Wild-, Wald- und Waidmannsbilder/Jugenderinnerungen: Mein erster Hirsch

Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Jugenderinnerungen: Mein erster Hirsch
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 668–671
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder
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Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.

Von Guido Hammer.
Nr. 51.0 Jugenderinnerungen: Mein erster Hirsch.

Mächtiger Gestalt und silberlockigen Hauptes, das männlich schöne Antlitz durch schneeweiße Brauen und ebensolchen, kühn getragenen Schnurrbart gar prächtig noch gehoben, in der kleidsamen sächsischen Jägertracht von grüner Pikesche und weiten rehfarbenen Charivarihosen, den Hirschfänger mit daran hängender Fangleine an der Seite, um den Leib aber die gewaltige Hetzpeitsche geschlungen, dazu hoch auf schwarz- und zottiggemähnter Falbe sitzend – so steht noch heute in ganzer, frischer Lebendigkeit diese stattliche Erscheinung eines echten, rechten Waidmannes, des einstigen Oberförsters Konstantin vom Fischhäuser Reviere auf Dresdener Heide, vor meinem geistigen Auge. Und doch ist’s schon ein halbes Jahrhundert her, daß ich, der damals kaum Fünfzehnjährige, dieses Musterbild eines hirschgerechten Jägers zum ersten Male erblickte, als dessen Sohn, mein damaliger Schul- und Jugendgenosse, mich in sein elterliches Haus einführte und dabei vor Allem seinem eben in das Revier hinausreitenden „Alten“ vorstellte.

Von diesem mir unvergeßlich gebliebenen Tage an zog es mich immer und immer wieder hinaus nach dem so lauschig unter Buchen, Weymouthskiefern und Jahrhunderte alten Linden gelegenen Walddaheim, um hier in dem liebgewordenen Kreise der Försterfamilie, der namentlich auch ein goldhaariges Töchterlein angehörte, wahrhaft jugendglückliche Stunden zu verleben. Zumal in den langen Winterabenden, an welchen dann der Oberförster so gern und zur Freude Aller selbsterlebte Jagdgeschichten zum Besten gab. Stehen mir diese doch nicht minder frisch im Gedächtniß, wie der Vortragende selbst, und in der Erinnerung daran dünkt es mich, als hätte ich sie eben aus dessen Munde vernommen. Vor allen aber ist’s eine davon aus seiner Jugendzeit, die mich von jeher am meisten gefesselt hat, deren Thatbestand aber auch den Erzähler selbst jedesmal von Neuem auf das Lebhafteste anregte, sobald derselbe – und dies geschah oft – darauf zu sprechen kam. Darum bin ich denn auch noch recht wohl im Stande, dieselbe ziemlich getreu nacherzählen zu können, was ich nun an dieser Stelle, wie folgt, versuchen will.

„Mein erster Hirsch“ – begann der biedere, nun schon längst verstorbene Grünrock regelmäßig diese seine Geschichte – „welcher mir als blutjungem, eben erst losgesprochenem Jägerburschen vor die Büchse kam und von mir geschossen ward, dessen werde ich all meine Lebtage mit ganz besonderer Lust eingedenk bleiben.“

Nach einer hierauf jedesmal folgenden Pause fuhr er dann ohne weitere Unterbrechung fort:

„Ich hatte, wie schon gesagt, nur erst meine Lehrjahre überstanden, und zwar auf *dorfer Revier in der sächsischen Schweiz beim Förster Pommerich, einem kreuzbraven, aber teufelsmäßig scharfen und oft recht unwirschen alten Manne, als ich von diesem meinem Gestrengen eines rauhen, nebeligen Herbstfrühmorgens – die starken Hirsche schrieen bereits seit einigen Tagen ganz gehörig – den Befehl erhielt, mit ihm hinauf ins Oberrevier nach

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Waldmann stellt den Hirsch.
Zu den „Jugenderinnerungen“. Originalzeichnung von Guido Hammer.

[670] den sogenannten Tellen zu gehen, wo er einen noch nicht beim Mutterwild stehenden, von der böhmischen Grenze herübergetretenen guten Hirsch abzuschießen gedachte. Er hatte schon seit Wochen getrachtet, ihn auf dem Birschgang zu erwischen, doch ohne ihn bisher je bei Büchsenlicht zu Schuß bekommen zu haben. Trat der Schlaue doch nur spät Abends, erst bei völliger Dunkelheit heraus ins Freie und zog auch vor Morgengrauen schon wieder zu Holze. Darum wollte mein Herr es heute einmal unter meiner Beihilfe, also zu Zweien versuchen, dem Patron Abbruch zu thun. Wir wollten uns dazu an einer großen und sehr festen Fichtenschonung, in welcher der Hirsch gewöhnlich tagsüber steckte, vorstellen, und ‚Waldmann‘, der Teckel, sollte sie durchkriechen und uns, nach Umständen, den Burschen bringen.

So rückten wir denn ohne Säumen mitsammen nach ihm aus. Draußen angekommen, hatten wir auch alsbald die Genugthuung, die frische Fährte des Gesuchten im Thau eines uns vorliegenden, von Schmälen[1], Heide und Beerenkräutern überwucherten Gehaues weithin sich kennzeichnen zu sehen. Als wir dann derselben folgten, führte sie auch richtig, nach einigen Widergängen, hinein in die von meinem Herrn ins Auge gefaßte Dickung. Zu aller Vorsicht kreisten wir dieselbe aber doch noch erst ein, dabei sorgfältig abspürend, ob der Schleicher nicht doch vielleicht nur durchgezogen wäre. Allein bei unserem Wiederzusammentreffen auf entgegengesetzter Seite der umgangenen Schonung bestätigte es sich, daß er wirklich drin sitzen geblieben war. Nun schritt Meister Pommerich unverzüglich zur Ausführuug seines entworfenen Jagdplanes und gebot mir zu diesem Zwecke, gleich am Platze, wo wir uns eben befanden und von wo aus man rechts und links volle Flucht zum Schießen hatte, mich anzustellen; er aber wollte zurückgehen, um den Rückwechsel zu besetzen, und von dort aus auch ,Waldmann’ auf die Fährte setzen. Brächte dieser darauf hin den Hirsch zu mir heraus, bemerkte er, dann sollte ich nur dreist darauf schießen, ginge jedoch die Jagd rückwärts – nun, in diesem Falle stände ja er am rechten Flecke. ‚Wer geschossen hat, bleibt ruhig auf seinem Stande und wartet, bis der Andere zu ihm kommt,‘ fügte er beim Abgehen noch hinzu, und fort stakelte mein Gebieter, mir dabei ‚Waidmanns Heil‘ zubrummend.

Wie späh’te und horchte ich jetzt, da ich allein war, nach allen Seiten hin, um ja nicht etwa vorzeitig sich Ereignendes zu verpassen! Denn voraussichtlich mußte ich noch lange warten, ehe mein schon etwas wackliger Alter nur seinen Stand erreicht haben und ich zum Zeichen, daß dies geschehen, das ‚Kiff paff‘ des anjagenden Hundes zu hören bekommen würde. Um so wonniger erklang mir endlich der heißersehnte Ton, und das Herz schlug mir hörbar dabei, als ‚Waldmann‘ nun, fort und fort laut wie eine Glocke, die Jagd gar auf mich zu brachte. Ja, ich stand bei deren Annäherung bereits so in vollem Hirschfieber, daß mir thatsächlich die Zähne auf einander schlugen und ich ordentlich Gott dankte, als ‚Männel‘ plötzlich verstummte. Er mußte von der Fährte abgekommen sein. Doch nur kurze Zeit währte dies, dann gab der Unermüdliche von Neuem hellen Hals, doch diesmal wandte die Flucht sich links ab, dann plötzlich wieder nach rechts herüber, bis sie endlich in geradem Strich zurück auf meinen Herrn losging. Der Hirsch hatte wahrscheinlich nach ein paar Wiedergängen den Rückwechsel angenommen. Jetzt war ich voraussichtlich darum, den Hirsch vor das Rohr zu bekommen. Und richtig! Kaum einige Minuten später ertönte draußen ein Schuß, daß der Knall davon an den hinter mir liegenden Wänden als vielfaches Echo wiederklang und knatternd durch Wald und Geklüft sich fortsetzte. Dies aber hören – und es gab kein Halten mehr bei mir. Im Laufschritt ging’s meinem Vorgesetzten zu, und bald stand ich neben dem Glücklichen. Ohne lange Rede, sondern nur mit der Bemerkung, daß er auf den sehr flüchtig vor dem Hunde Gekommenen geschossen habe, führte er mich auf den von ihm bereits verbrochenen Anschuß und ließ mich hier die absichtlich zu meiner Belehrung liegengelassenen Schnitthaare und weiterhin den zuerst gefallenen Tropfen Schweiß (Blut) aufsuchen. Nun erst, nachdem ich Beides schnell und sicher wahrgenommen, verfolgten wir gemeinschaftlich die Fährte weiter. Zunächst führte diese über dasselbe Gehau zurück, auf welchem wir den noch vor Kurzem Gesunden eingespürt hatten. Beim Weitersuchen, wobei mein Lehrherr, der Hirschgerechte, Alles, auch das Geringfügigste, mit besonderer Sorgfalt ins Auge faßte und mich jedes Mal darauf aufmerksam machte, kam mein Meister unter Anderem auch zu der Ueberzeugung, daß der Getroffene die Kugel hoch sitzen haben müsse, denn da, wo er bei seiner Flucht lange Schmälen berührt oder an Strauchwerk angestrichen war, saß auch meistens in ziemlicher Höhe Schweiß daran. Unter solchen Beobachtungen seinerseits, die mir zu lehrreichsten Erfahrungen wurden, kamen wir denn bis zu einem alten vergrasten Wege. Derselbe führte weiter hin in die Felsen und lief dort, wie wir Beide wußten, zuletzt nur noch als schmaler Steig an abfallenden Wänden hin nach einem etwa stubengroßen Vorsprung aus, welcher über einer tief hinunterreichenden bewaldeten Schlucht hing.

Da wir zuletzt nur noch wenig Schweiß gefunden, an schon erwähntem Graswege aber das letzte Tüpfelchen davon verspürten, so machten wir hier Halt, um nun erst wieder einmal nach dem Hunde zu horchen, der noch immer hinter dem kranken Hirsch her war. Und nicht vergeblich lauschten wir ihm, vielmehr recht bald hörten wir den braven Teckel, und zwar fest Standlaut geben – der Hirsch hatte sich ihm also gestellt. Dem Klange nach aber war es ganz in der Richtung nach besagtem verlorenen Felsenwechsel zu. So folgten wir denn auch diesem noch ein Stück, doch nur bis zu jener Stelle, wo er sich bis zum schmalen Grat an den Schroffen hin gestaltete. Hier, an der Felswand, fand sich auch wieder hochangestreifter Schweiß vor, so daß uns daraus die volle Sicherheit ward: der Verfolgte sei wirklich auf der kleinen Platte, die wir aber wegen Vorliegen mächtiger Gebirgsecken noch immer nicht in Sicht hatten. Da dem Versprengten da draußen aber ein Entkommen nach vorwärts geradezu unmöglich sein mußte, so durften wir uns auch keinen Schritt weiter entgegen wagen. Denn wir würden durch unser Erscheinen den nun schon so lange vom Hunde Bedrängten zu einer verzweifelten Flucht nach rückwärts, also auf uns zu, veranlassen, wobei der Geängstete uns auf dem engen Felspfade nothwendig überrennen und rettungslos in den Abgrund stürzen mußte. Darum zogen wir uns wieder so weit zurück, daß wir ungefährdet auf ihn schießen konnten, wenn der Hirsch auch ohne unser Entgegentreten sich über den Hund weg den Rückwechsel erzwingen sollte. Mit bewährter Ausdauer aber hielt ‚Waldmann‘ den in die Enge Getriebenen auch noch ferner auf der Klippe fest, und hierauf stützte denn mein nie verlegener Principal jetzt einen neuen Plan zum Gelingen der weiteren Jagd.

,Du, mein Junge,‘ wandte sich plötzlich der sonst so Barsche in seiner zwar immer noch derben, doch heute in fast väterlichem Tone gehaltenen Art an mich: ,Du gewinnst mit Deinen jungen Knochen allemal noch Zeit dazu, über den ,Zumsteig‘ an der ,Herztanne‘ vorüber und durch die ‚Martertelle‘ hinauf nach dem ,hohen Stein‘ zu kommen, von wo es höchstens hundert Schritte hinüber nach dem Riff sein mögen, auf welchem der Hund mit dem Hirsche steht. Und bist Du nur einmal an Ort und Stelle angelangt, dann magst Du von da aus auch in Gottes Namen auf Deinen ersten Hirsch schießen. Halt aber gut hin und nimm Dir darum ruhig Zeit dabei, denn hat er bis dahin dem ‚Waldmann‘ noch Stand gehalten, dann kommt’s auch auf ein paar Minuten mehr oder weniger, die Du noch aufs Verschnaufen verwendest, nicht an. Also recht bequem gemacht und um so sicherer hingehalten, damit der Beschossene womöglich im Feuer und auf dem Flecke zusammenbricht, denn sonst stürzt der Racker wohl gar ab! Ich aber bleibe hier, um ihm für alle Fälle den Rückzug zu verlegen. Und nun Waidmanns Heil zu guter Jagd, und Hals- und Beinbruch noch dazu!‘[2]

Freudigst dankte ich meinem noch nie so leutselig gegen mich gewesenen Herrn für das mir Gewährte, und jubelnden Herzens eilte ich von dannen. Nur flüchtig hörte ich dabei noch seinen Warnruf: ,Sachte, sachte, sachte!‘ Dann war ich um die Ecke verschwunden und bereits auf dem vorgeschriebenen Wege, der mich, bei meiner Eile, schon in etwa einer guten Viertelstunde auf meinen Posten brachte. Als ich auf diesem angekommen war, richtete sich mein erster Blick zur Klippe hinüber, nach meinem ersehnten Ziele, dem Hirsche, der wirklich noch immer vor dem Hunde aushielt.

[671] Mit halb niedergesenktem Kopf und schlappen Gehören stand der offenbar Schwerkranke da, ohne sich nur zu rühren, während der ihm den Weg sperrende Teckel nicht müde ward, ihn giftig anzueifern. Vorsichtig, um den Festgebannten nicht etwa von meiner Seite her rege zu machen, suchte ich zuvörderst ungesehen Deckung hinter einem vor mir liegenden Felsblocke zu gewinnen, wobei ich zugleich auf passende Schußweite herankam. Hier holte ich nun erst in tiefen Zügen frischen Athem, denn vom raschen Lauf und vor Aufregung wollte es mir schier die wogende Brust zersprengen. Dann aber, unter allerhand Freischützgelübden für das Gelingen meines Schusses, nahm ich die Büchse an den Kopf. Doch hierbei ward mir’s plötzlich wie Nebel vor dem Auge, so daß ich das Zeug auf dem Rohre nicht zusammen zu bringen vermochte – und wenn es mein Leben gegolten hätte. Zum Glücke fielen mir noch rechtzeitig die mahnenden Worte meines Herrn ein: mir Ruhe beim Schießen bewahren zu sollen, und da ja doch der Hirsch noch unbewegt an seiner Stelle stand, so setzte ich wirklich die Büchse wieder ab, schnappte noch ein paar Mal nach frischer Luft – und die noch gestochene Büchse lag von Neuem am Backen. Diesmal bemeisterte ich jedoch insoweit meine Erregtheit, daß ich klaren Blickes blieb und ohne Schwanken Visir und Korn zusammenbrachte, damit auch gut auf den Hirsch abkam. Im Nu berührte dazu der Finger den Abzug, und dröhnend durchhallte der Schuß die hellhörige Herbstluft.

Deutlich hatte ich hierbei den Kugelschlag gehört, das war aber auch Alles, was ich wahrgenommen. Ob der Hirsch aber auf den Schuß gezeichnet hatte, war mir vor Pulverdampf, vielleicht auch nur durch meinen fieberhaften Zustand, in welchem ich mich noch immer befand, gänzlich entgangen. Um so heftiger erschrak ich, als ich im nächsten Augenblick durch den sich verziehenden Rauch Aussicht gewann und den Hirsch, wie einen Gefeiten, noch immer aufrecht vor mir stehen sah, gerade wie zuvor. Natürlich glaubte ich gefehlt zu haben, umsomehr, als er ganz plötzlich, noch ehe ich an das Wiederladen der Büchse nur gedacht, sich wendete, als wolle er den Hund abschlagen. Dabei kam aber der rege Gewordene ins Wanken und dem Rand der niedergehenden Wand so nahe, daß er sich nicht erhalten konnte – und jäh, kopfüber, stürzte der Stattliche hinab in die bewaldete tiefe Schlucht unter ihm. Noch sah ich den Hochgeweihten in die Wipfel der alten Fichten und Tannen, die sich wie zum Fange entgegenstreckten, aufschlagen und ein Rauschen, Krachen und Brechen folgte diesem Fall – dann war’s wieder so still wie zuvor.

Staunend über das eben Geschehene, aber auch in wahrer Herzenspein darüber, stand ich starr und rathlos da, nicht wissend: hatte den nun Gefällten meine Kugel dazu gebracht, oder war es nur der Knall gewesen, der den Schwerkranken zum letzten Fluchtversuch aufgerüttelt und dabei ihn zu Falle hatte kommen lassen. Ich glaubte das Letztere. Vor der Hand kam ja aber hierauf nichts an. Darum zögerte ich auch nicht, um so rasch wie nur möglich zurück zu meinem Herrn zu kommen, ihm die Sachlage zu melden. Fast athemlos traf ich bei ihm ein, daß ich kaum meinen Bericht hervorzustammeln vermochte. Als dies doch so gut und ausführlich wie möglich geschehen und ich auch meine bange Vermuthung nicht verschwiegen hatte, ward mir erst Wieder einigermaßen leichter ums Herz; denn ruhig und ganz befriedigt erwiderte der heute nun einmal ganz ungewöhnlich gütig gestimmte Alte darauf: ,Nun, das ist jetzt einerlei, ob todtgeschossen oder todtgestürzt. Jedenfalls liegt der Schwerenöther verendet unten und kann uns nun nicht mehr entgehen. Ehe wir aber dort ’nunter kraksen‘, fuhr er fort, ,magst Du erst nach der hinteren Salzlecke springen. Dort sind heute die Holzmacher beim Durchforsten von Fichtenstangen beschäftigt. Von denen bringst Du drei bis vier Leute mit hierher – sollen aber Schiebbock und ihr Zeug mitbringen – und dann steigen wir Alle zusammen hinunter zu dem Satansbraten, um diesen gleich ins Forsthaus schaffen zu lassen. Also vorwärts! Ich erwarte Euch hier.‘

Rasch kam ich auch diesem Befehle nach, so daß ich gar bald wieder mit den Arbeitern zur Stelle war. Sofort ward von hier aus aufgebrochen, um den Abstieg in die betreffende Schlucht vorzunehmen. Nachdem dieser ohne allzu große Beschwerde gelungen und wir zu der verhängnißvollen Oertlichkeit gekommen, wo den Umständen nach der niedergegangene Hirsch sich vorfinden mußte – da forschten wir doch vergeblich nach diesem. Wohl fanden wir hier frisch abgebrochenes Geäst und Reisig in Menge vor, doch sonst weiter keine Spur des Gesuchten. Unwillkürlich richteten sich nun Aller Blicke hinauf nach der Wand, über welcher der Vermißte gestanden hatte, in der Hoffnung, ihn etwa irgendwo zu sehen; doch Keiner entdeckte ihn dabei.

Da, ich traute erst meinen Augen kaum, gewahrte ich den Ersehnten, wo ihn Niemand vermuthet, inmitten des knorrigen Geästes einer riesigen Tanne, und zwar derjenigen, an deren Fuße – ich stand. Mit dem Geweih und den Läuften verklammert und verschränkt hing der Edle hier hoch oben im Grünen – ein Anblick, wie er sonderbarer kaum gedacht werden konnte. Jetzt stand uns nun die Aufgabe bevor, den endlich Aufgefundenen aus seiner immerhin noch hohen Region herunterzuholen. Wie dies aber anfangen? Nun, ich ließ es mir, als Jüngstem und gewandtem Kletterer, nicht nehmen, den mächtigen Baum zu ersteigen. Ich zog dabei das Ende eines langen Seils nach und schlang es vorerst dem Hirsch an die mir zunächst erreichbaren Hinterläufe. Dann löste ich Geweih und Vorderläufe aus dem Astgewirr, und während nun die Leute unten anzogen, half ich mit allen meinen Kräften nach, die ungefüge Last vor erneutem Hängenbleiben zu bewahren. Unter solchen Bemühungen und durch die eigene Schwere des kapitalen Burschen kam dieser denn auch bald ins Rutschen, und während noch mancher Ast nachbrach, schlug er endlich dröhnend zu Boden.

Aufs Schnellste, um doch endlich zu erfahren, ob meine Kugel ihre Schuldigkeit gethan, sprang ich mehr, als daß ich abstieg, von Ast zu Ast und zuletzt ins weiche Moos hinab, dicht neben die nun errungene Beute hin, hier mich endlich nach Herzenslust an deren unbehindertem Anblick zu weiden. Doch noch ehe dies geschehen konnte und als ich mich noch hoch in den Aesten befand, rief mir mein guter Herr und Meister schon frohgemuth zu: ,Brav hingehalten, einen Mordstreffer gethan!‘ Dann aber, wie ich wieder auf Grund und Boden vor ihm stand, empfing er mich mit biederem Händedruck und beglückwünschte mich zu meinem ersten Hirsch, dem meine Kugel so recht auf dem gehörigen Flecke, dicht hinter dem Blatt, ein wenig kurz saß, während die meines Herrn wirklich, wie von ihm vorausgesagt, hoch hohl unter dem Rücken durchgegangen war. Nachdem ich mich so von meinem Glück überzeugt, bückte sich mein heute so freundlicher Herr und Gönner und schnitt dem Hirsch die Haken[3] aus dem Geäse, überreichte sie mir als wohlverdiente Trophäen und steckte mir dazu auch noch eigenhändig einen Tannenbruch auf den Hut. Dabei sah man dem Guten die unverkennbare Freude über meine Freude an. Und als ich ihm darauf für all das Liebe und Freundliche, was er mir heut’ angethan, von ganzem Herzen gedankt, auch ihm zugleich meinen Gegenglückwunsch zu seinem Hirsch dargebracht, da ich dem Angeschossenen ja nur den Fangschuß gegeben und denselben also nach gutem Jägerrecht nicht als von mir erlegt betrachten dürfe – da zerstreute der brave alte Mann den über meine helle Freude gekommenen Schatten in wahrhaft väterlicher Weise durch die Versicherung: daß er den Hirsch als allein von mir geschossen betrachtete. Sein Schuß säße ja nicht unzweifelhaft tödlich, während meine Kugel den Hirsch auch ohne dessen Absturz unfehlbar nach Minuten schon zur Verendung gebracht haben würde. Mithin sei ich allein der eigentliche wahre Hirschtödter. ,Und,‘ fügte er lächelnd hinzu: ,damit Du Teufelskerl mir dadurch nicht etwa gar zu übermüthig wirst, so spreche ich mir das Geweih für meinen Anschuß zu – und damit basta!‘

Wer war glücklicher als ich!“

Mit diesen Worten endete mein lieber väterlicher Freund Oberförster ebenso regelmäßig seine Geschichte, wie er auch niemals die Eingangsformel derselben veränderte. Ebenso einmal wie allemal aber deutete er nach Schluß seiner Erzählung auf einen stattlichen Zwölfender über dem Spiegel und bemerkte hierzu nur noch: „Das ist das Geweih von jenem Urian, der mir einst so viele Sorge und doch auch wahrhaft hohe Freude bereitet hat. Deßhalb habe ich mir es aber auch nach dem Tode meines unvergeßlichen Herrn von dessen Erben zu verschaffen gewußt, und es soll allezeit der Hauptschmuck meines Hauses bleiben.“


  1. Dünnes, langhalmiges Gras.
  2. Hals- und Beinbruch gewünscht bekommen, gilt dem Jäger als ein besonders gutes Zeichen zum Gelingen der Jagd.
  3. Haken nennt der Jäger die zwei dem Edelwild eignen Zähne im Oberkiefer. Sie werden manchmal an der Uhrkette getragen.