum, welches fortwährend dem menschlichen Körper entströmt und um uns herum eine Atmosphäre bildet, welche, da sie keine bestimmte Strömung hat, auf die in der Nähe befindlichen Individuen keine fühlbaren Wirkungen äußert. Dennoch aber kann sie durch den Willen eine bestimmte Richtung erhalten und entströmt dann mit einer Kraft, welche der Energie unseres Willens entspricht. Ihre Bewegung gleicht der Bewegung der Strahlen brennender Körper, und sie besitzt in verschiedenen Personen auch verschiedene Eigenschaften. Dabei ist sie auch eines hohen Grades von Concentration fähig und existirt in Bäumen ebenfalls. Der Wille des Magnetiseurs kann, durch eine mehrmals in derselben Richtung wiederholte Handbewegung geleitet, einen Baum mit diesem Fluidum füllen. Die meisten Personen fühlen, wenn dieses Fluidum aus dem Körper und durch den Willen des Magnetiseurs in sie überströmt, eine Empfindung von Wärme oder Kälte, wenn er seine Hand an ihnen vorüberbewegt, auch ohne sie zu berühren. Manche Personen verfallen, wenn sie von diesem Fluidum hinreichend durchdrungen sind, in einen Zustand von Somnambulismus oder magnetischer Ekstase, und wenn sie sich in diesem Zustande befinden, so sehen sie das Fluidum den Magnetiseur umgeben wie ein Glorienschein und in leuchtenden Strömen aus seinem Mund und seiner Nase, seinem Kopf und seinen Händen hervorkommen. Es besitzt einen sehr angenehmen Geruch und theilt den Speisen und dem Wasser einen eigenthümlichen Geschmack mit.“

„Wenn,“ sagt er weiter, „der Magnetismus den Somnambulismus erzeugt, so erlangt die Person, die sich in diesem Zustande befindet, eine unglaubliche Erweiterung aller ihrer Fähigkeiten. Mehrere der äußeren Organe, besonders die des Gesichts und des Gehörs, werden unthätig, die Empfindungen aber, welche davon abhängen, finden innerlich statt. Sehen und Hören geschieht nun durch das magnetische Fluidum, welches die Eindrucke direct und ohne Dazwischenkunft von Nerven oder Organen dem Gehirn übermittelt. Auf diese Weise sieht und hört der Somnambule nicht blos, obschon seine Augen und Ohren geschlossen sind, sondern er hört und sieht auch viel besser, als wenn er sich in wachem Zustande befindet. In allen Dingen fühlt er den Willen des Magnetiseurs, wenn auch dieser Wille nicht ausgedrückt wird. Er sieht in das Innere seines eigenen Körpers und in die geheimste Organisation der Körper aller Derer, welche mit ihm in Rapport oder magnetischen Verkehr gesetzt werden. Am häufigsten sieht er blos die Theile, welche krank oder in Unordnung sind, und verordnet intuitiv ein Heilmittel für sie. Er hat prophetische Visionen und Empfindungen, die meistentheils wahr, zuweilen aber auch irrig sind. Er drückt sich mit erstaunlicher Beredsamkeit und Leichtigkeit aus. Er ist nicht frei von Eitelkeit. Er wird von selbst auf eine gewisse Zeit ein vollkommneres Wesen, wenn er durch den Magnetiseur gut geleitet wird, geräth aber auf Abwege, wenn die Leitung eine falsche ist.“

Nach Deleuze kann Jeder ein Magnetiseur werden und diese Wirkungen hervorbringen, wenn er die nachfolgenden Bedingungen erfüllt und den hier angegebenen Regeln gemäß verfährt. Er sagt:

„Vergiß auf eine Zeit lang all dein Kenntniß der Physik und Metaphysik.

„Schlage Dir alle Dir vielleicht beigehenden Zweifel und Einwendungen aus dem Sinn.

„Glaube, daß es in Deiner Macht steht, die Krankheit in die Hand zu nehmen und zu beseitigen.

„Stelle sechs Wochen lang, nachdem Du das Studium begonnen, keine Schlußfolgerungen an. (!)

„Hege den thätigen Wunsch, Gutes zu thun, den festen Glauben an die Macht des Magnetismus und unbedingtes Vertrauen bei Anwendung desselben. Entschlage Dich mit einem Worte aller Zweifel, wünsche Erfolg und verfahre mit Einfalt und Aufmerksamkeit.“

Das heißt mit andern Worten: „Sei sehr leichtgläubig; sei sehr beharrlich, verwirf alle frühere Erfahrung und höre nicht auf die Vernunft – dann bist du ein Magnetiseur, wie er verlangt wird.“ Nachdem man sich in diesen erbaulichen Zustand versetzt hat, kann man zum Werke selbst schreiten, wozu unser Autor dann fernerweite Anleitung in folgenden Worten gibt:

„Entferne von dem Patienten alle Personen, welche Dir lästig werden könnten, und behalte blos die nothwendigen Zeugen, wenn es sein kann, nur eine einzige Person bei Dir. Fordere sie auf, sich in keiner Weise mit den Proceduren, die Du anwendest, und den daraus hervorgehenden Wirkungen zu beschäftigen, sondern mit Dir zu wünschen, daß der Patient geheilt werden möge. Siehe zu, daß Du weder zu heiß noch zu kalt bist; sorge dafür, daß die Freiheit Deiner Bewegungen durch nichts gehemmt werde, und triff die nöthigen Vorsichtsmaßregeln, um jeder Unterbrechung oder Störung während der Sitzung vorzubeugen.

„Dann laß Deinen Patienten sich so bequem als möglich niedersetzen und setze Dich ihm gegenüber, aber etwas höher und so, daß seine Kniee sich zwischen den Deinigen und Deine Füße neben den seinen befinden. Vor allen Dingen fordere ihn auf, sich völlig hinzugeben, an nichts zu denken, die vielleicht erzielten Wirkungen nicht erforschen zu wollen, alle Furcht zu verbannen und sich weder stören noch entmuthigen zu lassen, wenn die Wirkung des Magnetismus ihm augenblickliche Schmerzen verursachen sollte.

„Nachdem Du Dich gehörig gesammelt, nimm seine Daumen zwischen Deine Finger und zwar so, daß der innere Theil Deiner Daumen in Berührung mit dem innern Theil der seinen kommt, und dann hefte Deine Augen fest auf ihn. In dieser Situation mußt Du zwei bis fünf Minuten oder so lange bleiben, bis Du zwischen Deinen Daumen und den seinigen eine gleichmäßige Wärme fühlst. Nachdem dies geschehen, ziehst Du Deine Hände zurück, indem Du sie links und rechts bewegst. Gleichzeitig wendest Du sie so, daß ihre innere Fläche nach außen gekehrt wird, und dann hebst Du sie bis zur Höhe des Kopfes des Patienten. Dann legst Du sie ihm auf beide Schultern und läßt sie ungefähr eine Minute lang liegen. Hierauf ziehst Du sie sanft die Arme entlang, und diese nur ganz leise berührend, bis an die Fingerspitzen. Dieses Streichen wirst Du fünf oder sechs Mal wiederholen, dabei aber stets die Hände umdrehen und ein wenig von dem Körper entfernen, ehe Du sie wieder emporhebst. Dann hältst Du sie über den Kopf und fährst hierauf in einer Entfernung von einem oder zwei Zollen von dem Gesicht herab bis auf die Herzgrube. Hier machst Du zwei Minuten lang Halt, indem Du Deinen Daumen auf die Herzgrube und die übrigen Finger unter die Rippen setzest. Dann fährst Du langsam an dem Körper bis zu den Knieen, oder vielmehr, wenn Du es, ohne ausstehen zu müssen, thun kannst, bis zu den Fußzehen herab.

„Diese Proceduren wirst Du während der noch übrigen Sitzung mehrmals wiederholen und gelegentlich Deinem Patienten [772] näher rücken, so daß Du Deine Hände hinter seine Schultern bringen und damit langsam an dem Rückgrat und den Schenkeln bis zu den Knieen oder Füßen herabfahren kannst.“

Dies ist das von Deleuze vorgeschriebene Verfahren beim Magnetisiren. Daß schwächliche, überspannte, nervenkranke Frauen dadurch in Convulsionen versetzt werden konnten, wird selbst der hartnäckigste Gegner des thierischen Magnetismus gern zugeben. Eben so klar ist, daß Personen von stärkerem Gemüth und gesünderem Körper durch diese Proceduren in Schlaf versenkt werden konnten. Es bedarf aber weder des Magnetismus noch einer überirdischen Kundgebung, um uns zu überzeugen, daß Schweigen, eintönige Ruhe und langes Verharren in halbliegender Stellung sehr bald Schlaf erzeugen, oder daß Aufregung, Nachahmungstrieb und lebhafte Einbildungskraft einen schwachen Körper in Convulsionen versetzen können.

Ein anderer nicht lange nach dem Erscheinen von Deleuze’s Buch auftretender berühmter Magnetiseur, der Abbé Faria, bewies durch seine Experimente, daß es zum Gelingen derselben keineswegs eines Fluidums, sondern nur einer hinreichenden Einbildungskraft bedurfte. Er setzte seine Patienten in einen Lehnstuhl, hieß sie die Augen schließen und sprach dann in lautem befehlenden Tone das einzige Wort: „Schlaf!“ Er machte von keinerlei Manipulationen Gebrauch, hatte kein baquet oder sonstigen Apparat, und nichtsdestoweniger gelang es ihm, Hunderte von Patienten in Schlaf zu versenken. Er rühmte sich, auf diesem Wege fünftausend Somnambule gemacht zu haben. Oft mußte er das Commando drei oder vier Mal wiederholen, und wenn der Patient dann immer noch nicht einschlafen wollte, so umging der Abbé die Schwierigkeit dadurch, daß er ihn fortschickte und erklärte, er sei für magnetische Einwirkung nicht empfänglich.

Ueberhaupt darf nicht unbemerkt bleiben, daß die Magnetiseure keinen Anspruch auf allgemeine Wirksamkeit ihres Fluidums machen. Starke und gesunde Personen, sagen sie, Ungläubige und Denker können nicht magnetisirt werden, wohl aber die Schwachen an Körper und Geist und die, welche festen Glauben haben. Und damit nicht aus dem einen oder andern Grunde Personen der letztern Classe dem magnetischen Zauber widerstehen, erklären die Apostel der Wissenschaft, daß es Zeiten gibt, wo sie selbst auf diese nicht einwirken können, denn die Anwesenheit eines einzigen Spötters oder Ungläubigen kann die Macht des Fluidums schwächen oder die Wirkung desselben ganz zerstören. Deleuze sagt in seinen Instructionen ausdrücklich: „Man magnetisire niemals in Gegenwart von Neugierigen!“

Wir können unsere kleine Abhandlung nicht besser schließen, als mit den Worten: „Der Magnetismus,“ sagt ein geistreicher Mann, „ist für die Philosophie, die ihn verwirft, nicht ganz nutzlos gewesen, denn er ist ein neues Beispiel von den Verirrungen des menschlichen Geistes und ein erstaunlicher Beweis von der Stärke der Einbildungskraft, sodaß er über jene immer noch ungelöste Frage – den Einfluß des Geistes auf die Materie – wenigstens ein schwaches und unvollkommenes Licht verbreitet hat.“


  1. Da neuerdings an allen Orten und Enden wieder Wunderdoctoren und Magnetiseure auftauchen, die nicht nur vom „Volke“, sondern just von den Vornehmen und sogenannten „Gebildeten“ am meisten aufgesucht werden, so dürfte der obige ausführliche Artikel als ein abkühlendes Mittel wohl zur rechten Zeit kommen. Den Gläubigen dürfte es dann wie Schuppen von den Augen fallen, daß der neue Schwindel schon ein sehr alter ist.
    Die Redaction.
  2. Eine geheime Gesellschaft, welche kirchliche und alchymistische Zwecke verfolgte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: erkärt