Textdaten
<<< >>>
Autor: Guido Hammer
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vorfrühling im Walde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 57–58
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 33
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[57]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 33. Vorfrühling im Walde.
Von Guido Hammer.


Brausende, von gepeitschten Regenströmen begleitete Thaustürme haben Schnee und Eis des Waldes schnell zerrinnen gemacht, und nur noch inmitten der hochangeschwollenen Teiche schwimmen, von schäumender Fluth überspült, die gewaltigen Reste

Ueberraschte Reiher.
Nach der Natur aufgenommen von Guido Hammer.

ihrer zersprengten winterlichen Decke umher, die nun, durch die Wucht des wachsenden Wassers vollends gedrückt, mit dumpfem Dröhnen in einzelne Trümmer zerschellen und dabei hoch aufbäumend ihre frischgebrochenen blinkenden Kanten auf Augenblicke dem Wogengegisch entheben, um gleich darauf klatschend in dasselbe zurückzustürzen. Dazu rauscht, ächzt und stöhnt und heult es durch den weiten Wald, während dieselbe hehre Naturstimme das dürre Uferschilf wie mit wimmernden Wehklagen durchzieht und über den aufgewühlten Gewässern ersterben läßt. Dann aber, wenn der wilde Orcan erschöpft die zerrissenen Wetterfetzen am düstern Himmel minder rasch vor sich herjagt und endlich gar mit seinem gehetzten Wolkenwilde nach fernem Norden entschwunden ist, folgt ihm sein anmuthiger Bruder, der linde Südwind, auf dem Fuße nach, und kosend, wie zum Trost für die ausgestandene Unbill, umweht und durchflüstert dieser nun die noch eben zerrütteten alten Föhren und das niedergebeugte schwanke Rohr mit leisem, beschwichtigendem Klingen. Unter solch mildem Hauche aber vergrollen denn auch bald die aufgeregten Wasser alle und beginnen sich zu glätten, bis sie nach vorübergegangenem leichtgekräuselten Wellenspiele endlich als vollkommen ruhige, tiefglänzende Flächen in ihrer schilfgesäumten Umrahmung liegen. Ueber Alles aber breitet sich ein wolkenloser blauer Himmel aus, der in den Blänken der so still gewordenen Waldteiche, wie in den Bächen und tausend Rinnsalen, die geschäftig über den [58] sattgetränkten Boden hinrieseln, und in jedem Handvoll Naß, dessen niedliches Becken etwa durch den Tritt eines Wildes oder sonstige Zufälligkeit entstanden ist, seinen irdischen Widerschein findet.

Und mögen nun auch noch bitterkalte Nächte folgen, welche die stehenden Gewässer wiederum in eisige Banden schlagen – der lichte, lebenerweckende Tag mit Sonne und schwellenden Winden befreit doch immer wieder rasch die gefesselten Fluthen unter eigener Nachhülfe wogenden Wellenschlages, und weithin ertönt es dann dabei in seltsam melodischem Schellern durch den Wald, wenn die leichte Krystalldecke auf schwankendem Untergrunde sich hebt und senkt, bis sie in tausend glitzernde Scherben bricht. In solcher Zeit aber kommen zumeist die ersten befiederten Vorboten des Lenzes, die Lerchen, Staare, Drosseln und die wilden Tauben, an, denen dann wohl auch bald das zierliche Bachstelzchen, der kleine liebe Herold der vom Jäger so heiß ersehnten Schnepfe, folgt. Aber auch der ganze Troß des Wasser- und Sumpfgeflügels, welches ja nun wieder offene Gewässer und frostfreie Bäche findet, kehrt heim, um von Neuem die alten liebgewonnenen Niststätten aufzusuchen, und unter ihnen zieht auch der vor Allen und von Allen freudig bewillkommnete Storch mit ein. Aber auch dessen minder gern gesehene Vettern, die mächtig beschwingten Fischräuber, die Reiher, durcheilen mit mißtönend grellem Schrei in Schaaren die Lüfte, dabei aus ihrer erhabenen Wolkenbahn nach fischreichen Revieren ausspähend. Und hat ein solcher Wanderzug dergleichen in’s Auge gefaßt, dann kreist er, erst lange, mächtige Spiralen im luftigen Gebiete beschreibend, hoch oben in lichter Sphäre, ehe sie, die Mißtrauischen, niedersteigen zu dem verheißenden Gestade. Ist’s aber endlich doch geschehen, so suchen die von weiter Reise Schwingenmüden und Hungrigen auch sofort nach Möglichkeit durch Beute sich zu letzen und zu stärken. Gesättigt bricht dann wohl ein Theil ihrer Sippe mit einbrechender Dunkelheit wieder auf, um ihren noch entfernteren Geburtsstätten zuzueilen, dort erst ihr bleibendes Asyl aufzuschlagen, während die, welche schon hier ihre trauten Stände wiedererkannten, sich sofort an Ort und Stelle heimisch einrichten.

Zu solcher Zeit sieht der Beobachter die vorsichtigen Patrone vorzugsweise gern ihre seit Jahren auserkorenen Warten, die höchsten Bäume am Wasser, betreten, von wo aus sie am Tage Lugaus, und auf denen sie Nachts ihre Ruhe zu halten pflegen, wenn sie die Bäume nicht überhaupt gleich auch zu festen Horstplätzen erwählten. Vom ätzenden Geschmeiß der gefräßigen Vögel wie weiß übertüncht und darum zumeist abgestorben kennzeichnen sich solche eingenommene Sitze schon auf große Entfernung hin.

Einen solchen Stamm erblicken wir hoch in die Luft hinein ragen auf weit in’s blaue Wasser vorgeschobener Landzunge, die an ihren Rändern mit goldruthigen Weiden und silberschäftigen Birken gesäumt ist und deren jetzt noch laubloses Gezweig wie ein metallschimmerndes Netzwerk vom Hintergrunde, einem dunkeln Nadelholzbestande, sich abhebt. Eine alte übergehaltene Föhre ist’s, die der beschwingten Corsarenschaar hier bequem Umschau gestattet. Und eben haben sich, mit mächtigem Flügelschlage vom jenseitigen Ufer her über das Wasser kommend, fünf der gefiederten Räuber in die astgezackte Krone ihres Standbaumes geschwungen und spähen nun mit schärfstem Auge nach ihrem beutereichen Wassergebiete nieder – da dröhnt von der Waldseite her ein Schuß, und hastigen Schwingenschlages sieht man die eben erst Aufgetretenen von ihrer luftigen Zinne aus nach allen Richtungen hin auseinanderstieben. Doch den einen der Ueberraschten hat offenbar das tödtliche Blei erreicht, denn nicht nur, daß im Bereich seiner Flugbahn lose Federn umherwirbeln, sondern der Getroffene versucht auch die sichtbar gelähmte Flügelkraft durch Auswerfen von Ballast – noch unverdautem Fischraube – zu unterstützen, aber umsonst! Nieder reißt es den Schwerverwundeten, so sehr er auch mit den machtlos gewordenen Schwingen dagegen anstrebt; sie haben keine Gewalt mehr, den Sinkenden zu tragen. Und schon hat er in mehrmaligem Ueberschlagen die Wipfel des jungen Kieferwaldes berührt, dabei noch immer die breiten Fittige auf- und niederschlagend, als er rauschend durch das starre Nadelgezweig streift, dabei manchen dürren Zweig mit niederbrechend, bis er nicht weit vom Fuße seines letzten hochragenden Standes mit ausgebreiteten Fittigen zu Boden stürzt und hier alsbald verendet. Doch sind des Opfers letzte Augenblicke, in denen das hellleuchtende, fast schlangenhafte Auge des Vogels durchaus nichts an Schärfe und Feuer verloren hat, noch der Rache geweiht; denn wie sein arglister Feind, der Jäger, an ihn herantritt und sich niederbeugt, den Gefällten an den Ständern zu erfassen, da flammt noch einmal ein letzter Lebensfunke in dem Sterbenden auf, und mit Pfeilgeschwindigkeit schnellt dieser die spitze Schnabellanze empor, das Auge seines überlegenen Gegners damit zu durchbohren. Doch zum Glück für diesen ist der Wurf nicht mehr in lebensgewohnter Sicherheit gelungen, nur dessen Stirn hat der immerhin scharf gezielte Stoß gestreift.

Hoch über dem Boden aber, in duftig-blauer Region, zu welcher auch er sich im Leben so oft emporgeschwungen, kreisen jetzt in weitgezogenen Ringen seine vier unversehrt gebliebenen Genossen, sich mit jedem Augenblicke höher und höher schwingend, bis sie dem Auge fast entschwinden. Und von so unnahbarer Ferne aus beobachten die Bedrohten jetzt sorgsam das Treiben des am Wasser hinschreitenden beutesüchtigen Menschen. Und nur erst, wenn der Abend einbricht, schweben die so arg Geschreckten aus noch immer lichter Himmelsbläue hernieder zur bereits nächtig verschleierten Tiefe an die schwadenumwogten Weiher, hier ihre diesmalige Schlafstelle vorsichtig hinter dichtem Geröhricht wählend, über das bald darauf der aus dunstiger Atmosphäre niederscheinende Mond sein Silberlicht ergießt, bleich und die über die weiten Moore hinziehenden Nebelstreifen wie huschende Gespenster erscheinen lassend.