Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Weihnacht
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber: Deutscher Jugendschatz Weihnachts-Buch
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: im Oktober 1880
Verlag: Wilhelm Fink
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[6]

Weihnacht.

Ihr kennt das Vöglein, farbig angeflogen,
Das durch der Tannen breit Geäste schlüpft,
An dessen Schnabel, übers Kreuz gebogen,
Sich eine lieblich-zarte Sage knüpft?

5
Dann wißt ihr auch, daß er im Winter brütet

Und nicht im Lenz, wie’s andrer Vögel Brauch,
Und daß er zärtlich seine Jungen hütet
Vor der Dezemberstürme eis’gem Hauch.

Was treibt ihn nur, die schönste Liebesfeier

10
In jener Zeit der Starre zu begeh’n,

Wenn nur des Rauchfrost’s duft’ge lose Schleier
Sein kleines Nest, sein kunstvoll Heim umweh’n?
Ihr steht und staunt und ― solltet doch nicht fragen.
Das Vöglein baut zur Weihnachtszeit sein Nest,

15
Und wir begeh‘n in diesen rauhen Tagen

Der Liebe schönes, weihevolles Fest.

Warum nicht dann, wenn froh die Lerchen steigen,
Die Schwingen badend in der Sonne Licht,
Wenn weit und breit aus leicht geschwellten Zweigen

20
Das junge Grün nach warmem Regen bricht?

Warum nicht dann, wenn lind die Saaten wogen,
Der Rosen Düfte uns in’s Freie bannt
Und siebenfarbig sich der Regenbogen
Von Berg zu Berg als Liebesbrücke spannt?

25
Das Vöglein ätzt geduldig seine Jungen

Und hüllt sie ein mit seinem weichen Flaum
Und weicht die Körnchen für die kleinen Zungen
Bedächtig auf und spürt die Kälte kaum.
Wir sind bewegt in unsrer Seele Gründen

30
Und sind auf Eins nur früh und spät bedacht:

Dem Kinderhäuflein wieder anzuzünden
Den Lichterbaum in kalter Winternacht.

Wir opfern lächelnd die gesparten Groschen
Für einen Kuß vom ros’gen Kindermund,

35
Und Herzen selbst, die still in sich verloschen,

Wird ungewohnte sanfte Regung kund.
Der Nadelduft vereint entzweite Gatten
Und uns’rer Feinde denken wir erweicht;
Erprobt es nur ― in eines Christbaums Schatten

40
Vergibt es sich, vergißt es sich so leicht!


In dieser Welt des Hasses und des Neides
Ein Fest der Liebe? Ist es nicht ein Traum?
Und doch der Quell, der sprudelnde, des Leides,
Er scheint verstopft, umduftet uns der Baum,

45
Ein Wunder ist’s wie jene Liebesfeier,

Wie Bau’n und Brüten zwischen Schnee und Eis.
Wer hebt der beiden schönen Wunder Schleier,
Und welchem Wunder geben wir den Preis?

     Rudolf Lavant.

Anmerkungen (Wikisource)

Der genannte Vogel im Gedicht ist der Fichtenkreuzschnabel.

Ebenfalls abgedruckt in:

  • Illustrirte Zeitung für Gabelsberger'sche Stenographen. 6. Jahrgang, 1883, Nr. 6, S. 84.
  • Königlich Sächsischer Ameisen-Kalender auf das Jahr 1887, hier mit dem Titel Weihnachten.