Wie ein Physicus an einer Ohrfeige starb

Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Wie ein Physicus an einer Ohrfeige starb
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 311–312
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[311]
105. Wie ein Physicus an einer Ohrfeige starb.
(1653.)

Dr. Paul Marquard Schlegel, eines hiesigen Kaufmanns Sohn, war seit 1642 Physicus. Er machte sich sehr verdient, nicht nur in diesem Amte wie als geschickter Arzt, sondern auch als Beförderer seiner Wissenschaft unter Collegen und Kunstverwandten. Mit vieler Mühe war es seinem rastlosen Eifer geglückt, eine anatomische Lehranstalt zu begründen, und die dazu erforderlichen Körper unbekannter Selbstmörder oder gerichteter Missethäter zu erhalten. Endlich aber wurde diese Anstalt, die ihn berühmt gemacht hatte, auch die Veranlassung zu seinem frühen Tode.

Er war nämlich am 31. Januar 1653 der Dieb Cord Erdmann gehängt worden, dessen zu anotomischen Studien sehr geeigneten Körper der Physicus sich schon vor der Execution ausgebeten hatte. Als nach derselben der arme Sünder noch eine Weile todt und starr am Galgen gehangen, nahm man ihn gegen Abend ab, und brachte ihn aufs St. Marien-Magdalenen-Kloster, wo damals die Anatomie sich befand. Der Physicus trat voll Verlangens nach dem bevorstehenden wissenschaftlichen Genuß herzu und ließ dem steifgefrorenen Todten die Stricke lösen, welche dessen Arme vorn auf dem Leibe zusammenhielten. Indem er sich nun, sehr befriedigt von dem guten Aussehen des Cadavers, sinnig betrachtend vorüberbeugt, versetzt der Todte urplötzlich dem arglosen Doctor eine so mächtige Ohrfeige, daß er von der Gewalt und vor Schrecken zu Boden stürzt. Alle Anwesenden springen entsetzt auf und meinen nicht anders, als daß der todte Kerl wieder lebendig geworden sei und sich gegen das anatomische Messer zur Wehre setzen wolle. Er war und blieb aber todt, und nur die in der warmen Stube gelösten Arme des Gehängten [312] waren in natürlicher Weise aufwärts gefahren und hatten den unziemlichen Schlag ganz unwillkürlich ausgeführt. Dennoch befand sich der arme Heer Physicus durch dies unerwartete Ereigniß so alterirt und übel zu Muthe, daß er nach Hause fahren mußte, woselbst er in ein hitziges Fieber verfiel und in dessen Folge am 20. Februar, kaum 48 Jahre alt, das Zeitliche segnend verschied, nachdem er letztwillig seine Bücher, Manuscripte und wissenschaftlichen Sammlungen der Stadt-Bibliothek vermacht hatte.

Diese klägliche Geschichte von der Leichenhand, die den Anatomen todtgeschlagen, ging alsbald unter den Hamburgern von Mund zu Mund. Viele, die gleich Anfangs Dr. Schlegel’s Unternehmen der Zerschneidung menschlicher Leichen als gottlos und frevelhaft verdammt hatten, sahen nun in seiner Todesart die rächende Strafe, und posaunten aus: daß selbst die leblosen Körper sich gegen solche widernatürliche Mißhandlung und Schmach auflehnten! – Aber die Herren im Rathe waren andrer Meinung, und trotz mancher Versuche, die Anatomie abzuschaffen, behielt sie doch ungestört ihren Fortgang.

Anmerkungen

[387] In den meisten Chroniken und bei Steltzner. – Der bei der Geschichte gegenwärtige Dr. Placcius bemühte sich hernach, dieselbe als Fabel darzustellen (Moller, Cimbria lit. I. 738). Eine Latein. Archival-Notiz bestätigt sie jedoch.