Textdaten
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Autor: Karl Brandt
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Titel: Wild und Eisenbahn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 740_d
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[740_d] Wild und Eisenbahn. Daß alles Kleingetier vom Licht angezogen wird, hat gewiß jeder schon beobachtet, wenn er an windstillen Sommerabenden !m Garten oder auf einer Veranda bei einer Lampe saß. Bald kamen dann Mücken und Motten herbeigeschwärmt und flatterten mit großer Ausdauer gegen Cylinder und Kuppel. Der Forstmann hat sich sogar diese Sehnsucht der Insekten nach Licht zu nutze gemacht, um die Nonne, die waldverwüstende Motte, unschädlich zu machen. Vor einen elektrischen Scheinwerfer wird ein Drahtnetz gespannt, welches, durch den Strom zum Glühen gebracht, die zum Lichte flatternden Motten verbrennt. – Aber auch die Vögel streben dem Lichte zu und die in der Nähe der Wanderstraßen der Vögel stehenden Leuchttürme, z. B. der auf Helgoland, vernichten Tausende der aus ihrer nordischen Brutheimat in dunklen Nächten nach ihrer südlichen Winterherberge oder aus ihr zurückziehenden Wandervögel. In pfeilschnellem Fluge sausen sie hin zu dem strahlenden Lichte und zerschmettern sich Köpfe und Flügel an den das Licht schützenden dicken Scheiben. Der würde sich ein großes Verdienst um den Vogelschutz erwerben, der eine Vorrichtung erfände, die den Anprall der armen Wanderer der Lüfte derart milderte, daß sie unverletzt blieben und trotz der Schutzwehr der Lichtschein nicht gedämpft würde. – Fische werden ebenfalls durchs Licht angezogen. Deshalb ist auch das Fischen bei Fackelschein verboten und ebenso das Angeln mit künstlichen Ködern, deren gläserne Hülle wie eine elektrische Glühbirne erhellt wird.

Sogar das Säugetier, das Wild, zeigt in einzelnen Fällen eine gewisse Neigung, dem Lichte sich zu nähern, und wenn es auch nur zu den Seltenheiten gehört, daß ein Säugetier direkt aufs Licht zustürmt, so fürchtet es dasselbe doch nicht, und gerade diese Furchtlosigkeit vor dem strahlenden Feuerschein wird auch ihm, wie Insekten und Vögeln, häufig zum Verderben.

Gelegentlich einer sportlichen Veranstaltung kamen wir auch auf Licht und Wild zu sprechen und zwei der anwesenden Herren wußten dann folgende Begebenheiten mitzuteilen: Der eine, ein Förster, kam nachts von einem Kollegen, der mitten im Walde wohnte, und hatte wegen seiner ihn begleitenden Frau eine Laterne angezündet. Plötzlich sprang ein Hase gegen das Licht und nach einigen Minuten zum zweitenmal. Der andere Herr fuhr nachts auf einem Fahrrad durchs Rosenthal bei Leipzig, und bald lief ein Hase im hellsten Lichtkern der Laterne vor dem Rade her, und sobald Meister Lampe einmal durch eine Drehung in den Schatten kam, suchte er sofort wieder die hellste Stelle auf.

Das Vorhergehende habe ich nur erwähnt, um den Beweis zu führen, daß die meisten Lebewesen das Licht – mindestens – nicht fürchten. Alljährlich wird nun aber von den Eisenbahnzügen eine große Menge Wild, vornehmlich des Nachts, getötet, und gewiß ist die Frage, wie das kommt, berechtigt und auch interessant. Ich glaube, daß die beiden Laternen vorn an der Lokomotive der Hauptgrund sind. Das in der Nähe der Bahn „stehende“ (seinen ständigen Aufenthalt habende) Wild fürchtet bekanntlich das Brausen des Zuges nicht, es kennt ihn als ungefährlich und äugt ihn vertraut an, wenn er vorüberfliegt, oder zieht doch nur langsam ein Stück fort, um dann ruhig weiterzuäsen. Wer hat nicht schon vom Zuge aus dicht beim Bahndamme „verhoffendes“ (sicherndes) Rehwild gesehen oder sogar einen Fuchs beim Mausen beobachtet! Ja selbst die Trappe, das scheueste allen Wildes, streicht nur 200 Schritt weit vom fahrenden Zug und fällt dann wieder ein. Also vom Geräusch, das der herandonnernde Zug macht, wird das Wild nicht erschreckt, auch nachts nicht, wenn es auf dem Bahngleise steht. Machen wir uns nun einmal den Vorgang klar, wie z. B. ein Rehbock überfahren oder vom Zuge verletzt wird. Der Bock hört in der Ferne das ihm bekannte Geräusch eines näherkommenden Zuges, durch das er nicht erschreckt wird. Er „wirft aber auf“ und äugt nach der Richtung hin und sieht in der Finsternis nur die beiden hell strahlenden Lichter vor der Lokomotive – aber statt zu fliehen, wird er durch sie angezogen, er fürchtet sie mindestens nicht und starrt nach der wunderbaren, immer größer und heller werdenden Erscheinung hin – der Bock wird durch den Glanz sozusagen hypnotisiert. Er vergißt im Anstarren alles um sich her, und die Gefahr, in der er schwebt, kommt ihm nicht zum Bewußtsein, da seine Empfindungen ganz auf das strahlend glänzende Etwas gerichtet sind – er ist an den Platz gebannt und findet schließlich keine Zeit mehr, sich durch „eine Flucht“ zu retten.

Vielleicht dient folgender Vorfall als Beweis des Gesagten. Ein Freund von mir, Fabrikant B. U. aus Osterode, fuhr neulich einmal auf dem Rade nachts vom Harzdörfchen Riefensbeck nach seiner Villa zurück und hatte der Dunkelheit wegen sein strahlendes Acetylenlicht angezündet. Plötzlich kam er so unmittelbar an einem mitten ans der Chaussee stehenden, ihn oder die Laterne anstarrenden Sprung Rehwild vorüber, daß er fast eine Ricke umgefahren hätte und ihr nur durch eine geschickte Wendung auszuweichen vermochte. Karl Brandt.