« Drittes Kapitel Johannes Deinzer
Wilhelm Löhes Leben (Band 2)
Die Generalsynode des Jahres 1849 »
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Einleitendes.

 Das vorige Kapitel hat die Biographie Löhes bis zum Jahre 1848 geführt. Dieses Jahr, welches alle bestehenden Verhältnisse in ihren Grundlagen erschütterte und aus dem anfänglichen Chaos eine völlige Neugestaltung der Ordnungen in Staat und Kirche herausgebären zu wollen schien, forderte alle Geister, die auf der Warte der Zeit standen, auf, zu den Ereignissen der Gegenwart und der in ihnen sich anbahnenden Zukunft Stellung zu nehmen. Auch Löhe versäumte nicht auf die Dinge, die da kommen konnten und nach allgemeiner Erwartung kommen sollten, sich vorzubereiten. Seine schriftlich ausgezeichneten „Ueberlegungen im Frühjahr 1848“ enthalten die Grundlinien seines kirchlichen Programms, welches der im vorigen Halbband p. 250–259 mitgeteilte Bericht über die am 27. und 28. März 1848 in Löhes Hause abgehaltene Pastoralkonferenz im Wesentlichen wiedergibt. Indem wir dorthin zurückweisen, resümieren wir hier nur kurz die Grundgedanken von Löhes kirchlichem Programm, das in der Gegenwart um so mehr Beachtung verdient, je mehr in unsern Tagen die geistige Saat des Jahres 1848 reift und das damals Geplante seiner Verwirklichung entgegen geht.

 „Die von der öffentlichen Stimme geforderte Freiheit und Gleichberechtigung aller Konfessionen ist die – von uns zu acceptierende –| Voraussetzung für einen Neubau der Kirche. Die Neugestaltung der Kirche muß erfolgen auf Grundlage des Bekenntnisses und der Zucht. Eine Erneuerung der Kirche ist nicht denkbar, wenn nicht ein heiliger Gemeingeist erweckt und aus Matth. 18 das heiligste Ideal gemeindlicher Liebe zur Anerkennung gebracht und die Gemeinde diesem Ideal entgegengeführt wird. Die auf dieser gedoppelten Grundlage sich neubildenden Gemeinden vereinigen sich zu einer Synode, die zur Führung ihrer laufenden Geschäfte einen der Synodalversammlung verantwortlichen Präses ernennt. Sitz und Stimme auf den Synodalversammlungen haben nach Act 15 die Geistlichen, doch ist bei gehöriger Ausscheidung des eigentlich geistlichen Ressorts auch eine Laienvertretung unbedenklich. Die so gebildete Synode sucht sofort mit andern auf gleicher Grundlage stehenden Kirchenkörpern wie z. B. der preußisch separierten Kirche Fühlung zu gewinnen und die Kirchengemeinschaft mit denselben herzustellen. Nach Innen sucht sie den Gedanken der Diakonie und wo möglich auch das Amt der Diakonie wieder zu erwecken und nimmt gleichzeitig bei der unvermeidlich werdenden Trennung von Schule und Kirche auf Errichtung von Kirchenschulen und in kirchlichem Geist geleiteter Privatschulen Bedacht.“ etc.

 Der weitere Verlauf des Jahres 1848 und der folgenden Jahre hat freilich die Hoffnungen auf eine Neugestaltung der Kirche enttäuscht und in kirchlicher Beziehung so ziemlich alles wieder in das alte Geleise zurückgelenkt. Wer weiß indes, wie nahe die Zeit ist, die zur Wiederaufnahme solcher Gedanken oder selbst zu ihrer Verwirklichung drängt.


 Nichts war in einer solchen Zeit der Sonderung und des Auseinandergehens dessen, was bisher wenigstens durch einen äußerlichen Verband zusammengehalten war, natürlicher als das Bedürfnis eines engeren Zusammenschlusses der Gleichgesinnten. Auf breitester Basis| wollte einen solchen Zusammenschluß aller gläubig gesinnten Elemente in den evangelischen Kirchen die Wittenberger Konföderation herstellen. Der Ausschuß der Konferenz von Geistlichen aus Frankfurt a. M. und den umliegenden Ländern erließ unter dem 15[.] Juli 1848 eine Einladung zu einer freien Versammlung von Gliedern der evangelischen Kirche Deutschlands in Wittenberg zum Zweck der Gründung eines evangelischen Kirchenbundes. Dabei war ausdrücklich Verwahrung eingelegt, daß mit der Stiftung dieses Kirchenbundes nicht etwa eine Union der evangelischen Konfessionen, sondern nur eine zeitgemäße Erneuerung des ehemaligen Corpus Evangelicorum bezweckt werde. Als Aufgabe des evangelischen Kirchenbundes war im allgemeinen die „Darstellung der wesentlichen Einheit der evangelischen Kirche und die Pflege der Gemeinschaft mit allen evangelischen Kirchen Europas und der ganzen Erde“ bezeichnet. Auch an Löhe ergieng die Aufforderung, durch Namensunterschrift diesem Aufruf beizutreten. Er lehnte jedoch ab, indem er unter dem 2. August 1848 an den Ausschuß folgendes Schreiben richtete:

 „Der Unterzeichnete dankt in herzlicher Ehrerbietung für das in ihn gesetzte Vertrauen, kann aber seinen Namen unter die zu erlassende öffentliche Einladung deshalb nicht setzen, weil er von dem beabsichtigten corpus evangelicorum, zumal so lange sich die einzelnen konfessionellen Gemeinschaften nicht reconstruiert haben, kaum eine Hoffnung zu fassen vermag. Diese Antwort gebe ich nicht ohne tiefen Schmerz über unsere zerissenen kirchlichen Zustände und nicht ohne den inbrünstigen Wunsch zu Gott, daß Er doch Seine Kinder immer mehr in Seiner Wahrheit einigen und heiligen und uns zu einem corpus evangelicorum im Geist und in der Wahrheit machen wolle.

In herzlicher Liebe und Ehrerbietung 
W. Löhe, Pfarrer.“ 


|  Eingehender sprach sich Löhe über die hier geplante Konföderation der evangelischen Kirchen in einem Briefe an v. Raumer aus, aus welchem hier eine Stelle mitgeteilt sein mag: „Harleß hat in Breslau Oehler gegenüber vor der ganzen Synode und vor andern mit lauter Stimme gerufen: ,Erst Konfessionskirchen, ehe wir Konföderationskirchen bekommen. So lange wir Konfusionskirchen haben, ist an Konföderation nicht zu denken!‘ etc. Wäre meine Stimme nicht zu unbedeutend gewesen, ich hätte ihm entgegengerufen: Nie Konföderationskirchen, sie widerstreiten dem von Gott gewollten wahrhaftigen Einssein, der Einmütigkeit und Einhelligkeit, welche der Apostel befiehlt, sie stempeln das Schisma zu Recht, machen gleichgültig gegen die Häresis und blenden mit Menschenbanden und – binden das Auge für Gottes vollkommnen guten Willen... Dazu stehen hinter den Konföderierten von Wittenberg keine Gemeinden, so daß das Ergebnis auch nicht so glänzend ist als es für einen Augenblick aussieht, wenn man einen solchen Haufen wackerer Leute ansieht und sie als Repräsentanten ihrer mancherlei Stämme und Gegenden gelten läßt. Dazu mögen die Konföderierten zusehen, ob sie nicht bei dem notwendigen Indifferenzieren der Unterscheidungslehren auf dem Wege einer Union seien. Es steht kaum in der Macht einer solchen Konföderation, nicht zu unieren; es nicht zu wollen kann vielleicht keiner, der sich auf den Grund schaut, völlig aufrichtig versichern... Huschke meint, die Wittenberger Konföderation sei „innerlich eine geschworene Todfeindin der luth. Kirche.“ Das ist zu viel! Doch aber kann die Konföderation der Kirche nicht hold sein, die bei ihrem Halten über den heiligen Kleinodien unverbrüchlicher Gotteswahrheiten am wenigsten Fügsamkeit für Plane besitzt, welche an den unversöhnten Gegensätzen vorübergehend den politischen Einheitsplanen Deutschlands nachgehen und am Ende weniger als diese reussieren, weil sie menschliche Maßregeln auf Gottes Haus und Kirche anwenden. Gott schenke| ein Wunder, daß aus diesem Vorparlament eine Kirchenversammlung komme, die Gottes heiligem Worte nach Gebühr sich unterwirft!“

 „Gott weiß es – schreibt er ein andermal – wie gerne ich auch ja sagte und mich mit vielen vereinigte; allein ich bin meine Einigkeit denen schuldig, mit welchen ich wirklich eins bin und will ihrer keinen ärgern.“

 Bei Löhes konfessionellen Grundsätzen kann diese ablehnende Stellung nicht Wunder nehmen. Auffallender könnte es erscheinen, daß er der an ihn ergangenen Einladung zu der von Harleß auf den 30. August 1848 nach Leipzig berufenen Konferenz von Gliedern und Freunden der evangelisch-lutherischen Kirche ebenfalls nicht folgte. Jene von dritthalbhundert Theilnehmern aus den verschiedenen lutherischen Landeskirchen Deutschlands besuchte Konferenz war in der That eine stattliche und würdige Repräsentation der lutherischen Kirche Deutschlands und die Vereinbarung bezüglich der sechs Thesen über die Stellung zu den Bekenntnissen der luth. Kirche ohne Zweifel eine anerkennenswerte That, wenn gleich – wie Thomasius in seiner Berichterstattung über diese Versammlung sagte – nicht sowohl in der Vereinbarung über eine Reihe von Thesen das eigentliche Ergebnis der Konferenz lag, sondern darin „daß der Gedanke an die Einheit der lutherischen Kirche durch alle Lande hindurch den Teilnehmern hier gleichsam verkörpert entgegentrat und alle zur Verwirklichung desselben beseelte.“ Ueber die Gründe, von denen Löhe sich bestimmen ließ dieser Versammlung fernzubleiben, findet sich in dem uns vorliegenden handschriftlichen Material keine Aeußerung. Auch einem Urteil über die Leipziger Konferenz begegnen wir nur einmal in einem Briefe Löhes an Liesching, dem er am 29. November schreibt: „Wenn Ihren Schwager Eichhorn die Leipziger Konferenz befriedigte, so würde ihn wol Breslau noch mehr befriedigt haben. In Leipzig hat man erst| Aussichten und Verlegenheiten gefunden und deshalb Sätze über die Verfassung wenigstens im allgemeinen gutgeheißen, welche fast in nichts dem Bilde der apostolischen Verfassung entsprechen. In Breslau gab es alles Gute was Leipzig hatte, und neben der Erkenntnis mancher Mängel und Schäden Kraft und Befugnis zu bessern, weil man Vorneherein vom Staat und dem häßlichen Episkopat der Fürsten los war.“ Es bezieht sich diese Ausstellung Löhes auf die bei der Leipziger Konferenz allerdings nicht mehr zur Beratung gekommenen, jedoch von Kliefoth in einem zusammenfassenden Vortrag erläuterten Thesen „über die Verfassung der Kirche.“ Diese Thesen erklären den (nominellen) Fortbestand des landesherrlichen Summepiskopates für noch nicht absolut unmöglich, ja möglicherweise für erwünscht und förderlich für die Kirche, wie denn Kliefoth den Fortbestand eines „vernünftigen Summepiskopats“ warm befürwortete.
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 Die Verschiedenheit dieser Anschauung[1] von Löhes Ansichten über das landesherrliche Kirchenregiment erklärt seine theilweise Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Leipziger Konferenz und macht auch das abfällige Urteil erklärlich, welches er über die am 31. October und 1. November in Ansbach abgehaltenen Konferenz bayerischer Geistlicher aussprach. Es war die Absicht der Veranstalter| und Leiter dieser Versammlung, die lutherisch gesinnte Geistlichkeit Bayerns zu einer Beitrittserklärung zu den Leipziger Thesen zu veranlassen. Man legte jedoch in Ansbach umgekehrt wie in Leipzig bei den Verhandlungen das Hauptgewicht auf die Verfassungsfrage, wobei man sich notgedrungen auf einem ziemlich unfruchtbaren Gebiet theoretischer Erörterungen bewegte. Löhe war von diesen Verhandlungen, denen er etliche Stunden beiwohnte, wenig erbaut. Er hatte einige Wochen vorher der Synode der separierten Kirche in Preußen zu Breslau beigewohnt, deren Verlauf auf ihn einen ohne Vergleich günstigeren Eindruck gemacht hatte. Unwillkürlich zog er da Parallelen zwischen jener Versammlung in Ansbach und der Breslauer Synodalversammlung: „Da war es denn doch – schreibt er in Briefen an v. Raumer und Liesching – in Breslau ganz anders, obwol mir unsere Leute, wären sie nur instruiert, fast durchgängig tüchtiger erscheinen. Die letzte Stunde, welche ich auf dieser Synode zubrachte, in welcher Harleß und auch ich redeten, war feierlich, riß viele hin; es war eine allgemeine Bewegung. Auch Harleß war sehr ergriffen. Huschke, Barschall, Nagel aus Pommern, Ehlers aus Liegnitz sind bedeutende Männer. Mit dem letzten bin ich, glaub ich, bis ins kleine einig.“

 Und doch war er auch von dem was er in Breslau sah und hörte, nicht völlig befriedigt. „So schön es in Breslau war – schreibt er an v. Raumer – einen recht hoffnungsvollen Aufschwung bekommt man auch dort nicht. Mich überwog das allgemeine Gefühl der Einigkeit nicht, und obwol ich mit Liebe überschüttet wurde, war ich doch traurig. Gott helfe, daß nicht die Laiendeputierten auch dort auf die Länge hin Zwietracht erregen! Ohnehin wird sich eine pseudolutherische Kirche in Preußen erheben, welche der eigentlich lutherischen Kirche viel Mühe machen wird. Ich ging mit der Ueberzeugung heim, daß vergleichsweise hier bei uns noch immer der größte Segen sei oder doch die größte Hoffnung.“

|  Man mag wol fragen, warum Löhe all diesen Einigungsversuchen gegenüber sich so ablehnend oder doch kühl verhielt und so wenig Freudigkeit zum Zusammenschluß mit größeren Kreisen Gleichgesinnter zeigte. Schon damals zog ihm sein Verhalten den Verdacht und Vorwurf eigenliebiger Selbstabschließung zu. Dieser Deutung seines Verhaltens widersprechen aber zahlreiche Aeußerungen Löhes in Briefen und Tagebüchern, aus denen ersichtlich wird, mit welch tiefer Traurigkeit er sich mehr wie sonst isoliert und seinen Lebensweg einsamer werden sah. Der Grund der Differenz zwischen ihm und kirchlich ihm sonst nahestehenden Männern lag anderswo. Löhe trug ein höheres Ideal von der Kirche der Zukunft im Herzen, als jene verwirklicht zu sehen begehrten oder als er es in der separierten Kirche Preußens verwirklicht fand. Während man damals in den lutherisch gesinnten Kreisen Deutschlands Erhaltung der lutherischen Kirche als Volkskirche nur etwa mit entschiedenerer Betonung der konfessionellen Grundlage und deshalb, bei etwa notwendig werdenden Aenderungen, eine Einrichtung der Kirche möglichst auf dem alten Fuß, eine Zusammenfassung alles dessen was lutherisch hieß in den alten, nur etwas ausgebesserten Schläuchen wünschte, glaubte Löhe, es sei nun die Zeit der Sichtung für die Volkskirchen angebrochen, es gelte einen engeren Zusammenschluß der lebendig gläubigen, bewußten Glieder der Kirche, eine Reorganisation der Gemeinden nach dem Muster der apostolischen Kirche nicht nur nach Seite der Lehre oder, der Verfassung, sondern auch nach Seite des Lebens. Daher genügte es ihm nicht, in den ihm verwandten Kreisen zwar die Notwendigkeit des Bekenntnisses als der Grundlage der Einheit der Kirche anerkannt zu sehen, er meinte vielmehr, es müsse auch mit den apostolischen Anforderungen an das Leben der Gläubigen, besonders an das christliche Gemeindeleben, mehr Ernst gemacht werden. Er war betrübt zu bemerken, „daß in allen Programmen zwar Bekenntnis, Kultus, Verfassung genannt und auf ersteres| auch gedrungen werde, von der Zucht aber gar keine Rede sei. Hätte man gleich von Vorneherein in der Reformationszeit Zucht gestiftet, hätte nicht Luther auch in die gereinigte Kirche Massen von Sauerteig mit herübergenommen, so würde die lutherische Kirche zwar an Zahl geringer geworden sein, aber es wäre besser um sie gestanden. Die allgemeinen Klagen unmittelbar nach der Reformation über das wilde, rohe, epikurische Leben so vieler die sich evangelisch nannten, die Lästerung der evangelischen Hauptlehre, würde nicht so haben überhand nehmen können, wenn man auf Gemeindezucht gesehen hätte. Zwar sei es leicht zu begreifen, warum die Reformation von vornherein in die Bahnen der Volkskirche eingelenkt habe. Zu jener Zeit sei ein religiöses Volksleben vorhanden gewesen, zwar kein reines, aber doch ein solches, dessen sich Luther bemächtigen konnte. Jetzt aber möchte durch lutherische und schriftgemäße Worte eine Volksbewegung auch von dem mächtigsten Geiste nicht hervorzubringen sein, es fehle den geistlichen Gedanken das weltlich-polemische Interesse jener Zeit.“ „Wenn die Kirche – schreibt er an v. Raumer – in unserer Zeit ist, was sie sein kann und darum zum Heile der Welt (paradoxon!) sein soll, so ist sie eine sehr kleine Minorität. Sie wird keine Macht, wenn sie nicht klein wird. Was nicht intensiv ist, ist nicht extensiv.“ Die Entwicklung der nächsten Gegenwart hat damals den Gegnern Löhes recht gelassen, insofern die Landes- und Massenkirchen unter göttlicher Geduld bis zur Stunde ihre Existenz fristen. Aber diejenigen, denen die Gegenwart recht gibt, sind es in der Regel nicht, die auch in der Zukunft recht behalten. Wenn über kurz oder lang der Zusammenbruch der Landeskirchen Thatsache wird, dann wird man wieder auf die Löheschen Gedanken von 1848 sich besinnen müssen, und vielleicht dienen sie dann der Kirche der Zukunft zur Orientierung in den veränderten Verhältnissen, wie sie für die Kirche der Gegenwart ohne Zweifel die Bedeutung einer| Weckstimme haben, die die Gläubigen zur inneren Loslösung von einer über kurz oder lang doch unhaltbar werdenden Existenzform der Kirche ermuntern kann.

 Von solchen Anschauungen ausgehend, setzte Löhe den Wittenberger- und den Leipziger Einigungsbestrebungen seinen: „Vorschlag zur Vereinigung lutherischer Christen für apostolisches Leben“ entgegen.

 Auf einen Bruch mit der Landeskirche war es damit nicht abgesehen. Löhe spricht sich über seine Absichten in einem vom 11. October 1848 datierten Brief an S. G. Liesching folgendermaßen aus: „Der Gedanke an eine Vereinigung der Gleichgesinnten, den ich in seiner allgemeineren Fassung auch bei Leuten von ganz verschiedener Richtung allenthalben gefunden habe, gestaltete sich mir zu einem lutherischen Verein für apostolisches Leben. Ein Katechismus des apostolischen Lebens soll zu Grunde gelegt und der erwecktere Theil unsrer Gemeinden darnach für apostolisches Leben begeistert werden, das unsrer Kirche zum großen Nachteil bisher fehlte. Der Plan vereinigt – so scheint uns – alle Vorteile eines Bruchs ohne dessen Nachteile und ohne Bruch zu sein, und macht es, wenn Gott ihn segnet, doch auch wieder möglich, daß im Falle eines Bruches die gleichartigen Elemente schon zusammengefaßt erfunden werden“.

 Und ähnlich spricht er sich auch in der Einleitung zu dem Ende 1848 veröffentlichen Katechismus des apostolischen Lebens aus. Zwar sagt er da: „Die üble Zusammensetzung und Mischung widerstreitender Elemente in der Landeskirche scheint uns bei weitem das Schlimmste, und hier ist guter Rath teuer. Wenn sich friedlich trennten, die im Frieden und Segen nicht beisammen bleiben können, das wäre das einfachste und allerwege das beste. Abraham und Lot bauten größeren Frieden, als sie zur Vermeidung böser Zwietracht von einander zogen. Es fürchten viele von einem, wenn| auch friedlichen Auseinandergehen für die lutherische Kirche. Wir gestehen es, daß wir auf die Dauer nichts fürchten... Am allerwenigsten wäre der Vorwurf des Separatismus zu fürchten. Denn wovon separierte man sich? Von einer Gemeinschaft, welche gar nicht lutherisch sein will etc. Man soll sich von ihr und zu der Kirche separieren, das ist gewiß. Indessen aber, weil viele redliche Seelen fürchten und sich zum Mut und guten Gewissen einer Separation nicht von, sondern zu der Kirche nicht emporschwingen können: so warten wir zu!“ Inzwischen aber – fährt Löhe fort – dürften die Hände nicht in den Schoß gelegt werden. Es gelte die Besseren in den Gemeinden zu sammeln, es gelte eine Zusammenbringung und Vereinigung von einem Kern, Licht und Salz der gegenwärtigen Gemeinden. Solche Christen müßten einmal mit dem Inhalt der lutherischen Bekenntnisse, soweit ihr Verständnis auch Laien zugänglich, sich näher bekannt machen, sodann aber auch entschlossen sein, den göttlichen Anforderungen an die Heiligung des Lebens Gehorsam zu leisten. Je mehr gerade den Lutheranern der Vorwurf toter Orthodoxie gemacht werde, um so nötiger sei es, die besseren Glieder der lutherischen Kirche zu einer innigeren Vereinigung für apostolisches Leben zu ermuntern. Dies ungefähr der Inhalt der Einleitung zu dem Katechismus des apostolischen Lebens. Als Hauptstücke des apostolischen Lebens werden nun die drei großen Gedanken der Zucht, der Gemeinschaft und des Opfers hervorgehoben, welche der Katechismus des apostolischen Lebens in einfacher überzeugender Weise aus der heiligen Schrift weiter entwickelt. Wir bedauern, des Raumes wegen, auf den Inhalt dieses reichen Büchleins hier nicht näher eingehen zu können, und müssen unsre Leser bitten, es selbst in die Hand zu nehmen, jedoch am liebsten in der 1857 erschienenen 2. Auflage, in welcher der Inhalt des Büchleins eine vielfache Erweiterung, teilweise auch Berichtigung und vorsichtigere Begrenzung erfahren hat.
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|  Der apostolische Katechismus wurde – zunächst nur lithographisch vervielfältigt – an eine Anzahl von Freunden und Gesinnungsgenossen zur Prüfung hinausgegeben. Am 15. November 1848 versammelten sich dann auf ergangene Einladung im Pfarrwaisenhause zu Windsbach eine Schar von Geistlichen und Laien, welche in gemeinsamer brüderlicher Besprechung Einleitung und Entwurf des Katechismus einer Prüfung unterzogen und einstimmig dessen Annahme und Veröffentlichung durch den Druck beschlossen. Die durchweg aus der Tiefe der Schrift geschöpften Gedanken dieses Büchleins fanden auch in weiteren Kreisen vielfach zustimmende, zum Teil freudige Aufnahme. So schreibt z. B. Thomasius am 14. Januar 1849 an Löhe: „Ihr Vorschlag ist mir zunächst wie eine Mahnung des Gewissens gewesen und hat der Sache nach meine volle Zustimmung; aber in Betreff der Form habe ich einige Bedenken, über die ich mir demnächst die Lösung von Ihnen selbst erbitten werde. Denn ich bewege diese Vorschläge fortwährend in meinem Innern.“ Da und dort versammelte sich auch ein Häuflein lebendigerer Christen um einen geistlichen Führer zu gemeinsamer Besprechung, Beherzigung und Uebung des apostolischen Katechismus. „Bei mir – schreibt Pfarrer Wucherer an Löhe anfangs Januar 1849 – finden sich seit Weihnachten[WS 1] 30–40 Menschen ein und lernen; wir fahren hübsch langsam und haben viel zu erklären und viel zu reden. Was wir lernen, üben wir und machen einander begreiflich, daß die ganze Sache, wenn sie nicht ernsthaft geübt wird, nichts ist.“
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 Andrerseits fehlte es aber auch nicht an allerlei Ausstellungen und Bedenken. Die Bemerkung von P. Ehlers, daß die Gemeinschaft, die Löhe anstrebe, nichts anderes sein könne als die Kirche und daß aus der geplanten Vereinigung nichts Völliges werden könne ohne das einigende Band des Sakramentes, wodurch allein kirchlich ausgeschlossen und darum auch allein kirchlich verbunden werde – fand| Löhe selbst gegründet. Andere Bedenken bezogen sich auf die vereinsmäßige Gestalt der Sache, v. Raumer sah aus der von Löhe geplanten Vereinigung ein „neues Herrnhut im Vaterland“ hervorgehen. Auch Herrnhut habe ursprünglich keine Trennung von der lutherischen Kirche beabsichtigt, sondern gewissermaßen nur ein Salzmagazin für dieselbe sein wollen und sei doch bei einer Trennung angelangt etc. Auch andere fürchteten die Bildung einer ecclesiola in ecclesia, eine Beeinträchtigung der Stellung des Geistlichen in der Gemeinde, Spaltungen in den Gemeinden selbst, Nährung pietistischen Dünkels bei den Gliedern des Vereins etc. Wenn nun gleich Löhe diesen Bedenken zu entgegnen den ursprünglichen Titel seines Büchleins: „Vorschlag zu einem lutherischen Verein für apostolisches Leben“ durch den unverfänglicheren „Vorschlag zur Vereinigung lutherischer Christen für apostolisches Leben“ ersetzte und ausdrücklich betonte, daß bei der Geistigkeit der von ihm angestrebten Vereinigung die gewöhnlichen Vereinsformen als Statuten, Mitgliederverzeichnisse etc. gar nicht anwendbar seien, so wurden durch diese Erklärungen die Bedenklichen doch nicht befriedigt oder sahen in ihren Bedenklichkeiten die Berechtigung, der ganzen Sache fern zu bleiben. Doch fehlte es auch nicht an solchen, welche auf die von Löhe angeregten Gedanken bereitwillig eingiengen.
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 Wie viel Segen von diesem Büchlein auf Einzelne oder auch kleinere Kreise, in denen man die Gedanken des apostolischen Katechismus bewegte, ausgegangen ist, entzieht sich menschlicher Wahrnehmung. Aber eine weitere Wirkung als die der Anregung hat es nicht gehabt. Zu einer greifbaren Gestaltung und irgend welcher Darstellung in der Sichtbarkeit ist die Vereinigung, die Löhe zu stiften wünschte, nicht gediehen, wenn man nicht die im Jahre 1850 von ihm gegründete Gesellschaft für innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche oder die später von ihm gestiftete Diakonissengenossenschaft, als eine – hinter dem Ideal freilich weit zurückgebliebene –| Verwirklichung des Gedankens an eine Vereinigung für apostolisches Leben ansehen will.

 Löhe selbst spricht sich über die Ursachen, welche die Nichterreichung seiner Absichten und Ziele hinderten, im Vorwort zur zweiten Auflage des apostolischen Katechismus folgendermaßen aus: „Katechismus und Einleitung fanden wohl Anklang und wurden in manchen Kreisen immer und immer wieder gelesen, aber zu einem lebendigen Verein für apostolisches Leben kam es nicht. Nicht bloß gaben die kirchlichen Kämpfe, welche sich bei uns in Bayern an die Generalsynode des Frühjahrs 1849 anschlossen, den Gemütern eine andere Richtung, sondern es kann auch nicht geleugnet werden, daß zur Ausführung eines solchen Vereins bei uns allenthalben Leben und Kraft mangelte. Wir konnten nicht was wir gut hießen und wollten und hatten für die Erduldung der Leiden, die uns bei wirklicher Ausführung zugestoßen sein würden, nicht gutes Gewissen, Drang und Entschlossenheit genug. Es war viel leichter, sich einmütig den in der bayrischen Landeskirche aufgekommenen Mißbräuchen zu widersetzen, als sich zu einer heiligen Lebensgemeinschaft zusammenzuschließen. Es mag wol sein, daß der oder jener unter meinen Freunden über die Ursachen, aus denen das Nichtzustandekommen des Vereins zu erklären sei, ein anderes Urteil hat; ich aber habe längst nicht anders gedacht, als ich so eben sagte.“

 Wie Löhe hier selbst andeutet, waren es die kirchlichen Bewegungen, die sich an die Generalsynode des Jahres 1849 anschlossen, welche die Gemüter bald ausschließlich in Anspruch nahmen und sie aus der Stille inwendiger Sammlung, der für Beherzigung und Uebung solcher apostolischen Gedanken allein förderlichen Gemütsverfassung, in die Aufregung des Kampfes riefen. Zur Darstellung dieser kirchlichen Kämpfe gehen wir nun über.



  1. Anm. Merkwürdig sind übrigens die bei dieser Gelegenheit gesprochenen wahrhaft prophetischen Worte Kliefoths über die Nichtigkeit der liberalen Phrase von der Trennung der Kirche vom Staate. „Ich lasse jedem seine Meinung – sagte Kliefoth –; aber ich meinerseits bin der Ansicht, daß aus der großherzigen Freigebung der Kirche, welche die Politiker im Munde führen, nicht viel werden wird. Diese abstrakte Tendenz wird an der Wirklichkeit in das gerade Gegenteil ausschlagen; die Politiker werden die Wahrnehmung machen, daß der Staat mit der Freilassung der Kirche ungeheuere Machtmittel aus den Händen gibt – und dann, fürchte ich, wird an der Stelle der verheißenen Freilassung der Versuch einer noch viel schwereren Knechtung treten, als die bisherige je gewesen. Ich kann mir nicht helfen; aber es ist dieser Punkt, auf welchem ich die schwersten Kämpfe der Zukunft sehe.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Weinachten


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