Wie das Goldsuchen sich oftmals lohnt

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Titel: Wie das Goldsuchen sich oftmals lohnt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wie das Goldsuchen sich oftmals lohnt.

Vor elf Jahren drang von den fernen Gestaden der Südsee die Kunde nach Europa, daß in Californien unerschöpflich reiche Goldlager entdeckt worden seien. Und bevor man noch geprüft hatte, ob dieselben sich nachhaltig zeigten, strömten Hunderttausende von Menschen aus allen Himmelsgegenden nach dem neuen Eldorado; Jeder wollte allen Uebrigen den Rang ablaufen und vor ihnen an Ort und Stelle sein. Einige machten die weite und lange Fahrt um das Cap Horn, umschifften also die ganze Südspitze Amerika’s; Andere zogen den kürzern Weg über die Landenge von Panama vor, und wieder Andere wählten die beschwerliche Straße über die weiten Wiesenflächen, welche sich nach Westen hin vom Missisippi bis zu den Felsengebirgen ausdehnen. Diese überstiegen sie mit verhältnißmäßig geringen Beschwerden, weil der Südpaß, dessen Höhe nicht viel über siebentausend Fuß beträgt, auch für Fuhrwerke zu passiren ist. Aber die Weiterreise durch das zum großen Theil wüste Land der Mormonen und das Uebersteigen der californischen Seealpen, der Sierra Nevada, war mit großen Schwierigkeiten verbunden, und wer endlich den Westabhang dieses Hochgebirges erreicht hatte und das sonnige Stromthal des San Sacramento vor sich liegen sah, war matt und müde. Unzählige Menschen sind auf der tausend Wegstunden langen Strecke verdorben und gestorben; der Pfad, welchen die Auswanderer zogen, war mit den Gerippen verendeter Thiere und mit Grabhügeln oder auch mit Leichen seiner Länge nach gleichsam besäumt, und man bedurfte keines andern Wegweisers[WS 1], als dieser tausend und abertausend Memento mori. Von denen aber, welche so glücklich waren, in das Goldland zu gelangen, und, nachdem sie sich erholt, an die Arbeit gehen konnten, fanden sich Viele belohnt. Californien ist ein blühender Staat geworden, und liefert seitdem Jahr aus Jahr ein durchschnittlich einhundert Millionen Thaler Gold in den Verkehr.

Kaum hatte die Welt sich von dem Erstaunen über eine ungeheuere und ungeahnte Fülle edeln Metalles einigermaßen erholt, als abermals aus der fernen Südsee, aus der Region unserer Gegenfüßler, die Kunde erscholl, in den englischen Colonien Australiens seien Goldlager gefunden worden, deren Reichthum mit jenen Californiens sich messen könne. Und wieder begann eine Völkerwanderung nach dem großen Inselcontinente, der im Süden des Erdgleichers liegt; Tausende von Schiffen brachten Hunderttausende von Auswanderern nach Sidney und Melbourne; die Gruben am Alexanderberge und von Ballarat waren fast noch ergibiger als die californischen, und Australien versendet nun auch jährlich für nahe an hundert Millionen Thaler Gold.

Im Anfange des vorigen Jahres packte das Goldfieber zum dritten Male eine große Menge unternehmender Leute. An der westlichen Küste Amerika’s, im Norden des Washingtongebietes, dehnt sich ein kaltes, unwirthliches Land, Neu-Caledonien aus, in welchem bisher nur Pelzjäger und Indianer umhergestreift, waren. Dort entdeckte man am Fraserstrom und an einem Zuflusse desselben, dem Thompson, Gold in beträchtlicher Menge. Bevor einige Monate vergangen waren, hatten sich zwanzigtausend Abenteurer aus Oregon, Californien, ja selbst aus den canadischen Landen und vom obern Missisippi auf den Weg gemacht, um die neuen Fundgruben auszubeuten. Aber man ist am Fraser auf größere Schwierigkeiten gestoßen, als am San Sacramento, Tausende sind in ihren Erwartungen getäuscht worden und, aller Habe entblößt, in die Heimath zurückgegangen. Es erleidet keinen Zweifel, daß in jenem Lande, welches jetzt als Britisch-Columbia eine Colonie der englischen Krone bildet, viel Gold vorhanden ist; die Ausbeute hat jedoch bis jetzt noch nicht zwei Millionen Thaler betragen.

Während im vergangenen Sommer einzelne Züge von Auswanderern nach dem kalten Lande am großen westlichen Ocean aufgebrochen waren, und sich mühsam über die nördlichen Büffelprairien an beiden Armen des Saskatschawanstromes einen Weg bahnten, um den Athabaskapaß in den Felsengebirgen zu erreichen, welcher zum Thompsonflusse hinabführt, verbreitete sich plötzlich zu St. Louis im Staate Missouri das Gerücht, an den westlichen Grenzen der Gebiete Kansas und Nebraska sei Gold in Hülle und Fülle vorhanden. Da, wo die Felsengebirge nach den weiten Grassteppen gen Osten hin abfallen, und wo ein gewaltiger Spitzberg, der Pikes Peak, sich erhebt, streiften Pelzjäger, sogenannte Trappers umher und stellten in den vielen Bächen, deren klares Wasser durch anmuthige Thäler den Ebenen zuströmt, ihre Fallen aus, um Biber zu fangen. An einem Flüßchen, dessen Ufer mit einer Art wilder Kirschen bestanden sind, und den man deshalb den Cherry Creek, d. h. Kirschenbach, nennt, fanden sie zu ihrer nicht geringen Ueberraschung Goldblättchen und Körnchen im Uferschlamme. Sofort „prospecteten“ sie auch an andern Bächen, in den vielen Schluchten, welche von den Rocky Mountains gebildet werden; und [386] als an mehr als zwanzig verschiedenen Stellen edeles Metall, wenn auch nur in geringer Menge, zum Vorschein kam, hegten sie übertriebene Hoffnungen und zweifelten nicht mehr daran, daß ein neues Californien von ihnen entdeckt worden sei.

Diese Kunde durchlief rasch die Staaten Missouri und Iowa; eine Nachricht jagte die andere; man wollte wissen, daß der ganze Ostabhang des Gebirges zwischen dem Ostarme des Platteflusses und dem Arkansas eine unberechenbare Menge von Gold in sich schließe, und daß man nur dorthin zu gehen brauche, um reiche Schätze zu gewinnen. Nun liegt im Charakter des englisch redenden Nordamerikaners, ein so nüchterner, kalt berechnender, „calculirender“ Mensch er auch im Allgemeinen ist, etwas Abenteuerliches und Waghalsiges, und wo es den Anschein hat, als ob ein großes Vermögen rasch sich erwerben lasse, ist er sehr leicht den Täuschungen zugängig. Dann läßt er sich in einer für uns schwer begreiflichen Weise geradezu am Narrenseile führen, und wird ein Opfer des Betruges, jenes glänzend ausgeputzten und ausgepufften Schwindels, für welchen er selbst den Namen Humbug erfunden hat.

Der Nordamerikaner hat nicht jene Anhänglichkeit an Haus, Hof und Heimath, welche den Deutschen kennzeichnet; er trägt etwas Zigeunerartiges in sich, wandert aus einem Staate in den andern, wechselt seinen Aufenhalt im nächsten Jahre wieder, hat einen Drang in die Weite und zieht dem Gelde mehr nach, als irgend ein anderes Menschenkind. Es gibt viele Nordamerikaner, die im vierzigsten Lebensjahre schon in sechs bis neun verschiedenen Staaten als Ackerbauer ansässig gewesen sind, und ihre Farmen wieder verkauft oder auch ohne Weiteres verlassen haben. Bei einer solchen im Blute liegenden Neigung wird es erklärlich, daß die neuen Staaten und Gebiete so rasch sich bevölkern; wo „Busineß“, ein Geschäft, zu machen ist, dorthin strömen die Yankees zu Tausenden. Und schon im vorigen Herbst waren Tausende nach dem Pikes Peak und dem Kirschenbache geeilt, um Gold zu graben. Sie legten Städte an, die zwar hochtönende Namen, wie Auraria (Goldstadt), trugen, aber freilich nur aus wenigen Hütten bestanden, die man in aller Eile zusammengenagelt hatte. Sofort bemächtigte sich die schamlose Speculation des Goldfiebers in einem Umfange und in einer Weise, die selbst in Nordamerika, auf dem klassischen Boden des Schwindels, niemals übertroffen worden ist. Gold ist in jenen Gegenden allerdings vorhanden, aber noch heute weiß Niemand, ob die Ausbeute lohnen werde. Allein darauf kam es den Speculanten nicht an; ihr Zweck war kein anderer, als so viele Einwanderer als irgend möglich in die neue Goldregion herbeizulocken. Dabei verfuhren sie mit einer Gewandtheit, die nur von ihrer Gewissenlosigkeit übertroffen wird. Wir wollen zeigen, wie sie dabei zu Werke gingen.

Als im vorigen Jahre die Kunde von den Goldentdeckungen nach St. Joseph, einer Grenzstadt in Missouri, gelangte, bildete sich dort die sogenannte Lawrence-Compagnie, eine aus fünfundvierzig Männern bestehende Gesellschaft von Abenteurern, unter denen sich einige alte Californier befanden; auch waren gewissenlose Männer unter ihnen, welche mit der Feder umzugehen wußten. Im Herbst trafen Berichte von ihnen ein: man wollte Gold in Fülle gegraben haben, für durchschnittlich acht Dollars an jedem Arbeitstage. Diese Angaben wurden durch die Zeitungen verbreitet und regten die Gemüther auf. Auraria und Denver City, die neuen „Städte“, wurden in pomphafter Weise geschildert; man stellte für sie eine so rasche Blüthe in Aussicht, wie für Chicago und San Francisco. Einige Mitglieder des Vereins kamen zu Anfang des Winters – ohne Gold – zurück, verbreiteten aber Flugschriften und Zeitungsartikel, und zogen die Handelsleute und Gastwirthe in den Grenzstädten in ihr Interesse. Dort mußten ja viele Auswanderer sich mit mancherlei Sachen ausrüsten und versorgen, um die dritthalbhundert Stunden weite Strecke vom Missouri bis zum Pikes Peak und Cherry Creek zu durchwandern, und für die ersten Monate im Goldlande am Nothwendigen keinen Mangel zu leiden. Von edlem Metall war freilich noch nichts nach Osten gelangt; es kamen Fälle vor, daß Goldstaub, der angeblich aus Nebraska gekommen war, als kalifornisches Erzeugniß nachgewiesen wurde. Solche Thatsachen wurden durch die Zeitungen veröffentlicht, auch warnte man vielfach; nichtsdestoweniger griff das Goldfieber, namentlich in den Staaten Iowa, Illinois und Indiana, bald auch in Ohio, Missouri und Kentucky, dermaßen um sich, daß schon im Februar der Zug der Auswanderer nach Westen hin begann.

Die Grenzorte in Missouri, Kansas und Nebraska füllten sich mit „Pikes Peakern“, die für klingende Thaler ihren Reisebedarf einkauften. Lebensmittel, Maulthiere, Jochochsen, Pferde, Wagen, Karren, Lederzeug, Schaufeln, Sägen, Beile, Nägel und hundert andere Gegenstände gingen bei so starker Nachfrage im Preise außerordentlich hoch; die Handelsleute machten große Profite und schilderten die Aussichten im Goldlande in glänzender Weise.

So zogen die Auswanderer in die nassen Prairien hinaus, dem kalten Wind entgegen, ohne festes Obdach, in Schnee- und Regenwetter, unter großen Mühseligkeiten, aber erfüllt von Hoffnung auf raschen Erwerb großen Reichthums. Vom Februar bis in die ersten Wochen des Maimonates drängte ein Zug den andern. Die Wohlhabenden und Vorsichtigen hatten sich auf neun Monate mit Lebensmitteln versehen; sie führten beladene Wagen, vor die sie zwei, vier oder wohl auch sechs Joch Ochsen spannten; aber das Futter auf der Prairie war karg und manche Thiere fielen, alle magerten ab. Wie groß der Andrang war, ergibt sich aus der Thatsache, daß ein Fährmann an einem einzigen Tage nicht weniger als einhundertundachtundsiebzig Wagen über den Missouri setzte; und bei der Stadt St. Joseph gibt es nicht weniger als drei solcher Fähren, die seit dem Februar in ununterbrochener Thätigkeit waren. Das Goldfieber hat nicht weniger als hunderttausend Menschen auf die Prairien gelockt, und viele von ihnen sind nur mit Handkarren und einer Büchse ausgezogen, ohne Wagen oder Zelte. Binnen zehn Tagen wurden 1600 Wagen, 12800 Menschen und 9600 Ochsen an einer einzigen Stelle über den Missouri befördert. Weiber und Kinder sind zu Tausenden mitgegangen!

So war die Fluth, und sie ging hoch; aber bald schlug ihr eine gewaltige Ebbe entgegen. Die Goldjäger wurden von einem furchtbaren Unglück heimgesucht und viele von ihnen haben mitten auf der unwirthlichen Steppe ihr Grab gefunden. Der Rausch ist verflogen, an die Stelle hochgeschraubter Erwartungen und maßlosen Hoffens ist eine tiefe Entmuthigung oder eine wilde Verzweiflung getreten. Wir finden in den neuesten amerikanischen Blättern eine ganze Reihenfolge von Briefen aus verschiedenen Städten in Nebraska, Kansas und Missouri, die ein anschauliches Bild von dem Jammer geben, welcher über die Prairiewanderer hereingebrochen ist. Einige Auszüge lassen wir folgen.

Aus Omaha City in Nebraska wird unterm 13. Mai Folgendes gemeldet: „Ganze Schaaren von Goldjägern kehren in wilder Verzweiflung zurück. Sie sind wüthend gegen die Speculanten und Handelsleute, von denen sie sich gehumbugt glauben, und drohen mit Mord und Brand. Selbst die Fährleute sind vor ihnen nicht sicher, und manche derselben mußten flüchten, um ihr Leben zu retten. Sechzig englische Meilen westlich von hier haben einige hundert Enttäuschte, die leider mit Branntwein reichlich versehen sind, mehreren Menschen den Tod geschworen und für diese schon Gräber gegraben. Zu diesen gehört Samuel Curtis, der lügenhafte Correspondenzen in viele Blätter geliefert; wenn die gegen ihn ausgesandten Streifschaaren ihn fangen, so ist er unrettbar ein Kind des Todes. Auf der ganzen Strecke nach der Goldgegend hin herrscht ein schrecklicher Zustand. Während viele Tausende auf der Umkehr begriffen sind, begegnen ihnen andere Tausende, welche sich auf dem Hinwege befinden. Es fehlt nicht an Mord und Todtschlag, und der Himmel weiß, was das Ende sein wird. Eine Buchdruckerpresse, auf welcher man eine Zeitung, die „Neuigkeiten aus den Felsengebirgen“, drucken wollte, ist unterwegs angehalten und von den Wüthenden in den Plattefluß geworfen worden, damit nicht neue Lügen Verbreitung finden möchten. Ein Herr Allen, welcher günstige Berichte über das Goldland geschrieben, wurde deshalb beim Fort Kearney am Nebraskaflusse gelyncht. Außer manchen rechtschaffenen Leuten, die sich enttäuscht glaubten, sind auch Banden abenteuernder Taugenichtse auf dem Heimwege; diese halten alle Auswanderer an, erzählen fürchterliche Geschichten, lügen und übertreiben, und nehmen mit Güte oder Gewalt, was ihnen ansteht. Sie treiben es wie Räuber. Die Ortschaften Auraria und Denver City sollen ausgeplündert worden sein. Als gewiß glaube ich versichern zu dürfen, daß an einigen Stellen fleißige Goldgräber täglich für drei bis vier Dollars Goldstaub gewinnen können; an anderen Stellen bringt aber die Arbeit kaum drei Cents, während in den Gebirgsschluchten Lebensmittel selten und natürlich sehr theuer sind.“

Ein zurückgekehrter Goldjäger berichtet unterm 20. Mai aus [387] St. Louis in Missouri: „Ich erreichte Denver City im Anfange des April, wo ich sogleich von Speculanten umlagert wurde, die mir Baustellen zum Verkauf anboten. Als ich darauf nicht einging, sondern erklärte, daß ich Gold graben wollte, erboten sie sich, mir sehr ergibige Diggings, Fundstätten, wo das Graben lohne, zeigen zu wollen. Ich versprach zehn Dollars für eine solche Nachweisung, es fand sich aber Niemand, der mir Diggings hätte zeigen können. So machte ich mich allein an’s Werk, besuchte eine Menge Stellen, fand überall Gold, aber in so winziger Menge, daß eine angestrengte Tagesarbeit einen Ertrag von höchstens einem Fünfteldollar lieferte. Die vielgepriesenen Städte Auraria und Denver City fand ich als elende Nester, deren rohe Blockhütten nicht als Häuser bezeichnet werden können. Ich sah, wie der nichtswürdige Postmeister Basset begraben wurde. Er hatte eine Menge falscher untergeschobener Briefe nach den östlichen Städten geschrieben und war dabei in folgender Weise zu Werke gegangen. Er erbrach die Briefe, welche ihm zur Beförderung übergeben wurden, und schrieb seinerseits an die Adressaten, aber in ganz entgegengesetztem Sinne; statt der Warnungen gab er übertriebenes Lob, und um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, fügte er gewöhnlich hinzu, der Briefsteller habe sich gestern die Hand verstaucht und müsse sein Schreiben einem Anderen in die Feder dictiren. Dieser Mann hat viel Unheil angerichtet. Zwei Brüder begegneten einander auf der Prairie; der eine kam aus der Goldgegend, der andere wollte dorthin. – „Weshalb kommst Du, und weshalb folgtest Du meiner Abmahnung nicht?“ – „Wie? Hast Du mir nicht geschrieben, ich möchte in aller Eile kommen, da Tag für Tag eine Ausbeute von acht Dollars gewiß sei? Hier ist der von Dir dictirte Brief.“ Er war vom Postmeister Basset verfaßt worden.

„Zu dem Hunger und der Verzweiflung sind auch Krankheiten gekommen. An einer Stelle am nördlichen Arme des Platteflusses, dem Nebraska, lagen die Gerippe von mehr als sechzig Ochsen, die im Laufe eines einzigen Tages dort gefallen waren. Mitten in der Prairie stand ich auf einem Hügel und zählte binnen drei Stunden nicht weniger als einundfünfzig Wagen; und so war es auf einer Strecke von etlichen hundert Meilen; man verlor die Züge gar nicht aus dem Gesichte, einer folgte dem andern. Nachdem die Speculanten von der Hinwanderung großen Vortheil gezogen haben, profitiren sie nun auch von der Rückwanderung, indem sie unterwegs den Goldsuchern bange machen und sie zur Umkehr bewegen. Die geängstigten Menschen verkaufen ihnen dann alle Habe, die doch nun überflüssig wäre, für ein Spottgeld und beeilen sich, wieder an den Missouri zu gelangen. Für ein Joch Ochsen, das vor vier Wochen mit hundert Dollars bezahlt worden ist, geben sie höchstens dreißig, für den Centner Mehl anderthalb Dollars und so fort.

„Viele Wanderer sind erfroren, viele elendiglich verhungert. Welche Auftritte habe ich erlebt! Leichtsinnige, die sich mit etwas Mehl und Schinken auf die Wanderung begeben hatten, mußten furchtbare Noth leiden. Der geringe Vorrath war bald erschöpft, und ohne Wurzeln und wilde Zwiebeln, die man aus der Erde hervorgrub, hätten Manche nicht einmal ihr elendes Leben fristen können. Aber diese waren noch glücklich zu nennen, in Vergleich mit jenen, die weit vom Wege abgekommen waren, weil sie rascher, in kürzerer Linie nach den Goldfeldern kommen wollten. Als der Postwagen in der Nähe des Smoky Hill vorbeifuhr, gab ein Arrapaho-Indianer dem Schaffner ein Zeichen, daß er anhalten möge. Es geschah. Da kam der braune Mann näher und schleppte einen völlig abgemagerten Weißen herbei, welcher dem Verhungern nahe war. Nachdem man ihn mit Speise und Trank erquickt, erzählte der Unglückliche: „Ich heiße Blue und bin aus Whiteside County in Illinois. Unser drei Brüder wollten wir nach dem Pikes Peak so schnell als möglich und kamen vom großen Wege ab. Die Lebensmittel gingen uns aus. Mein einer Bruder starb; wir beiden anderen waren auch dem Hungertode nahe und verzehrten seine Leiche. Es kam uns schwer an, aber wir thaten es; wir wären sonst verhungert. Auch mein zweiter Bruder ist Hungers gestorben und ich habe von seinem abgemagerten Körper mich hingehalten. Dort liegen die Knochen. Der Arrapaho hat mich bis hierher geschleppt.“ Der Postschaffner hat jenen Knochen ein ehrliches Begräbniß gegeben und den unglücklichen Kannibalen bis zur nächsten Station mitgenommen.“

Am 20. Mai brachte ein Missouridampfer mehr als fünfhundert enttäuschte Goldgräber nach der Stadt St. Joseph. „Kansas City, Lawrence, Leavenworth, Atchison, Omaha, kurz alle Raubnester an der Grenze wollen wir in Brand stecken und, dem Boden gleich machen. Dort hat man uns verlockt und bethört!“ So lauteten die Drohungen dieser erbitterten Menschen. Selbst in St. Joseph, einer Stadt mit zehntausend Einwohnern, war man vor ihnen in Angst. Der Bürgermeister erließ einen Aufruf, dem zufolge nach Mitternacht Niemand mehr auf der Straße sein darf, und die Bürger sind allesammt als Polizeileute eingeschrieben worden. In anderen Städten traf man ähnliche Vorkehrungen.

Durch das Alles hat sich nun freilich das Goldfieber abgekühlt. Aber die, welche starben und verdarben, werden bald vergessen sein; wer seine ganze Habe verloren hat, muß wieder von vorne anfangen und wieder zu erwerben trachten. Für jene seither fernab gelegenen Strecken an den Felsengebirgen wird zuletzt das Goldfieber wohlthätig wirken, denn Manche, die einmal dorthin gezogen sind, bleiben an Ort und Stelle, und wenn sie wenig von edelem Metalle finden, so gewinnen sie doch dem Boden Schätze ab, wenn auch keine glänzenden. Denn an vielen Stellen ist das Erdreich fruchtbar und zum Ackerbau geeignet; das Vieh findet auf den Weiden der Wiesenflächen und auf den Alpenmatten reichliches, saftiges Futter. Die Ansiedler können allmählich zu Wohlstand gelangen; eine Kette von Niederlassungen wird aus Missouri bis in die Thäler jener Felsengebirge reichen, die noch vor zwölf Jahren gleichsam in nebelgrauer, vereinsamter Ferne lagen und nur von Pelzjägern durchstreift wurden. Nun sind auch jene Regionen von den Wellenschlägen der Yankeecivilisation erreicht worden, und so wird das große Festland in seiner ganzen Breite bevölkert.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wegweser