Wilhelm Müller (Gartenlaube 1873/6)
[104] Wilhelm Müller. Unser in Nr. 24 des vor. Jahrg. der Gartenlaube angeregtes „Literarisches Geheimniß“ hat durch Briefe und sonstige Mittheilungen mannigfache Ergänzungen und Aufklärungen erfahren, aus denen wir, namentlich auf Grund einiger Notizen des Herrn G. Riefstal in Berlin, Nachfolgendes mittheilen.
Wilhelm Müller wohnte in den letzten Jahren seines Aufenthaltes zu Berlin, ehe er nach Charlottenburg übersiedelte, Neue Jakobsstraße Nr. 3. Er lebte dazumal und bis zu seinem Tode, der am 20. April 1866 erfolgte, mit einem Fräulein v. Bonin in einem wahlverwandtschaftlichen Freundschaftsbunde. Als wir ihn in gedachter Wohnung sprachen, trat er uns, einen höchst abgetragenen Ueberzieher als Schlafrock umgeworfen, entgegen. Er war ein Bibliomane, und man fand ihn regelmäßig auf allen Bücherauctionen, wie er denn auch bei Antiquaren oft zu finden war. Als einst aus einer Ausgabe der Uhland’schen Gedichte das Dienstmädchen einzelne Blätter entfernt hatte, während sie das Buch selbst in den Holzkorb geworfen, waren er und seine Freundin untröstlich, und ihr Schmerz legte sich erst, als, durch Verwendung eines befreundeten Bücherauctionators, die fehlenden Blätter von Cotta wieder ergänzt waren. Nach Aeußerungen des Fräulein v. Bonin war W. Müller den 18. März (alten Stils) 1790 zu Petersburg als Sohn des Bauraths v. Müller geboren. Er verließ Rußland eines Duells wegen. Die Eltern lebten in glänzenden Verhältnissen, wie denn auch unser W. Müller nicht in ärmlichen Verhältnissen gestorben ist. Sein Vermögen – er hatte sich zuletzt in Charlottenburg ein Haus gekauft, in dem er mit besagtem Fräulein lebte – sollen, nachdem auch die Bonin gestorben, ferne Verwandte geerbt haben, während nach anderer Lesart es milden Stiftungen vermacht wurde. Hat es mit dem Duell seine Richtigkeit, so ist die Annahme, daß der Name Wilhelm Müller ein angenommener sei, nicht gänzlich ausgeschlossen, wie denn auch seine trüben und düsteren Lebensschicksale nirgends in Abrede gestellt werden. Schließlich sei auch noch seiner Lebensbilder, „Rußland und seine Völker aus Gegenwart und Vergangenheit“, gedacht, eines Werkes, das nicht gänzlich vergessen sein sollte.F. Brunold.