Textdaten
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Autor: Oscar Justinus
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Titel: Weihnachtsarbeiten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 856–857, 859–860
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[856–857]

Weihnachtsarbeiten.

Nach einer Originalzeichnung von Erdmann Wagner.

[859]

Weihnachtsarbeiten.

Von Oscar Justinus. 0Mit Illustration Seite 856 und 857.

Die Scene spielt um die fröhliche Weihnachtszeit, und der Ort der Handlung ist eines jener Magazine für Tapisserie und Stickereien.

„Diesen Stickrahmen also werde ich nehmen, und jetzt darf ich Sie vielleicht noch bitten, mir etwas in fertigen Stickereien zu zeigen.“

Das Ladenfräulein geleitet die junge Dame, die soeben diesen Wunsch geäußert, in das anstoßende Zimmer, welches etwas weniger hell ist und in welchem bereits eine andere junge Dame vor einem Glaskasten sitzt und sich von einem andern Fräulein Brieftäschchen, Cigarrenetuis, Skatblöcke, Reisenécessaires vorlegen läßt. Jedes Stück wird natürlich als etwas ganz besonders Reizendes empfohlen.

„Es sollte eine kleine Weihnachtsüberraschung für eine Freundin sein, für die ich etwas selbst zu arbeiten nicht mehr Zeit habe. Es soll nicht zu viel kosten und seinen Werth namentlich durch das Aparte der Handarbeit erhalten,“ fuhr die eingetretene Dame fort und betrachtete von diesem Standpunkte aus die ihr eifrig vorgelegten und vorgehaltenen Sächelchen.

Jede will etwas „Apartes“ haben. Ich möchte die Dame sehen, die nach etwas „Alltäglichem“ fragt, und im Ganzen genommen gleichen sich doch die Dinge wie ein Ei dem andern. So dachte die Verkäuferin bei diesen Worten; auf die nebenansitzende aussuchende Dame aber machten [860] diese einen andern Eindruck. Sie erröthete, dachte etwas nach und drehte dann ihr bildhübsches Gesichtchen zu ihrer Nachbarin.

„Trudchen – wie kommst Du denn hierher?“

„Ich? ich – ich – und Du, Mariechen?“

Ein Unbetheiligter hätte glauben können, daß die Kousinen sich beim Pflücken einer verbotenen Frucht ertappt hätten, daß sie gerade im Begriff standen, einer heimlichen Liebe, von der Niemand nichts weiß, den sichtbar gestickten Ausdruck der Verehrung – zu kaufen: aber die Sache war nicht so pikant. Trudchen wollte sich Mariechen, Mariechen Trudchen aufmerksam erweisen, und nun trafen sie sich bei der Besorgung der – fertigen Handarbeiten. Das wäre ja einigermaßen peinlich gewesen, wenn sie nicht Beide die Geistesgegenwart gehabt hätten, ein drittes Opfer vorzuschieben.

„Ich suchte nämlich eine Kleinigkeit für Helene Ruthard,“ begann Trudchen vertraulich.

„Das ist reizend. Ich auch!“ gab Mariechen zurück. „Ruthards waren doch immer so nett zu uns –“

„Darf ich vielleicht aussuchen helfen?“ tönte es jetzt hinter ihnen.

Es war das Opferlamm, welches sich köstlich bei diesem Abenteuer amüsirte, und die Verlegenheit schlug sofort in große Heiterkeit um. Bald waren die drei Freundinnen im besten Zuge, sich ihre kleinen Weihnachtssorgen vom Herzen zu reden, und Trudchen und Mariechen stimmten gemeinsam ein Klagelied an, daß sie daheim keinen Winkel fänden, wo sie ungestört und ungesehen die für die einzelnen Familienmitglieder bestimmten Arbeiten vornehmen könnten. Ein Zimmer für sich zu haben, war ihr heißester Wunsch, die erste Bedingung, die sie dereinst an ihren Gatten zu stellen entschlossen waren.

„Wißt Ihr was, Kinder?“ rief jetzt plötzlich Helene. „Kommt zu uns, Olga von Bredow kommt morgen Abend auch. Meine Eltern sind bei einem Festmahl, die Herren Anwälte essen einen Kollegen fort. Wir können ganz ungestört in Papas Stube arbeiten.“

Diese Idee wurde mit großem Jubel aufgenommen; es eröffnete sich hier nicht nur die Perspektive auf einen Arbeitsabend, sondern auch auf einige recht gemüthliche Plauderstunden: denn „wenn gute Reden sie begleiten, da fließt die Arbeit munter fort“. Helene fand, dank der Hilfe ihrer Freundinnen, nicht so bald, was sie zur Ueberraschung für ihre Eltern, ihren Onkel und ihre Schwesterchen suchte. Allein wäre sie natürlich schnell zum Entschlusse gekommen: aber viel Köpfe, viel Sinne, und das Besichtigen und Wählen übt auf Damen – vielleicht auch auf Herren – einen solchen Reiz aus, daß man ihnen unmöglich zumuthen kann, sich schon im ersten Laden zu entscheiden. Wenn überhaupt, wird sicher erst im letzten Geschäft gekauft – wenn ein allerletztes vorhanden ist, sogar erst in diesem.

Und das war sehr gut, denn während die Freundinnen plaudernd durch die volksbelebte, mit ununterbrochenen Wagenzügen gefüllte Leipziger Straße, die soeben plötzlich durch das Aufflammen der elektrischen Lampen sich in ein Lichtmeer getaucht hatte, den Heimweg antraten und hier vor einem chinesischen Laden, dort vor einem Schaufenster in Alfenidewaaren, Tapisserien, Spielwaaren, Terracotta, Majolika, Porcellan und Granatschmuck in dem schaulustigen Gedränge ein wenig Halt machten, stießen sie beim Betreten eines neuen Stickereimagazins auf den ziemlich beladenen Diener des Hauses Giersch, der die jungen Damen, das Zwillingspärchen Dora und Flora Giersch, hierher begleitet hatte, und feierten mit diesen Freundinnen ein unverhofftes Wiedersehen. Die beiden schönen Mädchen kamen von einer grandiosen Einkaufsreise und hatten, wie Bienchen, die aus jeder Blüthe etwas Honig mitbringen, überall, wo sie gewesen, etwas herausgefunden. Der Einkauf mußte jetzt geschlossen werden, da der Diener nur über zwei Arme verfügte und Mama ihnen eingeschärft hatte, zu große Packete nicht selbst zu tragen. Jetzt, wo man männliche Begleitung hatte, brauchte man nicht so nach Hause zu eilen. Es war ein reizender Anblick, die fünf schlanken Gestalten in ihren Winterpaletots und pelzverbrämten Jäckchen, in ihren Pelzmützchen und Stoffhüten, die schwarzen Halbschleier vor den blitzenden Augen, und die kleinen Müffe, aus denen die kleinen Einkaufspackete in Singhalesenpapier niederhingen, in hellem Geplauder an den lichtübergossenen Schaufenstern hinwandeln zu sehen; hinter ihnen der getreue Eckart im langen braunen Rock und den weißen Handschuhen. Selbstverständlich wollten auch die Fräulein Giersch an dem Arbeitsabend bei Ruthards Theil nehmen: sie arbeiteten für ihre Mama einen Riesentischläufer mit einer Inschrift in altgothischen Buchstaben, die sie sich aus einer alten Kirchenfahne des Kunstgewerbemuseums abgeschrieben hatten, und der weiße Untergrund spielte, in Folge der fortwährenden Arbeitsunterbrechung, schon ins Isabellfarbige. Also auf Wiedersehen morgen Abend!

Der Abend kam heran. Herr Justizrath Ruthard und seine Gattin rüsteten sich zu ihrem Diner; Helene hatte Papa’s Zimmer in eine etwas geniale Unordnung gebracht, um den Freundinnen zu imponiren, eben eine große Damastdecke über den Tisch geworfen und die große Lampe ausprobirt, als sie plötzlich wahrnehmen mußte, daß sie die Rechnung ohne den Wirth oder vielmehr des Wirthes Bruder gemacht hatte. Das war nämlich Onkel Eberhard, ein älterer Hagestolz, der jung seine Apotheke verkauft hatte und, da er sich vereinsamt fühlte, in die Familie des Bruders gezogen war. Das war ein sehr gutmüthiger, gemüthlicher Herr, der nur die eine Passion hatte, zu necken und zu ärgern, und da er vernahm, daß die Töchter des Hauses mit ihren Freundinnen einmal ganz allein im Hause sein wollten, hatte er natürlich Kopfweh und mußte, obwohl er den ganzen Winter hindurch keinen Abend zu Hause zugebracht hatte, das Zimmer hüten. Der Schabernak, den er den jungen Damen anthat, die Neugier, hinter ihre Geheimnisse zu kommen, die Vorfreude, den Müttern und Tanten etwas rathen und erzählen zu können, überwog seine Sehnsucht nach den drei Litern Löwenbräu. Helene wurde etwas kleinlaut, als sie von seinem Unwohlsein hörte, und Onkel Eberhard, als ihm seine Lieblingsnichte kategorisch erklärte, er dürfe sich vor ihrem Besuche nicht blicken lassen, nickte mit verstohlenem Lächeln Zustimmung.

In einer modernen Arbeitsstube, in welcher sechs Freundinnen sich „versammelt zu löblichem Thun“, herrscht freilich eine andere Stimmung, als in dem antiken Frauenhaus oder der dörflichen Spinnstube. Hier gebietet keine Penelopeia den spinnenden Mägden, und hier erzählt keine Alte gruselige Geschichten: hier herrscht Heiterkeit, hier funkelt Esprit, und das Lächeln ist in Permanenz. Da sitzen die Zwillinge; seit Dora verlobt ist, gehen die beiden sich sprechend ähnlichen Schwestern, um unliebsamen Verwechselungen vorzubeugen, stets verschieden und besticken wie die Arbeitskolonnen eines Tunnels den langen Tischläufer einander entgegen von zwei verschiedenen Enden. Olga von Bredow in der scharlachrothen Seidenblouse stickt an einem Pantoffel für Papa, und Trudchen in dem altgoldfarbigen Velourjäckchen zählt aufmerksam die Kreuzstiche auf ihrem Rahmen. Helene im taubengrauen Wollkleid reiht die Perlen auf der Börse zusammen, die sie ihrem Bräutigam, welcher Bankbeamter ist, als zarte Anspielung auf die Börse, die er besucht, verehren will, und Mariechen in der Spitzenpelerine zaubert in höchst kunstvoller Weise „kleine Blüthen, kleine Blätter“, für ein Atlaskissen hervor. Die hübschen Mündchen der Stickerinnen stehen nicht einen Augenblick still; sie beweisen, daß sie noch einen anderen Zweck des Daseins besitzen als zu küssen: die jungen Schwesterchen Pine und Hanni, stolz, in die Geheimnisse der Großen gezogen zu sein, mengen ihre hellen Stimmen in das Plaudergewirr und machen sich überall nützlich, wo man ihrer bedarf. Wie der Ball unter den Genossinnen der Nausikaa fliegt das Gesprächsthema von einer zur andern; der Faden der Unterhaltung reißt nicht ab, und wenn diese einen Augenblick unterbrochen wird, so geschieht es durch gemeinsames silberhelles Lachen. Die Braut Dora giebt der Unterhaltung stets eine Wendung, daß sie ihren Bräutigam, den Premierlieutenant, citiren kann; ihre Schwester dreht Alles nach der musikalischen Seite und trällert fortwährend den Gasparonewalzer falsch. Olga von Bredow weiß vom Hofe und aus den höchsten Kreisen zu erzählen, und Trudchen schwärmt, seitdem Herr Bildhauer Clementz ihr die Kour macht, für Plastik und verfolgt sämmtliche Ausgrabungen mit hohem Interesse. Mariechen träumt vom letzten und nächsten Juristenball und läßt auch Referendaren Gerechtigkeit widerfahren, und die Tochter vom Hause erklärt ihren Freundinnen die Reize der Börse und das Studium der Kurszettels. Die Hängelampe verbreitet einen hellen Schein über Tisch, Arbeitskörbchen und Stickereien, und Alles fühlt sich sicher und gemüthlich, Lola, das Hauspintscherchen, nicht ausgenommen, welches sich behaglich unter einem Sessel gelagert hat.

Da öffnet sich die Thür und mit dem harmlosesten Gesichte der Welt erscheint der Onkel. Er bleibt erstaunt und scheinbar erschrocken an der Schwelle stehen, sich wegen seines Négligés entschuldigend: er hatte gänzlich vergessen, daß in dem Zimmer des Bruders Besuch war. Als er sich, mit dem Versprechen, nicht mehr stören zu wollen, zurückzog, hatte er ein Drittel der Arbeiten gesehen.

Kaum hatte sich die Gesellschaft ein wenig beruhigt, da öffnet sich noch einmal die Thür und wieder ist es der Onkel. Er hatte vergessen, weßwegen er gekommen war: der dritte Theil Ranke’s war es, den er sich aus der Bibliothek des Bruders holen wollte. Als er hinübertritt, um das Bnch vom Regal zu nehmen, hat er, obwohl die Damen ihre Arbeiten möglichst versteckt halten, ein zweites Drittel entdeckt. Als er gegangen, dämmert es den Damen auf, daß Onkel Eberhard hier wohl planvoll gehandelt und hinter ihre Geheimnisse kommen wolle. Alles ist empört, und man verriegelt lachend die Thür. Dieselbe sollte sich nur für Sophie öffnen, die etwas Thee und Gebäck bringen würde. Jetzt hört man ihre Schritte.

„Wer da?“

„Sophie,“ antwortet es, und Pine und Hanni eilen ihr entgegen, um zu öffnen und das Tablett abzunehmen. Aber kaum ist der Riegel zurückgezogen, so schiebt sich von Neuem ein Käppchen, ein Arm mit einer Pfeife und das lachende Gesicht des Onkels herein. Alles schaut auf, alle Arbeiten fliegen unter den Tisch in die Tasche: aber er hat schon das letzte Drittel entdeckt. Er wollte nur mittheilen, daß auch er in Weihnachtsvorbereitungen stecke und die Damen bitte, ihn nicht etwa ihrerseits zu stören.

„Rraus mit ihm!“ erschallt es jetzt von den Lippen der gebieterisch, wie eine beleidigte Diana sich erhebenden Helene, und „raus mit ihm“ wiederholen die Kleinen, indem sie versuchen, den Eindringling mit dem Thürflügel hinauszudrängen. Lachend weicht er der Gewalt: aber er ist nun sehr guter Stimmung und im Löwenbräu, das er unmittelbar darauf trotz seiner Kopfschmerzen noch aufsucht, prahlt er mit seinen Heldenthaten. Zehn Tage sind noch bis Weihnachten, und er nützt sie redlich aus, in all den Familien, in denen er ein gern gesehener Gast ist, die Mädchen zu necken, halbe Worte zu geben und den Empfängern ihre Geschenke unter dem Siegel der Verschwiegenheit andeutungsweise zu verrathen.

Und Ueberraschungen giebt es ja immer noch. So für den Papa, der seine Füße durchaus nicht in die neuen Pantoffel zwingen kann, für die Mama, die das neunzehnte Sofakissen erhält und gezwungen ist, sich des Geschenkes wegen ein Sofa anzukaufen, und für den Bräutigam, der sein Geld in der Westentasche zu tragen pflegt und sich nun an die Börse gewöhnen muß, deren Perlen ihm immer in der Hand bleiben. Aber was die Knospe für die Blume, was der Frühling für das Jahr, was die Probe einer Dilettantenaufführung für den Abend selbst: das sind die Vorarbeiten mit ihrem erwartungsvollen, gemüthlichen und geheimnißkrämerischen Charakter für das Weihnachtsfest.