Die Aebtissin von Frauenchiemsee
Die Aebtissin von Frauenchiemsee.
Inmitten der weiten Chiemseefläche, durch breiten Wasserspiegel geschieden von dem Hochgebirg und dem zu seinen Füßen dahinbrausenden Reiseverkehr, liegt wie ein Eiland des Friedens das stille Frauenwörth. Alte Lindenbäume überschatten die Klostermauern; einfache Fischerhäuser liegen darum her in Obstgärten zerstreut; Morgens und Abends schallt das Glöcklein über die Wasser hin und ruft die frommen Frauen zur Matutina und Hora, wie es vor länger als tausend Jahren ihre Vorgängerinnen gerufen hat. Wer in der Stille einer schönen Sommerfrühe von dem treibenden Kahn aus dort Umschau hält, der kann leicht seine Gedanken zurückfliegen lassen in die Zeit, da Herzog Tassilo das Kloster gründete – viel anders als heute kann die Umgebung nicht ausgesehen haben. Die Wälder am Ufer sind allerdings zurückgewichen, aber im alten Glanz schimmern die Schneehäupter der Alpen, leuchtet der Seespiegel unter den blühenden Obstbäumen; am Gestade liegen die Einbäume, in denen schon der Pfahlbauer fuhr, und das Münsterportal zeigt die uralt-romanischen Säulen, die auf fratzenhaften Löwenköpfen ruhen, Zeugen der ersten deutschen Kaiserzeiten. Die Kirche freilich und das Kloster sind nicht mehr die alten, mehrfacher Brand hat sie in Asche gelegt, und im Laufe seines tausendjährigen Bestandes sah das Kloster neben guten und friedlichen auch viel wilde und [655] böse Zeiten. Von den Hunnenstürmen an bis zum Dreißigjährigen Krieg und darüber hinaus mußten die frommen Frauen vielmals in Todesangst um das Schicksal ihrer Insel sorgen, wenn drüben am Ufer die feindlichen Haufen sichtbar wurden.
Es that also oft genug Noth, daß die Aebtissinnen von Frauenwörth ein entschlossenes Herz und einen festen Muth hatten, und in der That fehlte ihnen Beides nicht. Von Irmengard an, der Tochter Ludwig’s des Deutschen, die wegen strenger Heiligkeit berühmt war und auch dem Kloster ihre königliche Krone hinterließ als Schmuck der Aebtissin bei feierlichen Gelegenheiten, beginnt eine lange Reihe frommer und pflichteifriger Frauen, die in bewegten Zeiten der anvertrauten Herde zum Schutz und ihren Unterthanen zum großen Segen gereichten, denn sie wehrten sich selbst und schützten ihre Unterthanen herzhaft gegen die Raubgelüste der adeligen Herren rings um den See, ja sie widerstanden sogar mit Erfolg den Bischöfen von Salzburg, die stets ein begehrliches Auge auf das Stift und sein reiches Eigenthum gerichtet hielten.
Das Kloster stand im 13. Jahrhundert schon in hoher Blüthe und konnte Etwas an die Verschönerung seiner Kirche durch Steinmetzarbeit und Altartafeln wenden. Seine liegenden Gründe reichten weit nach Tirol und Salzburg hinein, und als 1467 die Aebtissin Magdalena Auer einen Tag ausschrieb zur Ordnung der Lehensverhältnisse, da erschienen über hundert Lehensträger, darunter Herzog Sigismund von Oesterreich, und brachten reiche Geschenke.
Ihre Nachfolgerin, Frau Ursula Pfäffinger, sah schlimmere Zeiten. Der Landshuter Erbfolgekrieg tobte nach Herzog Georg des Reichen Tod (1503) im Lande und die Fraueninsel mußte auf unliebsamen Besuch gefaßt sein. Da ließ die entschlossene Aebtissin ihr Kloster mit Palissaden und Thoren befestigen und stellte unter Anleitung ihres Vetters, Herrn Hansen Herzheimer’s, der den frommen Frauen ein rechter Trost gewesen sein mag, neun Stück Geschütze auf. Freilich wurde bei dieser Maßregel wohl in erster Linie der moralische Eindruck in Betracht gezogen, denn jene „Stücke“ fügten einem Feindesheer noch keinen großen Schaden zu. Aber die gehoffte Wirkung blieb nicht aus: es geschah kein Angriff und der Klosterfriede wurde nicht gestört.
Viel schwerere Zeiten hatte das Kloster während des Dreißigjährigen Krieges durchzumachen: unerschwingliche Steuern wurden ausgeschrieben, im Jahre 1623 forderte der Kurfürst Maximilian von Frauenchiemsee allein 5000 Gulden. Da die Aebtissin so viel bares Geld nicht aufzubringen vermochte, so sandte sie schweren Herzens das gesammte Klostersilber als Unterpfand nach München. Es folgten nun, wenn der Krieg auch nicht unmittelbar im Lande tobte, entsetzliche Jahre voll Noth und Mißwachs, harte Winter und kalte Regensommer, das Kloster mußte überall helfend eintreten, seinen Unterthanen Zins und Kornlieferung erlassen und Scharen von armen Flüchtlingen, die keinen Unterhalt mehr hatten, aufnehmen. Die edeldenkende Aebtissin Magdalena Haidbucher jammerte nicht über die Last und die großen Unkosten, sondern über das Elend ihrer Leute. „Unser lieber Herrgott gäb Gnad, damit die armen Unterthanen wieder zu Haus khomben mögen!“ schrieb sie 1634 in das Tagebuch, welches sie vom Anfang ihrer Regierung bis zum Ende treulich führte.
Besonders furchtbar für Südbayern und den Chiemgau wurde das gräuliche letzte Drittel des Krieges, wo mit dem Verschwinden der großen Feldherren Gustav Adolph, Wallenstein, Bernhard von Weimar auch die großen Ziele verschwanden und der gemeine Raub- und Plünderungskrieg Deutschland verwüstete. Wiederholt mußte das Kloster die feindliche Invasion erwarten, die Zahl der Flüchtlinge, die hilflos und verzweifelt ankamen, wuchs, denn auch die bayerischen und österreichischen Truppen, welche den Schweden den Uebergang über den Inn wehren sollten, hausten nicht weniger bestialisch als der Feind. Kein Pferd, kein Rindvieh mehr war in der Umgegend zu finden, die Bauernhöfe waren ausgebrannt; die Bewohner lagen erschossen am Wege. Unter solchen Umständen gehörte wohl außergewöhnlicher Muth und unverzagtes Gottvertrauen dazu, um an der Spitze der geängsteten Frauenschar festzustehen und allen Wechselfällen die Stirn zu bieten, wie die Aebtissin Magdalena that.
Es kamen die letzten, schlimmsten Kriegsjahre, wo die Schweden noch einmal mit Hochdruck auf die Innlinie stürmten und Kurfürst Maximilian mit Verzweiflung sah, daß dieser Krieg, den er fanatisch hatte anschüren helfen – wie er ihn auch als einziger der Fürsten ganz erlebte und überlebte – ihm sein Land zur ausgebrannten Wüste machte. Er mußte vor den andringenden Schweden nach der österreichischen Grenze flüchten, alle Städte auf ihrem Wege, außer München, wurden mit Mord und Brand verheert.
„Unmöglich,“ sagt Frau Magdalena, „ist es zu beschreiben, welches Elend unter den Menschen gewesen. Viele hielten sich in den Wäldern auf, nicht wissend, von was sie leben sollten, also daß die Leidt nit anders ausgesehen, denn wie die wilden, als wär’ die Haut über ein Bein gezogen, ganz schwarz und gelb.“
Die Flucht riß Alles mit fort, jeder feste Platz wurde um Aufnahme bestürmt und eine wahre Springfluth von geistlichen und fürstlichen Gästen ergoß sich über die Fraueninsel. Die Aebtissin nahm Alle auf, ungeachtet ihrer eigenen schweren Sorgen, war Allen zu Rath und Trost und bewies in dieser Zeit, daß die frommen Liebeswerke einer edeln Frau die Kriegsthaten der Feldherren in Schatten stellen können.
Als nun im Juni 1648 die Kunde kam, die Schweden lägen vor Wasserburg, als man ihr schweres Geschütz Tag und Nacht auf der Insel donnern hörte, da ergriff große Verzagtheit alle Gemüther. Nun schien Alles verloren und das Ende des Bayernlandes gekommen. Niemand zweifelte einen Augenblick, daß der Feind den Inn überschreiten werde. Die Mönche der nahen Klöster Herrenchiemsee und Baumburg flohen, dringlich stellte man Frau Magdalenen vor, ein Gleiches zu thun und die ihr Anvertrauten in Sicherheit zu bringen. Sie aber verlor keinen Augenblick den hohen Muth, der sie bis dahin beseelt, und erwiederte Allen, sie verlasse sich fest auf den Schutz Gottes, der bis dahin das Kloster gnadenvoll behütet habe. Ihrer Pflicht bis zum Aeußersten kam sie nach, indem sie die ängstlichsten Schwestern nach dem Salzburgischen flüchtete und gut unterbrachte, sie selbst aber harrte dann mit sieben anderen muthigen Frauen in dem verlassenen Kloster aus, vor dem Hochaltar den Allmächtigen und die Himmelskönigin um Trost und Beistand anrufend.
Und die Gefahr ging vorüber; die Schweden zogen ab, das Kloster blieb verschont, als habe der Himmel beschlossen, durch ein sichtbares Wunder die Standhaftigkeit der Aebtissin zu belohnen. So deutete wohl die Volksphantasie die merkwürdige Thatsache, so stand sie jedenfalls vor dem schaffenden Geiste des Künstlers, der in einem bedeutsamen Bild den ganzen Jammer der Zeit, die ganze siegreiche Hoheit der Aebtissin Magdalena zusammenfassen wollte und deßhalb den sagenhaften Auftritt am Münsterportal malte.
Es ist ein schönes Vorrecht der Kunst, dasjenige mit einem lieblichen Symbol umkleiden zu dürfen, was die Geschichte in trockenen Worten berichtet, und alle großen Künstler haben davon Gebrauch gemacht. Auch Piloty liebte es, den spröden Stoff in freier Um- und Nachdichtung künstlerisch bildsam zu gestalten und dort die dichterische Phantasie walten zu lassen, wo der historische Bericht schweigt. Die historische Wahrheit im höheren Sinn hat er deßhalb doch für sich: so wie uns hier die Aebtissin an der Spitze ihrer Frauen entgegentritt, die beutelustigen Schweden mit einer hoheitvollen Bewegung aus der Nähe der Gottesmutter wegscheuchend, daß sie, von Ehrfurcht ergriffen, zurückweichen und die beabsichtigte Plünderung nicht zu vollziehen wagen: so steht sie in der That auf dem Hintergrund ihrer stürmischen Zeit, eine starke, fromme und heilige Frau, die treu und unverzagt ihres anvertrauten Amtes waltete.
Sie erlebte noch den Klang der Friedensglocken, die über
das arme Deutsche Reich hintönten und Schmerz- und Freudenthränen
aus den Augen der glücksentwöhnten Menschen preßten;
sie sah ihre Unterthanen zurückkehren und die schwarzverkohlten
Häuser aus Schutt und Trümmern wieder aufrichten. Dann
nahte ihr ein sanfter Tod; sie starb 1650 im Alter von 74 Jahren,
wovon sie 60 im Kloster und 41 als Aebtissin verlebt hatte. Ihr
Andenken ist es wohl werth, im Gedächtniß der Nachwelt zu bleiben! R. A.