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Titel: Weltgeschichte an der Donau
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 347–348
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Weltgeschichte an der Donau.

Das über dem osmanischen Reiche aufgestiegene schwere Gewitter hat sich noch nicht entladen, der erste Kanonenschuß ist noch nicht gefallen, gleichwohl aber ein Zustand herbeigeführt worden, der wenn auch nicht so viel wie Krieg, doch weit weniger als Frieden ist. Aller Augen sind zur Stunde nach dem Orient gerichtet.

Zwar wechseln die Cabinette noch Noten, deren vorwiegend friedlicher Charakter nicht zu verkennen ist; auch arbeitet sich noch die Diplomatie mit süß lächelndem Gesicht an Vermittelungsvorschlägen ab; daneben aber thürmen sich die Thatsachen verhängnißschwer auf. Die ungeheuern Rüstungen Rußlands und der Türkei, der auf beiden Seiten geweckte religiöse und nationale Fanatismus, mehr noch aber die Besetzung der Moldau und Walachei durch die Russen, und das hierauf erfolgte Erscheinen der englischen und französischen Flotten in der Besikabai, unweit der Einfahrt in die Dardanellen, haben das Werk der Verständigung, die man noch immer anstrebt, zu einer schweren Aufgabe gemacht. Der bisherige Verlauf zeigt uns in Allem die westlichen Mächte zaudernd gegenüber dem entschiedenen Vorangehen Rußlands.

Bukarescht.

Das geharnischte Manifest des russischen Kaisers vom 14/26. Juni kündigte die Besetzung der Donaufürstenthümer an, die auch bald darauf am 2. Juli durch den Uebergang der Russen über den Pruth erfolgte. Schon am 15. desselben Monats rückten die kaiserlichen Truppen in Bukarescht, der Hauptstadt der Walachei ein. Die militärische Besetzung dieser Fürstenthümer betrachtet Kaiser Nikolaus als Garantie für die Erfüllung seiner an die Pforte gestellten Forderungen, welche in der Hauptsache bekanntlich auf das beanspruchte religiöse Protektorat über die Bekenner der griechischen Kirche in der Türkei hinauslaufen. Daß der russische Kaiser seine Truppen in die Fürstenthümer einmarschiren lassen konnte, ohne gerade der hohen Pforte offnen Krieg anzukündigen, daß dieser Einmarsch von den mit dem Sultan verbündeten (?) Engländern und Franzosen nicht als Kriegsfall angesehen und für die Türkei überhaupt nicht das Signal zum Kriege wurde, liegt in den eigenthümlichen Verhältnissen der Fürstenthümer, die man kaum noch als Bestandtheile des osmanischen Reiches betrachten kann.

Die Moldau und Walachei liegen zwischen dem Pruth und der Donau, welche beide Flüsse Grenze bilden, und werden weiter von Ungarn und Siebenbürgen begrenzt. Die Moldau zählt auf circa 750 Q. M. ungefähr 700,000 Einwohner, die Walachei, welche in die große und kleine Walachei zerfällt, deren vielleicht 21/2 Million auf circa 1300 Q. M. Die Einwohner bekennen sich größtentheils zur griechischen Kirche. Der Boden beider Länder ist äußerst fruchtbar; Getreide, Obst und Wein wächst in üppiger Fülle; die Wälder enthalten das prachtvollste Schiffsbauholz, [348] die Erde birgt unerschöpfliche Steinsalzwerke und einen noch wenig ausgebeuteten Reichthum an edeln Mineralien; die üppigen Weiden nähren das prachtvollste Vieh. Während die ländliche Bevölkerung fast ausschließlich dem Ackerbau und der Viehzucht obliegt, vermittelt die der Städte einen ausgebreiteten Handel mit den Produkten des Landes. Dieser Handel, Aus- wie Einfuhr, ist jedoch meistens in den Händen der Armenier, Griechen, Juden und Russen, wie denn überhaupt der Bürgerstand unter den Moldau-Walachen so gut wie nicht vorhanden ist. Die Bevölkerung zerfällt eigentlich nur in Adelige und Bauern. Die Adeligen, Bojaren genannt, genießen alle mögliche Vorrechte; die Bauern befinden sich in den drückendsten, an völlige Sklaverei streichenden Verhältnissen. Der üppige Luxus, kolossale Reichthum und die Ueberfeinerung der fast durchgängig französischen Sitten huldigenden Bojaren steht in grellem Gegensatze zu der Armuth und dem niedrigen Culturzustande der übrigen Bevölkerung und mahnt, wie so manches Andere noch, an frühere Zustände in Polen.

In der alten Geschichte sind die von den heutigen Moldau-Walachen bewohnten Strecken unter dem Namen Dacien bekannt. Hier war zur Zeit der großen Völkerwanderung der Tummelplatz der verschiedensten Nationen. Gothen, Hunnen und Slawenstämme brachen wechselsweise über das Land herein, dessen ursprüngliche Bevölkerung romanischen Ursprungs war, und ließen zuletzt ein aus allerlei Elementen bestehendes Mischvolk zurück. Auf die Geschichte desselben näher einzugehen, würde uns zu weit führen. Bald sind diese Staaten von eigenen Fürsten regiert, bald in wilde Anarchie ohne alle Regierung versunken; wechselsweise mehr oder weniger von Ungarn abhängig, endlich eine vollständige Beute der Türken, unter deren Oberherrschaft das Land vollends zu Grunde gerichtet wurde. Diese Zustände machte sich die russische Politik mit der Zeit zu Nutze, und schon von 1774 an erlangte sie durch den Vertrag von Kudschuk-Kainardschi eine Art Protektorat über die Fürstenthümer. Die gegenwärtigen politischen und administrativen Einrichtungen beider Staaten datiren aus der Zeit des Friedensschlusses zu Adrianopel (1829). Dieser stellte sie unter russischen Schutz, während die Türkei nur einen jährlichen Tribut, von der Walachei 3 Mill. Piaster, bezog. Türken durften in beiden Ländern ferner nicht mehr wohnen. An der Spitze der Regierung steht ein auf Lebenszeit gewählter, wegen Verbrechen jedoch absetzbarer Hospodar, welcher der Reihe der Großbojaren angehören muß. Ihm zur Seite steht eine Art Staatsrath, der die Besteuerung ordnet und zugleich Oberappellationsgericht ist. Ferner besteht in der Walachei eine Generalversammlung aus 123 Großbojaren, 36 Abgeordneten des niedern Adels, 27 der Städte und den 4 griechischen Landesbischöfen. Diese Generalversammlung wählt den Hospodar, doch nicht ohne Rußlands Zustimmung; der Sultan hat die Bestätigung und Investitur zu erteilen. Eine solche Verfassung ließ natürlich, so wie ehedem die alte polnische, den Umtrieben der Parteien ein weites Feld, und großer Ruhe hat sich die Bevölkerung dabei nicht zu erfreuen gehabt. Die Verwaltung ist nach europäischen Mustern geordnet, doch ist dies so äußerlich, daß die Donaufürstenthümer noch nicht den civilisirten Staaten zugezählt werden können. Da die Hospodare nur eine sehr kleine Heermacht halten dürfen, so muß in einem solchen Lande ihre Autorität auch auf sehr schwachen Füßen stehen. Das Alles erschütternde Jahr 1848 fand in diesem fernen Winkel Europa’s ebenfalls einen Nachhall, doch wurde durch das damals vereinigte Einrücken der Russen und Türken jeder Widerstand schnell gebrochen und mit der Erstürmung Bukarescht’s von den Türken (14. Sept. 1848) der walachischen Erhebung ein Ende gemacht. An diese gescheiterte Erhebung knüpft sich der verhängnißvolle Vertrag von Balta-Liman, demzufolge vorkommenden Falles Russen und Türken zu gleichen Theilen militärisch in den Fürstenthümern interveniren, wodurch diese nun fast mehr unter russische als türkische Botmäßigkeit gerathen sind. Eben darum aber wurde wohl ihre jetzt erfolgte Besetzung nicht als wirklicher Kriegsfall betrachtet.

Die Zahl der unter dem Oberbefehl des Fürsten Gortschakow eingerückten russischen Truppen mag sich auf ca. 80,000 Mann belaufen. Zum Theil haben sie sich längs der Donau aufgestellt, zum Theil liegen sie in den Hauptstädten Jassy und Bukarescht. Jassy mit ungefähr 30,000 Einw. ist der Sitz des moldauischen Hospodaren Gregor Ghika. In Bukarescht (zu deutsch Freudenstadt) residirt der walachische Hospodar Stirbey. Die trotz ihres schönen Namens schlecht gebaute und schmutzige Stadt zählt in etwa 10,000 Häusern nahe an 100,000 Einwohner, welche einen bedeutenden Handel treiben. Man kann Bukarescht als den Scheidepunkt der orientalischen und abendländischen Welt bezeichnen, und dies auch verleiht der Stadt ihren größten Reiz.

Die nächsten Geschicke der Donaufürstenthümer selbst (das von der Donau südlich gelegene Serbien vielleicht ausgenommen) liegen in der Hand des russischen Kaisers, für welchen auch eine große Partei unter den Eingeborenen arbeitet, und mögen diese Geschicke ausfallen wie sie wollen, jedenfalls geht dabei auch der letzte Schein von türkischer Oberherrlichkeit über die Moldau-Walachen verloren. Verschiedene Theile der Fürstenthümer wurden schon 1774, 1777 und 1812 losgerissen, und kamen theils an Oesterreich, theils an Rußland, und überhaupt zeigt sich in beiden Fürstenthümern den äußern Einwirkungen und innern Verwickelungen nach so viel Aehnliches mit dem alten Polen, daß ihnen unabweislich das gleiche Schicksal bestimmt sein dürfte.