Wie schwächere Thiere von der Kraft und Geschicklichkeit stärkerer Nutzen ziehen
[91] Wie schwächere Thiere von der Kraft und Geschicklichkeit stärkerer Nutzen ziehen. Nr. 42 des vorigen Jahrgangs dieser Zeitschrift brachte unter dem Titel „Seltsames Phänomen aus dem Leben der Wandervögel“ die höchst interessante Beobachtung, daß kleinere Singvögel mit geringerem Flugvermögen, insbesondere Bachstelzen, die großen Reiherarten, namentlich Störche, als Luftschiffe benutzen und sich von diesen über’s Meer tragen lassen. Diese überraschende Thatsache war allerdings auch meines Wissens bisher der Wissenschaft noch unbekannt, der Bericht verdient aber, wie ich hier hervorheben möchte, volles Vertrauen, da noch viele andere schwächere Thiere auf ähnliche Weise aus der Kraft [92] der stärkeren Vortheil zu ziehen suchen, wovon ich hier einige besonders interessante Beispiele anführen will.
Der sogenannte Schiffshalter, ein zur Gattung der Makrelen gehöriger Fisch, heftet sich zur rascheren Ortsveränderung nicht nur an Schiffe, sondern auch an die allgemein gefürchtetsten Raubfische, an Thune, Schwertfische, Haifische und andere, und diese müssen den „blinden Passagier“ gleich einem Parasiten ruhig dulden; abstreifen können sie ihn im freien Wasser nicht, und dann ist er auch viel zu gewandt, als daß sie ihm sonst wie etwas anhaben könnten.
Ein weit interessanterer Fall kommt in der Insectenwelt vor. Die Larve des Oelkäfers kriecht, sobald sie geboren ist, aus der Erde heraus, sucht die nächste blühende Pflanze auf, klettert an derselben empor bis zur Blüthe, und hier wartet sie ruhig auf eine Biene. Kommt nun eine solche zur Blume, um sich Honig und Blüthenstaub zu holen, so kriecht ihr die Käferlarve auf den Rücken – und wozu das? Sie läßt sich von der Biene gemüthlich nach dem Bienenstock tragen. Während nun die unfreiwillige Kindermagd beschäftigt ist, ihren Honig in eine mit dem Ei versehene Zelle zu thun, gleitet die junge Larve ganz sachte von ihrer Trägerin herunter in die Zelle, aber nicht etwa um der Biene nun ihren Dank abzustatten, sondern – um das Bienenei zu fressen. „Undank ist der Welt Lohn.“ – Die Larve des Blasenkäfers, der sogenannten spanischen Fliege, hat dieselbe Gewohnheit.
In anderen Fällen suchen kleinere Thiere die Nähe größerer Raubthiere auf, in deren Gesellschaft sie gegen gefährlichere Feinde vollkommen geschützt sind, ziehen also Nutzen aus dem Räuberberufe Anderer.
Im Neapolitaner Aquarium fiel mir seit längerer Zeit die merkwürdige Thatsache auf, daß die Garneelen, kleine durchscheinende Krebse, sich haufenweise in der Nähe der Pulpen (Polypen) aufhielten. Ich wunderte mich hierüber anfangs um so mehr, als ich wußte, wie sehr alle übrigen Krebse diesen Seeräuber fürchten und seine Nähe zu meiden suchen. Aber bald wurde mir das Verhältniß klar. Diese kleinen freischwimmenden Krebse können mit ungemeiner Gewandtheit blitzartig zurückfahren; kein Fisch ist im Stande, sie zu erhaschen, und auch der Polyp, welcher nach diesen Thieren äußerst lecker sein mag und sehr oft seine Armspitzen entrollt, um eines derselben zu packen, vermag nie zu seinem Ziele zu gelangen: die kleinen Kruster sind zu flink. Dagegen bewohnen zwei furchtbare Feinde der zarten Krebse das Meer, gegen welche ihnen kein Zurückschnellen, kein Verkriechen zwischen die Steine und in die Ritzen hilft und gegen welche sie nur in der Nähe des vielgefürchteten Polypen sicher sind: das sind der Tintenfisch und die Sepia. Diesen gelten die Garneelen als Lieblingsspeise, und so flink sich auch letztere im Entfliehen zeigen, die Tintenfische und Sepien sind mit ihren zwei Fangarmen noch viel gewandter. Wie ein Blitz werden die sonst immer zurückgezogenen Fangapparate mit ihren zahlreichen Saugnäpfen hervorgeschnellt, und das Opfer zuckt zwischen den Armen, die es zum Munde führen. Wo diese Kopffüßler Garneelen finden, da ist es um dieselben geschehen; nur in der Nähe des Polypen nicht. Der achtarmige Seeräuber ist von seinen Vettern viel zu sehr gefürchtet, als daß sich diese verleiten lassen würden, ihm zu nahe zu kommen.
Auf dieselbe Weise ist wohl das Verhältniß des Lootsenfisches zum Haifische zu erklären. Nach den älteren Berichten soll zwischen diesen beiden Meeresbewohnern ein sehr intimes dienstliches Freundschaftsverhältniß existiren. Der Lootsenfisch soll dem Hai, der allerdings auch nach meinen Beobachtungen schlecht zu sehen scheint, die Beute auskundschaften und seinen Gebieter darauf hinführen, ihm also als Lootse dienen, dafür aber von demselben Abfälle erhalten. In der That werden nun die beiden Fische nach vielfachen Beobachtungen häufig in Gesellschaft angetroffen, aber nach meinem Urtheile hauptsächlich aus dem oben angedeuteten Grunde. Der Lootsenfisch weiß dem Hai bei etwaigen Angriffsversuchen geschickt zu entschlüpfen, ähnlich wie die Garneele dem Pulpen gegenüber; dagegen sind ihm andere Raubfische, wie die Makrelenarten, etwa der Thun, weit gefährlicher, in Gesellschaft des Hai ist er aber auch diesen gegenüber gesichert. Dabei mag es auch vorkommen, daß sich die ungleichen Gesellschafter bei der Nahrungssuche absichtlich oder unabsichtlich nützen.
In der Vogelwelt ist ein ähnliches Verhältniß beobachtet worden. Singvögel, besonders Finken und Sperlinge, miethen sich oft in den Horsten der Adler ein, weil sie sich dort, wie es scheint, vor Falken und anderen Raubvögeln sicher wissen. Der Mietherr duldet aber jedenfalls die Eindringlinge nicht etwa aus Großmuth; er würde dieselben ebenso gut seinen Jungen als Speise vorlegen wie andere Beute, wenn sie der verhältnißmäßig schwerfällige Vogelkönig nur erwischen könnte.
Auch bei dem Nahrungserwerb machen sich gar oft listige Thiere die Geschicklichkeit und Kraft anderer zu Nutze. Ich erinnere besonders an den Fregattvogel, die Schmarotzermöven und Schmarotzermilane. Ersterer paßt, wie beobachtet den Delphinen und Meerschweinen bei ihrer Fischjagd auf, bis diese irgend welche Beute gemacht haben. Noch ehe sie zum Verschlingen derselben kommen, hat sie ihnen der Fregattvogel vom Maule weggeschnappt; ja dieser zwingt andere fischende Seevögel oft, die schon verschlungene Beute wieder herzugeben; und die Schmarotzermöven haben dieselbe liebenswürdige Gewohnheit. Auch die Schmarotzermilane, Gabelweihen etc. lassen andere Vögel, besonders den Edelfalken, für sich jagen. Sie passen ihm genau auf, warten, bis er eine Beute in den Krallen hält, überfallen ihn dann und quälen ihn, bis er ihnen die Beute überläßt.
Eine höchst eigenthümliche Arbeit verlangt der Kormoran vom Pelekan. Letzterer vermag Eisschichten viel leichter zu durchbrechen als sein schwächerer Herr Vetter. Das weiß dieser recht gut, und will er eine Wasserbahn im Eise haben, so quält er den Pelekan so lange, bis dieser um des lieben Friedens willen auf das Eis geht und es für seinen Verwandten einschlägt.
Nach diesen Thatsachen kann die oben erwähnte neue Beobachtung über die Benutzung der Reisegelegenheit nicht befremden. Nur muß man nicht glauben, daß die Störche die kleinen Sänger aus Großmuth oder etwa deshalb mit über’s Meer nehmen, weil sie durch den Gesang der munteren Passagiere dafür unterhalten würden. Jede Bürde ist bei einer solchen Reise unangenehm, und der Storch wird sein lebendes Eilgut oft genug, wenn auch erfolglos, abzuschütteln suchen. Daß übrigens junge Schwimm- und Reihervögel oft der Mutter auf den Rücken steigen und sich von derselben über’s Wasser, ja durch die Lüfte tragen lassen, ist vielfältig beobachtet worden.
Dieses Schutzsuchen bei der Mutter ist bei den Hühnervögeln besonders üblich und allgemein bekannt, und manche Säugethiere, wie die Affen, Maulthiere, Aeneasratten, geben ebenfalls Beweise rührenden Mutterschutzes. Aber selbst von den Fischen, welche sich im Allgemeinen um ihre Jungen wenig kümmern, ist doch ein interessanter Fall kindlicher Schutzbedürftigkeit und väterlicher Fürsorge bekannt. Die jungen Lumpfische heften sich an den Vater, der die Brut in’s sichere Versteck trägt.
Eine weit merkwürdigere Beobachtung dieser Art wollte einst ein Diener des Neapolitaner Aquariums bei den Seerosen (Actinien) gemacht haben. Torillo – so heißt derselbe – hat ein ungemein scharfes Auge und weiß überall die winzigsten Wesen gleich ausfindig zu machen. Seine unübertreffliche Fähigkeit hierin ist allen in der zoologischen Station arbeitenden Gelehrten gar wohl bekannt. Was keiner der Herren Fachzoologen, selbst mit der Loupe bewaffnet, aufzufinden weiß, das sieht Torillo mit bloßen Augen und zeigt es ihnen. „Sehen Sie, Herr Dr. N…, die jungen Spyrographen (Röhrenwürmer) und hier junge Pentacten (Seegurken),“ ruft er gar oft und zeigt auf winzige Geschöpfchen kaum von der Größe eines Stecknadelkopfes, die an den dunklen Steinen
sitzen, und welche kein anderes Auge bemerkt haben würde. Als wir nun einst am Bassin der Seerosen standen, behauptete er, einige Tage vorher ein solches Blumenthier gesehen zu haben, welches überall mit Jungen bedeckt gewesen sei; das alte Blumenthier sei darauf fortgerutscht, habe die junge Colonie an einem andern Orte abgesetzt und sei dann auf seinen alten Platz zurückgekehrt, und diese Beobachtung behauptete er in allem Ernste gemacht zu haben. Das wäre ja von einem Korallenthiere eine große Geistesthat und eine höchst interessante Beobachtung, wenn sie nur mehr Wahrscheinlichkeit für sich hätte. Nach der Entwickelungsstufe aller Pflanzenthiere, insbesondere der festsitzenden, und nach dem Larvenleben der Seerosen kann man diesem Berichte vorerst nur wenig Glauben schenken.