Wohlgemeinte Warnung für Auswanderer

Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Wohlgemeinte Warnung für Auswanderer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 479–480
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[479] Wohlgemeinte Warnung für Auswanderer. Es ist eine wunderbare Thatsache, daß kein Mensch in der Welt weniger geneigt ist, einen guten Rath anzunehmen, als die gerade, die ihn am allernothwendigsten brauchen: die Auswanderer. Haben sie sich einmal erst auf ihren Plan zur Auswanderung verbissen, wozu sie theils die eigenen Verhältnisse, theils verlockend geschriebene Bücher trieben, so wissen sie auf einmal Alles, was das fremde Land betrifft, schon so genau, daß sich gefaßte Vorurtheile gar nicht mehr bei ihnen beseitigen lassen, und nur der noch Glauben bei ihnen findet, der ihnen das künftige Leben mit noch rosigeren Farben schildert, als sie es sich bis jetzt selber ausgemalt.

Man kann unserem deutschen Bauer gewiß nicht eine tüchtige Portion gesunden Menschenverstandes absprechen, vorzüglich soweit es sich um seine eigenen Interessen handelt und er in dem Geleis bleibt, das er von Jugend auf kennt, seinem eigenen Hofe und seinem Felde. So wie er aber aus diesen engen Schranken hinausgeschoben wird, sowie er sein eigenes Dorf nur auf wenige Meilen Entfernung verläßt und sich statt in seiner gewohnten Beschäftigung als Passagier außer jeder Verbindung mit seinem früheren Leben gebracht sieht, befindet und fühlt er sich genau so behaglich, wie ein Fisch auf dem Sande oder eine Katze im Wasser, und fällt dann nur zu leicht jenen Leuten in die Hände, die in solchem Geschäft schon außerordentlich viel Erfahrung haben und ihn, den sie für ihre Zwecke vollkommen brauchbar kennen, so lange quetschen und pressen, als noch ein Groschen aus ihm herauszubringen ist – den Auswanderungs-Agenten.

Ich beabsichtige hier nicht, dem Auswanderer einen bestimmten Rath zu geben, wohin er sich wenden soll, denn darüber kann man nichts Bestimmtes als wahr und unangreifbar aufstellen, da sich die Wahl eines solchen Ziels nur zu häufig nach dem eigenen Charakter des Auswandernden selber richtet. Nein, der Auswanderer mag gehen, wohin er eben Lust hat, aber nur um das Eine bitte ich ihn: seiner selbst wegen sich vor den Leuten besonders in Acht zu nehmen, die wirklich das einzige Interesse bei der Auswanderung selber haben, wenn sie auch immer und immer wieder versichern, daß es nicht der Fall wäre:

den Auswanderungs-Agenten! –

Die Leute sagen allerdings: „der eine oder die zwei Thaler oder die fünf Thaler auch, die ich per Kopf bekomme, machen mich nicht reich; weshalb sollte ich einen Menschen bereden?“

Das ist richtig, von dem Einzelnen haben sie nur geringen Nutzen, darum aber eben muß es die Menge bringen, und auf die Menge machen sie deshalb Jagd.

Sie verpflichten sich dem Rheder (Schiffseigenthümer) gegenüber, ein da oder dorthin bestimmtes Passagierschiff in einer bestimmten Zeit mit Passagieren zu füllen, und jeder Auswanderer, der ihnen in der Zeit in den Wurf kommt, wird nach diesem bestimmten Platz hindirigirt, wenn das irgend möglich ist. Ob es ihm dort nachher gut oder schlecht geht, kann natürlich dem Agenten vollkommen gleichgültig sein.

Die meisten der Herren gehen dabei – ich will es glauben – wenigstens ehrlich zu Werke, indem sie den Auswanderer nur erst zu dem Platz bereden, wohin sie ihn haben wollen, und ihn dann auch wirklich dahin befördern. Aber auch das Gegentheil fällt nur zu häufig vor. So habe ich in Brasilien eine Menge von Leuten gesprochen, die mündlich bestimmt ausgemacht hatten, nach Rio Grande geschafft zu werden, trotzdem aber nur nach Rio de Janeiro befördert waren und nun hülflos in dieser Stadt lagen, ohne Mittel, das Ziel zu erreichen, wo ihre Verwandten und Freunde lebten. Gerichtlich konnten sie ebenfalls nichts ausrichten, denn ihr Schiffscontract, den ich mir zeigen ließ, lautete allerdings auf Rio de Janeiro, und doch waren sie der festen Meinung gewesen, daß sie nach der viel weiter südlich gelegenen Provinz befördert werden müßten. Die Sache war so zugegangen:

Der Agent hatte ihnen gesagt, als ihnen das Wort Rio de Janeiro im Contract auffiel: „Das hat gar nichts zu bedeuten. Jedes Schiff, das [480] nach Brasilien geht, muß erst nach Rio, und von dort habt Ihr ja nachher nur eine ganz kleine Strecke nach Rio Grande hinunter, wohin Ihr augenblicklich mit Sack und Pack befördert werdet. Lieber Gott, die sind ja nur froh, wenn sie Euch dort haben, denn an ordentlichen deutschen Arbeitern fehlt es dort, und von allen Seiten werden sie auf Euch eindrücken und Euch hier und dorthin haben wollen. Nehmt nur nicht gleich das erste Beste an, sonst steht Ihr Euch selber im Licht.“

Die Ursache lag auf der Hand. Die Herren befrachteten gerade Passagierschiffe nach Rio, und alle die dummen Teufel zählten mit, die, für Rio Grande bestimmt, jetzt die Reise über Rio Janeiro machen mußten, dort ausgesetzt wurden und sich nun plötzlich in einem fremden Lande ohne Geld, ohne Freunde, ohne Jemand, der sie auch nur zur Arbeit haben wollte, dem völligen Elend preisgegeben sahen.

Wenn Ihr deshalb einen Contract von einem Auswanderungs-Agenten bekommt, Ihr Alle, die Ihr das Vaterland verlassen wollt, so seht genau nach, ob auch der richtige Hafen, in dem Ihr Euch ausschiffen wollt, darauf genannt ist, und laßt Euch mit keiner Entschuldigung oder Lüge des Agenten zufrieden stellen, vor der Hand einen anderen Hafen anzulaufen.

Man zeigt Euch vielleicht eine kleine Landkarte, auf der zwei solche Plätze scheinbar ganz nah bei einander liegen. In Wirklichkeit sind sie aber gewöhnlich noch sehr weit von einander entfernt, und wenn es auch nur eines einzigen Tages Fahrt wäre, so habt Ihr dadurch eine Masse von Kosten, und findet vielleicht nicht einmal auf Wochen eine Gelegenheit, die Euch dorthin bringen kann, wo Euer Ziel liegt.

Ein anderer wichtiger Punkt ist der: Habt Ihr einen Contract gemacht und vorgelegt bekommen, so geht, ehe Ihr, ihn selber unterschreibt, zu irgend Jemand hin, auf den Ihr glaubt, daß Ihr Euch verlassen könnt, sagt ihm vorher, was Ihr ausgemacht habt, und fragt Ihn dann, ob das auch Alles in dem Contract enthalten ist. Es giebt kleine Schleichwege, auf denen der arme Auswanderer gar nicht selten betrogen wird, und die er selber, mit allen überseeischen Verhältnissen vollkommen unbekannt, gar nicht entdecken kann, und wenn er den Contract zehnmal durchliest.

Außerdem unterzeichnet nie und unter keiner Bedingung einen Contract, der Euch, was Euch auch immer dafür versprochen werde, drüben im neuen Lande die Hände bindet und Euere freien Bewegungen hemmt. Der Deutsche hier im Vaterlande kann nie beurtheilen, wie ein solches Papier draußen zu seinem Nachtheil ausgelegt wird, wenn er eben gewissenlosen Menschen in die Hände fällt, und keine Regierung der Welt kann ihn gegen die Folgen eines Schrittes sichern, wenn er selber erst einmal seinen Namen unter ein solches Papier gesetzt hat.

Ich will dazu nur ein Beispiel aus den berüchtigten brasilianischen Parcerie-Verträgen anführen, in denen unter anderen Paragraphen steht:

„Der Arbeiter (der sich eben durch den Contract den Kaffeepflanzern verpflichtete) bekommt von dem Eigenthümer ein Stück Land zu seiner freien Bearbeitung angewiesen.“

Natürlich verstanden unsere Landsleute darunter eigenes Land, und die Auswanderungs-Agenten bestätigten ihnen das mit Vergnügen. Der Kaffeepflanzer aber verstand es anders. Er wies den armen Teufeln allerdings ein Stück Land zur Bebauung an, aber wilden, mächtigen Urwald, den sie sich erst mit schwerer Arbeit urbar machen mußten, und ließ sie ein oder zwei Jahre darauf pflanzen. Dann aber nahm er ihnen das Stück wieder weg, um ihnen ein anderes Stück Wald „anzuweisen“, und zwang sie dadurch, selbst in ihrer freien Zeit für ihn zu arbeiten und ihm sein sonst nutzloses Terrain werthvoll zu machen.

Das Gesetz konnte ihm dabei nichts anhaben, denn er war seinem Contract wörtlich nachgekommen.

Der Auswanderer soll auch unter keinen Umständen etwas unterschreiben, was er nicht selber ganz genau versteht, besonders in keiner fremden Sprache Vorgelegtes, denn steht erst einmal sein Name darunter, so hat er sich mit Allem, was das Schriftstück enthält, vollkommen einverstanden erklärt.

Gewissenlose Auswanderungs-Agenten gebrauchen noch ein Mittel, ihn zum Unterschreiben der Contracte zu bringen, die sie für gut finden ihm vorzulegen, indem sie ihn damit bis auf den letzten Augenblick hinausziehen. Wird er dann gedrängt an Bord zu fahren und hat vielleicht noch selber eine Menge Dinge zu besorgen, so legen sie ihm das Papier vor und sagen treuherzig: „O, setzt nur Eueren Namen darunter, das Andere besorge ich schon.“ Unter solchen Umständen soll sich der Auswanderer auf das Entschiedenste weigern zu unterschreiben, denn er weiß nie, welche Folgen es für ihn haben kann.

Hat er den Contract aber sorgfältig prüfen lassen und – mit Allem einverstanden – unterschrieben, wobei er sein Exemplar bekommt und wohl aufzubewahren hat, dann gebe er es auch nicht wieder aus den Händen, denn der Fall ist besonders bei den Antwerpener Agenten häufig vorgekommen, daß ein solcher Herr, um vielleicht einen Ihm unangenehmen Paragraph unschädlich zu machen, einen seiner Commis an Bord geschickt und den Auswanderern sämmtliche Contracte hat abnehmen lassen.

„Ihr müßt sie jetzt abgeben,“ sagte der Herr zu den verdutzten Leuten, „und wenn Ihr in Amerika an’s Land steigt, bekommt Ihr sie wieder.“

Das ist eine ganz einfache Schurkerei, denn der Auswanderer sieht in dem Fall seinen Schiffscontract nie wieder und ist zu seinem Schaden von dem Agenten angeführt worden. Hat er den Contract, so soll er ihn behalten, denn wenn der Agent nöthig hat, denselben irgendwo vorzulegen, so kann er sein eigenes Exemplar dazu nehmen. Der Auswanderer behält aber unter allen Umständen das seine.

Wandert der Deutsche dann aus, betritt er das fremde Land, so soll er vor allen Dingen seine überspannten Hoffnungen zurücklassen und sich fest darauf gefaßt machen, die ersten Jahre recht hart arbeiten zu müssen, ohne vielleicht soviel damit zu verdienen, wie er in Deutschland verdient hätte, denn jeder Mensch muß Lehrgeld zahlen, er mag beginnen, was er auch immer will, und die erste schwere Zeit in dem fremden Lande ist eben sein Lehrgeld.

Er soll sich aber um Gottes willen nur frei und unabhängig halten und, wenn er irgendwo in Arbeit tritt, nie bindende Contracte auf lange Jahre hinaus machen. Wenn er sich die erste Zeit auch kümmerlich durchhelfen muß, er lernt doch dabei Land, Leute und Arbeit kennen, und wird mit diesen Erfahrungen nachher leicht im Stande sein, sich seinen eigenen Heerd zu gründen.

Fr. Gerstäcker.