Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Winterjagd
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 172–174
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Jagd auf Schwarzwild
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 29
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Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.

Von Guido Hammer.
Nr. 29.0 Winterjagd.


Schon wochenlang anhaltender gänzlich schneeloser harter Frost eines Christmonats der jüngstverflossenen Jahre hatte die Sauen auf den ausgedehnten Revieren der Grafschaft S. z. K., meines schlesischen Jagdeldorado’s, von allen Ecken nach den mitten in der weiten Nadelholzwaldung vereinzelt liegenden Eichenbeständen getrieben, hier noch von den Ueberresten der im vorangegangenen Herbste reich gesegnet gewesenen Eichelmast ihren Hunger nothdürftig zu stillen, denn die von eisiger Kälte überall undurchdringlich gewordene Erdkruste wollte dem elastischen Gebräche der Sauen durchaus nicht mehr weichen, ihnen ihre karge Winterkost an Larven, erstarrten Lurchen, Mäusen etc. zu gestatten. Darum waren aber auch die borstigen Allesfresser wie toll auf Fallwild[1]. Und wehe jeder lebendigen Creatur, deren sie habhaft werden konnten, wie besonders Wilds- und Rehkälbchen, ja auch das infolge der bittern Kälte krank und darum unbeholfen gewordene Reh-, Dam- und Hochwild aller Altersclassen war, kamen die Sauen darüber, unrettbar und elendiglich verloren, denn es wurde von den freßgierigen Bestien sofort bei noch lebendigem Leibe angepackt und aufgezehrt. Durch solche Kost aber lüstern gemacht, war die marodirende Rotte auch leicht durch jedwedes Aas auf die dazu bestimmten Anstandsplätze und Fanggärten anzukirren, um dabei entweder todtgeschossen oder in die meilenweit umzäunte Wildbahn der dortigen Forsten eingelassen zu werden. So traf eines Tages, als ich mich eben zur Jagd dort befand, die Meldung des Wildmeisters im Schlosse ein, daß allabendlich ein starker Keiler auf dem Luderplatze im „Zumreviere“ sich einstelle, um den dort hingeworfenen Fraß zu holen. Durch die Güte des Jagdherrn ward mir die Vergünstigung, diesem Schwarzrock auflauern zu dürfen, um ihn womöglich zu erlegen.

Zu diesem Zwecke ward schon vor Mittag angespannt und hinausgefahren in die weite Haide; doch nicht etwa direct nach der bestimmten Saukirre, sondern um vorher noch eine Pürsche auf Damwild vorzunehmen. Bald saßen wir deshalb, der waidgerechte Herr der mächtigen Forsten und ich, im leichten Wagen, vor der giftigen Kälte wohlgeschützt durch massige Wildschuren, deren äußere Pelzverbrämung bald, von warmem Odem angehaucht, so dicht bereift war, wie unsere Bärte. Kurzen Trabes ging es vorerst durch den bis dicht an’s Schloß heranreichenden Föhrenwald, dessen Kronen vom eisigen Luftstrom brausend durchstrichen wurden, während unten, unter dem schützenden Wipfeldache, tiefe, wahrhaft heimliche Ruhe herrschte. Weiter hinaus freilich, wo der Weg zuweilen über mächtige Gehaue oder weite öde Brandflächen und Moore sich hinzog, fegte der heulende Nord auch unser Gefährt rücksichtslos durch, so daß die Mähnen der dampfenden Pferde wild um deren Köpfe schlugen, wir Menschenkinder aber die warmen Pelzhüllen fester an uns anzogen. Manche Strecke des verschiedensten Terrains hatten wir so schon zurückgelegt, als sich im hohen Holze, seitwärts von unserem Wege, ein Trupp Damhirsche zeigte, unter denen mehrere Halbschaufler waren, welchen die heutige Pürschfahrt ganz besonders galt. Ein Wink des Gebieters ließ mich schnell, aber ohne Hast meiner Wildschur entledigen und dann zur Büchse greifen. Geräuschlos glitt ich zunächst vom langsam weiterfahrenden Wagen herunter und schritt, denselben zwischen mir und dem Wilde behaltend, bis auf Schußweite an dasselbe hieran, hier gedeckt stehen bleibend, während die Pferde unbehindert weiter gingen und von den Hirschen mit neugierigen Blicken verfolgt wurden. Schnell hatte ich den mir zunächst und frei stehenden Schaufler auf’s Korn genommen, dann ein leiser Fingerdruck am Stecher – und der platschende Kugelschlag auf dem Getroffenen folgte unmittelbar dem scharfen Knall der Büchse. Flüchtig ging das Thier mit dem übrigen Trupp fort, doch nur ungefähr vierzig Schritte weit, dann brach es plötzlich, mit dem Kopfe gegen eine Kiefer rennend, zusammen und war bereits verendet, als ich mit frisch geladener Büchse an dasselbe herankam. Inzwischen war auch des Grafen capitaler Leibschütz, Namens Fuchs, zur Hand, den Schaufler mit der nur ihm eigenen fabelhaften Virtuosität in kürzester Frist aufzubrechen, um ihn gleich, hinten auf dem Pürschwagen aufgeschnallt, mit fortnehmen zu können.

Ohne weiteren Aufenthalt ward daher die Jagd fortgesetzt. Hierbei wurden mir – ehe es zum beabsichtigten Anstand auf Sauen kam – noch zwei Schüsse auf Damhirsche gewährt, die ich auch alsbald erfolgreich anzubringen so glücklich war. Mit dem einen erlegte ich kurz nach erhaltener Erlaubniß ohne bemerkenswerthe Umstände einen allein gehenden schwarzen Schaufler, der sich dadurch auszeichnete, daß er nur eine Stange auf dem Kopfe trug. Den dritten Treffer hingegen konnte ich nur nach mannigfachen Hindernissen anbringen. Es stand nämlich ein ganzer Trupp Mutterwild, darunter ein einziger weißer Spießer, im Stangenholz dicht an der Pürschlinie. Doch ehe wir noch auf Schußweite herankamen, ward der ganze Trupp in der dem Damwild so eigenthümlichen Gangart flüchtig, was übrigens nicht zum Verwundern war, da wir entschieden schlechten Wind hatten. So zäpperte die bunte Karawane, einen mächtigen Bogen schlagend, weit unterhalb unseres Wagens, über den Weg hinüber, um auf der andern Seite, eine tüchtige Strecke seitab, im hohen, mit Unterwuchs gemischten Holz erst wieder Halt zu machen. Da sie indeß dadurch für mich in besseren, ja sogar vortrefflichen Wind gekommen waren, pürschte ich ihnen unverzüglich nach; schon weil es mich reizte, gerade dem so vereinzelten weißen Spießer ein rothes Tüpfelchen auf seine blendende Jacke zu malen. Darum näherte ich mich mit ganz besonderer Vorsicht dem Trupp und ließ mich einen Umweg nicht verdrießen, auf dem ich unter vollkommener Deckung heranzuschleichen wohl erhoffen durfte.

Ein jahrhundertalter Fichtenbestand war es, durch den ich meinen Pfad gewählt und der mich den Blicken des Wildes völlig entzog, ohne daß ich mein weithin leuchtendes Ziel dabei gänzlich aus dem Auge verlor. So kam ich unbemerkt, wenn auch langsam, vorwärts bis zu einer von mächtigen Stämmen und Anflug umschlossenen kleineren Lichtung, von der aus ich plötzlich, zuerst durch das Ohr darauf aufmerksam gemacht, Zeuge einer Scene wurde, die mir zuerst vor Aufregung geradezu den Athem stocken machte und mich eine Zeit lang mein Ziel gänzlich außer Acht setzen ließ. Zwei capitale Keiler waren es, an die ich, bevor dieselben sich mir durch ihre ungestüme Sprache verriethen, ahnungslos schon bis auf halbe Schußweite herangekommen war und deren Anblick nun mein ganzes Ich gefangen nahm. Eben im Streite sich befindend um ein verendetes und bereits angeschnittenes Damwildkälbchen, von dem die Eingeweide und Hautfetzen zerstreut am Boden lagen, tauchten die urwüchsigen Geschöpfe plötzlich wie hervorgezaubert vor mir auf. Grimmigen Blickes, die stark bewehrten Köpfe trotzig gegen einander haltend, standen sich die borstigen Recken schlagfertig gegenüber, die streitige Beute zwischen sich. Keiner der ebenbürtigen Kämpen wollte weichen, vielmehr fuhren sie jetzt knappenden Gewäffs wüthend auf einander ein und verfochten mannhaft, Schlag auf Schlag gegeneinander führend, ihre Rechte, daß dabei die dunkelen, zornentbrannten Streiter gegen die mächtigen Wurzelstöcke und gebrochenen Stämme, die ihren Wahlplatz umhegten, polternd anflogen. Endlich, wahrscheinlich durch ungünstiges Terrain strauchelnd gemacht, verlor einer der Erbosten seinen Vortheil und mit ihm den Muth zur weiteren Gegenwehr; denn schleunigst ergriff dieser nun die Flucht vor dem unaufhaltsam nachdringenden Sieger.

Geradezu wie eine Erlösung wirkte es aber auf mich, als die hartköpfigen Raufbolde mir aus dem Auge entschwanden, denn mit der Büchse in der Hand doch nur zum Zusehen verdammt zu sein, hat etwas wahrhaft Dämonisches. Wohl hätte ich ja mit Leichtigkeit von Anbeginn des Straußes die Ungestümen durch eine wohlangebrachte Kugel trennen können, und es gehörte gewiß Selbstbeherrschung dazu, solches dennoch – selbst mit der Ueberzeugung im Herzen, daß der Schuß vom freundlichen Jagdherrn bestimmt gut geheißen werden würde – zu unterlassen.

Allein gerade das mir stets bewiesene Vertrauen meines gütigen Gönners bestimmte mich zur Entsagung; war mir doch

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Keiler im Kampfe.
Nach der Natur gezeichnet von Guido Hammer.

[174] von jeher waidmännische Subordination das erste Gesetz auf der Jagd, und nie habe ich mir, so oft es anderwärts geschehen mag, erlaubt, ohne specielle Erlaubniß eigenmächtig auf unverhofft vorkommendes Wild zu schießen. Darum blieb ich denn auch hier nur Zuschauer, den ritterlich geführten Zweikampf der beiden wilden Burschen zu beobachten, und nur das prickelnde Vergnügen gönnte ich mir einmal dabei, die gespannte Büchse an den Kopf und damit den stärksten der Kampfgenossen so recht präcis auf’s Korn zu nehmen. Wohl flüsterte mir eine innere Stimme dabei zu: „der Mensch versuche die Götter nicht!“ Denn die leiseste unwillkürliche Berührung des Stechers würde alle meine Achtung vor dem Gesetz in ein sehr zweifelhaftes Licht gesetzt haben, und ich hätte dann die Wahrheit auf’s Heiligste betheuern können – der erlegte Keiler würde mich doch Lügen gestraft haben. Wie schon gesagt, gleichsam von einem schweren Bann befreit, wandten sich daher meine Augen nach geschehener Flucht der Sauen meinem eigentlichen Ziele wieder zu, und zur höchsten Freude erblickte ich wirklich den weißen Spießer noch draußen in den jungen Fichten stehen. Thatsächlich mit noch vor Aufregung zitterndem Schritt nahm ich jetzt meinen unterbrochenen Pürschgang wieder auf und kam auch bald auf Schußweite an den Ausersehenen hinan. Nun hob ich die Büchse zum wirklichen, todbringenden Schusse, der auch, als er den stillen Wald durchdröhnte, seine Schuldigkeit gethan.

Erst hoch emporschnellend floh der Getroffene seitab, während der ganze Trupp Mutterwild auf die andere Seite prellte und flüchtig wurde. Durch des Angeschossenen leuchtendes Kleid konnte ich ihm mit dem Auge weithin folgen und sehen, wie er sehr bald matter wurde und nun ganz langsam hinzog, bis er gar stehen blieb, dann aber zu wanken begann und endlich zusammenbrach. Mit gewohnter Vorsicht rückte ich, die Büchse bereits wieder zum Feuern bereit, dem Daliegenden zu Leibe, um ihm nöthigenfalls noch eine Kugel zuzusenden, doch kein Glied mehr rührend, war auch er bereits verendet, als ich schließlich ganz an ihn herantrat. Schnell eilte ich jetzt, die Beute gleich hinter mir herschleifend, nach der Linie, wo der Wagen, den ich diesmal ungebührlich lange hatte warten lassen, meiner harrte. Ehe ich jedoch noch das Holz verlassen, war auch der indianerschnelle Leibschütz schon da, den Spießer, da er reinlich geschossen war, nur lüftend und dann ihn schleunigst zum Wagen bringend. Ich aber erzählte meine Erlebnisse und, wie ich vermuthet, richtete darauf der Jagdherr die fast vorwurfsvolle Frage an mich, warum ich denn nicht eine der Sauen geschossen?

Die Reue kam zu spät, und um so mehr trieb ich nun, da auch die Zeit bereits ziemlich vorgeschritten war, zur Eile an, den Ort zu erreichen, wo ich ja noch hoffen durfte, auf dem Anstand ein Schwein zu schießen. In der Nähe desselben, an einer Wildfütterung angekommen, wo der betreffende Förster unsere Ankunft bereits erwartete, führte mich dieser zur nicht mehr fern liegenden Kirre, während der Graf in einem etwa hundert Schritt seitab liegenden Waldhäuschen meiner warten wollte, da die schnell eintretende Dunkelheit mich doch bald wieder zurückführen mußte und der beobachtete Keiler spätestens mit der einbrechenden Dämmerung eintreffen sollte.

Still, thunlichst lautlos, um etwa in der Nähe stehendes Wild, wohl gar den möglicherweise schon auf dem Wechsel begriffenen Keiler, nicht rege zu machen, schritt ich mit meinem Führer durch düsteres Tannenrevier, in dessen dichten Beständen die schrägeinfallenden Sonnenstrahlen nur hier und da einen der mächtigen Stämme stellenweise anglühten oder einen tiefhängenden Zweig streifend, purpurn vergoldeten und dann am Boden über das fahle Moos der alten Wurzelstöcke, die dürren Reiser und den dichten Anflug hinhuschten. Aber schnell genug schwanden diese in die Tiefe des Waldes eingedrungenen Lichtblicke, und nur noch die Wipfel der ehrwürdigen Baumriesen blieben noch einige Zeit von der dunstigen Gluth des scheidenden Taggestirns übergossen. Jetzt waren wir indessen auch am Ziele, einer mitten in altem Tannen- und Fichtenbestande liegenden kleinen Blöße, welche die Kirre enthielt. Das Fallwild, das man hier hingeworfen hatte, war schon vielfach von den Sauen angenommen, und die einzelnen umhergezerrten und bereits abgenagten Glieder bildeten ein wirres, wildes Durcheinander. Wohl gedeckt hinter einem Stamme, von wo aus ich nicht nur den ganzen Platz, sondern auch noch mehrere Hauptwechsel bequem beschießen konnte, faßte ich Stand und harrte mit Spannung des kommen sollenden schwarzen Patrons.

Die Sonne war inzwischen zur Neige gegangen und damit auch das letzte schimmernde Leuchten am hochragenden Waldesfirst verglommen, während der Aether am Horizont noch immer durch die Lücken des geschlossenen Forstes feuerfarben flammte und dadurch auch noch genügendes Licht zum Schießen verbreitete. Aber bald durchzog mehr und mehr blauer Dämmerduft den Wald und tiefe, tiefe Ruhe herrschte im ganzen Gebiet; nur in leisen Tönen klang das Abendläuten vom fernen Haidedorf herüber, denn selbst der so heimliche Dreischlag fleißiger Drescher näherliegender Wohnstätten, den man bisher vernommen, war verstummt. Immer dunkler ward es, Stämme und Unterholz, wie dazwischen liegende Lücken, Alles schwamm mehr und mehr zusammen, und nur mühsam konnte man noch das Zeug der Büchse gegen einige hellere Stellen des Waldes zusammenbringen, – dennoch wollte das ersehnte Wild nicht kommen. Endlich ward es völlig Nacht um mich her, und nothgedrungen mußte ich für diesen Abend, ja, da ich des andern Tags bestimmt abreiste, überhaupt für diesen Winter davon absehen, das erhoffte Schwein zu erbeuten. Wahrscheinlich hatte es auf dem Wechsel andere Nahrung gefunden und sich dabei verweilt.

Schweren Herzens trat ich denn ab und hatte also durchaus keine Ursache, dem gewiß wunderbaren Ideengang jenes Dichters zu folgen, der da sagt:

„Und rennt ein feistes wildes Schwein
In meinen Jägerspieß,
Gleich fällt mir dann mein Weibchen ein,
Mein zweites Paradies.“

Vielmehr nichts weniger als in paradiesischer Laune stolperte ich eiligst durch die Finsterniß über Wurzeln und hartgefrorene Erdschollen dem Forsthause zu, wo der Jagdherr bereits nicht ohne Besorgniß meiner harrte, da ich bis zum Aeußersten lange ausgeblieben war. Trotz der Finsterniß brachte uns der bewährte Pürschkutscher rasch genug in das heimische Asyl, in dessen behaglichen Räumen ich für diesmal nur noch eine Nacht zu weilen hatte. Und so schied ich denn am andern Morgen, zwar ohne die Gewehre eines Keilers als Trophäe mit nach Hause nehmen zu können, aber doch mit froher Rückerinnerung glücklich verlebter Tage von der mir lieben und theuren Stätte.




  1. Fallwild ist durch Krankheit oder Alter eingegangenes Wild.