Textdaten
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Autor: W. Gr.
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Titel: Wenn der Herbst kommt!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 563–564
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[563]

Wenn der Herbst kommt!

„Ach, in diesen blauen Tagen,
Die so licht und sonnig fließen,
Welch ein inniges Genießen,
Welche still verklärte Ruh’!“

Schon hat der Sommer im abgeblüthen Kranze segensmüde das Haupt geneigt. Still und leise kommen die blauen, lichten Tage des Herbstes, wo die Seele den Traum des Frühlings noch einmal nachträumt, bevor die Todesschauer des Winters Fluren und Wälder durchbeben. Zwar an Pracht und Duft mag der Herbst, in dem die letzte Regung des Frühlings verklingt, mit seinen Vorgängern sich nicht vergleichen können; doch hat auch er seine eigenthümlichen Reize. Und wie ernst-rührend, wie tief ergreift er jedes Gemüth! Wer kennt nicht die mahnende, eindringende Deutung, die in diesem leisen Entfärben und Verstummen, in diesem milden Sterben liegt! Gewiß, an der tief ergreifenden Symbolik des Wechsels der Jahreszeiten hat der stille Herbst keinen geringen Antheil.

Der Feierabend des Jahres ist eingetreten und hierin besonders liegt der so eigenthümliche Reiz des Herbstes für uns. Das rege Leben und Treiben des Sommers hat sich in feierliche Stille verloren, eine wunderbare Sabbathruhe fließet weit und breit in den leeren Ebenen, wo es noch vor wenig Wochen so geschäftig sich regte, und über all den schimmernden Hügeln und den blaudämmernden Gebirgen. Der Gesang der munteren Vogelwett ist verstummt. Keine Lerche trillert mehr ihre fröhliche Weise in den Lüften; sie liegt gesanglos in der Ackerfurche, oder schreitet still hinter dem Pflüger her. Zwar segeln die munteren Schwalben noch durch die Luft, aber ihr Zwitschern klingt schon wie wehmuthsvolle Klage über den Wandel des irdischen Glückes, und bald werden auch diese trauten Sommergäste, die sich schon hie und da auf den Dächern versammeln, dem Kuckuk und der Nachtigall nach den wärmeren Lüften des fernen Südens folgen, wohin auch der Storch, dieser alte treue Hausgenosse, uns verlassend, bereits seine Reise angetreten.

Gleichwohl ist noch nicht alles Leben auf den Fluren erstorben. Weithin schallt der Büchsenknall des Jägers, der arme Hase flieht in banger Furcht zu dem sichern Verstecke, ruhige Schafheerden weiden im melodischen Getön ihrer Glocken über die leeren Felder, indeß der Hirt, auf seinen Stab gelehnt, sinnend von dem Hügel herabschaut. Freibeutende Schaaren von Sperlingen und Tauben schwirren und flattern von Breite zu Breite, und in den Stoppelfeldern eilt die diebische Feldmaus mit Blitzesschnelle durch ihre labyrinthischen Gänge. Darüber aber umkreisen sich, wie Sonnen im Weltenraume, die Weihen, und von dem Hügel steigt der Papierdrache des fröhlichen Knaben in die blaue Luft empor.

Auch in der Pflanzenwelt grünt und blüht es noch immer unverdrossen fort. An allen Wegen steht noch die blaue Cichorie und die rosige Hauhechel, am Feldraine die weiße Dolde der Schafgarbe und der duftende Feldkümmel, zwischen nachgelassenen Halmen und Stauden eine Klatschrose, ein Rittersporn, und von dem noch immer grünen Anger schauen dichtgedrängte Gruppen von Gänseblümchen so unschuldsvoll herauf. Im Garten erfreut sich die blasse Malve und die Georgine des milden Sonnenscheins, indeß die Astern verschüchtert auf die sterbenden Sommerfarben herabschauen. Aber es sind Spätlinge, ohne Duft, Kinder der schon gesunkenen Sonne. Sie heucheln nur den Frühling, es sind „Rosen, wobei kein Lied mehr flötet.“ Die Blüthezeit ist vorüber, es ist nur noch die Zeit der Früchte. Doch erfreuen wir uns dafür der reichen Fülle der herrlichen Gaben Pomona’s. Da lacht uns an schwerbehangenen Aesten die goldene Birne entgegen, der rothwangige Apfel und die blaubereifte Pflaume; an der Gartenmauer lagert an zähen Ranken der dickbäuchige Kürbis, und am Rebengeländer reift der köstliche Saft der Trauben, das Mark und Oel der Welt. Draußen am Feldraine leuchten uns die rothen Korallen der Hagerose und die schwarzblauen Kugeln des Schlehdorns entgegen, und am Waldespfade zwischen dem grünen Laube der Quitsche der Schmuck ihrer scharlachrothen Beerensträuße.

Im neuen frischen Grün prangt die Wiese. Aber hier ist schon, wie eine blaßrothe Erdflamme, die Zeitlose hervorgebrochen, eine echte Herbstblume, und in den Espen und Weiden am kiesigen Ufer des vorbeiströmenden Gebirgswassers spielt schon der helle Sonnenschein mit vergilbten Blättern. Doch jene Erlen, als wollten sie dem Herbste trotzen, breiten noch ihren dunkelgrünen Blätterschirm über den Wiesenbach, in dessen blinkende Wellen das rothe Weidenröschen so sehnsüchtig hinabschaut. Rinder lagern und weiden in mildbesonnten Gruppen auf dem grünen Teppich des freien Geländes, und im Hintergrunde breitet sich, so heimisch winkend aus Busch und Strauch, vergnügt das Dörfchen aus.

Und diese heilsame Milde des lichtblauen Himmels über der stillen Landschaft, dieses Licht, dieser Glanz, die Alles überfluthen! Badewellen gleich legen sich die weichen Lüfte an das Herz, um Alles, was uns bedrückte, sanft und liebreich abzustreifen. Wie rein und friedlich sieht die klare Natur aus, als könne nichts Widerwärtiges in der Welt sein! Träumend versinkt jedes Herz in Genuß, wähnt, den Frühling noch zu fühlen, und ahnt nicht die Nähe des lauernden Winters.

Grüngolden, als sollte ein neuer Frühling erblühen, leuchtet noch einmal der Wald empor. Umflossen vom milden Sonnenschein glänzen Busch und Baum und durch die ruhige Bläue des goldgedämpften Aethers schweben wie schlanke weisse Luftgeister die zarten Fäden des fliegenden Sommers. An der Haselstaude locken uns die traubigen Nüsse hinein in’s Gebüsch, die Brombeerranke kriecht über den Weg und bietet ihre dunkelblauen Beeren an, unten im Moose zwischen zierlichen Eichelnäpfchen steckt die Genziane ihre Blüthe hervor und in den hohen Halmen der schon erbleichenden Gräser versteckt sich das Tausendgüldenkraut. Aber auch hier schon trifft uns das Wehen des Herbstes. Sanfte Ruhe breitet sich um uns her. Keine muntere Vogelmelodie schallt uns mehr aus den Zweigen entgegen, stille Schatten gaukeln auf dem verlassenen Waldwege und es weht uns an, wie stille Wehmuth. Nur zuweilen erschallt der Schrei eines Hähers, einer Weihe über den Wipfeln, und aus den Gründen das Schrillen der Meise und die feine Stimme des Goldhähnchens, die den Abschied der Schwestern beklagen. Auf der Berghaide umfliegen Bienen und Schmetterlinge das rothblühende Haidekraut, vom sanften Hauche gerührt, schwankt am zarten Stengel die kleine zarte Glockenblume, die Eidechse sonnt sich und die Haselmaus schlüpft durch das Kraut. Fernher läutet die Heerde und, von dem Athem des Himmels getragen, wiegt sich wie im Traum hoch oben der Falke. – Die Eichen strecken noch dunkelfarben ihre Titanenhäupter empor; aber schon brennt in hellem Gelb als Trauerkerze die Birke und bald leuchtet der Wald im Gemisch seiner letzten bunten Farben.

Wie angenehm auch dem Auge diese malerische Färbung erscheint, so erfüllt sie doch das Gemüth mit unendlicher Wehmuth. Es ist das letzte Auflodern einer still verglühenden Flamme. Bald wird das Licht erlöschen und dieselben Blätter, deren junges Grün unsere Seele so hoffnungsvoll begrüßte, werden vergehen und verwehen nach kurzer Sommerlust, und dürr und kahl die Bäume trauern, die einst dem Träumer ihren Schatten geliehen. Gedankenvoll in sich selbst versunken blickt die Seele in das ewig offene Grab der Zeiten, der Worte des alten Dichters gedenkend, dessen hoher Geist in diesem Blätterfall ein Verschwinden der Geschlechter der Menschen erblickte.

Bedeutungsvoll schaut die Burgruine von der Höhe des Waldberges herab und winkt den stillen Traurer zu den Trümmern einstiger Größe und Herrlichkeit. Wie freundlich schmiegt sich die Ruhe des Herbstes an diese öden, verlassenen Hallen, durch deren Fenster und Lücken sich die mächtigen Aeste der buntgefärbten Bäume hindurchgeschlungen! Buntes Gebüsch erzittert im hellen Sonnenschein auf dem Rande des zerstörten Gemäuers und schmückt die kahle Stirn mit einem bunten Todtenkranze. In milder Lichtgestalt naht uns die Vergangenheit und wie sanfte Klage über die Vergänglichkeit des Irdischen ertönt aus dieser gebrochenen Veste.

Alles mahnt uns schon an den vollen Herbst. Die Schwalbe ist heimwärts gezogen und durch die Weite des Himmels ertönt der Ruf von wandernden Kranichen, die hoch oben ihre blitzschnellen Dreiecke bilden. Mit sehnendem Blicke begleiten wir diese Wanderzüge und ihr ahnungsvoller Laut, „dieser Angstschrei wirren Traumes von einem ewigen Leben“, erweckt in der Brust ein süßes Heimweh, eine namenlose Sehnsucht nach dem heiligen Porte der Zukunft. Alles scheint zu fliehen und zu scheiden.

Aber warm und hoch ist noch der Tag, Noch wirft die Sonne ihr vollstes Licht auf das seltsame Gewebe der Wanderspinnen über den Stoppelfeldern und spielt mit süßem Scheine um die ersterbenden Stauden und Sträucher. Und dieses verklärte Blatt der grenzenlosen Runde des Aethers, dieses klare, von allem Irdischen gelöste Licht, das die Welt durchströmt! Himmel und Erde stehen in stiller Verklärung!

Auch die zerfließenden Wolken trinken das verklärte Sonnenlicht. Ungewiß, wohin ihren Lauf lenken, weben sie ihren lichten Schleier über dem klaren Saume der Wälder und Hügel und schlummern in seliger Ruhe dort bis zum Abend. – Und wie weit und still ist diese Welt geworden! Endlose Fernen öffnen sich dem stillsinnenden Blicke und jeder Laut tönt durch die „hellhörige“ Luft zu uns herüber. Von dem Berge schallt das Knarren des gefesselten Rades, die Stimme des Landmannes und aus dem Dörfchen Hundegebell und das Klappern der Flachsschwingen.

Doch immer näher rückt das herbstliche Ende heran.

[564]

„Die Wipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein:
Das mögen die letzten Küsse
Des sterbenden Sommers sein.“

Der Himmel bezieht sich Tage lang mit trübstillem Gewölk; „er gleicht einem Auge, dem mit jedem Blicke eine Thräne entfallen kann.“ Grauer Nebel dehnt sich um die ersterbenden Sträucher und Bäume; von den Winden zu Grabe getragen, fällt unablässig das welke Laub zur Erde nieder. Dann und wann senkt sich wohl noch, wie ein Hauch genossener Zeiten, ein warmer Lichtblick durch’s trübe Gewölk herab und Alles freut sich noch einmal vor dem tödtlichen Ermatten des flüchtigen Glückes; aber bald erstirbt auch der letzte Sonnenkuß im bleichen Wolkenschatten. Mit zögerndem Schritte kommt der junge Tag gegangen, mit immer größerer Eile erheben sich die dunkeln Schatten des Abends. Alles neigt und rüstet sich. Die Heerden verlassen die Weiden, die Vögel nahen sich den Wohnungen der Menschen. Ernst und stumm in sich selbst versunken liegt die Welt. Kein Laut in der zur Ruhe gehenden Natur, als das Rascheln der erstorbenen Pflanzen unter unsern Tritten. Das Bächlein gleitet,

„Wie durch das Sterbgemach die Freunde schreiten,
Den letzten Traum des Lebens nicht zu stören.“

Auch im erstorbenen Haine ist’s todtenstill. Nur der Rabe flattert noch krächzend über den Wipfeln und dem Armen, der sich sein Bündel dürres Reisig sucht, naht sich mit leisem Gesange das Rothkehlchen, gleichsam sein gequältes Gemüth zur Hoffnung zu erheben. – Die rauhen Stürme kommen und brausen über die Oede und kreiseln sich in das Dach der Strohhütte und bald hüllt der eisige Winter Alles in sein großes, weites Leichentuch.

W. Gr.