Textdaten
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Autor: E. v. Wald-Zedtwitz = Ewald von Zedtwitz
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Titel: Vor Metz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 657–659
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[657]

Vor Metz.

Eine Kriegserinnerung an den 16. August 1870.
Von E. v. Wald-Zedtwitz.

Wie hieß es doch, das alte Château? – – Château – Mon – Monte – Montagnard! Richtig!

Es sah aus wie ein Mausoleum im großen Stile. Graue, düstere Mauern, darin Fensterchen, schmal und winzig und in so geringer Zahl, daß man nach ihnen suchen mußte. Vier spitze, altmodische Giebel sahen nach allen vier Richtungen der Windrose aus, hinter ihnen strebte das Dach zusammen, von einem ehemals wohl vergoldeten, jetzt aber rostbraunen, im Verhältniß zu dem Ganzen viel zu großen Kreuze gekrönt.

Unheimlich – und dennoch das freudig ersehnte und jubelnd begrüßte Ziel meiner Kompagnie sowie ihrer Officiere und ihres Führers. Ein „höllischer“ – ein Kriegsmarsch im wahren Sinne des Wortes war’s gewesen. Heute Morgen noch einige Meilen hinter dem Schlachtfelde des 14. August, dann quer über das Leichenfeld hinüber – ein unerfreulicher Weg, um eine Stunde von Novéant diesseit der Mosel in Château Montagnard Alarmquartiere zu beziehen, denn das alte Raubnest lag mitten in dem eisernen Ringe, welcher sich nach und nach um den Riesenleib der Jungfrau Metz schmieden sollte.

Alarmquartiere! Also nach vierzehn Tagen wieder einmal eine Decke über den Kopf, Dielen unter den Füßen und – wenn’s Glück gut ist – eine Matratze oder ein ehemaliges Luxussofa, auf dem sich die ermüdeten Glieder strecken können.

Was das bedeutet, wenn man vierzehn Tage nur den griesgrämigen Regenhimmel, dem am Tage die Sonne, in der Nacht Mond und Sterne den Dienst versagten, über sich, einen sumpfigen Wiesengrund oder den Sturzacker unter sich spürte, wo selbst dem Anspruchsvollsten eine Schütte Stroh als ein kostbares Geschenk erschien!

„Château – feudaler Sitz – Haushofmeister – seidene Strümpfe und Schnallenschuhe – geflüchtete Marquise – Weinkeller – uralter Bordeaux – Veuve Cliquot – Küchenjunge – Bratenspieß – – das Wasser läuft mir schon im Munde zusammen – Poularde de BrestDindon aux truffes etc.“ – deklamirte der Premierlieutenant meiner Kompagnie, Maximilian von Westenberg.

Je näher wir dem alten Bau kamen, desto unwahrscheinlicher wurde es, daß er die Heimstätte der angenehmen Begriffe war, welche diese Worte bezeichneten.

„Rattennest – Burgverließ – hu – Gespenster – Knochengerüst – Särge – trockenes Brot und Wasser – Hunger – Durst –!“ deklamirte von Westenberg wieder.

„Schadet nicht, doch wenigstens ein Obdach!“ Damit suchte ich mich selbst und ihn zu trösten.

Von allen Seiten Soldatenströme. Metz zog, was kampfgerüstet war, magnetisch an, Château Montagnard schien ein Brennpunkt zu sein, ein Zankapfel war es jedenfalls. Der dicke Rittmeister der württembergischen Ulanen wenigstens versuchte es mir so energisch streitig zu machen, daß ich endlich die Hilfe meines Brigadekommandeurs in Anspruch nehmen mußte. Der arme, wohlbeleibte Württemberger! – Mutter Grün bot ihm und den Seinigen auch heute wieder Nachtquartier.

Westenberg hatte leider mit seinen letzten Stichworten das Richtige getroffen: alte, verwetterte Räume, dumpfe, eingeschlossene Luft, kaum trockenes Brot, Dindon aux truffes ein mehr als kühnes Phantasiegebilde – und statt des Haushofmeisters in Escarpins und Schnallenschuhen eine alte, griesgrämige, schlumpige Hexe als Cerberus dieses reizlosen Heims.

Meine Kompagnie ist in den zerfallenen Ställen und im sogenannten Ahnensaal untergebracht, obgleich auch nicht ein einziges Bild des Rittergeschlechts Montagnard diese Bezeichnung rechtfertigt – wahrscheinlich sind die alten Gemälde irgendwo versteckt oder die Ratten haben sie aufgefressen.

Ich liege auf einem zerschlissenen, mit großblumigem Seidenstoffe überzogenen Staatssofa in einem Zimmer des unteren Stockes. Neben mir auf einer zerflederten Matratze Premierlieutenant von Westenberg; in einer eisernen Bettstelle der Lieutenant Mackowski, ein geborner – wie wir seiner Sprache wegen scherzten, „gebrochener“ – Pole, und Fähnrich von Ucker balancirt auf einem dreibeinigen Rokokostuhl, der in besseren Tagen vier Füße und reiche Vergoldung aufzuweisen hatte.

Trotz der vorgerückten Jahreszeit haben wir uns im Kamin ein Feuer angezündet – dennoch ist uns zu Muthe, als säßen wir im Keller. Dem Fähnrich ist das Amt des Koches zugefallen, er ist für den Punsch verantwortlich, der im Feldkessel seine ersten Wallungen versucht.

„Fertig, Fähnrich? – Kosten!“

„Hm – da fehlt noch Gewürz, Citrone – und Gott weiß was.“

„Wahrscheinlich Alles! Haha –!“

„Ich werde doch einmal eine Rekognoscirungspatrouille übernehmen, ob nicht – für Geld und gute Worte –“

Er ist schon hinausgegangen – – und richtig, nach kurzer Zeit kehrt er nicht allein mit den kostbaren Gewürzen zurück, sondern hinter ihm erscheint, im höchsten Diskante lachend, die alte Schloßwardeinin, zwei bestaubte Flaschen unter dem Arme. Er selbst brüllt vor Lachen.

„Das Donnerwetter, Fähnrich, wie haben Sie denn das angefangen?“

„Rathet, Messieurs, rathet und bewundert meinen Opfermuth – haha!“ entgegnet der Junker.

„Hihihi!“ kichert dabei die Alte.

„Das ist unbezahlbarer Kognak! Für Geld ist er zum zweiten Male nicht in ganz Frankreich zu haben – hahaha!“

„Hihihi –“ hört man immer noch die Alte, und dabei laufen ihr die Thränen über das faltige Gesicht. Wie ein Raubvogel sieht sie aus.

„Nun für was denn, Junker?“

„Für – für – haha – für einen Kuß!“

„Einen Kuß!? – Mensch, Sie sind des Deibels! Sie – haben – – – der alten – Kartaune da –!?“

„Für einen Kognak von Anno 1847 – natürlich – das Leben gäbe ich darum!“ ruft vergnügt der Fähnrich. „Die alte Hexe wollte ja nun einmal durchaus einen Kuß von einem preußischen Junker haben.“

Wir hörten noch immer das schrille Lachen der Frau, doch nach und nach ging dasselbe in ein Schluchzen über, und endlich weinte sie laut auf. Der Eindruck war eigenthümlich, wir schwiegen und sahen uns betroffen an.

„Na, Alte, lag Euch denn gerade an einem Kuß von einem preußischen Junker?“

Sie nickte und weinte nun still vor sich hin.

„Aber warum mußte es denn gerade ein Junker sein?“

Sie wurde still, starrte ins Feuer, und als ich mir das jetzt durch den Widerschein der Flammen lebhafter gefärbte Gesicht näher ansah, bemerkte ich erst, daß ihre Züge noch immer edle Linien zeigten und daß sie in der Jugend gewiß schön gewesen war. Ihr eingefallener Busen kämpfte, tiefe Bewegung zuckte über ihr Gesicht.

„Das sind so Erinnerungen, so alte –“ Sie wandte sich beschämt ab. „Von damals noch, Messieurs, als die Preußen schon einmal zu uns kamen –“

„Aha – als wir Napoleon dem Ersten die Hosen klopften.“

Sie nickte. „Hm – ja – bon soir, messieurs!“

„Halt – hier geblieben! War damals Château Montagnard eben so gastlich wie heute?“

„Fast eben so.“

„Nur Ihr wart jünger – haha?“

„Freilich – freilich!“

„Da hattet Ihr auch preußische Einquartierung?“

„Hm – hm –“

„Und einen Junker? Ich merke – ja, ja, das sind Teufelsbengel! Saßen unsere Kameraden von damals auch so wie wir ums Feuer? Brachten Sie ihnen auch alten Kognak? Nun, so erzählt doch, Mutter! Was machtet Ihr denn? Wie war’s denn? – Raus mit der Sprache! – Wie heißt Ihr denn?“

„Nanette, mein Herr.“

„Nun also, wie war’s?“

[658] Nanette legte ein Scheit Eichenholz auf, sah nach dem Punsch und kauerte sich neben den Kamin.

„Hm – das war so wie heute, nur vergnügter, sie sangen, tranken, und endlich schleppten sie mich herein – wir tanzten –“

„Kam da der Kuß?“

Sie beantwortete meine Frage nicht.

„Und endlich mußte ich ihnen prophezeien.“

„Hurrah, Nanette! Wollen Sie noch einen Kuß?! – Hier meine Hand! Los – was ist da zu lesen?“ rief der Fähnrich, sprang auf und hielt ihr seine Rechte entgegen. Sie stieß sie zurück.

„Die nicht? Die Linke? Wie? Ihr wollt nicht? Nein? Doch – doch – ich bin nicht abergläubisch!“

„Nein, ich will nicht!“

„Habt Ihr dem Junker damals auch nicht wahrgesagt?“

„Doch – doch!“

„Nun – und –?“

Sie hielt sich die Ohren zu. Der Fähnrich wurde immer eifriger, riß ihr die Hände herunter. „Ich will’s aber wissen! Was habt Ihr ihm gesagt?“

Nanette sprang auf, wollte hinausgehen, aber er hielt sie am Rocke fest.

„Halt – hier geblieben! Was wurde aus dem Fähnrich?“

Sie versuchte sich loszureißen.

„Wurde er verwundet?“

„Nein!“

„Nun also – was hat’s denn für Gefahr?“ riefen wir Alle wie aus Einem Munde.

Nanette war verschwunden; wir hörten, wie sie die steinerne Treppe hinaufschlurfte und sich einschloß. Der Fähnrich wollte ihr nachlaufen. Doch plötzlich sprang Lieutenant Mackowski von seiner Bettstelle, ergriff Ucker’s Hand, sah hinein und rief lachend, seinen polnischen Dialekt absichtlich verstärkend:

„Bruder meiniges, frei Dich, wirst liegen morgen noch mit mir in Grab Deiniges!“

Der Fähnrich zuckte zusammen, entfärbte sich; dann lachte er gezwungen auf, hob das gefüllte Glas gegen ihn – und – „Prost Bruder – Grab Deiniges!“ – kam gepreßt über seine Lippen. – Das war unbehaglich. Am Vorabend eines Tages, der nach menschlicher Berechnung mit Pulver und Blei gefeiert wird, erweckt das auch bei nervenstarken Menschen ein Gruseln.

„Ach, Unsinn, Kinder!“ rief ich. „Laßt solche Thorheiten! Fähnrich, das Donnerwetter, passen Sie auf Ihren Dienst – der Punsch kocht über, schade um jeden Tropfen!“

Ucker beugte sich zu dem Feldkessel nieder, zog ihn vom Feuer, und ich hätte mich sehr irren müssen, wenn seine Hand dabei nicht zitterte.

Das Gebräu war herrlich, aber die alte Behaglichkeit wollte nicht wieder kommen, trotzdem ein weißhaariger Knecht hereinhumpelte und uns ein für die sonstigen Verhältnisse von Château Montagnard wahrhaft kostbares Abendessen brachte. Sprachen wir’s auch nicht aus, so waren wir Alle recht ärgerlich auf Nanette, mehr aber noch auf Lieutenant Mackowski. Es lag so etwas Beängstigendes in der Luft.

*               *
*

Der 16. brach an. Der Himmel ein Flammenmeer, von seinem Purpurüberfluß fluthete ein Theil durch das Fensterchen in unser Zimmer und beleuchtete das jugendlich mädchenhafte Gesicht des Junkers, welcher, den Tornister unter den Kopf geschoben, die Hände über der Brust gefaltet, auf platter Erde dicht am Kamin eingeschlafen war.

Ich sah ihn lange an. „Bruder meiniges“ – drängte sich mir unwillkürlich auf die Lippen. Der Anblick dieses jungen, unschuldigen Blutes that mir weh. Mackowski schlief auch noch. Sein Gesicht lag im Schatten. Es sah bleich aus, die Züge lang, scharf – dazu schlossen die Augenlider nicht ganz auf einander, ein schmaler, weißer Strich schimmerte durch die Wimpern.

Unheimlich – man hätte ihn für eine Leiche halten können.

„Aufstehen, meine Herren – an die Gewehre!“ rief ich, und die Schläfer reckten sich. Jetzt sprangen sie auf. Die Burschen kamen, um ihre Herren zu bedienen. Nur der Fähnrich lag noch auf dem Boden und stützte seinen Kopf schwer in die rechte Hand.

„Nun, Junker, wird’s bald!? Sie träumen wohl noch?“

„Ich? – Ja – nein – ich dachte nur –“

Er schoß in die Höhe, ging hinaus und war der Einzige, welcher die alte Nanette noch vor dem Ausmarsche sah. Am Fenster des südlichen Giebels hatte sie gestanden und ihm zugenickt.

Die magnetische Kraft der Riesenfeste wächst mehr und mehr. Armeen ziehen Armeen an. – Knack – knack – knackknackknack –. Niemand hört darauf; diese Vorpostenplänkelei, in den meisten Fällen eine kindische, alberne Spielerei, welche man einmal den Leuten nicht austreiben kann, ist man gewohnt.

Bum – bum – zschzschzschzsch – ketschbumbum – das wird schon ernster. Das war ein Gruß aus einem zarten Mündchen, das eiserne Zuckerhüte speit – Ein zweiter und ein dritter – nun Alles still. – Rummm – krrrrrr – krrrrrr – knattern dann die ersten Salven.

Ich lasse laden.

„Heute gilt’s, Jungens!“

„Hurrah – hurrah!“ ertönt’s aus den Reihen meiner Kompagnie.

„Bst – still, Leute – ich weiß, daß Ihr Kourage im Leibe habt.“

Nur der Fähnrich, sonst der lustigste, der kriegsbegeistertste von Allen, schweigt. Eine ihm bis dahin fremde Hast treibt ihn vorwärts, so daß er im Marsche oft über seine Rotte hinauskommt, dann stehen bleiben muß, um sich wieder aufnehmen zu lassen. Seine großen, blauen Augen glänzen stahlfarben, ein Flimmern tanzt darin; zwei Purpurrosen erglühen auf seinen Wangen.

Mackowski marschirt mit eiserner Ruhe dahin. Sein Gesicht ist bleich wie immer und in seinen scharfen Zügen liegt grauer Wegestaub.

Die Mosel ist erreicht. Kein Laut von drüben. Stille vor dem Sturm – drückende Gewitterschwüle! Ein Schlag wie der stärkste Donner! Metz brüllt aus Kanonenschlünden, das Signal zum tollen Reigen ist gegeben. Hei, wie die Furien des Krieges tanzen! Der Himmel glüht, es brennen Dörfer, schwere, qualmige Wolken dämpfen den Flammenschein, weißbläulicher Dampf, als wenn der Fuchs auf feuchten Wiesen braute, folgt schleierhaft dem leichten Zuge des Windes. Dazu lacht die Sonne vergnügt über das ganze alte Gesicht.

Nicht der Fuchs sitzt heute am Kessel, der Knochenmann mit blanker Sense mäht – mäht – mäht immer toller. Die Luft erzittert vom Gebrüll der Eisenschlünde.

„Die Fahne los! Berittene Officiere vom Pferde steigen!“

Es ist geschehen; das Banner bläht sich und zeigt uns den Weg zur Ehre. Die Kettenbrücke bei Novéant ist überschritten; Gorze, das friedlich kleine Städtchen, liegt hinter uns.

„Gehorsamer Diener –“ lacht Lieutenant von Westenberg. Die ganze Kompagnie, ich mit, macht der ersten Granate, welche über unsere Köpfe hinwegfliegt, die schuldige Antrittsverbeugung.

Wir klettern in Weinbergen empor wie Ziegen. Brrrr – kaak – kaak – brrrrr. Schade, zwei Edelfasanen gehen hoch, da laufen die Jungen in der Furche entlang – bum, bum – zschzsch – kerrrr – rummm – puh – paff – Kanonen, Mitrailleusen, Gewehre und Pistolen – Signale – und – pink, pink, pink – dazwischen ein Finkenhahn im leisen Liebeslocken – und nun – „O mein Gott – mein Weib – mein Kind – – oh – oh – oh –“ der erste Todesseufzer dicht neben mir.

Grausiges, furchtbares, welterschütterndes Koncert, wenn Völker in Stahl und Eisen mit einander singen!

Nun wirbelt Staub, nun fegt der Eisenhagel um uns – nun – hei – halloh – juchheisa! – nun sind wir auf dem richtigen Tanzplatz angelangt; nun heißt’s, die Beine heben und die Köpfe behalten. Ha, wie das wirbelt, und wie sie stürzen, meine lieben, lieben Jungen! Kein Stöhnen, kein Seufzer wird gehört, die Schlachtenmelodien übertönen die Menschenlaute.

„Heda, Mackowski, links schwärmen – gegen das Häuschen dort!“

Maison des rats – heißt das verfluchte Ding – da spuckt der Franzmann Eisen.

„Nehmen – koste, was es kostet!“

„Zu Befehl, Herr –“

Mackowski salutirt mit dem Degen, überschlägt sich wie ein im vollen Laufe geschossenes Wild – und ist todt. – Die Kugel sitzt ihm im Herzen. – Der Fähnrich sieht es – und stößt einen leisen Schrei aus.

[659] „Vorwärts! – Fähnrich, übernehmen Sie den Zug des Lieutenants Mackowski!“

„Zu Befehl –“ Fort ist er. Die erste natürliche Bangigkeit ist überwunden; der junge Löwe ist in ihm erwacht, unaufhaltsam stürmt er an der Spitze seines Zuges voran.

Nun geht’s Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Kolben fluscht – das kostet Schädel. Der Revolver tritt in seine Rechte; das Ding ist Leib an Leib leichter zu hantiren als ein großes Zündnadelgewehr. Essenkehrer – Neger fechten mit einander; Staub, Pulverdampf, Schweiß, Blut und Sonnenbrand geben der Haut eine wunderbare Farbe.

Um mich wird’s dunkel; ich fühle da eben etwas wie einen Flohstich am linken Bein, einen Schmerz über dem rechten Ohr – und – da lieg’ ich. Nun Alles still – dunkel – mein Gedächtniß, mein Gefühl ist verflogen.

*               *
*

Ich schlage die Augen auf. Die Schlacht hat ausgetobt – welche wunderbare Ruhe! Nur hier und da der lange, lange Klageseufzer eines Sterbenden – das schmerzerfüllte Wiehern eines blessirten Pferdes – und ab und zu noch der Schuß aus einem Gewehr, welches entladen werden sollte, der Bequemlichkeit wegen aber abgeschossen wurde.

Um mich Nacht – die Sterne leuchten. – Brennender Durst, schmerzende Glieder. Regungslose Körper mit starren, gläsernen Augen – Todte meiner Kompagnie dicht neben mir zu Wällen geschichtet. Ja, ja, heiß ist’s hergegangen. Mich fröstelt.

Einer regt sich, sieht mich an.

„Ach – Sie leben, Herr Hauptmann – Sie leben –“

„Gott sei’s gedankt! Nun, und wie steht’s um die Unsern?“

„Gewonnen!“ jubelt der leicht verwundete Soldat.

In diesem Augenblicke nahen dunkle, schattenhafte Gestalten. Sie kommen näher.

„Er lebt!“ – „Woher soll er denn leben?“ – „Er ist todt!“ – „Aber er hat keine Wunde!“ – „Ich begrabe ihn nicht.“ – „Laßt ihn ruhig liegen!“ höre ich abwechselnd Stimmen sprechen.

Der Soldat springt auf. „Sie bringen unsern Fähnrich!“ ruft er mir zu.

Es war der Fähnrich – kalt und starr, das Auge gebrochen; von einer Wunde war nichts zu entdecken.

„Legt ihn zu mir!“ befahl ich meinen Leuten.

Sie thun es und so liegen wir während der ganzen Nacht in schweigender Gesellschaft. Niemand kommt, um mich auf den Verbandplatz, geschweige denn unter ein schützendes Dach zu tragen. Wo Tausende Hilfe begehren, können Hunderte nicht helfen.

Der Morgen erglüht und übergießt das lächelnde Gesicht des Junkers gerade so schön wie der gestrige. Doch heute schläft er, um nie mehr zu erwachen.

Ein Arzt erscheint.

„Hm – keine Wunde – hm – ein Herzschlag!“

Zehn Schritte von mir entfernt hat Lieutenant von Mackowski gelegen; er ruht schon mit zwölf anderen Kameraden in einem Grabe. Ein Platz neben ihm ist noch frei – und dahin betten sie den Fähnrich.

„Bruder meiniges –“. Fieberfrost schüttelt mich – der Blutverlust, die Erregung – ich werde ohnmächtig. Zwölf Stunden später erwache ich auf einem Strohlager am Kamin in Château Montagnard.

Nanette kniet neben mir. „Der Fähnrich ist unverwundet gestorben,“ flüstere ich ihr zu. Sie spricht nicht, sieht mich nur tief traurig an.

„Ich wußte es,“ kann ich aus ihren Augen lesen, „gerade so wie mein – – –.“ Sie schluchzt laut auf. – – –