Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau

Textdaten
<<< >>>
Autor: L. Fürst
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 242–244
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[242]

Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau?

Von Sanitäts-Rath Dr. L. Fürst (Leipzig).


Glauben Sie, daß mein Kind auswächst?“0 „Hat es vielleicht Anlage zur Englischen Krankheit?“ – Wie oft habe ich diese und ähnliche Fragen beantworten müssen, ganz besonders in unserer Kinder-Poliklinik, welche seit dreißig Jahren ihres Bestehens unter ihren 22 000 kleinen Patienten aus den ärmeren Kreisen unserer Bevölkerung sehr viele knochenschwache, mißgestaltete Kranke zu behandeln hatte! Wie häufig ist aber auch in besser situirten Familien diese Frage an mich gestellt worden!

Gewöhnlich wird damit die etwas originelle Bitte verknüpft, das Kind „einmal ordentlich zu untersuchen“, als ob es bisher nie oder nie gründlich untersucht worden wäre. Das Resultat ist manchmal ein recht erfreuliches, so daß man der sehr aufmerksamen, besorgten Mutter ihre Bedenken zu beseitigen vermag. In der größeren Zahl von Fällen aber ist es sehr betrübend. Man steht einem schon ausgebildeten Knochenleiden gegenüber und kann leider oft nur feststellen, daß bereits Formveränderungen eingetreten sind, die sich nicht oder nur schwer und unvollkommen wieder ausgleichen lassen. Bisweilen vermag man es kaum zu begreifen, daß die Eltern es bis zu solchen Entstellungen haben kommen lassen und nun erst – zu spät – an ärztliche Hilfe denken. Und wenn man auf ein Wort des Vorwurfs, daß ein manchmal ganz hübsches Kind für immer entstellt und verkrüppelt ist, die alberne Auskunft erhält: „Ich dachte, das müsse so sein“ oder „Eine Bekannte sagte mir, das verlöre sich wieder“, so möchte man in den Ausruf, den Huß auf dem Scheiterhaufen gethan haben soll, einstimmen: O heilige Einfalt!

Und unwillkürlich sagt man sich: Wie viele Kinder könnten einen gesunden und schönen Knochenbau behalten, wenn sie von Anfang an nach vernünftigen Grundsätzen aufgezogen würden! Und wie leicht, wie lohnend würde dies sein! Wie viel Siechthum und Leid würde erspart bleiben können durch die Beobachtung einfacher Lebensregeln! Welche Menge von Arbeitsleistung und nützlicher Thätigkeit könnte dem Vaterlande erhalten, welche Summen, die zur Krankenpflege und zur Unterstützung Erwerbsunfähiger aufgebracht werden müssen, würden in viel fruchtbarerer Weise für das Volkswohl verwendbar werden!

Und was kann man dem Kinde überhaupt fürs Leben Besseres bieten, als Gesundheit? Was Schöneres, als einen schlanken, ebenmäßigen Wuchs? Wie sich der Gärtner und der Forstmann über ein schön gewachsenes Bäumchen freut, so weilt unser Auge mit Wohlbehagen auf einer edelgeformten, kräftigen und normalen Gestalt. Zunächst ist es eine ästhetische Befriedigung, die wir beim Anblicke eines gut gewachsenen Körpers empfinden. Sodann aber sagen wir uns, daß der Knochenbau, der Träger des Körpers, es ist, welcher uns Halt und Stütze gewährt, unsern Muskelbewegungen zum Ansatze dient, die edelsten Organe als schützende Kapsel umgiebt.

Selbst die einfachste Mutter fühlt dies instinktiv heraus; daher, wenn sie fürsorglich ist, ihre Beachtung von Unregelmäßigkeiten des Knochenbaues. Daher ihre häufige Frage: „Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau?“

Diese Frage fällt mit der nicht weniger wichtigen zusammen: „Wie schützt man das Kind vor Knochenleiden?“ Sie deutet schon darauf hin, daß die Kindheit es ist, in welcher wohl die meisten Knochenleiden ihren Ursprung haben.

Wir sehen, wie in manchen Ländern und Gegenden die Knochenleiden ausnehmend häufig sind, wie sie in der Stadt zahlreicher sind, als auf dem Lande, in dichtbewohnten Arbeitervierteln auf Schritt und Tritt anzutreffen, in den Straßen der oberen Zehntausend selten sind. Armuth stellt ihr Hauptkontingent, manche Berufsarten leisten offenbar der Entstehung von Knochenleiden Vorschub – allein alles Dies tritt gegen die eine Thatsache zurück, daß die physische Erziehung im Kindesalter den Grund zu guter oder schlechter Beschaffenheit des Knochenbaues legt. Ja, „was man von der Minute ausgeschlagen, giebt keine Ewigkeit zurück“; dies Dichterwort kann man auf Leiden anwenden, die in den Jahren der Entwickelung aus unscheinbaren Anfängen entstehen, um alsdann, nach Fixirung ihrer Mißform, nie wieder völlig zu verschwinden, sondern den Menschen durch sein ganzes Leben, wie sein Schatten, zu begleiten.

Sehen wir von einigen wenigen, in den späteren Lebensjahren oder im Alter auftretenden Knochenkrankheiten ab, so bringen die Kinderjahre in überwiegender Häufigkeit Knochenleiden mit sich. Daraus muß sich für Jeden der erste, wichtigste Grundsatz ergeben, daß nur die Kindheit, in der sich der Knochen anlegt und ausbildet, die rechte Zeit zur Verhütung von Skelet-Erkrankungen ist.

Es handelt sich nun im Wesentlichen um Zweierlei, worauf es bei dem Knochenbau ankommt. Einmal um die Beschaffenheit und sodann um die Form der Knochen. Ein Kind wird sich nur dann glücklich und normal entwickeln, wenn weder die chemische Zusammensetzung noch der Bau der Knochen gestört ist, was durch sorgfältiges Beachten von Lebensregeln, auf die wir später zu sprechen kommen, recht gut zu erreichen ist. Immer wieder muß man – um einen Vergleich zu haben – an den jungen Baum denken. Gute Herkunft, guter Boden, ein günstiger Standort, Sonnenschein und Regen zur rechten Zeit werden ihm ein gesundes Holz sichern; frühes Entfernen von seitlichen Aesten, festes Binden, passend angebrachte Stützen werden es bei geradem [243] Wuchse erhalten, wenn Stürme es verbiegen wollen. Ist das Bäumchen zum festen Baume geworden, dann bedarf es solchen Schutzes und Haltes nicht mehr; selbst das beste Erdreich wird keine wesentliche Aenderung mehr in der Qualität des Holzes bewirken können. Aehnlich ist es mit dem ausgebildeten Skelet. Sein anatomischer Bau, sein Wachsthum, seine chemische Zusammensetzung sind abgeschlossen, seine Formen unveränderlich.

Was zu erreichen ist, kann man nur am werdenden, wachsenden Skelet erreichen – deßhalb die dringende Mahnung, möglichst früh auf der Hut zu sein und die kleinsten Abweichungen zu beachten. Ein „zu früh“ giebt es hierbei gar nicht.

Der Knochen, wie wir ihn täglich vor uns sehen können, wenn wir einen Blick in die Küche oder den Fleischerladen thun, ist (wovon wir uns bequem an jedem der Länge nach gespaltenen Röhrenknochen überzeugen können) durchaus kein gleichmäßiges Gebilde von der bekannten weißlich-gelben elfenbeinartigen Härte. Wir unterscheiden an ihm deutlich die eigentliche kompakte Knochenrinde oder Knochensubstanz, nach innen aber die Markhöhle, umsponnen von Tausenden zarter Bälkchen und Blätter. Und zwischen diesem Netzwerke, das nach außen dicht, nach innen weitmaschiger ist, finden wir das Mark eingelagert, theils als das aus Fett bestehende gelbe Mark, theils das rothe oder lymphoide Mark, die Bildungs- und Regenerationsstelle unseres Bluts mit den eigenthümlichen Markzellen (Leukoblasten), den Entwickelungsstadien rother Blutkörperchen.

Andererseits sehen wir die Gelenk-Enden, theilweise noch aus bläulich-weißem, weicherem Knorpel bestehend, gewissermaßen eine Jugendform des Knochens, die in einer Grundsubstanz (Chondrin) zahllose sich stetig durch Kerntheilung vermehrende Knorpelkörperchen enthält. Nehmen wir hierzu noch die weiche zarte Membran, die den Knochen als „Knochenhaut“ überzieht – ein für dessen Wachsthum wiederum wichtiges Gebilde – so können wir uns schon auf den ersten Blick überzeugen, daß der Knochen ein ziemlich komplicirtes Gebilde ist.

Noch mehr drängt sich uns diese Ueberzeugung auf, wenn wir Schliffe des Knochens, besonders des Röhrenknochens, unter dem Mikroskop betrachten und unsere Aufmerksamkeit der festen Knochensubstanz zuwenden. Ein wunderbarer Anblick bietet sich uns hier dar. Wir sehen die Querschnitte größerer Kanäle, welche gewissermaßen Sammelstätten der den Knochen durchziehenden Ernährungsflüssigkeit sind. Und um diese Kanäle, Jahresringen der Baumstämme gleich, zahlreiche koncentrisch geschichtete Kreise von Knochengrundsubstanz, wiederum durchzogen durch ein feinst verzweigtes Netzwerk von Kanälen, die in der Richtung von außen nach innen die ganzen Ringe durchsetzen. Wir erblicken ferner, bei passender chemischer Behandlung des Präparates, das Wesentlichste des Knochens, Knochenkörperchen, hier und da zwischen die Ringe eingelagert, Körperchen, welche in einer Kapsel die Knochenzelle (Osteoblast) enthalten und mit dem soeben erwähnten Netzwerke feiner Kanälchen in direktem Zusammenhange stehen. Man kann jetzt sehen, wie diese Knochenkörperchen, deren etwa 740 auf einem Quadratmillimeter gezählt worden sind, von dem im Knochen kreisenden Blute versorgt werden. Erinnern wir uns der außen am Knochen hier und da befindlichen Löcher, welche man, da sie die Eingangspforten für Blutgefäße sind, als „Ernährungslöcher“ bezeichnet hat, so gewinnt der Knochen nunmehr für uns den Eindruck eines in fortwährendem Zusammenhange mit dem Blutstrome befindlichen, fortdauernd durch denselben ernährten Organs. Der Knochen macht dem Laien meist nicht solchen Eindruck, etwa wie der Muskel, dessen Blutkreislauf uns augenfälliger ist. Manchem ist es befremdlich, von Blutgefäßen des Knochens zu hören. Der Knochen ist nur dann ein „todtes“ Gebilde, welches der gesunde Körper auszustoßen strebt, wenn der Blutstrom in ihm unterbrochen und er nicht mehr ernährt wird. –

Wie die Ernährungsflüssigkeit, welche den Knochen durchströmt, nämlich das Blut, beschaffen ist, so wird auch der Knochen beschaffen sein. Ein gesundes Blut muß dem Knochen nur gesunde Säfte zuführen und ihn kräftigen. Ein mit Krankheitsstoffen beladenes Blut kann nur einen kranken Knochen ausbilden, es wird und muß gerade in dem Knochen, wo es langsam kreist, mit Vorliebe solche Stoffe ablagern.

Daher die vielen Knochenkrankheiten bei fehlerhafter Blutmischung, die sofort sich ausbildende Störung seiner Entwickelung bei allgemeinen Ernährungsstörungen.

Und umgekehrt, da wir wissen, welche, eigentlich schon sprichwörtliche, Rolle das „Mark“ spielt, wie es die Bildungsstätte der rothen Blutkörperchen ist – welche enorme Wichtigkeit eines gesunden Marks entspringt daraus für den ganzen Körper! Welche herrliche normale Blutfülle muß sich aus solchem Mark für den Körper ergeben und allen Organen desselben wieder zu Gute kommen! Und wie erweisen sich die Organe des Körpers wieder dankbar, indem sie wieder nur gesundes Blut zum Knochen zurücksenden!

Um so trauriger ist das Gegenbild – krankes Mark, die Quelle kranken Blutes und allgemeinen Siechthums, Krankheitsherde im Mark mit eiterigen oder tuberkulösen Massen eine furchtbare Gefahr für den Organismus!

So tritt uns die Wechselwirkung zwischen Blutkreislauf und Knochenernährung einerseits, zwischen Mark und Blutbeschaffenheit andererseits in einer laut und eindringlich sprechenden Bedeutung entgegen. Glücklich das Kind, bei dem diese Wechselwirkung günstig und ungetrübt sich vollzieht! Wehe dem unglücklichen Geschöpf, welches durch ein entweder schwaches oder krankhaftes Blut einen ungenügend ernährten, selbst direkt von Krankheitsstoffen erfüllten Knochen erhält! Wehe ihm, wenn eine Erkrankung des Knochenmarks seine Konstitution untergräbt!

Die Thatsache, daß die meisten Knochenkrankheiten in der Kindheit vorkommen und daß wir die Knochenleiden Erwachsener sehr oft nur als Ueberbleibsel aus der Jugendzeit anzusehen haben, weist uns mit zwingender Nothwendigkeit darauf hin, dem wachsenden Knochen eine besondere Neigung zum Erkranken zuzuschreiben, gegenüber dem fertigen, ausgebildeten Knochen. Dem ist in der That so.

Ist die normale Bildung des Knochens ernstlich und anhaltend gestört, so wächst er unregelmäßig. Besonders sind es die Erkrankungen der Gelenk-Enden, welche im Kindesalter eine große Rolle spielen. Bleiben diese in ihrer Knochenumwandelung zurück, sind gleichzeitig die Knochenablagerungen unter der Knochenhaut ungenügend, so bleibt der Knochen weich. Unter der Körperlast und dem Zuge der Muskeln treten jene kolbigen Anschwellungen der Gelenk-Enden auf, jene Verbiegungen, winkligen Knickungen etc., die wir täglich auf der Straße beobachten können. Tritt bei solchen unglücklichen Kindern endlich, meist später als bei gesunden, aber um so energischer, Knochenablagerung ein, dann werden die Knochen in der Mißgestalt, die sie erhalten hatten, fest, bleibend.

Das natürliche, normale Wachsthum des Knochens vollzieht sich aber nur dann ohne Störung, wenn die Ernährung des Kindes und seiner Knochen eine normale, günstige ist. Und so schließt sich das Ende des Ringes immer wieder an dessen Anfang an.

Nun aber haben wir auf die Frage: „Wie erhält man dem Kinde einen gesunden Knochenbau?“ die dreifache Antwort:

durch Erhaltung gesunder Blutbeschaffenheit des Kindes,
durch zweckmäßige Ernährung desselben,
durch Schutz vor zu früher oder unpassender Belastung der noch weichen Knochen.

Noch ehe der Mensch das Licht der Welt erblickt, ist sein Schicksal im Hinblick auf seine körperliche Gesundheit bereits in den Grundzügen festgestellt. Eine gute Beschaffenheit des Blutes von Vater und Mutter, ein durch mehrere Generationen hinauf normaler, kräftiger Menschenschlag verbürgen auch dem Kinde gesundes Blut und damit eine gesunde Ernährung seiner Knochen. Im Gegensatze hierzu pflegen einer Ehe unter schwächlichen, blutarmen, mit Skrophulose oder Tuberkulose belasteten Individuen, aus einem körperlich herabgekommenen, verkümmerten Geschlecht auch meist blutarme, drüsen- und knochenleidende, zu Tuberkulose disponirte Kinder zu entstammen. Gesundheit und Krankheit vererben sich vom Ahn auf den Enkel. Wie eine Gabe von guter oder böser Hand wird Kraft oder Siechthum dem Neugeborenen schon in die Wiege gelegt.

Auch die Knochenleiden sind zuweilen angeboren, sei es, daß sie sich als bloße Knochenschwäche oder als Rhachitis des Skelets, speciell des Schädels äußern und soweit schon im ersten Lebensjahr sich deutlich zeigen, sei es, daß sie erst während der folgenden Jahre in Gestalt von tuberkulösen oder skrophulösen Knochenleiden sichtbar werden.

Zwar ist es in späteren Jahren schon schwerer, zu entscheiden, wie viel auf Rechnung der Vererbung, wie viel auf unzweckmäßige Aufziehung zu schreiben ist; allein in sehr vielen Fällen [244] kann man ohne Weiteres an den verkrümmten Knochen des Vaters, den Narben von Drüsenabscessen am Halse der Mutter, aus der nachweisbaren Tuberkulose eines der Eltern die Anlage zu Knochenleiden erklären.

Freilich bildet diese Anlage oft nur den günstigen Boden für die Knochenkrankheiten selbst. Die Blut- und Säftemischung, schon von Haus aus mit Krankheitskeimen beladen, kann unter günstigen Lebensverhältnissen gebessert werden; meist jedoch vermehren sich von Generation zu Generation die Fehler in der Zusammensetzung des Blutes durch unpassende Kost und nicht zweckmäßiges sonstiges Verhalten. Hat man daher irgend Grund anzunehmen, daß ein Kind von Geburt an gewisse Veranlagnng zu kranker Blutmischung hat, so soll man es durch beste Luft, durch gute Hautpflege, durch gesunde Wohnung, durch Verhütung und sofortige Beachtung jeder Erkrankung etc. doppelt sorgfältig bewachen. Man unterlasse jede Verweichlichung, strebe vielmehr nach einer frühzeitigen maßvollen Abhärtung. Jeder Hautausschlag, jede, auch die kleinste Drüsenschwellung, jede Empfindlichkeit und Schwäche der vielleicht äußerlich noch ganz wohlgebildeten Knochen beachte man bei Zeiten. Sie sind die ersten, scheinbar unbedeutenden Warnungszeichen, die auf eine unkorrekte Blutbeschaffenheit hinweisen, aber sie können dem aufmerksamen Elternauge nicht entgehen, und als gewissenhafter, vorsichtiger Arzt wird man sie nicht unterschätzen.

Fast noch wichtiger zur Verhütung von Knochenleiden ist die zweckmäßige Ernährung des Kindes. Nicht immer ist die Ernährung durch die Mutter oder die Amme das Richtige. Denn wenn diese nicht ganz gesund sind, so kann der Säugling mit der Milch zugleich Keime krankhafter Natur aufnehmen. Wenn eine Frau blutarm ist, in der Kindheit drüsenleidend oder knochenschwach war, wenn ihre Lunge nicht frei von verdächtigen chronischen Katarrhen ist – dann ist eine gute Kuhmilch einer zweifelhaften Frauenmilch vorzuziehen und mehr Bürgschaft für gesunde Ernährung der Knochen.

Unter tadelloser Kuhmilch versteht man heutzutage eine solche, die von gesunder Rasse, in luftigen, sauberen Stallungen bei wirklicher Trockenfütterung gewonnen wird. Nicht jede sogenannte „Kindermilch“ entspricht diesen Anforderungen, und nur solche Milchereien, die unter ärztlicher Kontrolle stehen oder thatsächlich kein nachtheiliges Futter verabreichen, sind Musteranstalten, die Vertrauen verdienen. Trockenfütterungsmilch ist theuer, aber sie ist das Beste, was es für Kinderernährung giebt, und durch ihren hohen Nährwerth doch auch das Billigste und Preiswertheste. Kein Ersatzmittel kommt ihr gleich; allenfalls die Ziegen- oder Eselinnenmilch. Aber abgesehen von natürlicher oder konservirter Milch (wozu man auch das Scherff’sche Milchpräparat und die zuckerlose kondensirte Milch zählen kann) sind alle anderen Surrogate in Gestalt von Extrakten, Mehlen für das Kind im ersten Halbjahr nicht nur von geringerem Werthe als Milch, sondern sogar im Hinblick auf das Drüsensystem und den Knochenbau oft bedenklich. – Man gewöhne sich, nur abgekochte Milch zu verwenden, man verdünne sie, dem Alter des Kindes entsprechend und je nach Vorschrift seines Arztes, anfangs mit dünnem Haferschleim oder schwachem Fenchelthee, man setze etwas Zucker, eventuell etwas doppeltkohlensaures Natron zu, halte die Flaschen, die Gummihütchen, die Mundhöhle sauber, gebe nichts von Mehlzusätzen, und man wird in der Regel etwaige Knochenkrankheiten verhüten. Vom sechsten Monat an ist etwas konsistentere Nahrung angebracht, ein Ei, eine leichte Fleischbrühsuppe mit Gries, ein Griesmus, ein aufgebrühter Zwieback, bei zartem Knochenbaue täglich ein bis zwei Opel’sche Nährzwiebacke, die durch ihren Gehalt au Nährsalzen dem Knochen Festigkeit geben. Mit Jahresschluß kann ab und zu leichtes Geflügel (Taube) gereicht werden; reiner Kakao, größere Auswahl in den Suppen sind gestattet. Aber immer muß in den ersten Lebensjahren noch gute Kuhmilch eine Hauptnahrung bilden. Kartoffeln, Krume von frischem Weiß- oder Schwarzbrot, Kuchen etc. vermeide man noch möglichst. Magen und Verdauungswege sind für das Kind im frühesten Alter der Ausgangspunkt seines Wohlbefindens oder seines Erkrankens, darüber sind erfahrene Kinderärzte nicht im Zweifel. Will man also einen normalen Knochenbau erzielen, so vergesse man nicht, daß ein solcher ohne normale Nahrung nicht gut möglich ist und daß jede Abweichung von den eben geschilderten Grundsätzen, die für den Augenblick ganz unschuldig scheint, sich später rächt.

Was schließlich die Belastung des noch weichen Knochens betrifft, so äußert sich dieselbe anfangs als Druck, wenn die Kinder stets auf demselben Arme getragen, als Zug, wenn sie immer an der gleichen Hand geführt werden. Schon hiernach sind Verbiegungen der Wirbelsäule, Schiefheit der Schulter die Folge-Erscheinungen. Der noch knorpelreiche, an Kalksalzen noch arme Röhrenknochen, die noch weichen Wirbel folgen jedem Druck. Der zarte Schädel entbehrt der Widerstandsfähigkeit. Kurz, jeder mechanische Einfluß macht sich schon bei dem erst unvollkommen verknöcherten Kinderskelet geltend. Ist dasselbe sonst gesund, so gleichen sich oft die Verbiegungen und Verkrümmungen später wieder aus, wenn die unpassende Belastung bei Zeiten nachläßt. Kinder, die man zu früh stehen und gehen ließ, können dann beim weiteren Wachsthum ihre krummen Beine noch leidlich in gerade umwandeln. Dauert jedoch die zu frühe oder ungleichmäßige Belastung zu lange, war der Knochen durch Rhachitis abnorm weich oder sonst krank, dann gleichen sich auch die Krümmungen und Knickungen nicht wieder aus, die dicken Gelenkenden bleiben dick, die Knie- und Fußgelenke schief, und in diesen Mißgestaltungen erstarrt der Knochen bei zunehmender Verknöcherung. Es geht aus dieser Betrachtung hervor, daß nicht das Aufziehen eines fetten, gemästeten, für die biegsamen Knochen zu schweren Kindes der höchste Wunsch der Mutter sein darf, sondern daß man auf gleichmäßige Ausbildung, besonders auch auf Kräftigung der Knochen sehen muß, damit diese mit Leichtigkeit den Körper tragen lernen.

Daraus folgt der weitere Schluß, daß man jeden Zwang zum frühen Stehen und Gehen, jedes schiefe Kriechen, jede beginnende krumme oder schräge Haltung in den Schuljahren bei Zeiten unterdrücken soll, ehe die Mißform fest wird. Was aber schon für das gesunde Kind gilt, muß noch mehr für das gelten, dessen Knochen schwach oder irgendwo leidend sind. Hier gilt es, rasch seinen Arzt zu Rathe zu ziehen, bleibenden Mißformen oder schwereren chronischen Krankheitsprocessen bei Zeiten vorzubeugen. Hat das Kind schon Knochen-Eiterungen, Entzündungen, Fisteln, sind seine Knochen schon aufgetrieben, seine Wirbel seitlich oder nach hinten geknickt, dann ist es für eine Heilung meist ungünstig, oft zu spät. Dann ist man zuweilen nur noch im Stande, eine Weiterverbreitung und Verschlimmerung aufzuhalten.

Es gilt also, die Augen offen zu halten und die kleinen Anfänge zu beachten, ehe bleibende Mißgestaltungen, wie krumme Beine mit verdickten Gelenken, X- oder O-Beine, Hühnerbrust, Rippen-Rosenkranz, vierschrötiger Schädel oder ein Buckel selbst dem Blödesten zeigen, daß hier etwas versehen und nicht wieder gut zu machen ist. Dann kommt man mit Bandagen, Schienen und allem sonstigen Apparat zu spät; diese sind ja sehr werthvoll bei entstehenden Leiden, können aber eben so wenig wie die besten Geradehalter und Hausschulbänke nützen, wenn der Knochen in falscher Stellung oder Form fest geworden ist.

Ueberhaupt sind alle mechanischen Hilfsmittel nur ein Nothbehelf. Kräftigung der Muskulatur, Massage und Gymnastik, Stählung der Energie und Willenskraft sind die besten und sichersten Waffen in dem Arsenal, das Erfahrung und Wissenschaft gegen Knochenleiden errichtet haben. „Kräftigen und Kraft lassen, soll das erste und letzte Erziehwort sein,“ sagt Jean Paul in „Levana“ sehr wahr und zutreffend. Die orthopädische Erziehung ist jedenfalls erfolgreicher, als die orthopädische Behandlung, so große Ergebnisse auch letztere, seit sie sich mit der Chirurgie verschwistert hat, in einzelnen Fällen aufweisen kann.

Ein schöner, kerniger Knochenbau ist für das ganze Leben eine Grundlage körperlichen Wohlbefindens, kraftvoller Besiegnng aller Schwierigkeiten, siegreichen Widerstandes. Ebenmäßig schließen sich die Muskeln und Sehnen an dies Gerüst an. Elastisch vollführen die Gelenke ihre Aufgabe. Selbstbewußt, energisch, entschieden wird das Auftreten und Handeln. Und eine Nation, die viele solche Individuen zählt, eine Nation, welche, wie Michelet es verlangt, die Knaben zu „organisirter Kraft“, die Mädchen zur „Harmonie“ erzieht, wie viel an Schönheit, an Arbeits- und Wehrkraft gewinnt sie! Im Frieden wie im Kriege stellt sie ein imponirendes, markiges Volk dar, dessen stämmige Bauern, kraftvoller Bürgerstand und hünenhafte Krieger den Wohlstand des Hauses und die Sicherheit des Landes wahren.