Wieder einmal beim alten Kreuzberg

Textdaten
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Autor: Heinrich Leutemann
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Titel: Wieder einmal beim alten Kreuzberg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 320–324
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[320]

Wieder einmal beim alten Kreuzberg.

Dreierlei Ursachen sind es, welche mir den letzten Aufenthalt der Kreuzberg’schen Menagerie in Leipzig (Michaelis 1872) immer wieder lebhaft ins Gedächtniß zurückrufen werden. Die Erwähnung der ersten gehörte zwar nicht hierher, wenn sie nicht einen Anknüpfungspunkt böte, um zur Abstellung eines rohen Unfuges eine Bitte an unsere deutschen Behörden zu richten. Sie möge daher hier einen Platz finden.

Unter den Schaubuden der vorigen Leipziger Michaelismesse

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Eine programmwidrige Scene in der Kreuzberg’schen Menagerie.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

[322] befand sich auch, und zwar der Kreuzberg’schen Menagerie gegenüber, eine Bude, in welcher, der Ankündigung nach, zwei „Indianer aus dem Westen Nordamerika’s“, also Wilde, gezeigt wurden.

Als Freund der Natur bin ich von jeher auch sehr für Wilde eingenommen gewesen. Aber auch die nicht ganz echten Wilden sind nicht zu verachten. So erinnere ich mich unter anderen eines Negers, welcher als Diener bei Kreuzberg an der Casse beschäftigt war, aber entlassen wurde und am zweiten Tage darauf sich als Wilder, nämlich als halbnackter Negerhäuptling, etablirte, wobei er eifrig und mit großem Ernst einen Messingmond anbetete. Des Vormittags war er zahm und ging, gekleidet wie wir, unter dem Publicum einher, und erst vom Mittag an, wo das schaulustige Publicum sich einfand, wurde er zum Wilden.

In der letzten Messe wurde auch „Cora (so hieß sie wohl), die junge Nubierin“ gezeigt. Cora war ein ungefähr sechs- bis achtjähriges, reizendes Negermädchen, mit dem nöthigen Flitter als Wilde aufgeputzt. Sie tanzte auch, so ungefähr, wie Elephanten tanzen würden; das Interessanteste an ihr aber war, daß die „Nubierin“ verschiedene glänzende Zierrathe an der Nase befestigt trug, wovon ein Theil das Zeichen ihrer Abstammung war, der andere aber nach der sinnreichen Erklärung des Cicerone „die Aufrichtigkeit und Sündhaftigkeit ihrer Eltern“ bedeutet. Und das wird dem Publicum von Personen im Frack und mit der ernstesten Miene der Welt vorgetragen. Als Wilde wollte wohl auch „Hippolyta, das lebende Fischweib“ gelten, welches in der letzten Messe gezeigt wurde. Ich habe mich selbst gründlich ausgelacht, daß mich die reine Neugierde in die Bude hineintrieb und ich nun als Angeführter dastand. Aber konnte man wissen, daß „Hippolyta, das lebende Fischweib“ – ein ganz gemeiner Seehund war?

Diese Beispiele mögen beweisen, daß man auch den fabricirten Wilden ein gewisses Interesse abgewinnen und sich bei ihnen mindestens doch eine gewisse Erheiterung holen kann. Das veranlaßte mich denn auch, die eben angeführten „Indianer aus dem Westen Amerika’s“ zu besuchen. Daß es Neger sein würden, konnte nicht zweifelhaft sein. Echt nordamerikanische wilde Indianer sind meines Wissens noch nie nach Deutschland gekommen, und wer sie zeigte, müßte ein glänzendes Geschäft machen und brauchte nicht eine Messe aufzusuchen. Die Hauptursache meines Besuches war eigentlich, die Erklärung zu hören und das Verschlingen lebendiger Tauben und Kaninchen anzusehen. Dies übt bekanntlich die größte Anziehungskraft auf die große Menge, und deshalb müssen sogar manchmal Albinos aus der Schweiz, wenn sie als Wilde aus Centralamerika gezeigt werden, sich zum Fressen von lebenden Kaninchen und Tauben bequemen. Ich bin, zum jedesmaligen Erstaunen des Publicums, seit Jahren stets hinausgegangen, wenn diese Scheußlichkeit beginnen sollte; aber diesmal bezwang ich meinen Ekel, um die Sache wirklich einmal gesehen zu haben, und ertrug den Anblick, schildere ihn aber natürlich nicht.

Der eine der Neger trug eine Perrücke von langen Haaren, wie man dieselbe bei Indianern gewöhnlich voraussetzt, und über die Perrücke, um dieselbe oben zu verdecken, einen fast bis an die Augenbrauen herunterreichenden Kopfputz. Die Kerle rasselten schon vorher hinter dem Vorhange fürchterlich mit Ketten, brüllten wie das Vieh, wahrscheinlich aus Wuth über ihr Schicksal, und wenn sie auf die Bühne kamen, so traten sie gegen das nahe Publicum so drohend mit Keulenschwingen, Grimassenschneiden u. dgl. auf, daß es offenbar Vielen angst und bange geworden ist. Aber die Gegenwart des Erklärers bändigte sie stets. Der eine der Neger kam mir gleich anfangs bekannt vor, und ich erkundigte mich daher bei der Geschäftsdame an der Casse nach dessen Vergangenheit; aber mit unerschütterlichem Ernst versicherte mir dieselbe, daß die Indianer echt seien, denn der Erklärer habe sie selbst eingefangen, und mein Lächeln machte sie dabei gar nicht irre. Die Leute machten mit den Wilden glänzende Geschäfte. Ob es nun damit zusammenhing oder nicht, kurz, plötzlich erschien im „Leipziger Tageblatt“ eine Anzeige von einem dasigen Thierhändler, daß der eine der gezeigten Neger sein früherer Diener Ferdinand sei. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf dies die glücklichen Geschäftsleute. Noch an denselben Tage sammelte sich das Publicum, am Abend durch die edlen Lehrlinge verstärkt, vor der Bude und begann männiglich die Leute an der Casse zu verhöhnen, immer dazwischen nach „Nante“ rufend. Mit großer Tapferkeit suchten die Betrogenen das nahende Schicksal abzuwehren und die Echtheit ihrer Wilden zu verfechten, aller „Verleumdung“ zum Trotz, aber der Scandal wuchs und von der Casse der Kreuzberg’schen Menagerie sah ich es schließlich mit an, als am zweiten oder dritten Abend, denn im Dunkeln ist das am gemüthlichsten, ein Sturm auf die Bude gemacht und mit Erfolg durchgeführt wurde. Man wollte die Wilden herausholen, insbesondere Nanten, da derselbe gegen das Publicum grob geworden sein solle. Das Ende war aber natürlich der Schluß der Bude und des so glänzend begonnenen Geschäfts.

Und nun die schon angekündigte Bitte an die deutschen Behörden: Wenn man einmal dem vielerlei Schwindel der Schaubuden freien Lauf lassen will, so verbiete man doch wenigstens das Zerreißen und Verschlingen lebendiger Thiere durch Menschen! Es ist dies etwas so Empörendes und Scheußliches, daß man wirklich bei diesem Anblick nicht glaubt, in einem gesitteten Staate sich zu befinden. Dieses Verbot würde ohnedies den gemeinen Wildenschwindel etwas beschränken, denn man vergesse nicht, nur der unechte Wilde frißt lebende Tauben und Kaninchen, weil dies eben das liebe Publicum am meisten anzieht, der echte „hat’s eben nicht nöthig“, womit natürlich nicht gesagt ist, daß Jeder, der nicht dergleichen frißt, echt sein muß. Ein solches Verbot müßte allerdings schon aus Gesundheitsrücksichten möglichst allgemein sein; denn wenn der Wilde an einem Orte fressen darf, am andern aber nicht, so würde selbst die unbändigste Gesundheit unter dieser Unregelmäßigkeit leiden müssen.

Nicht Jeder weiß, in welcher Weise diese Wilden-Candidaten, diese Neger, nach Europa, insbesondere nach Deutschland kommen. Das geht aber meistens so zu: Sie werden von reichen Afrikareisenden als pikantes Spielzeug im Kindesalter als Sclaven gekauft. In Europa machen die Besitzer derselben dann mit ihnen Effect. Die Negerkinder, die ich gesehen, waren wirklich durchweg reizende Geschöpfe. So lange sie nicht wissen, daß es gesetzlich in Europa keine Sclaverei giebt, bleiben sie bei ihrem ersten Herrn, bis ihnen durch irgend Jemand die Augen geöffnet werden, das Verhältniß dann locker und lockerer wird und sie zuletzt ohne Beruf sich selbst überlassen sind.

Nur ungern hatte ich mich durch den Sturm auf die Wildenbude aus der Kreuzberg’schen Menagerie heraus an die Casse derselben locken lassen, wo man vom erhöhten Standpunkt aus einen schönen Ueberblick über das Schlachtgewühl hatte. Gern kehrte ich daher nach eingetretener Ruhe in das Innere zurück, um immer wieder von Neuem mich an dem Anblick der schönen Thiergestalten, insbesondere der beiden Löwenbrüder und ihrer prachtvollen Dressur zu erfreuen. Aeltere Leser der Gartenlaube werden sich erinnern, daß in dem Jahrgang 1864 durch Wort und Bild eine Darstellung der Löwendressur gegeben wurde, wie sie der dadurch berühmt gewordene Batty, und zwar damals im Renz’schen Circus, vorführte. Das Neue an der Sache war, daß die fast nur jungen Löwen durch Peitschenhiebe fortwährend in Wuth und Angst erhalten wurden und ihr Brüllen und die abwehrenden Tatzenhiebe der ganzen Sache den Anschein des ungeheuer Gefährlichen gaben. Ich sage den Anschein, denn im Grunde war die Angst der jungen Thiere die Hauptsache. Seit Batty’s Auftreten sind diese Löwenwagen als Begleiter von manchem Circus Mode geworden, und auch der jetzt in Deutschland reisende höchst originelle amerikanische Circus hat einen solchen, aber ebenfalls mit jungen, öfter erneuten Thieren. Als ich den Circus in Leipzig sah, lag zum Beispiel der älteste Löwe der Sicherheit wegen bereits an der Kette. Sobald Kreuzberg die Erfolge Batty’s sah, ließ er sich sofort sieben junge Löwen aus England kommen und vereinigte dieselben in seinem Centralkäfig zur Vorstellung mit einem größeren Löwen, mit Bären, mit gefleckten und gestreiften Hyänen. Seine viele Jahre hindurch „sechszehnjährige Schwedin“ gab nun à la Batty Vorstellungen mit großem Geschrei, Peitschenhieben und Löwengebrüll. (Auch das ist später in der Gartenlaube dargestellt worden.) Kreuzberg wollte eben zeigen, daß er das auch könne, wenn er nur wolle, denn daß das keine Schwierigkeiten für den Fachmann habe, wußte Niemand besser als er. Gern gesehen habe ich diese Vorstellungen allerdings auch, aber nicht blos als wunderbare und gefährliche Dressur, sondern um mich an den schönen und wechselnden Stellungen und Bewegungen der Thiere zu erfreuen [323] und sie zu beobachten, da man sonst fast nie Gelegenheit dazu hat. Was nun aber Kreuzberg unter eigentlich seiner Dressur versteht, das hat er neuerdings wieder bewiesen durch die Vorstellung, welche er seit einigen Jahren mit den zwei schönen großen und prächtig gemähnten Löwen giebt. Früher vereinigte er, seiner Mittheilung zufolge, dieselben auch mit Hyänen und Bären, seit aber eine der Hyänen von dem einen Löwen todtgebissen wurde, sind diese Thiere nicht mehr aus ihrem Käfig herauszubringen, denn selbst die pöbelhaft freche und gemeine Hyäne hat ihr Leben lieb. Für den schönen Eindruck der Löwendressur ist übrigens dieses Fernbleiben der Hyänen nur vortheilhaft, da dadurch jede Störung wegfällt, und so geht denn diese Vorstellung auch stets glatt und elegant vor sich.

In dem Centralkäfig, wo diese Vorstellung stattfindet, hat gewöhnlich der Elephant seinen Stand, muß aber, ehe die Löwen eintreten, seinen Platz verlassen, um in dem von den Hyänen theilweise geräumten Menageriewagen der andern Seite Platz zu nehmen. Derselbe Elephant war bisher der seltene „weiße“ Elephant, wird aber jetzt, wenn ich nicht irre, nicht mehr so genannt. Er sah auch früher manchmal erstaunlich weiß aus und verdiente seinen Namen mit Recht. Warum das jetzt nicht mehr der Fall ist, ob das zunehmende Alter eine Aenderung veranlaßt, wer kann das wissen, da über weiße Elephanten eben ihrer Seltenheit wegen die Erfahrungen sehr karg sind.

Nachdem wir nun also den weißen Elephanten entlassen haben, betreten die beiden schönen Löwen den Raum. Der junge Kreuzberg (er leitet jetzt größtentheils die Vorstellungen) hat die Käfigthür geöffnet, und beim Heraustreten schmiegen sich die herrlichen Thiere behaglich im Vorbeigehen an ihn, ganz in der Weise der Katzen. Zunächst beginnt eine kleine Promenade, und bei dem Ausruf „ganzes Bataillon“ wandelt das ganze Bataillon, das heißt die beiden Löwen, hinter ihnen ihr Freund, einige Mal um den massiven, durch öftern Gebrauch etwas wackligen Tisch herum. Dann erhebt sich der eine Löwe, springt auf den vorgerückten Tisch und richtet sich auf den Hinterbeinen zu einem oben hangenden Brett auf, um einen Bissen Fleisch dort zu finden, und dann in schöner stolzer Haltung eine Zeit lang aufgerichtet stehen zu bleiben – ein herrlicher Anblick. Auch der andere Löwe richtet sich sodann, um seine Figur zu zeigen, am vordern Gitter auf, wobei sich Herr Kreuzberg jedes Mal an die Thiere anlehnt, um Gruppe zu machen und das Größenverhältniß zu zeigen. Sodann kommt die eigentliche Mahlzeit. Dazu richten sich beide Thiere auf, legen sich mit den Vordertatzen nebeneinander auf den Tisch und bekommen nun in reicher Auswahl „Hammelbraten, Schweinebraten, Coteletten, Beefsteaks, Roastbeef, Rinderbraten“; alles dieses, aus einem geschlachteten Pferde geschnitten, wird trotz oft wiederholter Vorstellungen immer mit Appetit verzehrt. Aber nun kommt die Krisis. Die Herren haben so reichlich gespeist und sollen bezahlen, aber das Geld fehlt. Herr Kreuzberg fordert sie erst gütlich auf, wird aber dann grob und hält dringend den Teller hin. Die Löwen grinsen ihn an, und endlich geben sie ihm – Jeder einen gründlichen Tatzenhieb auf seinen Teller, wiederholen denselben auch, wenn ihrem Wirth das Verständniß dafür nicht gleich aufgeht. Ueber solche Schlechtigkeit, solche Zechprellerei ist natürlich Herr Kreuzberg ganz entrüstet; er macht seinen Gästen die bittersten Vorwürfe, droht ihnen mit der Polizei, schließlich mit Hinauswerfen und ladet gewöhnlich das Publicum ein, ihm dabei behülflich zu sein, bis jetzt immer ohne Resultat. Zuletzt öffnet er die Thür und fordert die Herren auf, sein Local schleunigst zu verlassen. Der eine Löwe geht auch wirklich nach Oeffnung der Thür in seinen Käfig zurück; der andere aber hat sich behaglich hingestreckt und nimmt nicht die geringste Notiz von der Aufforderung, mag dieselbe auch noch so laut und ungestüm wiederholt werden. Da geht dem Wirth ein Licht auf; er erinnert sich, daß ja der Löwe der König der Thiere ist, man also sehr höflich mit ihm reden müsse. Er bittet nun in gebückter Haltung Seine Majestät um gütiges Verlassen des Locals, und jetzt erhebt sich der Löwe und wandelt ruhigen Schrittes in seinen Käfig zurück.

Wie sich diese Schlußeffecte der Vorstellung erklären, auf welchen Kunstgriffen sie beruhen, will ich nicht verrathen, da sonst ein großer Reiz für den Beschauer, und deren wünsche ich dieser Vorstellung recht viele, verloren gehen würde. Daß die Anrede mit „Seine Majestät“ dem Löwen, um mit Bebel zu sprechen, „ganz wurst“ ist, weiß ja Jedermann, aber gerade dadurch ist dieser Schluß um so effectvoller – man kann sich die Sache eben nicht gleich erklären.

Nach der Vorführung der Löwen muß dann der Elephant seine Künste zeigen, welche wohl Jedermann kennt und deren Erwähnung daher überflüssig ist. Er bleibt auch in dem Raume, bis die bei starkem Besuch öfter wiederholte Vorstellung mit den Löwen ihn von Neuem zum jeweiligen Verlassen desselben veranlaßt. Diese Vorführung der Löwen war die zweite der im Eingang dieser Zeilen angedeuteten Ursachen meines erhöhten Interesses, und wir sind somit bei der dritten, dem Gegenstande unsres Bildes, angelangt.

Es war, glaube ich, am vorletzten Tage des kurzen Aufenthalts der Menagerie, als ich dieselbe Abends betrat. Alles war bereits von uns in Augenschein genommen, auch der unternehmende Pavian, der jedem nahe genug Gekommenen sofort Hut oder Mütze vom Kopf riß, als wir langsam nach dem Platz vor dem Centralkäfig zurückgingen, in welchem der Elephant einsam und allein stand, eben mit dem Kopf nach der rechten Seite gewandt, um die Wand dieser Seite, zum wievielsten Male weiß ich nicht, zu betrachten. Man hatte ihn ganz kurz am Fuß angekettet, um ihn am Zerstören der Bretterwände, dem die Elephanten aus Langeweile sich stets mit Erfolg widmen, zu verhindern. Da – plötzlich werden wir gewahr, daß die Thür zum Löwenkäfig offensteht, und in demselben Augenblick erscheint auch schon der eine Löwe in der Oeffnung, und sein erster Blick mußte auf den Elephanten fallen, welcher mit dem Rücken ihm zugekehrt war. Bei dem Heraustreten aus dem Käfig war der Löwe dem Nichts ahnenden Elephanten bereits so nahe, daß ein Sprung gar nicht möglich war. Trotzdem war es ein herrlicher Anblick, als sich der Löwe beim Herauskommen und beim Gewahrwerden des Elephanten sofort auf den Hinterbeinen in die Höhe richtete und mit Macht seine Tatzen in das Hintertheil des Armen einschlug, wobei er den Rachen öffnete und das Opfer zugleich mit den Zähnen packte. Ich stand wie starr von dem fesselnden Anblick und verließ meinen Platz nicht, um keinen Augenblick von dieser Scene zu verlieren, denn die Stellung des Löwen war in der That der Mühe werth, studirt zu werden.

Der Elephant, der durch die Kette gehindert war, sich umzudrehen, und wegen des kurzen Halses sich nicht umsehen kann, war offenbar höchst betroffen über die sonderbare Last und strebte nach vorwärts, aber der Kette wegen vergebens. Als indessen jetzt die Klauen seines lieben Nachbars ihm durch die Haut drangen, erscholl sein Schmerzens- und Angstgebrüll, das Einzige, was er in seiner Lage leisten konnte, in einer die Bude erschütternden Weise. Dieses Gebrüll vermehrte besonders die Angst der noch nicht zahlreichen Leute auf dem ersten Platze, und wer noch nicht geflohen war, dachte jetzt daran – aber der Maler hielt immer noch Stand, was, beiläufig gesagt, gar keine Reclame für seinen Muth sein soll. Zugleich hatte aber das Gebrüll des Elephanten die Wirkung, daß der Löwe, wie es schien, plötzlich zur Besinnung kam, von seinem Opfer abließ und in seinen Käfig zurücklief. Jetzt erschienen auch einige der Wärter, welche in den ersten Augenblicken nicht in der Nähe waren, mit Stangen, gerade als der Löwe das Versäumte nachholen wollte und bereits wieder aus dem Käfig herauskam, um seinen Angriff zu wiederholen. Aber die drohende Stange scheuchte ihn zurück, das Gitter des Elephantenkäfigs wurde geöffnet; ein Wärter stieg hinein, schloß die Thür des Löwenkäfigs und damit auch die ganze Scene. Noch lange lief Mustapha, so hieß der Missethäter, aufgeregt in seinem Käfig hin und her, während der phlegmatische Pascha, sein Bruder und College, ruhig, wie während des ganzen Vorgangs, in seiner Ecke liegen blieb, als wäre für ihn die geöffnete Thür gar nicht dagewesen. Der Elephant hingegen schien sehr durch den nachwirkenden Schmerz genirt zu werden, denn er näherte sich nach Kräften von hinten der Bretterwand und suchte sich mit großer Betriebsamkeit an den wunden Stellen zu reiben. Die Spuren der Krallen sah man deutlich, obgleich nicht alle fünf Krallen, sondern nur ungefähr drei von jeder Tatze durchgegriffen hatten. Von der Wirkung der Zähne war Nichts zu sehen; jedenfalls hatte die große Fläche des Elephantenrückens dem Erfassen Schwierigkeiten geboten; übrigens erwies [324] es sich auch hier wieder, daß ein dickes Fell in der Welt sehr praktisch ist. Das zahlreiche Publicum des zweiten und dritten Platzes war weniger erregt, als das des ersten. Viele mochten die Sache gar nicht recht deutlich gesehen haben, und die es gesehen, nahmen es wohl leichter, weil der Löwe dabei gar keinen Laut hören ließ ja, es sollen naive Aeußerungen gefallen sein, wonach Manche die ganze Scene für die beginnende Vorstellung gehalten hätten.

Der junge Kreuzberg, der später eintrat, nahm die Nachricht sehr ruhig auf, und bei der danach wie gewöhnlich stattfindenden Vorstellung machte er Herrn Mustapha einige humoristische Vorwürfe über seine Eigenmächtigkeit und drohte ihm, ihn dafür bei den Ohren zu nehmen. Er nahm ihn aber nicht bei den Ohren. Man könnte reichliche Betrachtungen anstellen, was Alles hätte geschehen können, wenn Das oder Jenes anders passirt wäre. Aber Das ist sehr unfruchtbar. Die umsichtigsten Behörden befinden sich oft in der üblen Lage, nicht früher eingreifen und Vorsichtsmaßregeln treffen zu können, als bis bereits ein Unglück geschehen ist, und es wäre eine große Ungerechtigkeit, hier streng zu tadeln, wo durch das tägliche Umgehen mit der Gefahr nothwendig eine gewisse Gleichgültigkeit dagegen entstehen muß. Mir, ich gestehe es offen, dauerte die meinetwegen gefährliche Scene viel zu kurz, und was das Bild zur Anschauung bringt, ist daher nur aus der Erinnerung Dessen gegeben, was sich allerdings dem Gedächtnisse für das ganze Leben eingeprägt hat. Wie unvollkommen wir Menschen körperlich sind, fühlte ich übrigens dabei recht sehr, denn wie gern hätte ich mit dem einen Auge den Löwen, mit dem andern den Elephanten mir eingeprägt, während, da meine ganze Aufmerksamkeit sich dem Packendsten, und das war gewiß der Löwe, zuwandte, dazu auch beide Augen überflüssiger Weise gezwungen wurden. Indessen beweist diese Geschichte wieder einmal die Unrichtigkeit des Geschwätzes, daß gefangene Löwen nur ein schwächliches Abbild ihrer wilden Brüder seien und ihren Charakter gar nicht erkennen ließen.

L.