Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Von einer Entführung
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 290–295
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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[290]
99. Von einer Entführung.
(Um 1635.)

Zur Zeit des 30-jährigen Krieges, da die Schweden im Lande Holstein gehauset hatten und eben abgezogen waren, ereignete sich eine denkwürdige Entführungsgeschichte. Ein Schwedischer Oberst, ein noch junger schöner Herr, der durch seine wunderbare Tapferkeit so schnell vorgerückt war, hatte [291] im Holsteinischen auf einem gräflichen Schlosse im Quartier gelegen und einen ernsthaften Liebeshandel mit des Burgherrn Tochter angesponnen. Die junge Gräfin liebte den schönen Kriegshelden herzinnig, obschon er als Feind des Landes ihrem Vater in den Tod verhaßt war, und dessen Einwilligung zu einer Heirath nicht zu erhoffen stand. Die Liebe eines jungen Mädchens aber kehrt sich nicht an Krieg und politischen Hader, wie bekanntlich einquartirte feindliche Soldaten stets unter den Töchtern des Landes Liebschaften genug finden. Hier war aber mehr als Liebschaft, eine gewaltige heiße Liebe auf Leben und Tod, bekräftigt durch viel theure Eide, bestätigt hernach durch den hingebendsten Opfermuth. Darum, als der Oberst mit seinem Regimente das Land verlassen mußte, verabredete er mit der schönen Gräfin eine Entführung. Und kaum hatte er seine Truppen über die Elbe ins Stift-Bremische geführt, so kehrte er heimlich mit den trefflichsten schnellsten Pferden zurück, und in einer stillen dunkeln Nacht entführte er seine Angebetete, die aus Liebe zu ihm Vater und Mutter, Heimath, guten Namen, Alles verließ. Er nahm sie auf sein Roß und jagte mit ihr von dannen, bis dahin, wo er ein zweites hatte stehen lassen, um schneller fortzukommen, und so ging’s rastlos weiter. Aber der alte Graf hatte die Entführung zu früh gemerkt und seine Leute aufgeboten, und verfolgte nun scharf und hitzig die Flüchtigen, die kaum Zeit zum Essen und Trinken fanden, und wegen der anfangs eingeschlagenen Umwege durch einsame Gegenden, viel Vorsprung verloren hatten. Gegen Abend des folgenden Tages waren die Verfolger ihnen hart auf den Fersen, und schon konnten sie den zornigen alten Grafen, Allen voran, erkennen, als sie ins Gebiet der Reichsstadt Hamburg kamen; der alte Graf aber respectirte kein fremdes Gebiet, und setzte ihnen auch da nach, so daß sie gezwungen waren, ihren Gewaltritt weiter fortzusetzen.

[292] Die Thore der Festung Hamburg sollten grade geschlossen werden, da sahen die erstaunten Wächter und Hellebardierer im Steinthore, einen schwerbewaffneten Kriegsmann auf schaumbedecktem Rosse hereinsprengen, als ob Tod und Teufel hinter ihm drein seien, vor ihm ein wunderschönes todtblasses Fräulein, das ohnmächtig an seiner Brust ruhte, und ihn mit den Armen umschlungen hielt, – und ehe sie sich besannen, waren Roß und Reiter in den dunkeln Straßen der Stadt verschwunden, so daß sie fast eine Erscheinung erblickt zu haben glaubten. Und als 5 Minuten später der alte Graf mit seinen Reisigen herangebraus’t kam, da fanden sie das Thor schon geschlossen, und wenn das damals geschehen war, so wurde vor Anbruch des nächsten Tages Niemand weder ein- noch ausgelassen. Die Verfolger mußten also vorläufig vom weiteren Nachsetzen abstehen, gedachten aber am andern Morgen die Flüchtlinge mit Hülfe des Gerichts desto sicherer zu fangen, da sie nun im Käfig darinnen saßen, und nicht heraus konnten. Die waren aber schon in Sicherheit, wo ihnen kein zorniger Vater mit seinen Reisigen, kein weltlich Gericht mit Häschern und Schergen etwas anhaben konnte.

Als der Oberst nämlich mit seiner holden Beute die Steinstraße heraufgesprengt war und an den Dom kam, da entsann er sich, daß die Domkirche das Asylrecht habe, nämlich eine Freistätte sei, wo jeder hineingeflüchtete Verfolgte völlig unangefochten weilen könne. Solche Ruhe auf der Flucht winkte ihm einladend, und da er die große Thüre beim Reventer offen sah, stieg er mit seiner schönen Geliebten vom Pferde, dem er einen Schlag gab, daß es weiter lief. Dann trat er, die ohnmächtige Gräfin auf den Armen tragend, zu den Dom hinein. Es mochten wohl zu der späten Abendstunde grade wenig Menschen auf dem Speersort gewesen sein, da’s kein Aufsehen gemacht hat, wie er gekommen und in den Dom gewichen ist.

[293] Als er nun das uralte große Gebäude mit seinen vielen Kreuzgängen und Hallen durchschritt und nicht wußte, wohin sich wenden in der zunehmenden Dunkelheit, da ist er zufällig etliche Stufen hinabgestiegen und in ein halb unterirdisch Gewölbe gekommen, das lag unterm hohen Chor und hieß die Kluft oder die Krypte; zur katholischen Zeit war auch hier Gottesdienst gehalten, seitdem aber war’s ein Grabgewölbe geworden für vornehme Domherren oder fremde Ritter und Edelleute. Und als der Oberst dort angelangt, wo’s fast nächtig düster ist, da bricht seine gewaltige Heldenkraft zusammen, – kaum daß er seine noch immer bewußtlose Geliebte vorsichtig auf eine steinerne Ruhebank niederlassen kann, da sinkt er zu Boden; mag’s die ungeheure Erhitzung und allgewaltige Anstrengung des langen Rittes im schweren Harnisch gethan haben, oder auch die Gemüthserregung der Sorge, der Hoffnung, der Furcht; genug, als ob ihn der Schlag rühre, so sinkt er todt zu den Füßen seiner ohnmächtig daliegenden Geliebten nieder.

Um Mitternacht mag’s gewesen sein, als sie in diesem schauerlichen Orte von der langen Ohnmacht zum Bewußtsein erwacht; – der Mond schien durch die kleinen Gitter-Fensterchen oben am Kreuzgewölbe in die Gruft. Als sie sich umschaut, nicht fassend, wo sie sei, noch wie sie hergekommen, und rings umher die steinernen Grabmäler gewahrt, und die ausgestreckten Steinbilder der alten Domherren und Ritter mit gefalteten Händen auf der Brust, – und eine schauerliche Stille und Kühle sie, die einzig Lebende unter vielen Todten, anweht, – und als sie nun, mit wachsender Angst ihrer grausigen Lage inne geworden, mit dem Entsetzen einer jähen Ahnung des Schrecklichsten, nach ihrem Geliebten umherblickt, und den Mann ihres Herzens, ihr einziges Eigen auf der Welt, kalt und todt zu ihren Füßen sieht, – da bricht ihr Herz vor der [294] zu großen Last des Entsetzlichen, und indem sie niedersinkt zu ihrem todten Geliebten, stirbt auch sie an seinem schon erstarrten Herzen. Da hatten die beiden in anderer Weise das gefunden, was sie suchten, und der Tod hatte sie an geweihter Stelle getraut. Und der barmherzige Gott möge den beiden verirrten Liebenden ein gnädiger Richter gewesen sein.

Am andern Tage, als der alte Graf in die Stadt kam und aller Orten nachforschen ließ, fand man sie nirgends, denn im Dom und zumal in der Krypte suchte sie Niemand. Und der Graf zog zornig, wie er gekommen, wieder von dannen, und soll seiner Tochter geflucht haben. Und die ruchtbar gewordene Entführungsgeschichte wurde schnell wieder von andern Ereignissen verdrängt; bei den Schweden wurde der Oberst anfangs sehr vermißt, dann aber, als der Marsch weiter ging, bald auch vergessen im wechselvollen Soldatenleben.

Ich weiß nicht, wie viele Jahre es gedauert hat, bis endlich einmal Jemand in die vergessene Kluft unterm Dom kam. Da fand man zwei Leichen nebeneinander, beide völlig unversehrt, die des ritterlichen Obersten und die der schönen jungen Gräfin. Und da entsann man sich der alten Geschichte, und reimte sich Alles zusammen; und da die Leichen so schön erhalten und sehr merkwürdig zu sehen waren, auch kein Mensch für ihre christübliche Beerdigung zu sorgen sich einfand, so legte man sie, so wie man sie gefunden, in einer obern Seiten-Abtheilung des Chors der Domkirche auf einen Mauervorsprung. Daselbst haben sie sich erhalten bis vor etwa 60 bis 70 Jahren; alljährlich während des Weihnachtsmarktes (und auch sonst auf Verlangen Wißbegieriger) wurden sie vom Domküster gezeigt; es waren die Leichname unverweset, nur eingetrocknet wie Mumien ober wie die Leichen in dem bekannten Bleikeller unter dem Bremer Dom. Die Gräfin war kostbar in Seide und Sammet gekleidet, der Oberst trug einen Harnisch und [295] einen Waffenrock von den königlich Schwedischen Farben, und an den Füßen große Reiterstiefeln mit schweren Sporen. Dann aber, etwa in den 1780ger Jahren, ließ das Capitel beiden Leichen ein ehrlich Begräbniß geben.

Anmerkungen

[386] Den sagenhaften Stoff zu dieser Geschichte giebt Meyer, Domkirche S. 69.