Wenn die Schakale feiern
von Hermann Sternbach
Man wußte nicht, wessen das Morgen war
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In Erwartung.

Der Tag, der dem Einzug der Russen vorangegangen, war voller Schrecken. Die Straßen und Gassen waren still und menschenleer: Ein jeder hatte sich in Winkel und Mauselöcher verkrochen und wartete in fröstelnder Bangigkeit des kommenden Unheils, dem man nicht mehr entrinnen konnte.

Die einzigen, die sich aufrecht gehalten haben und nicht um ihre Laune gekommen sind, waren die Bauern. Eine hoffnungstrunkene Rührung hatte sie übermannt und sie sprachen einander zu: „Batiuschka pryjde, sonetschko zyjde –“

Väterchen kommt und die Sonne mit ihm.

Sie gingen auf die Landstraße hinaus, die nahende Sonne zu begrüßen. Brachten zum Willkomm Brot und Salz. Sie konnten sich vor Freude nicht fassen, als sie der ersten Kosakenpatrouille ansichtig wurden. Sie drängten sich heran, hopsten und hurraten, küßten dem Patrouillenführer Hände und Füße, liebkosten Flanken und Rücken seines Falben, gingen vor Rührung über und riefen in einem fort: „Bratschyku, holubtschyku! batiuschka schtsche daleko?

[4] Ob Väterchen noch weit wäre?

Väterchen wäre ein’ Tag Weges von hier, versicherte der Kosak. Mit Österreich sei’s aus. Mit den „Germanzi“, den Deutschen ebenfalls. Und „Wilgelm“ weine Tag und Nacht und bitte den Zaren, daß er ihn Weihnacht noch in Berlin sitzen ließe. Man hätte ihm Berlin gekündigt. Aus sei’s! nur “odyn car ta odna wiera“: ein Zar und ein Glaube werden der ganzen Welt gebieten. „Die Juden machen wir mausetot“ – fuhr er zu berichten fort. „Wir wissen schon, wie man das macht. Ihr Geld und ihre Häuser gehören euch. Schulden nix. Väterchen hat es befohlen. Ist in den Papieren verschrieben, muß gehalten werden.“

Die Bauern jubelten: „Serdenjko sonetschko nam zyjschlo.“

Herzchen, die Sonne ist uns aufgegangen!

Eine freudige Ungeduld erfaßt sie. Sie zeigen Häuser und Höfe, Gärten und Äcker, nach denen ihre Wünsche gehen. „Wird schon gut sein –“ versichert der Patrouillenführer und fragt nach Madiaren. Die Bauern geben eifrig Bescheid und suchen einander in Bereitwilligkeit zu übertreffen. Und kommen bald wieder zu sich selbst zurück.

„Weißt, Bruderherz“ – schüttet ein Bauer sein volles Herz aus – „dein Jakym – ich heiße Jakym – wohnt noch immer in der kleinen, eingefallenen Chatyna. Seit vierzig Jahren schon. Sie ist uns eng geworden, Bruderherz! Denn du mußt wissen, daß meine Xenia seit acht Jahren verheiratet ist und mit ihren Kindern bei mir wohnt. Ihr Mann, der [5] Hundesohn – mußt du wissen – hat sie sitzen lassen. Er ist wo weg, vielleicht in Kolomyja, und steht dort zu den Christfeinden, zu den Gottesdieben, den Ukrainern. Er heißt Oleksa. Ja, Oleksa Zawadjuk heißt er. Und wie heißt du, Bruderherz?“

„Ich heiße Jakym –“ erwiderte der Gefragte.

„Jakym heißt du? Auch ich heiße Jakym. Genau derselbe Jakym. Brate Slawiane!“ Jakym, mein Bruderherz, weißt du auch, daß dein Jakym keinen Platz mehr auf der Pritsche hat? Auf dem Ofen muß er schlafen, wie ein ganz gemeiner „Parobok“, wie ein Hausknecht. Und der Mendel von der Kortschma – mußt du wissen – hat ein schönes, weißes Haus. Kennst du den Mendel? Einen Haufen Geld hat er und zwei Zimmer und Vorhänge in den Fenstern. Geblümte Vorhänge!“

„Mendels Haus gefällt dir?“

„Ja, Bruderherz. Vom ersten Augenblick an. Sehen muß man’s. Es hat ein Schindeldach und eine rote Tür mit einem Adler. Und die Chatyna deines Jakym ist mit Stroh bedeckt und fällt bald ein. Meine Chatyna wackelt, mußt du wissen. Ich höre jeden Tag, wie sie mehr wackelt. Mendels Haus aber hat ein Fundament von Stein.“

On budet wasch – es wird dein sein. Mendel jewrej –!“ versetzt der Kosak und macht mit der Hand einen lässigen, freigebigen Halbkreis in der Luft.

„Freilich, mein Täubchen, Mendel ist ein Jude und sagt: der Zar kann nicht herkommen. Hörst, [6] mein Jakym, was Mendel, der Jude, sagt?“ – fragt der Bauer.

Der Kosak lacht und spricht ein kräftiges Wort, das auf Mendel Bezug hat.

Der Bauer schneuzt sich vor Freude in den Ärmel, küßt sodann seinem Jakym Hände und Füße, und samt den anderen, die das Gleiche tun, begleitet er die Patrouille zur Stadt, indem jeder seine Wünsche besonders nachdrücklich ihr ans Herz legt.

Jakym, der Dorfälteste, hat bereits seine gesagt. Es kommen jetzt andere an die Reihe.

„Das Salz müssen wir noch immer zahlen –“ klagt ein Bäuerlein, winzig, untersetzt, mit einem Gesicht, das die Farbe einer verrosteten Glocke hat.

„Und nachta (Naphta) –“ ergänzt eine Stimme, die von einer weiteren Reihe sich den Weg zu Jakyms Jakym bahnt.

„Und Zucker und Mehl und alles andere – spricht fordernd ein Dritter – sie wollen uns nichts umsonst geben. Und uns haben ja längst unsere Freunde gesagt, daß uns alles gehört. Pater Zenobius hat es uns immer gesagt. Euere Stunde wird kommen – hat Pater Zenobius gesagt – wenn der weiße Zar zu euch kommt! Zahlt man bei euch Schulden? Nicht. Ich weiß es wohl. Ein gesegnetes Land hat Väterchen. Er ist reich und kann schenken. Ich weiß es!“

Ja, er weiß es genau, dieser Dritte, denn er ist Dorfschreiber und „russkij tschelowiek“.

Der Kosak, der auch Jakym heißt, schüttelt den [7] Kopf und reitet mit seinen Kameraden in die Stadt hinein.

Und hinter ihnen und um sie her trotten die Bauern, und aus hundert Bauernkehlen entströmt so was wie Gesang, buntstimmig, wie ein dörfisches Heiligenbild und überstark quellend wie das Gebrüll eines brünstigen Stieres, ein rotlohender Gesang, von Jubel und Frevelgier gewirbelt, ein Lied von „Väterchen Zar, dem heiligen, weißen Gosudar“.