Weltweihnacht
Weltweihnacht.
Erloschen ist der Kerzen Glanz und Schimmer,
In stille Nacht zerfloß der lichte Traum,
Nur leichter Wachsduft füllet noch das Zimmer,
Und Harzgerüche haucht der dunkle Baum. –
Halb offen steht die Thüre – draußen Lachen,
Der frischen Kinderstimmen heller Klang,
Licht, Lärm und Jubel um die Siebensachen:
Der Weihnachtswonne trauter Nachgesang!
O Kinderlust! Sie trinkt in vollen Zügen
Die reine Freude, die vom Himmel sank:
Ein jeder Laut ist fröhliches Genügen,
Und jedes Lachen klingt wie heißer Dank!
Ich lausche still … da fällt mein Blick durchs Fenster,
Und über weiße Dächer schweift er hin;
Hoch in der Luft, wie jagende Gespenster,
Seh’ ich ein graues Heer von Wolken ziehn.
Wo liegt das tiefe Meer, dem sie entstiegen,
von dunklem Drang gehoben und erfüllt?
Wo winkt das Ziel, dem sie entgegenfliegen,
Das all’ ihr Hasten und ihr Sehnen stillt?
Sie stoßen sich in wechselnden Gestalten,
Wie Formen wächst es aus dem trüben Schwarm:
Ein nackter Leib hier, dort Gewand und Falten,
Und hier ein Haupt, dort ein gestreckter Arm …
Es scheint, als hätten sie Gefühl und Leben!
Nicht aus der Ferne nachtumfloß’nem Schoß,
Nein … aus den Dächern scheinen sie zu schweben,
Bald scheu und klein, bald kühn und riesengroß.
Sie jagen, wirbeln, alle Himmelsräume
Erfüllt ihr Schwall, gleichwie in Streit und Schlacht:
Das sind des Lebens wilde Weihnachtsträume,
Die ungestillten Wünsche dieser Nacht!
Es kann der Blick sie alle nicht erfassen!
Wer will sie zählen, die wie Sand am Meer!
Mit jedem Herzschlag in erneuten Massen
Erstehen sie und sammeln sich zum Heer!
Im Fürstenhaus wie in des Bettlers Hube
Schläft die Begierde nie, sie wacht und brennt …
Ach, in des Lebens großer Kinderstube
Hat Wunsch und Sehnen nimmer Ziel und End’!
Mit beiden Händen will ein jeder greifen:
Nach Lust und Glanz, nach Früchten, süß und roth,
Nach stillem Glück, nach Ruhm, nach gold’nen Reifen,
Nach hohlem Tand, nach einer Rinde Brot!
Und hat der eine, was er sucht, gefunden,
Dann regt sich in dem andern schon der Neid,
Es tobt der Kampf, es rinnt das Blut aus Wunden,
Und nimmer ruhen will der Haß und Streit!
Weltweihnacht, komme! Komm’, um zu vereinen,
Was blutend sich im Kampf des Lebens trennt!
Laß deinen Engel bald dem Kind erscheinen,
Dem großen Kinde, das sich „Menschheit“ nennt!
Deck’ deinen Tisch, zünd’ abertausend Kerzen,
Mit Licht und Glanz erfüll’ den dunklen Raum,
Berühr’ mit heil’gem Zweig der Menschen Herzen
Und führe sie zum reichbehängten Baum!
Laß Liebe blühen, Hand in Hand sich fügen,
Reich’ jedem Wunsch die Gabe lächelnd hin,
In jeden Busen lege das Genügen
Und unter jede Stirne reinen Sinn!
von Land zu Land laß deinen Frieden wallen,
Mit grüner Palme wehre jedem Streit …
Und aus vereinten Kehlen soll erschallen
Das Jubellied der neugebornen Zeit.
Ludwig Ganghofer.