Von der Meschera des Bachr-el-Ghasāl zu den Seriben des Ghattās

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Autor: Georg Schweinfurth
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Titel: Von der Meschera des Bachr-el-Ghasāl zu den Seriben des Ghattās, und Streifzüge zwischen Tondj und Djūr
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aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 5. Band. S. 97–150
Herausgeber: Wilhelm David Koner
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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[97]
Von der Meschera des Bachr-el-Ghasāl zu den Seriben des Ghattās, und Streifzüge zwischen Tondj und Djūr.
Von Dr. Georg Schweinfurth.
(Mit einer Karte, Taf. III.)


Bevor ich die Meschera, den Landungsplatz und die einzige Ausschiffungsstelle aller vom Gazellenflusse ihren Ausgang nehmenden Expeditionen verlasse, will ich einige allgemeine Betrachtungen über den Naturcharakter, die landschaftliche Physiognomie und die Bewohner der Umgegend dieser eigenthümlichen Inselwelt in der tiefen Sackgasse eines großen Stromes vorausschicken, wie solche sich mir während eines einmonatlichen Aufenthalts daselbst aufdrängten.

Der Bachr-el-Ghasāl, zur Zeit im Hinblick auf die von ihm zum Nil geführte Wassermenge noch ein ungelöstes geographisches Problem, und vorderhand mit dem Bachr-el-Gebel noch gleichberechtigt um den Rang der Erstgeburt unter den Kindern des gottlichen Stromriesen streitend, scheint zu letzterem in ähnlichem Verhältniß zu stehen wie der Weiße Nil zum Blauen. Bei Hochwasser ein gleichsam uferloser Fluß von unermeßlichem Inundationsgebiet, und während der Zeit seines tiefsten Standes im oberen Theil aus einer Reihe seeartiger Erweiterungen mit fast stehenden Gewässern, im unteren aus engen und trägen Canälen gebildet, welche überwachsen und fast geschlossen durch einen dichten Rasenfilz ununterbrochen wuchernder Sumpfgräser in ihren beträchtlichen Tiefen einen Wasservorrath verrathen, der versteckt durch jene halb schwimmende Decke oder gebunden an den Brei einer unergründlich tiefen Marschmasse sich jeder Berechnung entzieht, scheint der Gazellenfluß den langsamen Fluthen des Weißen Nils die Unaufhörlichkeit ihrer Bewegung zu verleihen, während der Bergfluß als mächtigerer Factor zum schnellen Steigen derselben auftritt. Da nun bei vermehrtem Druck eine größere Wassermasse durch eine kleine Oeffnung dringen kann, als bei geringerem Druck [98] durch eine weitere, so würde es leicht scheinen bei der Vereinigung beider Ströme zu entscheiden, welchem die größere Rolle gebühre, wenn nicht im Nachforschen nach dem Ursprung dieser Wasser die Bedeutung der bei ihrer Entstehung cooperirenden Factoren die Frage in einem ganz anderen Lichte erscheinen ließe. Hier sahen wir in kurzen Zwischenräumen eine Anzahl Flüsse, von denen mindestens drei, und ein jeder für sich, bedeutender erscheinen, als irgend ein bekannter Zufluß des Bachr-el-Gebel, in eine Art binnenländischen Fluß-Liman zusammenfallen, den die Schiffer Bachr-el-Ghasāl[1] genannt haben, und dessen Fahrwasser von den frühesten Versuchen an (Nero’s Centurionen) bis zu den merkantilen Entdeckungsfahrten der letzten Jahrzehnte die Barken stets in jene Sackgasse geführt hat, welche sie ihre Meschera zu nennen pflegten. Anfangs, so lange man den bedeutendsten dieser Zuflüsse, den Djurfluß, welcher indeß an Bedeutung hinter dem Bachr-el-Gebel in jeder Beziehung zurücksteht, noch nicht gesehen und seine versteckte Eintrittsstelle nicht entdeckt hatte, war das Erstaunen der ersten Besucher kein geringes, einen so großen Strom plötzlich in einem Gewirre kleiner halbverwachsener und durch Gras angefüllte Canäle von einander getrennter Inseln ohne irgend einen bedeutenden, geschweige denn schiffbaren Zufluß aufhören zu sehen; nach dem Stande unserer heutigen Kenntniß, ich möchte nochmals darauf hinweisen, erscheint der Gazellenfluß nur als „die bei Niederwasser schiffbare Rinne eines binnenländischen Limans.“ Die gleichmäßige Tiefe dieses Fahrwassers, wie eine gleichsam zufällige Willkür der Bodengestaltung oder vielmehr der wuchernden Grasvegetation erscheinend, welche bald hier bald da in gewisse Grenzen gebundene Lücken offen ließ, ist vielleicht nur als das Bild zu betrachten, welches uns ein überdauernder Rest von dem ehemaligen vor undenklichen Zeiten gewiß in bestimmte Ufer eingezwängten Laufe des Hauptstromes vorführt.

Hat man die seeartigen Stromerweiterungen im Westen der Bachr-el-Arab-Mündung, deren genaue Begrenzung und vielfache Gliederung auf den vorhandenen Karten kaum in ihren rohesten Umrissen angedeutet erscheinen, durchfurcht, so gelangt man bereits oberhalb der Mündung des Djur, in einen von festen Ufern umgebenen etwas gewundenen [99] und südwärts gerichteten majestätischen Canal, dem jede Bewegung zu fehlen scheint, außer dem Treiben abgerissener Papyrus-Gruppen im Spiele der Winde, welche bald das eine bald das andere Ufer anwachsen lassen. Kurz vor dem Endpunkte der Fahrt spaltet sich dieser Theil des Stromes, und während der tiefe Canal nach Süden zu sich plötzlich um das Doppelte seiner Breite erweitert, auf der Ostseite einen Bogen beschreibt, der von unabsehbaren, anscheinend völlig homogenen Papyrusmassen geschlossen und begrenzt wird, und gegenüber zwischen der unregelmäßigen Ufervegetation einige Wasserspalten verräth, welche gen Westen weiter stromaufwärts zu führen scheinen, sendet er gen Nordwesten einen nur wenig schmäleren aber meist seichteren Arm ab, welcher diese Richtung auf einige Stunden unverändert beizubehalten scheint und noch im März an mehreren Stellen durchschritten werden kann. Letztgenannter Arm communicirt durch kleinere, während des Niederstandes in dicht begraste Sumpfstreifen umgewandelte Canäle mit den von Westen kommenden, in diesem Jahre fast gänzlich geschlossenen, aber noch vor Kurzem für Barken zugänglichen Wasserzügen, welche zu der nahen sogenannten Meschera el-Rek[2] führen. Zwischen beiden und im Osten von dem verbreiterten sackartigen Ende des eigentlichen Gazellenflusses begrenzt, liegt die kleine Strominsel, bei welcher jetzt alle Barken zu halten pflegen, wo Zelte, Hütten und Gärten hergerichtet werden für die vielen Monate, während welcher die Schiffsleute daselbst müßig liegen bleiben müssen. Diese Insel, welche auf Petherick’s Karte unter dem jetzt unbekannten Namen Kyt figurirt, besteht eigentlich aus zweien, welche ein schmaler Sumpfgraben trennt. Der nördliche Theil bildet ein Viereck von etwa 550 Schritt im Geviert, der südliche ist schmäler und länger und dehnt sich weiter nach Westen zu aus. Am Südufer des letzteren und an dem zur Meschera der Rek führenden Canale war die Meschera Ali-Amusi’s und Petherick’s befindlich. Reste von kleinen Gemüsefeldern und zahlreich bleichende menschliche Gebeine bezeichnen noch jetzt die von undurchdringlichen Papyrus-Massen überwucherte Stelle; am Ostufer der nördlichen Insel lagen in Reihe und Glied neben einander gestellt die Barken der jetzigen Expeditionen; die Ausschiffung der Leute und der nach dem Innern bestimmten Waaren geschieht dagegen auf dem Südufer des Flußendes im SW. vom Halteplatz der Barken am Festlandsufer, von welchem man trockenen Fußes ins Innere gelangt, zur Regenzeit aber [100] zwei volle Stunden durch das Inundationsgebiet der Steppen-Niederung wandern muß.[3]

Da liegen die Barken eingekeilt in große Massen angetriebener Papyrus-Reste wie Nordpolfahrer im Eise, jeder neue Ankömmling kann nur mit großer Anstrengung sich hier ein neues Ruheplätzchen erwerben. Zu dem Ende wird folgende Prozedur vorgenommen. Die Barke geht etwas in das freie Wasser hinein und ankert; alsdann, wenn der Wind günstig vom Lande abtreibt, befestigt man ein Tau an dem starken Wurzelgeflecht der Papyrus-Scholle und zieht dieselbe soweit hinaus ins Freie, bis der Wind die Insel weiter führt und am gegenüberliegenden Ufer ansetzt. So schafft man ein Delos nach dem andern und sich den nöthigen Zutritt zum Ufer, welches indeß noch von einem Kranze dicht und festgewachsener Papyri etwa 15–20 Schritt breit verwahrt wird. Hier sucht man durch Feuer und Hackemesser sich Platz zu machen, und häuft auf die elastischen Rasen der Stoppeln so lange große Wurzelmassen umgeworfener Papyri, bis ein einigermaßen solider und trockener Pfad hergestellt ist.

Zur Zeit noch mit hübschen Buschgruppen und Hainen größerer Bäume geziert, welche die Axt der Fremden mit jedem Jahre mehr reducirt, fehlt es dieser kleinen Inselwelt trotz aller Einförmigkeit der hohen Papyrus-Horste und dem verbrannten oder dürren Steppengrase selbst im Sommerwinter des Landes nicht an gewissen landschaftlichen Reizen. Dichtbelaubte, immergrünende und dunkle Tamarindenkronen unter entlaubten, barok verzweigten Acacien in grauem Winterkleide grell hervorstechend, dazwischen die mächtigen von dichtem Schlingwerk und halbwindendem Strauchwerk umstandenen Candelaber-Euphorbien begrenzen in jeder Richtung, wenn der Blick über die Nachbarinseln schweift, den Horizont, und bilden oft reihenförmig, je nach dem Abstande vom Standpunkte des Beschauers, Farbenabstufungen von unendlich feiner Nüancirung, besonders in den frühen Morgenstunden, wenn bei schnell steigender Sonne ein träger Nebel noch auf diesen feuchten Niederungen lastet, und bald hier bald dort dem Rundblick Schranken setzt, welche, ein höchster Reiz landschaftlicher Bilder, dem Auge noch etwas zu wünschen übrig lassen und seine Neugierde rege erhalten.

Arm an den Flußriesen des Weißen Nils, wie überhaupt der Gazellenfluß, zeigen die Gewässer hierselbst indeß einen Ueberfluß an Fischen, unter welchen ein eigenthümlicher Polypteros am häufigsten [101] ist. Das merkwürdigste der Wasserthiere aber ist der Fischmolch des Gambia (Protopterus annectens), welcher bei vollkommener Fischgestalt einem Meerwolfe, dem vier fadenförmige Extremitäten angesetzt wurden, nicht unähnlich sieht, Lungen besitzt und durch höchst eigenthümlichen Zahnbau ausgezeichnet erscheint. Er erreicht 3–4 Fuß Länge und besitzt ein schleimig weichliches Fleisch, welches ich von allen Nubiern verschmähen sah, obgleich Baker, der das Thier auch im Albert-Nyaya fand, den Wohlgeschmack desselben nicht genug zu rühmen weiß. Von den Eingeborenen wird er Lud genannt. Die Inselufer wimmeln von faustgroßen Ampullarien, deren die eingeborenen Frauen sich als kleinere Necessaires bedienen, während sie aus den zierlichen castanienbraunen prachtvoll glänzenden Panzern der handgroßen Aroo-Schildkröte, welche in Menge angespült und von Vögeln überall im Innern der Inseln ausgestreut werden, weit schönere Kästchen verfertigen könnten.

Auffallend mannichfaltig entwickelt sich auf diesem beschränkten Terrain die Vogelwelt. Ueber 60 Arten boten sich hier auf den vier oder fünf kleinen Strominseln meinen flüchtigen Blicken dar. An Farbenpracht allen übrigen überlegen erschienen die Merops; da gab es rothflügelige, purpurrothe mit blauem Kopf, smaragdgrüne mit gelb und violet gezeichneter Kehle, welche sich stets auf den Spitzen dürrer Grashalme wiegten, während der einfarbig grüne Abu-Chuder Aegyptens nie die Zweige großer Acacien verließ. Feuerrothe Würger und andere Arten des Geschlechtes in den kleineren Bosquets, und eine dem aegyptischen Kukuk (Centropus) nahestehende Form in den Kronen größerer Bäume, langgeschwänzte, gespenstische Nachtschatten, auf dem farblosen Boden kaum wahrnehmbar, kleine Eisvögel, Madenhacker in der Nähe des Viehes, verschiedene Tauben, Sylvien und ein Heer verschiedenartiger Sperlingsvögel belebten das Festland, an den sumpfigen Ufern die Reiher, Störche, Ibisse, Ralli und Kronenkraniche, seltener Enten und Gänse, überall aber das Parra-Huhn mit seinen weitgespreizten Zehen wie auf einem Gestell von Drähten umherstolzirend. Auch fehlte es nicht an Anklängen aus der nördlichen Heimath und wandernden Fremdlingen gleich mir: da zeigen sich gelbe und weiße Bachstelzen, der unvermeidliche Wiedehopf, die österreichische Wadeschwalbe (Glareola), Sporn-Kibitze aus Aegypten und mehrere Tringa-Arten. Wenn die Sonne untergegangen war, so begann 5 Minuten nachher ein gewaltiges Leben in den Lüften. Myriaden von Spatzen, vorwaltend die mit weißer Brust, rosigem Schnabel und schwarzen Füßen, zogen alsdann schwirrend und zwitschernd aus dem Innern den die Insel-Ufer umgürtenden Papyrus-Buchten zu, wo sie ihre Abendruhe zu halten pflegten. Lange [102] bereits war dann völlige Dunkelheit hereingebrochen, bevor das laute Treiben derselben in den rauschenden Dickichten ein Ende fand und anzeigte, daß nun ein jeder Spatz sein Nachtquartier hergerichtet und definitiv auf dem einen oder anderem Strahlenhalme der riesigen Papyrus-Dolden Platz gegriffen. Früh vor Sonnenaufgang bereits waren dann ferner die Papyrus-Dickichte von ihren nächtlichen Bewohnern gesäubert, welche weit gen Westen und landeinwärts für den Tag zu ziehen gewohnt waren. Nichts vermochte mir den Grund und die erstaunliche Regelmäßigkeit dieser täglichen Erscheinung zu erklären. Nährten sich die Vögel von den zu jener Zeit gerade reifenden winzig kleinen Saaten des Papyrus, so war kein Grund einzusehen, weshalb sie so spät ihrer Nahrung nachgingen, suchten sie aber Schutz vor nächtlichen Räubern in diesen von Mückenschwärmen und glühenden Johanniswürmchen erfüllten Sümpfen, weswegen kamen sie nicht frühzeitiger zu dieser Zufluchtsstätte gezogen?

Geschützt durch endlose Sümpfe und ein Labyrinth von Canälen vor gefährlichen Vierfüßlern des Festlandes (nur selten schallt Nachts aus weiter Ferne das Geheul der Hyänen herüber), hätte der Fremdling hier nur das größte aller Raubthiere, den Menschen selbst, zu fürchten, wenn nicht die Gunst der Verhältnisse und ein kaum anderswo in diesem dem Raube und der Willkür des Stärkeren preisgegebenen Theile von Afrika wiederzufindendes mustergültiges Gleichgewicht gegenseitiger Bosheiten kraft der in sich selbst begründeten Nothwendigkeit für die größte Ruhe und Sicherheit sorgten, die man sich in der Fremde nur wünschen kann. Die Eingeborenen, welche im weiten Umkreise der Meschera alles Land inne haben, nennen sich Djanghé und bilden einen bedeutenden Theil der großen Dinkafamilie, welche sich im Süden der Meschera bis über den 8. Grad nördl. Breite ausdehnt, und im Westen von den Bougos (Dōr), in Südwesten von den Djur begrenzt wird. Sie reden die Dinkasprache unverändert, und scheinen sich nur unwesentlich vom Hauptstamm zu unterscheiden. Leider gebricht es mir noch zu sehr an der Racenkenntniß dieser Gegenden, um hier auf die wichtigsten Unterschiede aufmerksam machen zu können. Eine der einflußreichsten Personen dieses Stammes, welche an der Meschera eine Art Häuptlingsrolle spielt, ist eine bereits bejahrte Frau Namens Schōl. Unermeßlich reich an Rindern würde sie längst eine Beute der hier landenden hauptsächlich auf Viehraub angewiesenen Horden der Nubier geworden sein, hätte nicht auf der andern Seite die Nothwendigkeit, sich einen gesicherten Landungsplatz zu erhalten, wo Barken und Mannschaft auch nach Abzug der Bewaffneten unbeschadet verweilen konnten, die anlockende Beute bei weitem aufgewogen und die fremden Eindringlinge gezwungen, [103] sich in der Schōl eine warme Freundin zu erhalten. So konnten neuerdings einzelne Barken nach Abfahrt der übrigen allein während der ganzen Regenzeit in der Meschera verweilen, ohne auch nur im Entferntesten von den Eingeborenen belästigt zu werden. Ueberall, sobald die Schiffer die von den Heerden der Schōl belebten Ufer des Stromes erreicht haben, wird ihr Eigenthum strengstens respectirt; ihrerseits verwendet die Schōl all ihren Einfluß darauf, ihre Stammgenossen zu einem friedlichen Verkehr mit den Fremden anzuhalten. Der geringste Conflict könnte ja für sie die gänzliche Einbuße ihres Viehreichthums zur Folge haben. Höchst eigenthümlich erschienen mir die häuslichen und Familien-Angelegenheiten dieser Person im Verhältniß zu ihrer öffentlichen Stellung, ihrem großen Einfluß und von Niemandem bestrittenen Reichthum. Nach dem Tode ihres früheren Mannes hat sie einen Sohn des letzteren aus anderer Ehe zum Prinzgemahl erhoben. Er nennt sich Kurdjuk, spricht gebrochen arabisch, und sucht im Verkehr mit den Fremden die erste Rolle zu spielen. Obgleich arm an Rindern seiner Frau gegenüber, und was den Einfluß auf die Stammgenossen anbelangt eine volle Null, maßt er sich dennoch einen Terrorismus gegen die erstere an, welcher bei uns unter gleichen Bewandtnissen unerhört sein würde. Er prügelt und mißhandelt seine Frau und Stiefmutter auf das Brutalste, sie die selbst, gleichsam zum Zeichen ihrer Würde, nie anders als mit einer Geißel in der Hand auszugehen pflegt.

Der Wasser- und Futtermangel während der trocknen Zeit auf dem Festlande hatte in diesem Monat die Schōl selbst auf die Insel des Landungsplatzes gebannt, wo sie nur eine Viertelstunde von den Barken inmitten einer großen Hürde in elenden Hütten campirte. An den Festlandsufern nördlich von dieser Localität befanden sich mehrere größere Dörfer mit stabilen Wohnplätzen und ausgedehnten Viehhürden. Oefters besuchte ich diese Localitäten, wo mich der Anblick großer Menschenmassen, die sich neugierig um mich drängten und ohne die geringste Frechheit zur Schau zu tragen, keinerlei Furcht noch Scheu gegen den Fremdling verriethen, im höchsten Grade ergötzte. Das Rindvieh, der weit verbreiteten Höckerrace angehörend, ist von demjenigen der Schilluk nicht im geringsten verschieden. Die weißliche oder hellgraue Hautfarbe waltet auch hier vor. Häufig ist eine Form von stabiler Erblichkeit, welche durch Hornlosigkeit und einem in der Mitte zu einem Knochenhöcker von conischer Gestalt aufgetriebenen Scheitel ausgezeichnet ist.

Diese Dinka-Neger sind wie die meisten ihres Stammes von durchweg hoher Statur, kurzem Oberkörper und tiefer Schwärze der Haut, welche, wenn von Asche gesäubert, einen deutlich braunen [104] Grund zu erkennen giebt, geölt oder nach einem Bade aber im Schein der Sonne wie braunschwarze Bronze schimmert. Die Männer, nicht wohlgestalteter als Frauen gleichen Alters, sind indeß ebenso selten wie letztere mit einigermaßen einnehmenden, um nicht zu sagen menschlichen Zügen versehen. Unaussprechlich häßliche Fratzen, gehoben durch ein Grimassenspiel, bei welchem die kurzen Augenbrauen hauptsächlich mitwirken und den an und für sich geringen Raum zwischen ihnen und dem Haarwuchsbeginn auf ein Minimum reduciren, verleihen der großen Mehrzahl einen affenartigen Ausdruck der Physiognomie. Das Haar wird meist kurz geschoren, entbehrt stets der helmartigen Filzkämme der Schilluks und ist nur selten zu Schaflocken troddelförmig geballt, oder mit Ocker fuchsroth gefärbt. Auch die Frauen tragen das Haar so kurz wie möglich oder gänzlich geschoren. Die Männer gehen durchweg nackt, die Frauen tragen einen nach hinten etwas verlängerten Schurz von weichem Leder, welcher am Rande mit Perlen oder vielen kleinen Eisenringen verziert zu sein pflegt. Von Perlen sind gegenwärtig erbsengroße weiße mit blauen Tüpfeln (Genetōt ahda) und große opalfarbene von einem Zoll im Durchmesser (Bērred), welche letztere vorzugsweise von den Männern als Halsschnur getragen werden, Hauptmode; alle übrigen werden hartnäckig verschmäht.[4] Vorzugsweise die Männer tätowiren sich, und zwar mit zehn von der glabella radial über die Stirn verlaufenden Strahlen. In den am Rande mit vielen Löchern versehenen Ohren tragen sowohl Männer wie Frauen, letztere jedoch in größerer Menge, viele eiserne und kupferne Ringelchen auf Stäbchen wie Streichhölzchen geformt. Den häßlichsten Schmuck der Männer bilden die um den Oberarm gewundenen colossalen Ringe von Hippopotamus-Haut, sowie die um die Hüften geschlungenen Stricke und Riemen. Der Unterarm ist bei den Wohlhabenderen mit mehr oder minder zahlreichen dicht neben einander gedrängten, enganschließenden und oft bis zum Ellenbogen hinaufreichenden Eisen- oder Kupferringen beschmiedet, eine auch bei den Dōr und Djūr, diesen den Dinka in vielen Stücken sehr ferne stehenden Völkern weitverbreitete Mode.

Während die Männer die Schenkel ganz frei zu tragen pflegen, hängen bei den Frauen stets Ringe, aber locker aufliegend und weiter als bei denen des Unterarms, über den Knöcheln, und verursachen beim Gehen ein Geräusch, welches beständig an das Klirren von Sklavenketten erinnert, welches man hier eben so häufig vernimmt. Auch diese Mode theilen die Nachbarstämme des binnenländischen [105] Gebiets. Zu erwähnen sind noch die Halsschnüre der Frauen, welche nicht nur Perlen und Ringe von verschiedener Gestalt, sondern auch Hölzchen, Lederstücke und wer weiß welchen Zauberkram in großer Menge aufgereiht darbieten; schließlich vervollständigt ein cylindrisches Perlenstück, welches in einer Durchlochung der Oberlippe steckt und beim Essen in die Höhe gehoben wird, den ganzen Schmuckapparat dieser Wilden.

Im Innern ihrer Wobnungen sind die Djanghé reinlich wie die Schilluk, mit welcher sie die Vorliebe für Asche theilen, in welcher sie sich des Nachts betten. Wie diese theilen sie die Leidenschaft des Tabackrauchens, bei welchem sie sich derselben Colossal-Pfeifen aus Thon und großer Sirch-Halme bedienen, welche von monumentaler Solidität sind und sitzend geraucht werden können. Mein größtes Erstaunen erweckte die Gewandheit, mit welcher sie sich unseres Eßbestecks bedienten. Sie griffen zu Gabel und Löffel, als verstände es sich von selbst, und, was noch mehr sagen will, legten Alles nach dem Gebrauch sorgfältig gewaschen wieder an Ort und Stelle. Ihr Hauptnahrungsmittel besteht in dem täglich genossenen Sirch-Korn, der Durra der Nubier. Rinder werden, wie bei allen viehbesitzenden Negerstämmen dieses Theiles von Afrika nie geschlachtet, man verzehrt nur die natürlichen Todes verstorbenen oder verunglückten Thiere, und begnügt sich für gewöhnlich mit dem geringen Ertrage an Milch, welchen die Kühe liefern. Beim Melken werden Operationen bewerkstelligt, welche ebenso lächerlich als ekelhaft sind. Man glaubt durch letztere das Milchen zu begünstigen, namentlich durch Streicheln an verschiedenen Stellen des Unterleibes, und gewaltsames Hineinblasen in die Vagina. Daß der Harn dieser Thiere eben so gut zu den Toilettenbedürfnissen dieser Wilden gehört als Mist und Asche, darf hier nicht verschwiegen werden; diese Gebräuche, bei der großen Mehrzahl afrikanischer Hirtenvölker verbreitet, mögen auf einen in seinen bestimmten Formen längst erstorbenen Rindercultus hinweisen, welcher, wie die Race selbst, welche wir noch heute als Gegenstand solcher Huldigung allverbreitet im östlichen Afrika finden, unwiderruflich nach Indien weist, oder vice versa.

Soviel von der Meschera und ihren Bewohnern: verlassen wir nun beide, um anderen Völkern in den weit verschiedenen Landschaften des Binnenlandes entgegen zu eilen.

Am 25. März endlich konnte ich aufbrechen, und der dumpfen Sumpfluft des Flusses mit ihrer nächtlichen Mückenplage den Rücken kehren. Die Karavane, mit welcher ich marschirte, zählte an die 500 Köpfe, da außer meinen 68 Trägern noch über 150 zur Ghatthās’schen [106] Compagnie gehörten und einige kleinere Gesellschaften anderer Händler sich derselben angeschlossen hatten. An Bewaffneten zählte der lange im Gänsemarsche einherschreitende Zug allein gegen 200, im Ganzen eine Macht, mit welcher man unangefochten die größten Staaten Central-Afrika’s hätte durchziehen können. Für die Aufnahme einer genauen Route und zur sicheren Beobachtung der wechselnden Wegerichtungen in diesem flachen, Landmarken jeder Art entbehrenden und noch dazu durch einförmige Buschwaldungen verdeckten Lande bot eine so zahlreiche Reisegesellschaft große Vortheile, da der endlose Zug eine Kette von 1½–1 Kilometern darstellte und die weißen Fahnen des Ghattas[5] weithin leuchteten. Nichts kann für den reisenden Naturforscher angenehmer sein als das Reisen mit Trägern; abgesehen von der Schnelligkeit und Präcision des Aufbruchs, dem gleichmäßigen Fortkommen ohne Unterbrechung, bietet die Leichtigkeit, in jedem Moment zu seinem Gepäck gelangen und selbst bei den kürzesten Rasten Koffer und Säcke öffnen zu können, unberechenbare Vortheile, während man bei Reisen mit Kameelen mit dem kleinen Schnappsack oder der Reisetasche, welche auf dem Reitthiere befestigt sind, sich begnügen muß, und selbst bei den Lagerplätzen die mit Stricken umwundenen Kasten nicht zu öffnen wagt. Sauer wurden mir die ersten Marschstunden, nachdem ich monatelang auf die enge Barke, die kurzen Uferexcursionen und meine kleinen Inseln beschränkt geblieben, denn die Negerträger marschiren ohne Rücksicht auf Hitze und Sonnenbrand in einem Tempo, welchem bei uns zu Hause nur Alpentouristen ersten Ranges zu folgen vermöchten. Ich zählte meist 130 meiner Schritte in der Minute (à 0,6–0,7 Meter), welche sich bis zu 135 steigern konnten, während das Minimum eines schlechten Marsches 120 betrug. So marschirten wir in der Stunde an die 5 Kilometer, nie weniger als 4½ Kilometer. Das Terrain bot zu dieser Jahreszeit keinerlei Schwierigkeiten dar; die Sumpfstellen waren steinhart und das Hochgras der Steppen aus- und niedergetreten, die Waldungen licht und aus isolirten Bosquets, wie im südlichen Nubien, gebildet. Vortheilhafter für die Geographie wäre freilich hier zu Lande das Reisen während der Regenzeit, weil nur alsdann die Bedeutung und Begrenzung der periodischen Wasserzüge zu taxiren ist. Periodisch, dieser häufig gebrauchte Ausdruck bei Besprechung hydrographischer Verhältnisse Afrika’s, ist in sofern keine zutreffende Bezeichnung, da die Bäche, Flüsse und Ströme, welche in der regenlosen Zeit ganz oder theilweise versiegen, trotzdem mit eben so großer Regelmäßigkeit [107] an der Fortgestaltung der Erdoberfläche arbeiten, und zwar auf Bahnen beschränkt, welche ihnen die Natur für immer zugewiesen, wie unsere perpetuell fließenden Gewässer, welche ja auch zur Zeit ihres niedrigsten Standes nicht ganz ohne Einfluß auf die Bodengestaltung der Länder bleiben. Periodisch dürfte man nur diejenigen Gewässer nennen, welche blos nach jedem Regen sich füllen und bewegen, wie die Chors im südlichen Nubien und die kleinen Bergflüsse Abyssiniens. Viele der hiesigen Wasserzüge besitzen ein wenig vertieftes Bett, welches bei Abnahme des Wassers sich schrittweise mit Graswuchs bedeckt, indem die Rasen theils neu an den sich erweiternden Ufern anwachsen, theils im Stande sind, monatelang die Wasserlast des Flusses zu tragen, ohne zu faulen und abzusterben. Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß der Reisende in der trockenen Zeit an vielen Stellen über die Betten bedeutender Bäche schreiten kann, ohne in ihnen etwas anderes als bloße Undulationen des Terrains zu erblicken, welches mit gleichem Graswuchs oder gleichmäßigen Stoppel-Massen verdorrten, verbrannten und niedergetretenen Grases bedeckt erscheint.

In SSW. durchzog man nun die Steppen-Niederung zunächst der Meschera, eine Richtung, welche durchschnittlich während der ganzen fünftägigen Reise beibehalten wurde. Nach einer Stunde begann die Steppe sich mit vereinzelten Sträuchern und Bäumen zu beleben, welche sich bald zu einem lichten Buschwald vereinigten. Noch eine Marschstunde führte zu dem jetzt leerstehenden großen Dorfe der Schōl. Einige riesige Kigelien, welche in vollem Flor ihrer schwarzpurpurnen Tulpenblüthen standen, und an ellenlangen Stricken die merkwürdigen wurstförmigen Früchte herabhängen ließen, kennzeichnen den Ort. Die Schōl war zu unserer Verabschiedung eigens erschienen, und bewirthete für die Nacht die ganze Karavane mit dem aus Sirchkorn bereiteten Brode und Getränk. Am folgenden Morgen kam man durch eine Anzahl kleiner Dörfer, kreuzte wiederholt ausgedehnte Sirch-Culturen, deren 15 Fuß lange Schäfte noch überall am Boden umherlagen, und marschirte den größten Theil des Weges durch lichte Waldungen, welche aus Strauchbosquets und mittelgroßen Bäumen gebildet waren, bis zu den schleunigst von den Einwohnern bei unserem Herannahen geräumten Dörfern von Lāo (2 St. 49 Min.). Die vorwaltenden Bäume dieser an die Steppenwaldungen Kordofan’s, Taka’s und Gedaref’s erinnernden, und die Verbindung der südwestlichen dichteren Waldregion mit den Bergwäldern Takele’s und des südlichen Kordofan’s vermittelnden Gehölze waren: Acacia Sejal und verugera, Ficus trachyphylla, Batamtes, Tamarinden und Kigelien, von Strauchformen: Bauhinia reticulata, Zizyphus Spina Christi [108] und Z. Baclei, Grewia populifolia, Capparis tomentosa und Randia dumetorum.

Hier fand man das erste Wasser, seitdem der Fluß verlassen war, und zwar abscheulich unreines und übelriechendes in 15 Fuß tiefen Brunnenlöchern. Einige riesengroße Sycomoren der genannten Art beschatten letztere, und winken von weitem zu diesem ersehnten Platze. Als man beim Weitermarsche durch einige benachbarte Dörfer kam, sah man nach allen Richtungen Jung und Alt in die Dickichte eilen; da ward mancher Kochtopf verlassen und fiel dampfend in die Hände der gierigen Träger von denjenigen Compagnien, welche hier die Nacht verbringen wollten, während wir unbekümmert vorüberzogen. Der Boden wurde jetzt weit sandreicher, und Termitenhaufen infolge dessen seltener. Indeß führte der Weg fast ununterbrochen durch Waldungen von gleichem Charakter wie gestern. Leider brach gar zu früh die Dunkelheit herein und verbarg mir auf dem größten Theil dieser Strecke (5 St. 11 Min.) das Terrain. Wiederholt zog man in breiten sandigen Lichtungen, auf welchen dichte Bosquets isolirt vertheilt standen, und die ganz den Eindruck eines großen Chors, wie z. B. das Gasch bei Kassala etc. machten. In voller Blüthe standen Albizzia sericocephala, mittelgroße Bäume des südlichen Kordofan’s, welche in diesen Buschwäldern ihre südlichste Verbreitung zu finden scheinen. Die Luft wurde von dem balsamischen Dufte derselben erfüllt, und die dichte Blüthenmenge leuchtete wie Schnee im Dunkel der Nacht. In einem großen Dorfe wurde gerastet und auf dem festgestampften Boden einer zu dieser Jahreszeit leerstehenden Viehhürde gelagert. Nachts überraschte uns ein plötzlicher Guß, vor welchem wir in den schlechten Hütten nur geringen Schutz fanden.

27. März. Am Vormittage wurden 4 St. 26 Min. marschirt. Der Boden, immer noch vorherrschend grobsandig, bot nirgends einen Trunk; erst 42 Minuten vor unserm Ziel erreichte man Brunnenlöcher. Die Buschwaldung nahm auf dieser Strecke an Mannichfaltigkeit zu, einige Combretaceen, dieser Haupttypus des afrikanischen Tropenwaldes, machten sich bemerklich, und Candelaber-Euphorbien, seit der Meschera nirgends mehr gesehen, traten vereinzelt auf. Eine Hauptzierde der Bosquets bildet Poivrea Hartmanniana, mit dem weißen Schnee ihrer Blüthen auf langherabhängenden Reisern täuschend den Anblick von Weißdornhecken wiedergebend. Mittags ward das Dorf der Tihk erreicht, wo uns der Ortsvorsteher, ein alter Freund und Bundesgenosse der Nubier, gekleidet empfing, und alle Anstalten zur Beschaffung von Korn sofort traf. Hier ist man im Gebiet der Rek, dem ehemaligen Knotenpunkte des Verkehrs mit den Eingeborenen, bevor Petherick (vor 10 Jahren) nach Süden Bahn brach zu den Djūr und Dōr, und [109] den Niām-Niām-Handel begründete. In der Nähe dieses Dorfes befand sich auch Poncet’s vorübergehendes Etablissement zur Elephantenjagd namens Mirakok, beides seit der Zeit (1858) unbekannte Größen in diesem Lande der Vergänglichkeit, wo vorübergehend wie die gesonderten Einzelwesen der Natur auch das Leben und die Thaten der Menschen bald vergessen sind, im Lande ohne Kalk und Steine, um solide Wohnsitze zu schaffen und unter Völkern ohne Oberhaupt. Einige 100 Fuß hohe Delebpalmen bezeichnen in Ermanglung von etwas Dauerndem den Ort, welcher für die Reisegesellschaft nicht ohne trübe Erinnerung blieb. Der Fahnenträger des Ghattas und unter allen Dongolanern der muthigste und beste Schütze, tödtete sich selbst, nachdem er wenige Minuten vorher mit mir auf die schönen Papageitauben (mit citrongelbem Bauche, aschgrauem Rücken und violettem Schulterfittig) Jagd gemacht hatte, welche einen ausgezeichnet fetten und wohlschmeckenden Braten lieferten. Ein Schuß mit groben Schroten durchbohrte seine Brust, an welche er das Gewehr gelehnt hatte. Das passirte demjenigen unter der Bande, welchem man noch am meisten Verständniß der Waffe und Vorsicht zugemuthet hätte; was ließ sich da von den Uebrigen erwarten. In der That pflegen Selbstverwundungen hier an der Tagesordnung zu sein, und der mit diesen sogenannten Soldaten zusammen des Weges einherziehende Reisende ist nirgends größerer Gefahr ausgesetzt, als derjenigen, von einer zufällig dahersausenden Kugel getödtet zu werden. Das war das Ereigniß des Tages, dessen Opfer derselbe wurde, welcher bei jener Affaire mit dem wilden Büffel einen meiner Leute dadurch rettete, daß er dem Thiere ein Beil an den Kopf warf, als die Büchse versagte; und am folgenden Tage zerschmetterte sich ein zweiter den Oberarm durch unvorsichtiges Hervorziehen seines Gewehrs aus dem Strauchwerk, wo er es hingestellt hatte.

28. März. In 1 St. 13 Min. wurde das Dorf des Kudj, gleichfalls eines alten Freundes der Türken (so lassen sich hier diese Nubier, welche der großen Mehrzahl nach Dongolaner sind, von den Eingeborenen aller Orten nennen), erreicht. Der Wald bereichert sich durch prachtvoll belaubte, an Roßkastanien erinnernde Vitex-Bäume und vor Allem durch die Erythrina tomentosa mit ihren feuerrothen, weithinglänzenden Blüthensträußen und neuen Typen von auffallendem Habitus. Nach abermals festlicher Bewirthung durch Schlachten mehrerer Rinder und Ziegen brach man Nachmittags auf, legte aber, wahrscheinlich des vollen Magens wegen, nur 2 St. und 41 Min. zurück, bis an einem 20 Fuß tiefen Brunnen, Namens Pamōg, für die Nacht gelagert wurde.

29. März. Ununterbrochen durch schöne Waldungen ziehend, [110] in welchen die Talch-Acacie immer seltener wird, gelangte man Mittags nach 2 St. 40 Min. zu den Dörfern von Wadj.[6] Dies ist der allgemein gebräuchliche Name von der auf der häufig begangenen Route belegenen Localität, die nichts mit dem Gebiete Wadj im Osten von Rek zu thun hat, von welchem Poncet uns Kunde gegeben hat. Die Bewohner dieses Wadj waren feindselig, hatten ihre Wohnungen verlassen, und schwärmten wie scheues Wild mit Bogen und Pfeil in den Wäldern der Nachbarschaft umher. Als auf einer botanischen Rundtour durch den Wald häufig vor unsern Schritten einzelne dieser Wilden aufgescheucht wurden, geriethen meine Begleiter in nicht geringe Besorgniß, und befürchteten aus jedem Bosquet, an welchem ich mir Pflanzen suchend zu schaffen machte, einen versteckten Pfeil hervorgleiten zu sehen. Bereits zum Raubgebiete des Ghattas gehörig, hatten die Einwohner wahrlich keinen Grund, ihren Bedrückern gastfrei entgegen zu kommen. Weit rascher hätten wir vorwärts kommen können, wäre in Folge der großen Menschenmenge nicht sofort nach jedem Halt die erste Sorge der Führer gewesen, die nöthigen Kornvorräthe herbeizuschaffen, zu welchem Ende immer eine ganze Compagnie Träger ausgesendet wurde und Stunden verloren gingen.

Nachmittags wurden noch 3 St. 4 Min. marschirt, und am folgenden Morgen eine Gegend durchzogen, welche bereits durch spärlichen Baumwuchs und große Steppenflächen einen Uebergang zu den völlig baumlosen Thonflächen von Djerauīl bildete, die man nach 5stündigem (und 3 Min.) Marsche erreichte. Elephantenspuren frischen Datums wurden auf dieser Strecke häufig gekreuzt, und Giraffen sah man zu beiden Seiten des Weges mit wackelnden Köpfen über die holperigen Grassteppen eilen, jeden Schritt, wie hinkend, mit einer ellenlangen Verbeugung begleitend. Die großen Dörfer dieser Fläche standen jetzt leer da, indem Wasser- und Futtermangel die Einwohner gen Westen in die Ufernähe der Flüsse geführt hatten.

31. März. Nach zweimaliger Unterbrechung der Nachtruhe durch fortgesetzten Marsch erreichten wir früh morgens 4 St. 24 Min. von Djerauīl, nachdem meist in der Richtung SW. z. W. marschirt worden war, die ersten Bodenunebenheiten: einzelne Felsblöcke und ein deutlich aufsteigendes Terrain. Bald darauf trat man in geschlossenen Wald, welcher sich von dem bisher durchzogenen durch Laubfülle und geringeres Vorwalten der Busch- und Bosquetform von Sträuchern, vor allem aber durch den größten Theil der die Bestände bildenden Baumarten wesentlich unterschied. Der Boden, felsig und von einem [111] röthlichen, schlackigen, und wie Melaphyrmandelstein aussehenden Thoneisenstein voller Blasennieren und mit wenig deutlicher Schichtung gebildet, einer Formation, welche das ganze Djūr und Dōr-Gebiet zwischen dem Tondj und Djūr und Wau bis zum Kosanga ausnahmslos einzunehmen scheint, und erst durch den Granit der Mondu-Berge verdrängt wird, zeigt deutliche Undulationen. Die charakteristische Grenzlinie, welche diese Formation mit der an sie gefesselten Waldregion und den mit ihr beginnenden und bei ihrem Aufhören wieder verschwindenden Butterbäumen (Butyrospermum Parkii) nach Osten zu abschließt, und auf die im Nordwesten des Gebiets bereits Heuglin aufmerksam gemacht, ward also hier betreten. Anfangs eine südöstliche Richtung einschlagend, scheinen die Grenzmarken dieser zwei in jeder Beziehung sehr verschiedenen Gebiete von hier aus in derselben Richtung dem Bachr-el-Gebel zu und gen Gondōkoro zu führen, wo gleichfalls der Butterbaum gefunden wurde. Drei Stunden hinter dieser interessanten Localität hatte ich nach einem Marsche von genau 36 Stunden und 38 Minuten[7] (von der Meschera aus) das vorläufige Ziel meiner 900meiligen Reise von Berlin aus erreicht, und war nun in der Haupt-Seriba Ghattas des Djūr-Gebiets.

Bald hatte ich mich hier häuslich eingerichtet und begann nun mit Eifer die Umgegend in Augenschein zu nehmen. Die große Seriba[8] Ghattas, an welche sich fünf kleinere Filial-Seriben reihen, liegt ungefähr auf der Berührungsgrenze der Gebiete dreier Stämme, der Dinka, der Djūr und der Dōr. Ein Etablissement größter Art wuchs sie aus kleinen Anfängen im Laufe von 13 Jahren zu ihrer gegenwärtigen Bedeutung heran. Eine große Menge sogen. Gellaba (nubische Händler, zum Theil auch furianische), welche hier ihre Sklaveneinkäufe machen, und dann ihre Waaren über Darfur und Kordofan weiter führen, sowie die fast ausschließlich aus Dongolanern (und wenig Scheigīe und einzelnen Baggāra) bestehenden Soldaten und viele Angestellte der Ghattas bringen die bewaffnete Macht, welche hier durchschnittlich[WS 2] versammelt ist, auf 250 Mann; dazu die Hunderte aufgestapelter Sklaven zum Verkauf oder unter die Soldaten als Hauptbestandtheil [112] ihres Soldes vertheilt, Hunderte von dienenden Sklaven und schließlich eine große Anzahl kleiner Dörfer in nächster Nähe mit Djūr-, Dinka- und Bongo- (Dōr-) Leuten, welche dem Ackerbau zur Erhaltung dieser Menschenmenge obliegen, bringen die Einwohnerschaft dieses Etablissements, welches einer kleinen Stadt gleicht, auf mindestens 2000 Seelen. 20–30 Minuten guten Marsches weit nach N., O. und W. und 10 Minuten weit gen Süden ist alles Terrain im Umkreise der Seriba mit Aeckern bedeckt. Vorzugsweise Sirch, aber auch viel Sesam, Erdnüsse und etwas Taback und Mais bilden den Gegenstand der Cultur. Umschlossen von dichten Buschwaldungen mit mittelgroßen Bäumen, welche selten über 40 Fuß Höhe erreichen, ist diese weite Ackerfläche stellenweise mit isolirten gewaltigen Baumformen (Khaya, Parkiusonia, Feigenbäumen etc.) geziert. Von der unverwüstlichen Regenerationsfähigkeit dieser üppigen Tropennatur zeugen die holzreichen Wälder und die immer noch ergiebige Ackerkrume, welche 3–4 Fuß dick auf dem Thoneisenstein lagert. 13 Jahre haben nicht ausgereicht, den Holzreichthum zu verringern. Das Brennmaterial für eine so große Menge Menschen wird immer noch aus nächster Umgebung geholt; und 13 Jahre hintereinander, ohne eine andere Düngung, als ausgeraufte Unkräuter darbieten, wurden diese Felder bestellt, die nie ein Brachlegen erfahren haben. Zahlreiche Teiche und Tümpel umgaben während der Regenzeit den Ort, an vielen Stellen bildet sich vorübergehend marschiger Boden, selbst auf den Feldern, während in größter Nähe meilenweite Steppenniederungen sich hinziehen, welche ebensogut Sümpfe genannt werden könnten. Demnach ist die Salubrität des Platzes eine weit erfreulichere, als in vielen Gegenden des aegyptischen Sudans. Fieber sind zwar sehr verbreitet, raffen indeß nur wenige der neuen Ankömmlinge[9] hin. Dem starken Eisengehalt des schlechten Trinkwassers aus den Pfützen und Gruben der trockenen Jahreszeit möchte ein nicht geringer Einfluß auf die Unschädlichkeit seines Genusses zuzuschreiben sein. Derselbe ist so bedeutend, daß der Thee eine tintenähnliche Schwärzung annimmt, so lange man sich nicht Regenwasser verschaffen kann, oder bei vorgerücktem Charif die Brunnen ein reineres Wasser liefern.

Das unmittelbare Gebiet des Ghattas zwischen den 6 Etablissements hat eine Ausdehnung von circa 12 deutschen Quadratmeilen, wovon mindestens 3 Quadratmeilen Ackerland sind, da eine jede der [113] kleineren Seriben weit im Umkreise von Feldern umgeben ist, und das Gebiet außerdem zahlreiche Dörfer zählt. Diese ausgedehnte Herrschaft, welche in Europa Millionen werth wäre, könnte man, ich glaube jederzeit für 20,000 Thlr. erstehen. Ich führe dies nur an, um zu zeigen, wie gering verhältnißmäßig der Vortheil ist, den diese scheinbar großartigen Unternehmungen der Chartūmer Kaufleute abwerfen, und um es durch Zahlen zu erhärten, kann ich anführen, daß der ganze Elfenbeinertrag dieses Jahres, welches ein gutes genannt werden kann, höchstens 8000–10,000 Maria-Theresien-Thaler an Werth in Chartūm repräsentirt. Die Ausgaben zum Unterhalte von 2–3 starkbemannten Barken, welche den Verkehr mit Chartūm unterhalten, sind bedeutend, und von den Sklaven hat der Seribenbesitzer gar keine Revenue, da er sie an die Gellaba für Spottpreise gegen Baumwollenzeug[10] und ähnliche Artikel verkaufen muß, um letztere den Söldlingen, 200 an Zahl, anzurechnen, wenn die eigenen Vorräthe nicht ausreichen, um wenigstens den kleinen Monatssold in baarer Münze ersparen zu können, welchen diese Leute, die hauptsächlich auf Sklaven angewiesen sind, neben dieser Art Bezahlung erhalten. Auch die jährlich zusammengeraubten Rinder, die merkantile Basis des jetzigen Elfenbeinhandels, reichen nicht immer aus, um Hunderte von Trägern, welche den Transport aus den Niām-Niām-Ländern hierher und zwischen diesem Platze und der Meschera vermitteln, zu befriedigen. Kolossale Massen an Kupfer[11] und Perlen verschiedener Art, die nicht zu den wohlfeilen gehören, sind für den Elfenbeinmarkt in dem Niām-Niām-Gebiete, sowie zum Unterhalt der Leute daselbst während der 6–7 Monate dauernden Expeditionen erforderlich, da in diesen entlegenen Gebieten aller Handel und Wandel auf völlig rechtlichem Wege betrieben werden muß. So ungünstig erscheinen die pecuniären Aussichten, welche der Handel am oberen Nil gegenwärtig gewährt, und dies unter Verhältnissen, welche auf Rinder- und Menschenraub im großen Maßstabe, sowie auf die von den leibeigenen Eingeborenen regelmäßig zu entrichtenden Abgaben an Korn und anderen Lebensmitteln basirt sind. Man kann sich daher vorstellen, wie bald die wenigen Europäer, welche zum Theil den Verkehr mit diesen Ländern eröffneten, und die bei Bezahlung ihrer Leute in klingender Münze sich weder mit Sklavenhandel noch mit Viehraub abgaben, [114] vielmehr lediglich auf den Aufkauf von Elfenbein im Gebiete ihrer Niederlassungen selbst angewiesen waren, sich von diesem Handel zurückziehen mußten, als einerseits das Elfenbein in ihrer Nähe verschwand, und sie andererseits der Concurrenz, welche ihnen durch illegale Mittel der erwähnten Art die einheimischen Firmen mit größtem Erfolge machen mußten, nicht mehr Stand halten konnten. Kein neuer Speculant hat es seitdem versucht, in ihre Fußtapfen zu treten, und wie der Chartūmer Handel selbst von Jahr zu Jahr mehr seine europäischen Repräsentanten einbüßt, so wird voraussichtlich der Einfluß des europäischen Handels überhaupt in diesen Ländern mit der Zeit ganz aufhören, wenn nicht die aegyptische Regierung selbst als belebende Kraft auftritt, und vor Allem den Handel am oberen Nil monopolisirend auf rechtliche Grundlagen zurückführt, was ihr nicht schwer werden dürfte, da für sie allein die Verhältnisse noch günstig sind. Indeß, um dieses weiter auszuführen, ist hier weder der Raum noch die passende Stelle geboten, ich kehre daher zu der Betrachtung des Landes selbst zurück und zu seinen ursprünglichen Bewohnern.

Die erste Rolle unter den Eingeborenen des Gebiets gebührt unstreitig den Bongo[12]; die unbotmäßigen Dinka nehmen das ganze nördlich und nordöstlich gelegene Land ein, und von den Djūr hat die Hauptseriba nur den Namen, weil ein Dorf derselben dazu gehört, im Gegensatze zu den fünf südlichen Filialseriben, deren Bevölkerung ausschließlich aus Dōr besteht, und welche daher von den Nubiern gemeinsam Derāu genannt werden. Da ich die anderen Stämme noch zu wenig kenne, so mag alles, was ich in Folgendem mittheilen will, auf die Dōr bezogen werden. Das Gebiet der Djūr erscheint auf der Heuglin-Hassenstein’schen Karte zu weit ausgedehnt; es ist meines Wissens hauptsächlich auf die Ufer des Djūr, des Wau (Njenām) und des Mōlmul beschränkt, und erreicht im Süden kaum den 7° nördl. Breite. Die Dōr dagegen nehmen alles Land bis zu den Mandu-Bergen ein (6° 30′), und dehnen sich gen Osten bis etwa 28° 30′ östl. von Gr. aus, wo sie auf die Māttu stoßen, die ihnen verwandt zu sein scheinen, allein eine abweichende Sprache reden.

Meist mittlerer Statur sind die Bongo in mehr als einer Hinsicht von den Dinka unterschieden. Zunächst fallen sie durch das weit lichtere Pigment ihrer Haut auf. Zwar giebt es auch unter ihnen viele ebenholzschwarze Gestalten, allein die Mehrzahl trägt ein Kupferroth zur Schau, welches nicht selten demjenigen der nördlichen Nubier, deren Confrontirung täglich zu Gebote steht, gleicht. Im Hinblick auf diese Farben gleichen sie den Niām-Niām, die wiederum durch [115] Haarwuchs und Schädelbau sehr verschieden erscheinen und die häßliche Sitte nicht kennen, sich die unteren Schneidezähne auszubrechen, was von den Schilluk im Norden an die Haupteigenthümlichkeit aller sogenannten Neger-Stämme[13] bildet, dagegen eine nicht geringere Verunstaltung durch Spitzfeilen aller Schneidezähne vorzunehmen pflegen. Das Ausbrechen der unteren Schneidezähne (beiden Geschlechtern eigen) geschieht beim Zahnwechsel, und obgleich ohne wahrnehmbar erbliche Folgen auf den Schädelbau bleibt es dennoch nicht ohne Einfluß auf denjenigen des Individuums. Es vermehrt die Prognathie bis zu thierischen Graden, und bewirkt, wie es scheint, sogar eine Knickung[14] der Schädelbasis nach aufwärts, und da hier diese Zähne ursprünglich schon eine nach außen schräge Stellung haben, werden sie durch den einseitigen Druck beim Kauen und den Mangel eines correspondirenden Halts immer mehr von ihrer vertikalen Richtung abgebracht, bis sie, wie ich deutlich bei vielen älteren Individuen sah, völlig horizontal[15] hervorstarren, von den Lippen nicht mehr hinreichend gedeckt werden können, und strahlenförmig durch Lücken von einander getrennt erscheinen, welche ebenso breit als die Zähne selbst sind, dem Kopfe ein Aussehn geben, wie, der Vergleich drängte sich mir unwillkürlich auf, ein Schweinskopf im Schaufenster, den die ingeniöse Hand eines Wurstlers mit Mandeln oder Speckstücken bespickt. So groß auch die sichtbaren Folgen dieser Verstümmelung bei dem Einzelnen sein mögen, auf die Fortgestaltung der Race scheint sie vorderhand keinen Einfluß zu üben. Die betreffenden Körpertheile sind zu edel, um ohne Weiteres äußeren Einflüssen zu gehorchen, eben so wenig, wie man durch consequentes Abbrechen eines Keimblattes aus einer dicotyledonischen Pflanze eine Monocotyledone zu züchten vermöchte. Da sieht man Knaben mit völlig regelmäßigen unteren Schneidezähnen und mit oberen, welche in einem den Verhältnissen entsprechenden Grade vertical erscheinen. Auch fehlt es nicht an Individuen, welche in den Seriben groß gezogen wurden, und welche nichts Ungewöhnliches an ihrem Gebiß verrathen.

Noch nicht im Stande, meine an den Eingeborenen angestellten Körpermessungen mitzutheilen, kann ich wenigstens jetzt schon auf die Eigenthümlichkeit dieser Race aufmerksam machen, welche in einem auffallenden Uebergewicht der Oberkörper-Länge besteht, während [116] bei den Dinka entschieden das Gegentheil der Fall ist. Auch in diesem Punkte stimmen viele der sogenannten Niām-Niām mit den Bongo.

Das Haar der Bongo bietet weder hinsichtlich der auf seine Pflege verwandten Sorgfalt noch in Betreff sonstiger Eigenthümlichkeiten irgend welches Interesse. Es ist das kurze, krause Wollhaar, an welches sich in Ermangelung von etwas Besserem krampfhaft die Lehre von der Racenselbstständigkeit und Zusammengehörigkeit des sogenannten Negergeschlechts klammert, während es in gleichem Grade wie Hautfarbe und Schädelbildung unter den Bewohnern dieses massigen Continents zu variiren pflegt. Häufig ist der Gebrauch einer helmartigen Kopfbedeckung, aus einem kurzen Korbkegel gebildet, welcher an der Spitze mit Federn geziert ist. Die Männer gehen nicht gänzlich nackt; ein kleines Fell, meist der hier äußerst häufigen Stammart unserer Hauskatze (durch nichts von letzterer verschieden!) oft auch von wilden Hunden und dergl., pflegt, um die Hüften geknüpft, nach hinten herabhängend getragen zu werden, während die Vorderpartie standhaft freigelassen wird. Die der europäischen Cultur so häufig von bekehrten Südsee-Insulanern zugefügte Schmach, den Frack verkehrt anzuziehen, wäre hier gewiß nie zu erwarten. Die Unterarme der Männer tragen den Ringbeschlag, die Unterschenkel der Frauen die klirrenden Ringe, wie ich sie bei den Danghé beschrieb. Auch sah ich Fußringe, welche von selbstverfertigtem Eisenblech mit großem Geschick hohl gearbeitet waren, an verschiedenen Stellen Einschnürungen zeigten, und in diesen Hohlräumen kleine Steinchen trugen, um beim Gehen ein schellenartiges Geklirr zu erzeugen. Die Ohren der Frauen sind am Rande durchlöchert und geziert wie bei den Djanghé, allein außer der durchlöcherten Oberlippe, welche meistens ein rundes Kupferstück (von der Größe eines Neukreuzers) trägt, ist auch die Unterlippe, und zwar in übertriebenster Weise mit einem Anhängsel versehen. Wahrscheinlich um das häßliche, satanische Hervorstarren der oberen Schneidezähne, welche stets weit vor den Unterkiefer vorragen, auszugleichen, wird in einem großen Spalt der Unterlippe ein kurzcylindrischer Holzklotz von etwa 2–3 Zoll Durchmesser geschoben[16], welcher das Volumen derselben 5–6fach vermehrt. Etwas oberhalb des Nabels, wie auch viele Männer zu erkennen geben, befindet sich häufig eine kleine Durchlochung der Haut, in welcher ein Stöckchen von der Größe eines Zündhölzchens gesteckt werden kann, wie in die Oberlippe der Frauen.

[117] Die Kleidung der Frauen ist ausschließlich paradiesischer Natur, d. h. sie besteht aus einem coquetten Gehänge grünen Laubes, welches täglich erneut wird, und in zwei Hälften an einer Lendenschnur befestigt nach vorn, kürzer nach hinten meist in Gestalt eines langen Schwanzes herabhängend getragen wird. Ein solcher Schwanz wird noch häufiger aus Rindenbast gebildet, während das Laub für die Vorderpartie bleibt. Durch diesen Anhängsel nimmt die Silhouette einer gravitätisch daherschreitenden fetten Frau in so hohem Grade den Charakter eines tanzenden Pavians an, daß man nicht genug über den großen Contrast zwischen beiden Geschlechtern staunen kann. Alle völlig ausgewachsenen Frauen sind im höchsten Grade wohlbeleibt und tragen erstaunliche Fleischmassen mit sich herum. Ihre Schenkel haben nicht selten die Stärke des Brustumfangs schlanker Männer, und die Hüftenpartie, in einer Weise aufgetrieben, wie man sie bei der berühmten Figur von der hottentottischen Venus in Cuvier’s Atlas gewöhnlich für exagerirt hält, wie sie aber hier zu Lande eine tagtäglich in reichem Maße dargebotene Erscheinung bildet, sticht so gewaltig von der normalgebildeten, schon an und für sich üppigen Brust ab, daß, namentlich beim Tragen großer Wasserkrüge auf dem Kopf, ihrer gewöhnlichen Attitude, die Körpercontur die Gestalt eines abwechselnd gedrehten Ƨ anzunehmen pflegt. Ich halte dafür, daß Bongofrauen, deren Gewicht drei Centner beträgt, durchaus nicht zu den Seltenheiten gehören.

In Betreff des Gesichtsausdruckes giebt sich bei beiden Geschlechtern eine verwirrende Mannigfaltigkeit kund. Kurze Nasen, lange Nasen, platte und breite scheinen ohne Regel miteinander abzuwechseln. Im Ganzen genommen kann indeß nicht bestritten werden, daß diese Race in ihren Formen einen weit ästhetischeren Charakter zur Schau trägt, als den Dinka’s eigen ist, und jugendliche Personen, namentlich nicht völlig ausgewachsene Frauen, können nicht selten zu den ersten Schönheiten gerechnet werden, welche das schwarze Afrika aufzuweisen hat.

Fremd der großen Viehzucht, wie sie bei den Dinka’s verbreitet ist, haben die Bongo’s diesem Umstande ihren Frieden mit den sogenannten Türken,[17] und letztere wieder die Widerstandslosigkeit ihrer Untergebenen zu verdanken. Nur Hühner und einige Schafe und Ziegen bilden außer Hunden, welche, weit verschieden von der edlen Windspielrace der Schilluk, dem gemeinen Dorfköter des ägyptischen Sudan nahe stehen, die Hausthiere der Bongo.

[118] Besprechung verdient die industrielle Thätigkeit der Bongo, welche in mancher Hinsicht viel technisches Geschick bei gänzlichem Mangel an Handwerkzeug an den Tag legen. Daß sie die Djūr in der Schmiedekunst noch übertreffen und mit ihrem rohen Blasebalg und dem stiellosen Steinhammer Producte erzeugen, welche Sachkenner als die ziemlich gute Arbeit eines englischen Land-Schmieds anerkannten, hat bereits Petherick (S. 395) in seinem bis auf die ungenauen Routenangaben, welche er zum Theil blos von Hörensagen niedergeschrieben, nicht uninteressantem Buche „Egypt, the Soudan and Central Afrika“ besprochen, wo er auch die eigenthümliche Methode beschreibt, nach welcher die Bongo das Eisen[18] gewinnen. Proben dieser Kunst sind als Randverzierung auf der Hassensteinschen Karte zu Heuglin’s Reise abgebildet, zu welchen sich die Holzschnitzarbeiten gesellen. Auch Elfenbeinringe, als seltener Schatz von den Männern am Oberarm getragen, werden zierlich verfertigt, kugelrunde Thongefäße von allen Größen gebrannt, Körbe geflochten, und Netze aus hanfähnlichem Bast geknüpft, mit welchem sie Wild fangen, welches sich beim Steppenbrande in denselben verschlingt.

Alle Bongo sind leidenschaftliche Musiker, und obgleich ihre Instrumente ganz primitiver Natur sind, kaum diesen Namen verdienen, und die zierlichen, nach allen Regeln der Akustik gebauten Guitarren der Niām-Niām ihnen ein Räthsel bleiben, so sieht man sie doch überall und zu jeder Stunde ihren Klimpereien nachhängen. Am leidenschaftlichsten sind die Knaben und jüngeren Leute. Sie verfertigen sich kleine Flöten, schlagen mit einer kleinen Ruthe auf die straffe Sehne eines Bambusbogens, dessen Ende vor die Mundhöhle gehalten wird, welche als Resonanzboden dient, oder sitzen stundenlang vor einem solchen Bogen, den sie in die Erde gesteckt haben, und dessen Sehne sie über eine verdeckte Erdhöhle befestigen, welche nebenbei ein Schallloch hat. Indem sie nun die Hand bald an diese bald an jene Stelle des Bogens legen, erzeugen sie eine Menge klingender, oftmals ganz hübscher Modulationen. Namentlich waren es Knaben, die sich beim Weiden der Ziegen auf solche Weise die Zeit vertrieben, und mit größtem Ernst und sichtlichem Kunstgenuß ihren Studien oblagen.

Allein weit gewaltigere Mittel den Tonsinn zu wecken, als diese kindischen Spielereien, kommen bei ihren Festen zur Geltung, deren Orchester gewöhnlich in die ausgelassenste Katzenmusik ausartet. [119] Kräftige unermüdliche Schläge der Nogarra,[19] fortwährendes Ertönen der Kuhhörner und täuschendes Rindergebrüll erzeugende Riesenflöten, aus Baumstämmen geschnitzt und an einer kleinen, seitlichen Oeffnung mit vollen Lungen geblasen, bilden die Basis dieses meilenweit ertönenden Höllenlärms, während Hunderte von Männern und Frauen, gesondert nach dem Geschlechte und von den Kindern in dritter Linie umstellt, theils Flaschenkürbisse mit kleinen Steinchen schütteln, als gelte es Butter zu schlagen, theils mit Stöcken auf Bündeln von dürren Reisern schlagen, was einen ganz eigenthümlichen Effect hervorruft. Daß dabei Alle nach Leibeskräften schreien, kreischen und brüllen, ist wohl selbstverständlich, daß sie aber zu so vielen Anstrengungen des Leibes unermüdlich in allen nur denkbaren Kautschukbewegungen ausharren, läßt sich nur bei gehöriger Würdigung der Zähigkeit einer Negernatur begreifen.

Die Gesänge der Bongo zu beschreiben, ist wohl eine schwere Aufgabe; ein plapperndes Recitativ, das oft an Hundejammer, oft an an Kuhgebrüll zu erinnern scheint, und mit langen Schwätzereien in gewöhnlicher Stimme, d. h. einer langen Reihe schnell hinter einander ausgestoßener Worte abwechselt, so könnte man sie annähernd bezeichnen. Ihre vocalisirte Sprache ist reich an schwer nachahmbaren Lauten, und ich glaube, daß man zur richtigen Erlernung des Bongo sich die vier unteren Schneidezähne ausziehen lassen müßte.

Zum Schluß muß noch der Spiele gedacht werden, in welchen die Bongo ihre Gewandtheit üben, und die ebenso originell zu sein pflegen, als ihre primitiven musikalischen Versuche. Unter ihnen verdient namentlich eines als Uebung zur Jagd mit der Lanze gebräuchlichen Spieles gedacht zu werden. Umgeben von einem großen Kreise von Männern, welche anstatt der Lanzen mit spitzen Stäben harten Holzes bewaffnet sind, läuft Einer innerhalb dieses Raumes umher, indem er unter den Beinen beim Laufen ein an einen langen Strick befestigtes Stück weichen Holzes, meist eine Kigelia-Frucht, kreisen läßt. Die Umstehenden werfen nun ihre Stäbe und bemühen sich, das kreisende Holzstück zu treffen. Sobald letzteres getroffen wird fällt es zu Boden, und ein großes Halloh begrüßt den Sieger. Ein zweites Spiel erfordert nicht geringere Geistesgegenwart. Ein halbmondförmig gekrümmtes Holzstück trägt in der Mitte eine kurze Leine; dieses wird mit Gewalt derartig mit dem einen Ende auf den Boden geschleudert, daß es kreisend die Luft durchschneidet. Eine Gruppe von etwa 20 Schritt vis-à-vis Stehenden sucht nun das Holz am Bande zu fangen, [120] was sehr geschickt angestellt werden muß, wenn der Betreffende sich nicht einen derben Schlag zuziehen will. Beide Spiele empfehlen sich unseren ländlichen Belustigungen.

Da nun das Ziel meiner Hauptthätigkeit hierselbst die Erforschung der Pflanzenwelt ist, und diese bereits Gegenstand einer eigenen Arbeit geworden ist, so enthalte ich mich hier eingehender Nachrichten und beschränke mich darauf, nur die hauptsächlichsten Eigenthümlichkeiten der Flora an dieser Stelle hervorzuheben. Durch die große Mehrzahl der Arten von den übrigen Theilen der Nilflora gänzlich verschieden, zeigt das Gebiet, welches offenbar eine weit größere Artenmenge beherbergt, als auf gleichem Raume Abyssinien, Sennar oder Kordofan, eine entschiedenere Verwandtschaft mit Guinea und den südlichen Nigerländern. Die große Anzahl von Rubiaceen, darunter die größten Bäume, der Liliaceen und der Anonaceen, Sapotaceen, Melastomaceen und Scitamineen mit vielen Arten sprechen allein schon dafür. Die wenigen Arten, welche dieses Land, das Tondj-Djūr-Land, mit den bekannten Theilen des Nilgebiets gemein hat, sind entweder bereits sämmtlich in anderen Theilen des tropischen Afrika’s gefunden worden, oder werden wohl noch daselbst gefunden werden. Eine bisher im östlichen Afrika noch unbekannte Pflanzenklasse fand sich in Gestalt von Isoëtes, welcher den Grund der Regenteiche bedeckte, hierselbst vertreten. Ein großer Lianenstrauch aus der Familie der Apocynaceen, Carpodinus, von den Bongo Monō genannt, ist wegen des Guttapercha liefernden Milchsaftes bemerkenswerth; die Frucht gleicht einem Granatapfel, und gehört zu den wohlschmeckendsten des in dieser Hinsicht armen Afrika’s. Der häufigste Baum des Gebiets ist unstreitig der Butterbaum, Lūlu der Bongo, und nächst ihm ist keiner so verbreitet wie Crossopteryx, der afrikanische Repräsentant der Chinabäume. Ich nenne von den hervorragendsten Typen des Waldes noch folgende Geschlechter: Kigelia, Odina, Sterculia, Tamarindus, Khaya, Soymida, Parkia, Anogeissus und Ficus mit je einer, und Combretum, Terminalia, Gardenia, Cordyla, Vitex, Urostigma, Chrysophyllum etc. mit zum Theil zahlreichen Arten. Die 660 bisher von mir in diesem Gebiet gesammelten Arten von Phanerogamen vertheilen sich folgendermaßen unter die wichtigsten Familien: Papilionaceae 66, Gramina 50, Cypraceae 46, Rubiaceae 38, Euphorbiaceae und Liliaceae je 28, Compositae 26, Scrophulariaceae 20, Convolvulaceae 16, Cucurbitaceae 15, Ampelideae und Asclepidaceae je 14, Capparidaceae und Acanthaceae je 12, Mimosaceae 13, Moraceae 11, Combretaceae 10. Auch 5 Arten Farrnkräuter, 2 Ophioglossum und Marsilea finden sich im Gebiet, welches im Gegensatze zum ägyptischen Sudan bereits mehrere Arten Laubmoose und eine nicht unbedeutende Zahl Lebermoose, [121] nebst einer zahlreichen Menge von Pilzen, Baumschwämmen und Flechten beherbergt.

Die Culturpflanzen des Gebiets sind 1) Sirch (Sorghum vulgare), welches in zahlreichen, durch Färbung, Gestalt und Größe des Korns verschiedenen Formen gezogen wird. Auffallend ist die erstaunliche Zeitdauer, welche die Mehrzahl derselben bis zu ihrer völligen Reife bedarf. In Gallabat rechnet man 5–6, hier 9 volle Monate von der Aussaat bis zur Ernte. Ende April wird gesäet, und die Ernte beginnt Anfangs December, wenn die Regenzeit ihr Ende erreicht hat, und für 4–3½ Monat völliger Trockenheit weicht. Dabei erreicht der Sirch eine Höhe von nie unter 15 Fuß, ja an einigen Stellen sogar bis zu 20 Fuß, während sein Schaft rohrartig verholzt und allgemein zu Zäunen etc. verwandt wird. Manche Exemplare sind auch insofern zweijährig, als sie nach dem völligen Absterben beim ersten Regen wieder Achselknospen aus den Wurzeln treiben. Solche läßt man stehen und erntet von ihnen zum zweiten Mal. Eine Auflockerung des Bodens findet nicht statt, auch die Natur sorgt nicht dafür, da der reine Humus meist zu wenig Thon enthält, um in tiefe Risse zu spalten (wie häufig im südlichen Nubien), und dann vermöge des rasch in die Tiefe dringenden Regens von unten aufzuquellen. Vielleicht ist dies die Ursache des langsamen Wachsthums. Der Eingeborene hat indeß Arbeit genug während der ersten 2–3 Monate, um das wuchernde Unkraut zu entfernen. Manche geben sich beim Feldbau viele Mühe und pflanzen sogar dicht zusammengesäete Exemplare einzeln um. 2) Zuckerhirse (Sorghum saccharatum) Ankolib des Sudan, von welcher oft auch außer dem zum Kauen bestimmten Mark das Korn geerntet wird. 3) Duchn (Pennicillaria). 4) Telebūn der Araber, Tokusso der Abyssinier (Eleusine coracana), ein schlechtes Brod gebend, und im Niām-Niām-Lande, wo Sirch fehlt, das Hauptgetreide ausmachend. 5) Mais von mittelmäßiger Güte. 6) Sesam in außerordentlicher Menge als Nahrungsmittel, weniger zur Oelbereitung dienend, da der Lulu die Einwohner hinreichend mit Fett versieht. 7) Tabak (und zwar Nicotiana rustica) mit kleinen derben Blättern, welche an und für sich scharf und stark narkotisch, durch festes Zusammenstampfen im Holzmörser und zu kleinen nur schwer zu zerbröckelnden Kugeln gepreßt, einen um so stechenderen Geschmack beim Rauchen erzeugen. 8) Kürbisse und Flaschenkürbisse, auch ab und zu Wassermelonen in großer Menge auf allen Feldern. 9) Erdnüsse (Arachis) und Erderbsen (Voandzeia) werden im großen Maaßstab gebaut. 10) Dioscoria alata mit handförmig gefingerten Knollen von vorzüglichem Geschmack, hier und da angepflanzt. 11) Vigna Catjang, mittelmäßige Bohnen, welche unter das Korn gesäet werden [122] und bei dessen Ernte reifen. Zwiebeln sind den Eingebornen unbekannt, desgleichen die Gemüse des Sudans, namentlich Abelmoschus (Bamia), Capsicum (Schiteta), Tomaten etc.

Sehr überraschend gestalteten sich nun die meteorologischen Verhältnisse, da ich vor allem weit größere Regenmengen erwartet hatte. Obgleich über eine weit größere Anzahl von Monaten ausgedehnt, scheint dennoch die durchschnittliche Wassermasse der Regen hier eine weit geringere zu sein, als in Gallabat und dem Sennār, wo die ersten Regen Anfang Mai, und die letzten Anfang October statt hatten. Während es nun daselbst fast ausnahmslos bei Nacht oder von Sonnenuntergang bis zum Morgen zu regnen pflegte, die Tage aber mit ganz seltenen Unterbrechungen sonnenklar waren, lehrt die Erfahrung hier zu Lande, den Regen stets nach Mittag zu erwarten. Man reist daher in dieser Jahreszeit nur Vormittags, und macht in Folge dessen meistens weit kleinere Tagemärsche, als im Sommer-Winter. Als Regel kann gelten, daß, wenn die Sonne klar aufgegangen oder es sich in den ersten Stunden aufklärt, sicherlich vor 1–2 Uhr Nachmittags kein Regen zu erwarten steht. In Gallabat wäre es als ein großes Kunststück zu betrachten gewesen, während der Regenzeit mit Pantoffeln (türkischen Schuhen) von Haus zu Haus zu spazieren; hier bedient man sich tagtäglich dieser Art Fußbekleidung. Während die meisten europäischen Gemüse in Gallabat von der übergroßen Nässe litten oder ausarteten, verkümmerten mir hier viele in den Monaten Mai bis August bei langen Regenpausen von 4–6 Tagen, während andere vortrefflich gediehen, nachdem man sehr häufig zum Begießen genöthigt gewesen war. Um das Gesagte zu erhärten, führe ich an, daß der März dieses Jahres 1869 4 kleine Regenschauer, der April 7 Güsse, der Mai 7 mehrstündige Regen und der Juni 10, der Juli 11 und ¾ des August (vom 1–21ten) 12 derselben zählte. Regen, welcher den ganzen Tag ohne Unterbrechung währte, fehlte. Bis zum Juni pflegten sie von sehr heftigen Gewittern und Stürmen begleitet zu sein, dann wurden letztere seltener. Durch meine ambulante Lebensweise außer Stande, die Temperaturveränderungen aufzuzeichnen, kann ich nur im allgemeinen anführen, daß Ende Juli ein bedeutender Umschwung Platz griff, und von da an eine nur bei klaren Mittagsstunden unterbrochene Sommerluft unserer Zonen an die Stelle der höchsten Hitzegrade trat, welche bis dahin vorgewaltet hatten. Der erste Regen fiel in der Meschera am 2. März, und am 16. desselben Monats brachen sich zum erstenmale die von da ab vorherrschenden S.W-Winde Bahn. Die Barometerschwankungen sind hier beträchtlich, allein ihr durchschnittlicher Stand ist kaum wahrnehmbar von dem in der Meschera verschieden. Ich [123] nehme indeß an, daß die Seriba Ghattas an 100 Fuß über den niedrigsten Spiegel des Gazellenflusses gelegen sein möchte, eine Vermuthung, welche mir die Entfernung und der Terraincharakter, sowie die auf der Tour zum Djūr gemachten Wahrnehmungen bestätigten.

Am 18. Mai 5½ Uhr Nachmittags hatte ich Gelegenheit, hierselbst ein imposantes Naturphänomen zu beobachten. Große Wolkenanhäufungen verdeckten die dem Horizont genäherte Sonne, ließen aber über demselben goldene Lichtstreifen frei. Wie ein gewaltiger Alpenstock von dunkler, massiger Gestalt lagerte, umgeben von grünlich-schimmernden Gletscherfeldern und endlosen Lawinenmassen, die Centralwolke dieser großartigen Accumulation finster, bleifarben und unbeweglich auf den sich gleich Theatercoulissen vorschiebenden Strati, welche das Ganze majestätisch gen Norden wälzten. Scharf abstechend vom Glanze der untergehenden Sonne zeigte jenes gewichtige Wolkenhaupt an seinem oberen Contour drei abgerundete Anschwellungen neben einander, und letztere erschienen wie umstrahlt von einer himmlischen Glorie und im Zauberlichte überirdischer Farben, jede einzeln von einem eigenen Regenbogen berandet, von welchem nach allen Richtungen radiale Schattenstrahlen weit über das Firmament verliefen. Der unvergeßlicbe Anblick, welchen ein dreigegliederter (nicht dreifacher) Regenbogen und die merkwürdigen Schattenstrahlen gewährte, dauerte 5 Minuten, und bot Zeit, nach den Pastellstiften zu greifen, mit welchen ich das Zauberbild skizzirte.


Streifzüge zwischen Tondj und Djūr.

Den 6–10 April verbrachte ich in den benachbarten Seriben Gir und Addai des Ghattās. Gir, genau südlich von der Haupt-Seriba gelegen, kann auf nächstem Wege in 3½ starken Stunden erreicht werden. Inmitten einer von W. nach O. streichenden sanft und allmählig abfallenden Depression, welche ein von Bambus-Dschungeln umstandener Bach durchfließt, der dem Tondj tributär, befindet sich, umgeben von zahlreichen kleinen Dörfern und ausgedehnten Feldern, dieses Filial-Etablissement. Der Weg dahin beschreibt mehrere Zickzackwindungen. Zunächst erreicht man in SSW. nach etwa ¾ Stunden einen von Regenbetten durchfurchten dichten und hochstämmigen Park, welcher inmitten niederer Sumpfsteppen während der Regenzeit unter Wasser steht, und von riesigen Rubiaceen- und Myrtaceen-Bäumen mit 80 Fuß hohen geraden Stämmen gebildet wird. Die Leute der Seriben pflegen die von mir häufig besuchte Localität Genēna, Garten oder Park zu nennen, sie bildet einen auffallenden Gegensatz zu den übrigen Waldungen des Gebiets, erinnerte mich zum [124] erstenmale auf allen meinen Reisen in diesem Welttheil an die Pracht nordischer Wälder, und fand nur in zwei ähnlichen Partieen des Landes ihres Gleichen, am Chor von Okel östlich, und bei der verlassenen Seriba Kurschuk Ali westlich von Djūr. Uncarien mit weichem 2 Fuß langem Laube und lederblättrige Syzygien bilden diesen indeß auf einen kurzen Raum beschränkten Hochwald. Interessant erschien auch das Vorkommen von Phoenix spinosa, der Weinpalme Westafrika’s, welche meist in Gestalt von Gestrüpp, und selten Stämme von 4–6 Fuß Höhe bildend, im gesammten oberen Nilgebiete zerstreut angetroffen, aber von den Eingebornen unbenutzt gelassen wird.

Die folgende Strecke besteht zur Hälfte aus Steppenniederungen, wo häufig ganze Heerden Giraffen anzutreffen sind, und z. Th. aus festem Felsboden von dichten Buschwaldungen überdeckt, in denen es von Warzenschweinen wimmelt. Der Bambus, bei der Haupt-Seriba fehlend und stets auf die Ufer von Bächen und Flüssen beschränkt, gehört derselben Art an, welche dem Dār Fāzogl und den Kuolla-Regionen Abyssiniens eigen ist. Das Rohr erreicht bis 30, selten bis 40 Fuß Höhe, und besitzt an den stärksten Exemplaren, die ich sah, einen Durchmesser von 3 Zoll rh. (7 Centm.). An den Knoten nirgends angeschwollen, bietet es zudem den großen Vortheil einer leichten Spaltbarkeit; daher werden die Wände der Hütten mit demselben umflochten, während die Kegeldächer auf Kränzen und Stangen von solchem Rohre ruhen.

In Gir tobten zwei Nächte und ein Tag in ununterbrochener Folge die wilden Orgien der Eingeborenen, welche zu einem bei der Aussaat und zum Regenmachen stattfindenden Feste aus der Umgegend in großer Zahl versammelt waren. Unglaubliche Massen von Merissa wurden vertilgt und versetzten die Gesellschaft in denjenigen Grad von Extase, welcher sie zur Ausdauer im Getobe befähigte. Musikalische Unterhaltungen der erwähnten Art spielten die Hauptrolle beim Feste, zu dessen Verherrlichung die Körper von Lulufett trieften. Die kautschukartigen Bewegungen der Tanzenden stimmten vortrefflich zu ihrer Hautfarbe; in der That glaubte man eher ein maschinenmäßiges Puppenspiel, als eine Unterhaltung vernünftiger Wesen vor sich zu sehen.

Ein 1½ stündiger guter Marsch führte von hier durch dichten Buschwald in SSO. zu der kleinen Seriba Addai, welche am Nordrande der vom Tondj durchströmten Niederung gelegen ist, einer Steppenfläche von über einer Stunde im Durchmesser, welche im SO. von bedeutend ansteigendem Boden begrenzt wird. Ein schönbewaldeter Felsabsturz voller Eberhöhlen und am Fuße von dichten Bambus umstanden, auf der Ostseite, und eine 120 Fuß aus der Steppe sich erhebende, Lelē genannte Hügelkuppe in SSW., ½ Stunde entfernt, bilden die [125] ersten beträchtlichen Terrain-Differenzen im Süden der Haupt-Seriba. Um den Lelē-Hügel zu erreichen, muß man einen schmalen, aber (selbst in der trocknen Zeit) tiefen Graben, den weit von Süden herströmenden Chor von Kulōngo durchschreiten; letzterer ergießt sich hier in den Tondj, dessen steilabstürzende Thonufer, im April 15 Fuß über dem Wasser, man in einer halben Stunde gen Süden von Addai aus betritt.

Der Tondj, welcher jetzt zur Zeit seines tiefsten Standes an dieser Stelle eine Tiefe von 4–7 Fuß ziemlich schnell fließenden klaren Wassers hatte, welches die abstürzenden Ufer im Abstande von nur 50 Fuß begrenzten, tritt im Charif weit über seine Ufer und soll, wie mir Augenzeugen mittheilten, alsdann, lange bevor er seine Eintrittsstelle in den Bachr-el-Ghasāl bei den Nuēr erreicht, als uferloser Fluß seine Gewässer mit den unregelmäßig weithin überschwemmten Niederungen verschmelzen.[20] Ferner hieß es, daß er nicht aus dem Niām-Niām-Lande (wenigstens nicht aus demjenigen südwestlichen Theile, den die Expeditionen von hier aus zu besuchen pflegen) seinen Ursprung nehme, sondern von SSO. herkäme. Seine Richtung an der besuchten Stelle war von WSW. zu ONO., gen Westen jedoch beschrieb er einen deutlichen Bogen südwärts zu, so viel ich aus den Lichtungen des Lelē gewahr wurde.

Vom 27. April bis zum 13. Mai unternahm ich einen größeren Ausflug gen Westen, welcher mich über den Djūr und Waufluß führte. Eine Anzahl Träger und vier meiner Leute genügten zu meiner Begleitung, da das Gebiet innerhalb der Seriben ganz sicher zu durchziehen ist, und häufig genug einzelne Bewaffnete den Weg zu machen pflegen. Selbst unabhängige Eingeborene würden von jeder Attaque abstehen, da sie ohne Noth und ohne gereizt worden zu sein, schwerlich mit dem Opfer des Einen oder Anderen von ihnen eine Beute erkaufen möchten, deren nachträgliche Rechnung gewiß nicht ohne böse Folgen für Alle bleiben würde.

In 3 Stunden und 11 Minuten nordwestlichen Marsches wurde Petheriks ehemalige Seriba erreicht, jetzt Eigenthum seines früheren Agenten, des mit Kurschuk Ali associirten Abderrachmān Abu-Gurūn. Diesen Beinamen (Vater der Hörner, Stier) führt der Genannte des weitverbreiteten Rufes seiner Kühnheit und Unternehmungslust wegen, da er unter den Lebenden als erster Niām-Niām-Reisender gilt. Alle Nubier im Gebiete führen ähnliche Beinamen, da sich die Mohameds etc. zu häufig wiederholen. Die Charakter dieser Seriben-Verwalter, [126] wie überhaupt aller dieser Abenteurer, bietet zweierlei Menschenklassen dar, die einen sind feige, scheinheilig, stets betend, aber um so hartherziger, die anderen offene, kühne Räuber. Die letzteren sind natürlich die besseren, da es ihnen selten an einem gewissen Anflug von Ritterlichkeit und Großmuth fehlt, welche sie dem Schwächeren gegenüber bezeugen[21]. Zu diesen gehörte auch der gehörnte Abderrachmān. Nach der ersten Stunde waren wir bei dem Dorfe des Magūab, welcher bereits dem Abu Gurūn zinsbar ist, und ½ Stunde weiter wurde der Chor Mōlmul überschritten, welcher gegenwärtig ein kleiner aber tiefer, ab und zu Brunnenlöcher enthaltender Graben ist, der sich von SSW. nach NNO. hinschlängelt in einer nicht weiten Depression, und während der Regenzeit bei 70 Fuß Breite nur schwimmend passirt werden kann. Alle Aussagen stimmen darin überein, daß der Mōlmul (d. h. der Steinige) vom Fluß komme und zum Fluß wieder gehe. Verschiedenen Angaben zufolge verbindet er sich mit den Gewässern der Meschera oder oberhalb derselben mit ihren Zuflüssen, während Hassenstein’s Karte keinen derartigen Chor angiebt, welchen Heuglin auf seiner Route zum Djūr passirt hat. Indeß wäre es nicht unmöglich, daß dieser Reisende das Bett desselben in der trockenen Zeit übersehen und im Charif dasselbe bei den vielen überschwemmten Niederungen nicht hatte unterscheiden können. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dieser Mōlmul auch der nämliche Fluß, welchen Petherick auf seiner vorgeblichen Tour nach Mandu bei Nearhé gekreuzt haben will, und dessen Bett er eine Breite von 120 Yards zuschreibt. Wenn seine Leute von Dangā und Kurkur kamen, so liegt es auf der Hand, daß sie den Mōlmul passiren mußten, dessen Bedeutung an dieser Stelle sie übertrieben. Alle stimmen darin überein,[22] daß der Djūr erst weit jenseits der Manduberge überschritten wird. Zwischen Kilēbi und Mandu existirt kein Bach von irgend welcher Bedeutung, und der Chor von Kulōngo muß von der Hauptseriba des Ghattās aus bis zu jenem Punkte zweimal überschritten werden.

Hat man den Mōlmul passirt, so kommt man zu den Hütten des Majōb, von welchen gen Norden etwa 20 Minuten entfernt das von Antinori 1860–61 bewohnte Dorf Nguri des dieses Jahr verstorbenen Schech Elwāl gelegen ist. Wo Petherick’s Seriba Madunga stand, konnte mir Niemand angeben, selbst Abu Gurūn kannte den Namen nicht. Diese Leute vergessen Alles was sie gestern erlebt, und sorgen nur für den Augenblick.

[127] Ein sehr unangenehmer Weg, welcher 4½ Stunde lang meist über baumlose Steppen ohne Brunnen und voller holperiger Thonklöße führte, ließ uns in WNW. Agāds kleine Seriba Djūr Ewēt[23] erreichen, welche am Westabhange einer stundenbreiten sanften Landsenkung von mindestens 200 Fuß rel., die zum Bassin des Djūr neigt, gelegen ist, und außer Sirchfeldern von ½ Stunde im Durchmesser und wenigen großen Dörfern nichts von besonderem Interesse darbot als einige botanische Funde.

Bei Fortsetzung des Weges zum Djūr ging es in der früheren Richtung weiter. Anfänglich zwei Stunden in der mondhellen Frühe umherirrend, weil das Dunkel der Wälder meine schlechtberathenen Träger in ein Labyrinth unzählig sich kreuzender Pfade führte, gelangten wir schließlich bei einer offenen Wiesensenkung voll blühender Pancratien auf den rechten Weg und zu den Dörfern des Aquād and Dimō im Gebiete Agāds, wo gen NW. ein felsiger Absturz von etwa 50 Fuß rel. sich weit hinzog, und correspondirend mit einer ähnlichen Erhebung gegenüber im Abstande von ½ Stunde eine Art Thal schuf, welches von Feldern bedeckt erschien. Eine charakteristische Hügelkuppe, kaum 100 Fuß hoch, erhob sich im Süden der genannten Dörfer, die nur eine Stunde von Djūr Ewēt entfernt waren.

Anfangs am NO.-Abhange der genannten Felssenkung weiterziehend, welche, das erste und letzte Mal während aller meiner Touren im Gebiet, mir in Gestalt einiger Geschiebe von feinem schwarzen Diorit etwas Neues darbot, erstiegen wir die sanfte Anhöhe und gingen mehr westwärts durch prachtvolle Buschwaldungen bis zu dem ersten Dorfe Kurschuk Ali’s, dessen Vorsteher Ateīn uns rauchend aus einer von Kupfer gefertigten Staatspfeife empfing. Nach fünfstündigem Marsche waren wir am Ostufer des Djur, welchem wir noch ¼ Stunde bis zu einer bequemen Furt abwärts gen Nord folgten. Umgeben von einer Steppenniederung, eine Stunde im Durchmesser, erhoben sich die steilabstürzenden Ufer, von Sand und Thon gebildet, jetzt (28. April) etwa 20–25 Fuß über dem Wasser. Ein prächtiger Hain von Deleb-Palmen (Borassus) ziert die Ufer eine kleine Strecke weiter gen Norden. Das kiesigsandige Bett des Djūr war an dieser Stelle 200 Schritte, die ich zählte, die Wasserfläche aber, welche ziemliche Strömung verrieth, war nur 80 Fuß breit, und zu dieser wasserärmsten Zeit an den tiefsten Stellen 4 Fuß messend. Ich erfuhr in [128] der Seriba, daß der Djūr noch vor wenigen Tagen den Leuten bis an die Schultern gereicht habe, und daß jetzt sein niedrigster Stand eingetreten sei. Als ich zehn Tage später den Fluß an einer ¾ Stunden südlicher gelegenen Stelle überschritt, war sein ganzes Bett in einer Breite von 200 Schritt wasservoll, allein dessen ungeachtet konnte ich auf den Schultern zweier starker Männer sitzend trocknen Fußes das andere Ufer erreichen. v. Heuglin, welcher an einer Stelle, die ich auf 8½ deutsche Meile von hier gen NO. zu N. gelegen annehme, den Djūr am 8. April 1863 überschritt, gab daselbst eine Breite von 300 Schritt und eine Tiefe von 1–3 Fuß an.[24]

Nachdem ich an erstgenannter Stelle ein Canoe zur Ueberfahrt benutzt, unternahm ich in der Mittagshitze auf der gegenüberliegenden Seite eine mehrstündige Jagd auf große Kuhantilopen, verirrte mich und langte äußerst erschöpft im Dorfe des Rōl an, wo ein Paar meiner Leute auf mich warteten. Wir hatten in SSW. noch l½ Stunden zu marschiren, um Kurschuk Ali’s neue Hauptseriba, die in diesem Jahre gegründet worden, zu erreichen.

Kurschuk-Ali’s Djūr-Seriba liegt nach allen Seiten von dichtbewaldeten Hügelwellen umgeben, in einer unregelmäßig zum Flusse geneigten Thalniederung, welche mich wiederholt an die Umgegend von Bukow und die sogen. märkische Schweiz erinnerte. Hier hat Chalīl, der Verwalter, nach der gänzlichen Zerstörung des alten Etablissements durch eine Feuersbrunst das neue in Gestalt einer Art Muster-Seriba errichtet. Nirgends gewahrte ich bei den andern Seriben Planmäßigkeit, Ordnung und Reinlichkeit wie hier. Die Magazine allein und die Wohnung des Verwalters erhoben sich auf einem freien sauberen Platze inmitten des Pallisaden-Carré’s, welches in geraumem Abstande erst von den Hütten der Soldaten und Zugehörigen des Etablissements umgeben wird. Die der Salubrität so nachtheilige Anhäufung vieler dieser lüderlichen Behausungen auf einem Platze, und die in Folge derselben beständig drohende Feuersgefahr, schließlich der Nachtheil bei einem Angriff seitens der Eingebornen, nirgends freies Terrain zur Vertheidigung zu haben, bestimmten Chalīl zu diesen Neuerungen. Sehr fremdartig nahmen sich die schönen neuen Hütten aus, welche er nicht, wie fast in ganz Afrika gebräuchlich, von runder Gestalt erbauen ließ, sondern die hohe, vierkantige Wände besaßen, und in Folge dessen weit mehr Raum und Bequemlichkeiten darboten.

Alsbald nach meiner Ankunft sah ich mich von einer ganzen Schaar neu angelangter Niām-Niām umgeben, welche mit ungleich [129] mehr Neugierde mich und meine Sachen begafften, als ich es bei den stupiden Eingeborenen des Landes gewohnt war. Ein Dolmetscher ermöglichte eine vollständige Conversation, die mir nicht geringes Interesse gewährte. Während ich mich an ihren musikalischen Leistungen auf der Guitarre erfreute, konnten die Niām-Niām sich nicht genug an den dargebotenen Wundern satt sehen. Meine Uhr, ein Hinterladergewehr, die Revolver, bis zu den Kleidern und Zündhölzchen, mußten ihnen Stück für Stück erklärt werden. Diese Leute waren nicht eigentliche Sklaven, sondern, wie häufig der Fall, aus freien Stücken und nur um ein Hemd und ein Gewehr tragen zu können, den Fremdlingen gefolgt. Diese zwei Bedingungen, die gute Fütterung natürlich mit inbegriffen, sind ausreichend, um überall in diesen Ländern ganze Schaaren von Begleitern und Knechten um sich sammeln zu können, und ich deute absichtlich darauf hin, um zu zeigen, wie leicht es der ägyptischen Regierung werden würde hier nach Belieben zu rekrutiren, ohne den geringsten Zwang ausüben zu müssen. In diesen Verhältnissen ließe sich auch eine Lösung der schwierigen Frage finden, wie man bei der Sklaverei (welche an und für sich weder als etwas Unrechtes noch als etwas der menschlichen Gesellschaft Nachtheiliges betrachtet werden kann, wenn man einen unparteiischen Blick auf unsere socialen Zustände und die Geschichte der Neger in den Colonien wirft), die böse Alternative vermeiden soll, entweder mit Menschen Handel zu treiben, oder Menschen rauben zu müssen.

Unter den interessanten Bekanntschaften, die ich hier machte, muß auch die eines Sklavenhändlers aus Tunis genannt werden, welcher über Cairo und Chartūm die weite Speculationsreise gemacht hatte, und zwar bereits zum zweiten Male. Er sprach französisch und las zum größten Erstaunen der Anwesenden die Namen auf Hassenstein’s Karte ab. Er war der feinste und anständigste seines Gewerbes, den ich je gesehen, man hätte ihn für einen geheimen Afrikareisenden, einen verkappten Rohlfs halten können. Hautfarbe und Weltkenntniß ließen uns einander wie Landsleute betrachten, die sich in weiter Ferne begegnen.

Nirgends dagegen auf der Welt läßt sich ein roheres und verruchteres Gesindel finden, als die Händler, welche Dar-Fur alljährlich über diese Länder speit. Der Mehrzahl nach Faki’s ihres Standes (Priester und Lehrer) tragen sie ausnahmslos eine Scheinheiligkeit zur Schau, die wahrhaft empörend ist, wenn man dabei ihre Thaten betrachtet, andererseits aber vollständig in ihren mahomedanischen Kram paßt. Die Suren des Koran in der einen Hand, das Kastrir-Messer[25] [130] in der anderen durchziehen sie in kleineren und größeren Trupps das Land von Seriba zu Seriba wandernd und führen im wahren Sinne des Wortes das, was unsere Frommen ein Gebetsleben nennen. Ihr zweites Wort ist Allah, ihr drittes Mohammed el rassul. Allein wie leicht es dem rohen Menschen wird zu glauben und wie schwer ein rechtschaffenes Leben zu führen, sieht man recht deutlich an diesen Faki’s. Nie fand ich unbarmherziger die Sklaven behandelt als von diesen glaubensstarken Männern, die indeß ihren geraubten und für Spottpreise wie Diebeswaare erkauften Seelen stets gottesfürchtige Namen zu geben pflegen, wie z. B. häufig Allagābo, Gott hat’s gegeben. Daß sie aber zu solcher Blasphemie noch Mißhandlungen zu gesellen vermögen, welche bei uns kein Diener der öffentlichen Reinigung an einem verreckenden Hunde loslassen würde, beweist folgender charakteristischer Fall. In einem Transporte befanden sich etliche elende zu Gerippen abgemagerte Mattu-Sklaven, die kaum im Stande waren den ihnen am Halse befestigten Balken nachzuschleifen. Eines Morgens vernahm ich bei den von ihnen eingenommenen Hütten, welche ich häufig, um meinen Gemüsegarten zu erreichen, passiren mußte, viele Stimmen, und wie ich mich seitwärts wende, eröffnet sich mir eine Scene, die wiederzugeben, sich fast die Feder sträubt. Man hatte einen Sterbenden aus der Hütte geschleift und prüfte mit grausamen Peitschenhieben, die ebensoviel weiße Streifen auf seiner welken Haut zurückließen, und unter Fluchen und Schmähungen wie: „der Hund will noch nicht sterben, er ist noch nicht todt der Heide“, ob er noch ein Lebenszeichen von sich gebe. Dabei spielten Knaben und andere Sklaven aus dem Gefolge der Faki’s mit dem noch deutlich keuchenden und röchelnden Körper unter empörenden Scherzen förmlich Fangeball. Sein gräßliches Augenverdrehen hätte jedes menschliche Herz, wenn nicht gerührt, so doch mit Entsetzen erfüllen müssen; statt dessen wurden Stimmen laut, der Unglückliche verstelle sich nur, um unbemerkt entfliehen zu können. Sein bejammernswerthes Aeußere strafte sie Lügen, und so wurde er in den Wald geschleppt, wo ich, der Weichherzige, nach einigen Wochen seinen Schädel aufsuchte, um ihn nebst vielen anderen seiner Unglücksgefährten dem Berliner Museum einzuverleiben. Das ist die Geschichte von Schädel No. 3b, das thaten angesichts der Majestät des Todes mohammedanische Priester, sie, die sich für Glaubenshelden halten; und unsere bethörten Missionäre suchen ihnen im Glauben die Spitze zu bieten, die rechtschaffensten und besten Menschen von der [131] Welt stellen sie sich auf gleichen Standpunkt mit jenen Moslemin, wo die Moral allein, Jung-Stilling’s bischen Moral, den Ausschlag geben muß. Ueberall weist die Geschichte des Glaubens nichts auf als Bosheit, die der christlichen Moral dagegen alles Gute, dessen wir uns erfreuen. Doch wenden wir uns von menschlichen Erbärmlichkeiten zurück zu der reinen Gottesnatur dieser Wildnisse, welche ein Paradies, bewohnt von menschlichen Teufeln, darbieten. Zwei Stunden und 10 Minuten führen uns in nordwestlicher Richtung zu dem reizenden Waufluß, welcher sich nicht weit von hier mit dem Djūr vereinigt. Zwanzig Minuten von der Seriba Kurschuk-Ali’s ersteigt man bei einem Dorfe eine beträchtliche felsige Anhöhe und marschirt auf meist steinigem Terrain mit vielen Tümpeln und Wasserbecken in der Höhe weiter bis zu einer tiefen an Ocker reichen Eisengrube, hinter welcher ein steiler mindestens 100 Fuß tiefer Absturz zum Thal des Wau führt. Umstellt von dichtem über die felsigen bis 20 Fuß hohen Ufer hängenden Laubwerk der mannigfaltigsten Art, aus welchem ab und zu gewaltige Bäume hervorragen, schlängelt sich in lieblichen Mäandrinen der weit aus dem Lande der Niām-Niām herbeiströmende Wau auf eine weite Strecke von Süden nach Norden dahin. Von den Djūr Njenām genannt, scheint er auf der Hassenstein’schen Karte als Dor-Fluß zu figuriren, berührt aber das Gebiet dieses Stammes nirgends. Von den Leuten der Seriben Wau genannt, möchte ich, um eine Verwechselung mit dem gleichlautenden Bache Heuglin’s, dessen Ufer das Grab des unglücklichen Dr. Steudner beherbergen, zu vermeiden, den Namen „Großer Wau-Fluß“ in Vorschlag bringen. Die Stelle, an welcher derselbe von mir überschritten wurde, stimmt so genau zu der dem kleinen Wau, den die Djūr Gēt nennen, gegebenen Richtung, daß ein geographischer Kritiker ohne genauere Angaben unfehlbar beide mit einander verschmelzen würde. Allein außer der positiven Nachricht, welche mir von allen Seiten zuging, daß der erstere sich ganz in der Nähe gedachter Stelle mit dem Djūr vereinige, würde vor allem die Thatsache, daß er ein weit beträchtlicheres Gewässer bildet als Heuglin’s Wau, solcher Willkühr zuvorkommen. Das 150 Fuß breite Bett zeigte am 1. und 5. Mai dieses Jahres auf grobsandigem Grunde zur Rechten wie zur Linken zwei kleine Wassergräben, die munter gen Norden rieselten bei einer Breite von 10 bis 15 Fuß und einer Tiefe von 1–3 Fuß. Dieser Fluß ist also ein beständig fließendes Gewässer und im Verhältniß zu seinen Dimensionen wasserreicher als der Djūr. Zwei Stunden weiten Marsches in WNW., später in WSW. und zuletzt in W. führen in einem kleinen Bogen zu Agād’s Haupt-Seriba Wau, deren Verwalter Mohammed Saleh, ein alter Bekannter aller Reisenden der oberen Nil-Gegenden, [132] mich auf’s Zuvorkommendste empfing. Auf Befehl des Generalgouverneurs mit ausführlichen Empfehlungsbriefen an alle einzelnen Seriben-Verwalter des Gebietes seitens ihrer Prinzipale in Chartūm versehen, war ich im Voraus der besten Aufnahme gewiß; allein ich überzeugte mich bald, daß es dieser durchaus nicht bedurfte, denn lange bevor ich unter meinem Stoße von Papieren den nöthigen Brief hervorgesucht, pflegten bereits alle Anordnungen zu meinem gastlichsten Empfange von den verschiedenen Verwaltern getroffen worden zu sein.

Je weiter man vom Djūr gen Westen vordringt, desto schneller vermehrt sich die Differenzirung des Terrains, während ein wachsendes Ansteigen desselben andeutet, daß man sich aus dem Becken des Gazellen-Flusses dem centralen Hochlande nähert. Auch bot sich, bevor ich den Wau überschritt, in N. u. NW. eine bedeutende Landeserhebung meinen Blicken dar[26]. Agāds Seriben aus zwei Pallisaden-Carrés, die dicht neben einander liegen und von verschiedenen Verwaltern commandirt werden, gebildet, nimmt die Mitte einer nach W. streichenden sanften Thalsenkung ein, deren Grund, zur Zeit meines Besuchs von einem Sumpfwiesenstreifen durchzogen, während der vollen Regenzeit von einem zum Wau strömenden Bache eingenommen wird. Zwanzig Minuten in SW. erhebt sich ein Steilabfall von über 100 Fuß rel. Höhe, welcher sich auf eine weite Strecke von O. nach W. hinzieht; an seinem NO.-Abhange liegt das Dorf des Akēdj. Gegenüber bildet ein etwas niedrigerer Höhenzug die Nordgrenze dieser etwa 1½ Stunden breiten Thalsenkung.

Diese Hügel boten eine erstaunliche Fülle und Vielartigkeit des Laubes. Chrysophyllum mit nußartigem Kern ihrer dickschaligen Früchte, 2 Anonychium (Prosopis), Rerē und Gēl genannt, mit Hülsen, welche im Geschmack täuschend an Johannisbrot erinnerten, Oncoba, deren Früchte zierliche runde Tabaksdosen liefern, die weit im arabischen Handel verbreitet sind, Cassia fistula mit 2 Fuß langen stabförmigen Hülsen, Strychnos mit eßbarem Fruchtbrei, zwei Arten des Carpodiums mit angenehm sauren an Granaten und Citronen erinnernden Kugelfrüchten, Cordyla mit einem grünen Honigbrei der Fruchthülle, schließlich die im ganzen Gebiet überall verbreiteten Sträucher des Sarcocephalus Russeggeri, deren prachtvoll purpurgefärbte Frucht einer Erdbeere von der Größe der Nuß sammt grüner Schale gleich sieht und einen angenehmen Apfelgeschmack besitzt, bilden allein diejenige Gruppe von Gewächsen, welche hier die wohlschmeckenderen Früchte liefern. Die gesammte Vegetation zeigte hier eine weit frühzeitigere Entwickelung, [133] als in der Gegend zwischen Djūr und Tondj und namentlich prachtvolle Erdorchideen und seltsam gestaltete Kosarien, eine Hauptzierde der schattigen Waldgebüsche, waren bereits alle in voller Blüthe, während sie bei der Seriba Ghattās wohl einen Monat später auftauchten.

Westlich vom Djūr hört die Viehzucht der überhand nehmenden schädlichen Fliegen wegen plötzlich ganz auf, und selbst bei den Seriben gewahrt man nur einzelne Schafe und Ziegen. Dagegen kamen mir hier zum ersten Male, seit ich das Gebiet des Gazellenflusses betreten, wieder wilde Büffel zu Gesicht, welche östlich vom Flusse, soweit sich meine Excursionen ausdehnten, absolut zu fehlen scheinen. Gern hätte ich meine Tour noch weiter westwärts zum Kosanga und zu den Duēm genannten Seriben Sibērs, Bisellis etc. ausgedehnt, und leicht hätte ich es ausführen können, wäre ich nicht durch die starkanwachsenden Sammlungen und die Erschöpfung meiner Papiervorräthe zum Rückzuge genöthigt worden. Meine ursprünglichen Führer waren sämmtlich entwischt, aber die Gefälligkeit der Seribenverwalter ersetzten sie mir reichlich durch kostenfreie Stellung von Ersatzmännern. Vor allem aber mahnte mich die rasche Entwickelung der Vegetation, mein Standquartier wieder zu gewinnen, um in dieser wichtigen Jahreszeit daselbst meine botanische Thätigkeit, den Zweck der Reise, mehr concentriren zu können. So kehrte ich, nachdem ich alle Umgebungen von Wau-Agād genau in Augenschein genommen, zu Kurschuk Alis Seriba Djūr zurück, wo ich abermals drei Tage zu unausgesetzten Excursionen verwandte.

Eine Viertelstunde südlich von der Seriba, welche noch von dichten Waldungen eingehegt erscheint, die gerade nach allen Richtungen hin mit Hülfe des Feuers eben gerodet wurden, um neues Ackerland[27] zu gewinnen (die Ackerkrume von Humus hier nur 2 Fuß auf Sand- und Thonlagern), ersteigt man einen Steilabfall, welcher von O. nach W. streicht und die Wasserscheide zwischen Wau und Djūr bildet. Etwa 70 Fuß auf der Nordseite fällt er nach Süden zu in eine sanft geneigte Thalmulde ab, und der Thoneisenfels zeigt 1 Meile weit, so viel ich gesehen, auf dieser Seite eine eigenthümlich abgebrochene Stufe von 2–3 Fuß hohen anstehendem festen Gestein. Ein Fallen der Schichten war nicht bemerkbar. Nach einer weiteren Viertelstunde hat man diese dicht bewaldete Mulde, wo es von großen Antilopen, Hartebeests und Abu Muārifs wimmelt, die mir eine sehr glückliche Jagd gewährten, [134] in der früheren Richtung durchgangen und steht vor einem neuen Steilabfalle, welcher zu einem breiten Plateau führt, das auf der Fläche nackten anstehenden Fels darbietend, eine Unzahl kleiner Wasserlöcher enthält, bei welchen die interessantesten Gewächse angetroffen werden. Diese Art typischer Vegetations-Localitäten bietet fast im ganzen Gebiete die nämliche Artengruppirung, deren wesentlichste Form folgende Gewächse sind: Marsilea, viele kleine Cyperaceen, Lagarosiphon und Najas graminea, Alismaceen, Heteranthera, Aponogeton, Utricularia stellaris, Nymphaea lotros, Aeschynomene macropoda und in dichtem freien Rasen Desmodium delicatulum. Ende März noch boten solche bis auf ein Minimum ihres Vorraths erschöpften Fels-Wasserbecken dem sorgfältigsten Nachforschen auch nicht die geringste Spur dieser so mannigfaltigen Vegetation dar. Ueberall, wo der Rothfels nackte Flächen bildet wie hier, bietet er eine prachtvolle Zierde in den rosenrothen Blüthenmassen feingebauter Capparideen, einer neuen Art Dianthera, den Blicken des Beschauers. Nirgends erinnert die üppige Tropennatur mit ihrer übertriebenen Saftfülle lebhafter an die harmonische Frische unserer Landschaften als an solcher Stelle, wo am Rande der von tiefgrünem Laubwerk verdeckten Abstürze vor einem Rasenteppich lachenden Grüns sich die rothen Streifen der Dianthera hinziehen. Sie führt uns zurück in der Erinnerung an die vom Walde umschlossenen Wiesen des Nordens mit ihrer Pracht von Pechnelken, rothen Kuckuksblumen u. dergl.;

„Sie zeigt an schattiger Halde uns den beschilften See,
Sie locket aus dem Walde zum Bach ein scheues Reh.“

Geht man in westlicher Richtung eine Stunde auf diesem kleinen Felsplateau weiter, während das nackte Gestein stellenweise von kleinen Waldpartien verdeckt wird, die alles, was ich je zuvor gesehen, an malerischer Gruppirung weit hinter sich ließen, so erreicht man das Ende derselben und steigt zu einer weiten Ackerfläche hinab, in deren Mitte die alte Seriba stand. Der Hauptreiz des gedachten Buschwaldes bestand in dem lebhaften Wechsel von tiefstem schattigen Grün überhängender Laubmassen der Carpodinus-Lianen mit dem zarten Grasgrün kleiner Gardenienbäume, welche drei verschiedenen Arten angehörig und bald hier, bald da von weißen und gelben Blüthen überdeckt, die Waldluft mit dem Dufte blühender Orangengärten erfüllen. In diesem Monate, der auch hier der blüthenreiche Monat Mai genannt werden kann, entwickelte zudem die Schmetterlingswelt ihre größte Pracht an buntesten und mannigfaltigsten Farben. Nicht etwa durch ihre Größe vor den unsrigen ausgezeichnet, erscheinen sie vielmehr durch die Art und Weise, wie sie sich den Blicken darboten, wahrhaft imposant. Ueberall, wo der letzte Regen eine kleine Lache [135] oder auch nur einen feuchten Fleck auf dem Boden zurückgelassen hatte, sah man diese reizenden Gebilde verschiedenster Art und bunt durch einander in dichten Massen geschaart. Hunderte konnte man mit einem wohl geführten Schwunge des Insektennetzes erwischen. Bis zum Beginn der stärkeren und anhaltenden Güsse im Juni konnte man sich aller Orten dieses lieblichen Anblicks erfreuen. Seltener wie bei uns, von Blüthe zu Blüthe flatternd, traf ich sie indeß auch auf dem Laube gewisser Gewächse (z. B. Heliophytum, dessen Blätter von den Raupen gewisser Arten ganz zerfressen waren) in erstaunlicher Menge, wenn Wasser in der Nähe war und die Gluth der Sonnenstrahlen die Luft nicht ihrer größeren Feuchtigkeit zu berauben vermochte. Die Menge der Schmetterlinge, wie der Insekten überhaupt, namentlich der Coleopteren, Hymenopteren, Neuropteren und Hemipteren bot einen auffallenden Unterschied zwischen der Natur dieser Gegenden mit dem an den genannten Formen armen ägyptischen Sudan.

Die ehemalige Hauptseriba Kurschuk Ali’s, jetzt das Dorf des Jagla, hat in Gestalt einer schönen Bananenpflanzung (aus dem Niām-Niām-[28] Lande eingeführt), welche vortrefflich gedeiht, eine Erinnerung hinterlassen. Die Indolenz und Arbeitsscheu der Nubier pflegt sonst überall die Anlage von Gärten zu vernachlässigen, während bei geringer Anstrengung sich hier alles erzielen läßt, wie ich zum Theil selbst erprobt habe.

Eine kleine Strecke weiter westwärts fließt ein tiefer und wasserreicher Graben vorbei, welchen prachtvolle hohe Bäume, Afzelien, Filaeen und Syzygien beschatten und der stellenweise von fast undurchdringlichen Bambus-Dschungeln umstanden ist. Hier wimmelte es in den Zweigen von großen schwarzbraunen Pavianen, auf welche ich vergeblich Jagd machte, da die schlauen Thiere beim Herannahen und sobald man ihrer gewahr wurde, ihre exponirten Sitze auf den Baumzweigen verließen und mit größerem Erfolg Schutz im tiefen Ufergrase suchten.

Auf dem Rückzuge von der Hauptseriba wurde der Djūr nicht mit dem früher beschriebenen Umwege erreicht; sondern nachdem wir zur Hälfte NO., dann ONO. marschirt hatten, kamen wir nach 1 Stunde 6 Minuten zum Fluß. Bei Fortsetzung der Tour am entgegengesetzten Ufer machte ich einen Abstecher nach NO. vom Dorfe des Atēm aus, um den Chor von Okēl kennen zu lernen und zu sehen, welche Bewandnisse es habe mit den mir daselbst angegebenen Pharaonen-Dattelpalmen, wie die Seriben-Leute bald die in dem Niām-Niām-Gebiete wachsende [136] Raphia vinifera, bald die Oelpalme Guineas zu nennen pflegen. Bald hinter Atēms Dorfe kreuzt man einen kleinen von hohen Bäumen anmuthig beschatteten Chor, der von O. nach W. fließt, und bei beständigem gleichmäßigen Ansteigen über offenes Buschland gelangt man nach einer Stunde zum großen von weiten Culturen umgebenen Dorfe des dem Kurschuk Ali zinspflichtigen Okēl. Derselbe empfing uns, wie alle diese sogenannten Schechs (Ortsvorsteher, Schech-el-belled), als Zeichen ihrer Würde mit einem langen Hemde von buntem Kattun angethan. 500 Schritt östlich vom Dorfe fließt in einer Richtung von SSO. nach NNW. ein bedeutender Bach dem Djūr zu, welcher von einer großartigen Waldscenerie umgeben ist. An seinen schattigen Ufern stieß ich auf die Oel-Palme, Elaïs guineensis, welche hier stets steril und nur in Strauchgestalt auftritt, aber nichts destoweniger mit ihren 15 Fuß langen Blättern einen imposanten Eindruck gewährt. An 100 Fuß hohe Bäume von Syzygien, Oxyanthus, Filaea und einer eigenen Art Sarcocephalus bilden den schmalen Streifen dieses Hochwaldes; dazwischen ein dichtes Unterholz von mannigfaltigen Strauchformen, Mimosops, Coffea, einer durch die zehnrippigen faustgroßen Früchte und fußlangen Blüthen ausgezeichneten Gardenia, viele andere Rubiaceen, alle mit einander verstrickt durch massige Lianen von Carpodinus, Dioscoreen, Convolvulaceen und Culcasien vermehren den beständigen Schatten, in dessen Schutze am Boden dichte Staudenmassen großblättriger Sabicea wuchern, untermischt von den riesigen Kolben des Amorphophullus, der von einer fußlangen purpurnen Spatha umhüllt erscheint und Blätter besitzt, welche auf Stielen von 10 Fuß Höhe getragen, aus der colossalen Knolle aufschießen.

Nachdem wir von dieser interessanten Localität mit einem Bogen nach OSO. wieder Agāds Gebiet beim Dorfe des Mauīhu betreten hatten, kamen wir nach 1 Stunde und 11 Minuten beim Dorfe des Dimō wieder auf den alten Weg und 50 Minuten später zur kleinen Seriba Djur-Ewet zurück.

Der Rest meines Rückzuges bot nichts von besonderem Interesse dar, und so befand ich mich nach 15tägiger Abwesenheit wieder in der großen Seriba Ghattās, wo inzwischen die von den Niām-Niām zurückkehrende Elfenbein-Karavane neues Leben hervorgerufen hatte. Bald war auch hier der gleichmäßige Takt des alltäglichen Lebens wiedergewonnen, und ein Tag verstrich mir nach dem anderen in vertrautem Umgange mit der Natur. Nirgends hatte ich unbehinderter meinen Beschäftigungen nachgehen können als hier; was kümmerten mich die Leute, ich war ganz allein in diesem heiligen Tempel der Natur. Die Bosheit der Menschen, indem sie den Contrast zu der reinen Natur nur umsomehr hob, vermochte nicht im mindesten die [137] innere Ruhe dieses Stilllebens zu stören. Wer hier sich voller Gesundheit erfreut, um die Frische der Wildniß, sonst eine Quelle unvertilgbaren Heimwehs, in vollen Zügen einsaugen zu können, dem wird sie noch in späten Tagen etwas mittheilen von ihrem ewigen Grün, ihm in der Erinnerung stille Paradiese schaffen und ihm die hier verbrachten Tage zu den glücklichsten seines Lebens zählen lassen.

Im Juni kehrten die zur Abholung des Elfenbeins, welches die von Ghattās Seriben am Rōl aus ins Niām-Niām-Land unternommene Expedition in diesem Jahre zusammengebracht hatte, ausgeschickten Leute von jenem Flusse zurück. So nahe diese Seriben dem Bachr-el-Gebel auch gelegen, so erlaubte dennoch die äußerst feindselige Haltung der Eingeborenen daselbst nicht den kürzeren Weg zu wählen, und man war gezwungen den weiten Transport zur Meschera des Gazellenflusses zu bewerkstelligen. In ähnlicher Lage befinden sich auch die Seriben Scherifis und Wod-Abu-Ssamats, welche sämmtlich zum letztgenannten Landungsplatze Zuflucht nehmen. Für Ghattās Leute aber hatte ein solches Arrangement in diesem Jahre noch einen besonderen Grund. Die Hauptseriba Auidjuai war nämlich im April von den wenigen Zurückgebliebenen verlassen worden, nachdem auf einem Raubzuge gegen die Agār fast ihre ganze Besatzung, über hundert Mann, den Tod gefunden hatten. Die Zurückgebliebenen, welche von diesem Unglück durch befreundete Eingeborene benachrichtigt wurden, geriethen selbst in die größte Noth, da die Seriba alsbald von Tausenden der Agār förmlich belagert wird. Die Nachricht von dem Herannahen der Niām-Niām-Bande machte indeß die Belagerer zu einem Angriff unentschlossen und gewährte den Uebriggebliebenen, einigen Zwanzig an der Zahl, mit Zurücklassung aller Vorräthe, Munition, vieler Waffen etc. Gelegenheit im Schutze der Nacht zu entwischen und Abu Ssāmats Gebiet zu erreichen. Die Hauptseriba wurde alsdann von den Agār geplündert und verbrannt, während ein Filial-Etablissement Ajab des Ghattās unversehrt blieb und die Niām-Niām-Zügler aufnahm. Die Route zwischen hier und jenem Platze am Rōl wurde mir genau beschrieben und ich theile sie zum Schluß unter den Itineraren mit.

Auch in anderer Hinsicht lastete ein Unstern auf den Unternehmungen der Ghattās’schen Compagnie. Die Zeit war herangerückt, in welcher die Seriben-Verwalter, um ihre Träger zu bezahlen und neue Sklavenvorräthe gewinnen zu können, die jährlichen Vieh-Razzien zu unternehmen pflegen. Da sich die verschiedenen Gesellschaften gegenseitig Concurrenz machen, so ist man von Anfang an zur Vermeidung aller Zwistigkeiten über einige allgemeine Gesetze übereingekommen, eine Art Seriben-Recht, welches in allen Gebieten das [138] gleiche zu sein scheint. Die unmittelbar abhängigen Territorien sind hier ebenso scharf abgegrenzt, wie die Güter in Livland; die zur Meschera führenden Straßen dürfen nur von den an dieselbe von früher her gewohnten Compagnien begangen werden, fast jede Seriba hat ihre eigene Straße, auf welcher sie brandschatzt. Gehen fremde Compagnien auf ihrer Straße, so müssen sie alle Bedürfnisse bezahlen und zwar meist dem Seriben-Verwalter, welcher über jene Straße gebietet. Ein gleiches Abkommen ist bei den ins Niām-Niāmland unternommenen Expeditionen getroffen. Jede einzelne Compagnie hat ihren eigenen Weg, die eigene Reihe kleiner Häuptlinge, welche für sie Elfenbein aufkaufen und den Markt vorbereiten. Da wo frühere Compagnien zu handeln gewohnt waren, darf keine neue sich eindrängen und den Markt verderben. Neue Märkte können sich jetzt dieselben nur durch weiteres Vordringen als alle früheren ins Innere des Landes eröffnen. Solche Entdeckungen werden wiederum monopolisirt, und die alleinige Berechtigung, im neuerworbenen Gebiete Aufkäufe machen zu können, von Allen respectirt. Am eifersüchtigsten aber überwachen die verschiedenen Compagnien ihre Berechtigung Vieh rauben zu können in diesem oder jenem der Raubgebiete; auch bei ihnen sind die Grenzen möglichst genau abgesteckt. Das Raubgebiet des Ghattās ist sehr ausgedehnt und umfaßt Dinka-Länder im Norden und NO. der Seriben. Im NO. von Malzac’s ehemaligem Gebiete begrenzt, im OSO. von Scherifis (im Süden fehlt es an Vieh), im W. von Abu Gurūn’s und im NW. von Ali Amuris hatte das Raubgebiet des Ghattās in manchem Jahre bis über 10,000 Rinder eingebracht, und noch im vorigen Jahr 8000 Stück dargeboten, allein bei den diesjährigen Unternehmungen, obgleich dreimal wiederholt, boten eine Beute, welche ihnen den Spott der Nachbarn zuzog, 40 Stück Rindvieh. Vergebens hatte man die ganze Westseite der Tondj, umsonst das Gebiet der Rek und Lao abgesucht, überall kam man zu spät, und die wohl avisirten Eingeborenen konnten Vieh und Familien in unzugängliche Sümpfe zurückziehen, wo ihre Uebermacht stets im Vortheil ist selbst gegen bedeutende Schaaren von mit Feuergewehren gut bewaffneten Räubern.

170 Mann Bewaffnete zogen diesmal aus, und einige Hunderte befreundeter Eingeborrnen begleiteten sie, darunter Leute, welche für Viehheerden einen guten Riecher haben. Man pflegt mit solchem Troß des Weges einherzuziehen, als beabsichtige man diese oder jene Seriba zu erreichen; dann plötzlich, hat man gute Witterung, wird Nachts in entgegengesetzter Richtung oder seitwärts aufgebrochen, ohne Unterlaß marschirt, bis bei heranbrechendem Morgen die zum Raube auserkorene Viehhürde umringt werden kann. Um sich [139] nicht gegenseitig zu treffen, schießen die Soldaten eine Menge Schrekschüsse in die Luft, welche gewöhnlich ausreichen, um die Eingeborenen dermaßen einzuschüchtern, daß sie gern von der Lücke Gebrauch machen, welche ihnen nun die Umringenden eröffnen, um die Männer herauszulassen. Jetzt bemächtigt man sich mit Hülfe der mitgebrachten Neger der Heerden und tritt, den Raub im Rücken deckend, den Rückzug an. Das Ergebniß eines solchen Unternehmens muß mindestens 2000 Stück betragen, um die Bedürfnisse zu decken. 2/3 fallen dem Seriben-Besitzer, 1/3 den Soldaten anheim, welche sie an die Gellabas, die in allen Seriben in großer Menge vorhanden und die schändlichen Helfershelfer dieses verbrecherischen Handels sind, verkaufen. Die Gellaba’s nun wiederum handeln abwechselnd mit Baumwollenzeug, Seife etc., dann mit Sklaven, mit Kupferringen und Perlen, schließlich mit Rindern, je nach dem Erfordernisse der sich darbietenden Chancen. So war ihr Viehhandel in diesem Jahre hierselbst ein sehr bedeutender, sie schafften große Massen von Scherifis Seriba (der glücklicher gewesen war) herbei, und handelten vom Verwalter des Ghattās und seinen Leuten dafür Sklaven, Kupfer, Korn etc. ein, um diese Artikel wieder anderwärts vorteilhaft umsetzen zu können.

Auch Sklaven werden selbstverständlich bei solchen Razzien in großer Menge erbeutet. Ihr Werth ist hier ein so geringer, daß man für 40 Kupferringe einen halbwüchsigen Knaben erhält, welcher in Chartūm seine 80 Thlr. werth ist. 40 solcher Ringe aber sind gleich 10–11 Oka, und die Oka wird in Chartūm mit 35 Piaster Tarif (der Maria-Theresienthaler à 20 P. T.) auf dem Markte verkauft.

Ein Räthsel bleibt es mir, wie bei dem seit Jahren fortgesetzten Viehraube im Großen und bei einem großartigen Vieh-Consume Tausender hier täglich Fleischkost verlangender Nubier der Reichthum an Heerden in diesem Gebiete nicht erschöpft werden kann. Allerdings schlachten die Eingeborenen ihr Vieh niemals, allein die Fliegenplage decimirt beständig alle Heerden und die Kühe pflegen nie mehr als ein Junges zu werfen, die meisten bleiben Färsen oder kalben nur wenige Male. In dieser Thatsache hat man vielleicht ein Mittel in der Hand, die sich aller Berechnung entziehende Einwohnerzahl taxiren zu können, da allein zur Beaufsichtigung und Wartung solcher Viehmengen eine große Menschenmasse gehört.

Eine bedeutende Erweiterung erfuhr meine Landeskenntniß auf der vom 26. Juli bis zum 4. August ausgeführten Rundtour zu allen 5 kleinen Seriben des Ghattās. Ein vierstündiger Weg führte diesmal im Westen des früheren nach Gir, wo die Sesamfelder im vollen Flor standen. Nach einer reichen botanischen Ausbeute kam ich nach [140] Adai, und von diesem Platze aus erreichte ich in WSW.- und SW.-licher Richtung nach einem Marsche von etwas über einer Stunde Kulōngo, welches durch eine offenbare Verwechslung auf Antinori’s Karte südlich von Kilēbi verlegt worden ist. Diese Seriba Kurschuk-Ali’s liegt von Kulōngo in WSW. etwa 6–7 Stunden entfernt. Bei fortgesetzter Richtung, welche wohl mehr in SW. führen möchte, gelangt man nach drei Tagemärschen zu den ersten Bergen von Mandu, dem Berge Schitēta im Westen und dem von Hūggu im Osten. Der Häuptling des letzteren hat sich in diesem Jahre mit Ghattās Leuten zu einem Raubzuge in der Nachbarschaft verbunden, und letztere haben bei seinem Berge eine neue Seriba gegründet, welche nach Aller Aussagen nur 1–2 Stunden von Mandu entfernt sein soll. Dies ist der vielgenannte Name, der seit Petherik’s angeblicher Niām-Niām-Reise bekannt wurde. Ein anderes Mandu oder Mundo giebt es nicht. Es liegt weder im Niām-Niāmlande, noch unter dem Aequator. Die Bewohner von Mandu sollen eine eigene Sprache reden und von den Dūr verschieden sein. Es kann durchaus nicht überraschen, wenn Petherik’s Leute demselben bei ihrer Rückkehr die zurückgelegten Entfernungen gewaltig übertrieben. Auch Piaggia, offenbar durch das Hinundherziehen von einem der kleinen Seriben des Ghattās zur anderen in der wirklichen Entfernung getäuscht, mag Antinori wenigstündige Gänge für Tagemärsche angegeben und auf diese Weise die großen Distanzen von Kilēbi und Kulōngo erzielt haben, welche letzterer auf seiner Karte eintrug.

Nördlich etwa 10 Minuten von Kulōngo fliesst der bei Addaī in den Tondj fallende Bach, eingefriedigt von einer fast ununterbrochenen Kette der dichtesten Bambus-Dschungel, welche hier 35–40 Fuß Höhe erreichen. Man mußte ihn zwischen beiden Seriben überschreiten, und er bot in diesen Tagen bei einer Breite von 50–70 Fuß seines wasservollen Bettes 4–10 Fuß Tiefe, je nach den verschiedenen Stellen. Nordwestlich von Kulōngo steigt das Land an, und einen bedeutenden 50 Fuß hohen Absturz mußte ich ½ Stunde vom Bache in WNW. ersteigen, als ich mich zum Besuche einer merkwürdigen Grotte anschickte, von der ich wiederholt gehört hatte. 10 Minuten hinter diesem Ansteigen ging es mit einem Male wieder bergab, und zwar mindestens 100 Fuß zu einer weiten Ackerfläche. Nach einer Viertelstunde hatte man abermals einen von Norden nach Süden streichenden Abfall, dicht bewaldet und voller Felstrümmer, vor sich, und gelangte nach mehr als einstündigem Marsche zu der im Lande vielgenannten Localität. Meinen Begleitern kostete das Betreten des schauerlichen Orts, von welchem die lächerlichsten Mährchen verbreitet [141] waren, nicht geringe Ueberwindung, namentlich da die eingeborenen Führer mit erhobenen Lanzen sich ans Eindringen machten.

Als vor 14–15 Jahren die ersten fremden Eindringlinge in diese Gegend kamen, flüchteten, so sagt die Fama, Hunderte von Eingeborenen ihre Frauen, Kinder und alle Habseligkeiten in das unzugängliche Innere dieser an und für sich durch Gebüsch und Bäume gänzlich versteckten Höhle. In dieser Zufluchtsstätte sollen nun viele den Tod gefunden haben, und als böse Geister den Ort seit jener Zeit unsicher machen. Auf einer jener zahlreichen, mit rothen Diantheren gezierten nackten Felsflächen stehend, welche bald hier bald da von dichtem Buschwerk, Wiesen und Waldrändern begrenzt erscheinen, wird der Fremde nicht so leicht den Ort, wo die Grotte versteckt liegt, entdecken, wenn Einheimische ihn nicht zu der Stelle führen, wo man von weit überhangender Klippe aus (deren Rand aber so dicht von Strauchwerk und wucherndem Schlinggestrüpp bekleidet erscheint, daß man den Abgrund erst gewahr wird, wenn man hart an denselben tritt), in eine schauerliche, in tiefsten Schatten gehüllte Schlucht blicken kann, die sich etwa 80–100 Fuß in der Tiefe ausdehnt. Seitwärts durch die dornenreichen Dickichte dringend, gelangt man alsdann zwischen kolossalen Felsblöcken zum Eingange einer hoch und breit gewölbten Grotte, die für mindestens 2000 Personen Platz gewährt, und etwa dreimal tiefer als hoch erscheint. Von Feuchtigkeit triefende Felswände, die mit dichten Moospolstern bekleidet, in zierlichen Gruppen verschiedene Farrenkräuter (Adiantum und Polybotrya) hervorsprossen lassen, gewähren in diesen moosarmen Gegenden einen überraschenden Anblick. Ein undurchdringliches Flechtwerk von großen Bäumen, massigen Lianen und dichtestem Strauchwerk, das die Schlucht anfüllt, in welche die weite Oeffnung der Höhle mündet verwehrt den Sonnenstrahlen jeden Eintritt, und lässt kaum einige Flecken vom Himmelsblau durch das finstere Grün blicken. Diese Höhle, Gubbihī von den Bongo genannt, ursprünglich gewiß ein bei Hebung der Thoneisensteinschicht entstandener Hohlraum, wurde wohl durch einen nachträglich erfolgten Erdsturz bloßgelegt. Ihre nach Innen zu immer mehr zum Boden genäherte Decke läßt in der Tiefe einige Spalten frei, in welche ich einige Schritte weit hineinzukriechen versuchte. Allein ganz abgesehen von den Hunderten kleiner Fledermäuse, die mich umschwirrten, des infernalischen Ammoniak-Hauches, der aus diesen Tiefen entgegen strömte, nicht zu vergessen, wäre ein weiteres Vordringen absolut unmöglich gewesen wegen zu geringer Höhe der horizontal verbreiterten Spalte. Einige Schüsse, welche ich ins Innere sandte, gaben mir durch den Schall die Bestätigung, daß weiter im [142] Innern keine beträchtliche Erweiterung vorhanden sein konnte, und lieferten eine Anzahl Exemplare von zwei verschiedenen Fledermausarten in meine Sammlung. Als Zufluchtsstätte konnte also nur die großartige Vorhalle gedient haben, die versteckt genug gelegen erscheint. Der Boden derselben ist eine ungeheure Guanomasse vom feinsten gelbbraunen Staube. Ihre Anhäufung hat den Boden der Höhle allmählig ihrer Decke genähert. Ein einziger Sack, welchen ich von diesem Guano mitnahm, reichte aus, um in meinem großen Gemüsegarten Wunder zu bewirken.

Von Kulōngo kehrte ich nach einem Marsche von 1½ Stunden zur Seriba Gīr zurück. Die erste halbe Stunde führt in NO. bis zu einer seit vier Jahren verlassenen Seriba des Ghattās, welche Stelle ich bereits von Addaī aus besucht hatte. Ein überraschendes Bild bietet sich hier den Blicken, wenn man Grasdickichte von unbeschreiblicher Ueppigkeit, darunter wildaufgeschossene Sirch-Kolben in einer Höhe von 20 Fuß auf kräftigen Halmen schwankend, durchdrungen hat. Die jahrelang hier angehäuften Abfälle und düngenden Substanzen haben diese erstaunliche Vegetationsfülle veranlaßt. Das hohe Pfahlwerk der Seriba, kaum wahrnehmbar im Hochgrase, erschien wie die Reste sämmtlicher Hütten von dichten Massen verwilderter Kürbisse, Flaschenkürbisse und Luffas fast erdrückt. Diese Reste bestanden nur noch in den nackten Gestellen der zu Boden gesunkenen Kegeldächer, welche, wie riesige Reifröcke gestaltet, den wuchernden Kürbisranken einen erwünschten Anhalt boten. Es war, als jauchzte, als triumphirte hier die Natur in ausgelassener Wildheit über den Abzug ihrer Schänder und Bedrücker. Diese großartige Wildniß gewann etwas Gespenstisch-unheimliches, wenn man dabei der tiefen Stille gewahr wurde, welche um diese hundert verlassenen Wohnungen herrscht; da ward keines Vogels Stimme, kein Insektengesumme vernommen, es war, als lastete eines Sängers Fluch auf dieser Stätte des Raubes und der Gewaltthätigkeit.

In gleicher Distanz wie Kulōngo (1½ Stunde) liegt Gūrfala von Gīr, aber in NW. zu W.-licher Richtung. Der Weg dahin führte eine halbe Stunde lang durch Steppensümpfe, welche mir des häufigen Durchwatens durch tiefe Schlammmassen wegen äußerst lästig fiel, da mehrmals auf dieser kurzen Strecke die Kleider gewechselt werden mußten. Die nackte Haut diesen Sümpfen auszusetzen, ist nicht nur wegen einer Anzahl theils gefährlicher, theils verdächtiger Insekten und Würmer unrathsam, es ist auch, da fast alle Gräser schneidend scharfe Ränder haben, im höchsten Grade schädlich, da Verletzungen der Art äußerst langsam heilen, und, wie fast die Mehrzahl aller Nubier, welche die Niām-Niām-Campagne mitgemacht, beweist, in [143] bösartige Geschwüre ausarten können. Der Rücken der Neger, welcher überhaupt auf so lange Strecken tiefschlüpfrigen Terrains nicht in Anspruch genommen werden konnte, bot andererseits wenig Einladendes dar, da ein Besteigen derselben für helle Kleider ebenso nachtheilig zu sein pflegte, als ein herzhaftes Hineinmarschiren in die schwarze Sumpferde.

Gūrfala, aus einem großen Hüttencomplex gebildet und der Aufenthaltsort zahlreicher Gellabas, übt auf die andern Seribenbewohner hauptsächlich durch seine Branntweinbrennerei eine große Anziehungskraft aus, welche hier ein alter Aegypter, einer der wenigen seines Stammes im Gebiete der Seriben, betreibt. Aus einem Ardeb Durrakorn (= 3,25 pr. Scheffel) gewinnt er bei seinem rohen Verfahren 30 Flaschen eines wässerigen, erbärmlich schlechten Fuselschnapses.

Um die fünfte der Ghattās’schen Filialseriben Dumukū zu erreichen, marschirten wir in schnurgrader Linie 1 Stunde 50 Minuten in W. zu N. Man verläßt bald die von weiten Ackerflächen eingenommene Niederung von Gūrfala, in welcher mehrere Dörfer gelegen, und betritt festen Felsboden, theils von Buschwald, theils von Steppen überdeckt. Solche felsige Steppen gewähren ein ziemlich verändertes Bild im Vergleich zu denen der Niederungen hinsichtlich der Grasarten ihres Bestandes. Andropogioneen, deren Massenhaftigkeit und Ausschließlichkeit bei der einen oder andern Art nicht selten an die wogenden Aehrenmassen unserer Kornfluren erinnerten, walten hier vor. Auf halbem Wege kam man an einer großen Lache vorbei, bevölkert von Gänsen der rothköpfigen, mit einem von rother Haut überzogenem Knochenhöcker auf der Stirn und großen Sporen an den Fluggelenken versehenen Art, die Bakerab gebildet. Eine im Wasser wachsende Gentianee, Limnanthemum niloticum, bildet hier den tropischen Repräsentanten einer auch bei uns vertretenen Gattung, und erneute, gehoben durch ihre Nachbarschaft von hohen Riedgräsern, Nymphaeen, Utricularien u. s. w. in mir die Erinnerung an die Havel-Flora. 70 Minuten hinter Gūrfala betritt man eine graduell zunehmende Bodensenkung (von über 100 Fuß rel.), welche sich etwa eine Stunde weit hinzieht, gegenüber, wo man (auf dem linken Ufer des Mōlmul) eine ganz analoge Welle vor sich hat, welche beide eine Art Thalniederung in sich zu schließen scheinen, die von SSO. nach NNW. streicht. Kurz bevor man Dumukū erreicht, muß man einen sumpfigen, nach starkem Regen wasservollen Chor, der sich nordwärts zieht, überschreiten. Hier fand ich reges Leben in der Seriba, denn man schickte sich an der nach Hūggu unternommenen Expedition an, welche mit Abu Gurūn gemeinschaftlich bewerkstelligt, 90 streitbare Männer zusammenführte. Muchtar, der Anführer dieser Bande, ein alter Niām-Niām-Zügler, [144] versicherte mir wiederholt, was ganz zu den früher erhaltenen Angaben paßte, er brauche von seiner Seriba bis zum Berge Hūggu 4 Marschtage. Gern hätte ich mich angeschlossen, allein die Abfertigung meiner Correspondenz stand vor der Thür, und die letztere selbst war noch nicht in Angriff genommen. Auf meiner nahe bevorstehenden Niām-Niāmreise muß ich ohnedies die Berge von Mondu passiren. Die Route, welche Ghattās Leute verfolgen, wird noch durch folgende Ortschaften führen: Tombo (jetzt Ugongo, da Tombo gestorben), Uginda, Endenē, Ingima, Eso, Malingindo, Ingērria, Wuāndo, Umbutuma, Mofio (nicht zu verwechseln mit Mofio südlich von Kosanga), Dagarāgga, Kāma (Sohn des Kifa), Ingimma (Sohn der Tiefe), Isingēria, Mānje, Mbōri (Sohn des Kifa), Kifa, Basigga u. s. w. ¼ Stunde im Westen von Dumukū fließt der Mōlmul, und nachdem man diesen überschritten, gelangt man westlich in 3 Stunden zu einer kleinen Seriba Agāds Namens Dubōr, von dieser 3 Stunden weiter in SW. zu Abu Gurūn’s (Petheriks ehemaliger) kleinen Seriba Dangā, welche von Abu Gurūn’s Hauptseriba 8 Stunden entfernt liegt. Von Dangā hat man in gleicher Richtung noch weitere 3 Stunden bis zur andern Seriba Abu Gūrun’s Kūrkur, deren Lage auf allen Karten so sehr falsch angegeben wird.

Von Kūrkur kann man in drei gemächlichen Tagemärschen über das Dorf des Dangā, das des Jagō und das des Belembē den Gebel Hūggu erreichen.

In südlicher Richtung unternahm ich eine Jagdexcursion, welche mich in eine von großartigster Grasvegetation erfüllte Sumpfniederung führte. Ich gewahrte hier verschiedene Antilopen, aber leider nie nahe genug, um ihre Art erkennen zu können. Oft sah ich große Heerden in langer Reihe aufgestellt, allein meine Bewegungen waren so sehr an die Beschaffenheit des Terrains gebunden, und das Vordringen im Hochgrase mit so vielem Geräusch verknüpft, daß an ein regelrechtes Beschleichen nicht zu denken war. Hatte man sich einer Gruppe vortheilhaft genähert, durch vereinzelte Gebüsche gedeckt, so wurde man durch den Schreck der übrigen verrathen. An andern Stellen wieder, wo kuhgroße Abu Mkari, welche wie Riesenziegen mit steinbockartigen Hörnern und einer schönen Nackenmähne geziert erschienen, sorglos im Grase versteckt ihrer Aesung nachgingen, war das Beschleichen ebenso wenig vortheilhaft. Als Ziel die krummen Hornspitzen ab und zu vor Augen, aus dem Grasmeere hervorragend, mußte man auf dreierlei zugleich achten, auf das Wild, die Grasdickichte und die von Schritt zu Schritt vertheilten Sumpflöcher. Glaubte man einen Vortheil erzielt zu haben, so verdarb man durch den Lärm beim Hineinstürzen bis an die Brust in solche Löcher alle [145] Errungenschaften, oder wieder die beim Vorrücken hoch über dem Kopfe hin und her schwankenden Riesenhalme, gaben dem Wilde bereits von Weitem das Signal einer heranrückenden Gefahr. Ich erwähne dieser Details, um zu zeigen, mit welchen Chikanen die Jagd während der Regenzeit verknüpft zu sein pflegt. Um so vortheilhafter dagegen ist die trockene, wo auch der minder Geübte überall große Erfolge erzielen wird. Durchnässte und mit Sumpfmoder bedeckte Kleider, äußerste Ermattung und ein auf drei Beinen munter den Gefährten nachhüpfender Abu Manuf bildeten an diesem Tage die Errungenschaften fünfstündiger Anstrengungen.

Das auf dem Rückwege zur großen Seriba von Dumukū aus durchzogene Terrain bot mannichfaltige Abwechslung dar. 25 Minuten nördlich von der Seriba mußte man die Sumpfrinnen desselben Chors durchwaten, welchen man am Ende des Herweges von Gūrfala bereits passirt hatte. Nach weiteren 25 Minuten in NNO. erreichte man das jenseitige (östliche) Thalgehänge, welches gen O. während 8 Min. steilen Ansteigens erstiegen wurde. In der Höhe ward alsdann 1 Stunde und 5 Minuten durch hochgrasige aber trockene Steppen eine Richtung von NO. und ONO. weiter verfolgt (auch zur Rechten in einiger Entfernung zeigte das offene Land ein Ansteigen), bis ein neues Ansteigen bei Zutagetreten von anstehendem Felsgrunde statt hatte. Man ging 55 Minuten weit auf diesen Platten, welche offenbar mit den zwischen Gir und der großen Seriba gelegenen zusammenhängen und eine Art Plateau bilden, und mußte alsdann von neuem in Steppen weiter marschiren, die anfänglich trocken und steinig, nach 35 Minuten in einen Sumpf übergingen, welcher die Wasser der Genena enthält. Nach 25 Minuten in der Sumpfsteppe abermaliges Betreten etwas ansteigenden, felsigen und mit Buschwald bestandenen Terrains, auf dem eine weitere Viertelstunde zu dem Dorfe Agada führte, von welchem aus wiederum 21 Minuten allerstärksten Marsches in O., nach 4 Stunden 30 Minuten von Dumukū, zur Hauptseriba des Ghattās zurückführten.

[146]
Itinerare.

(Als Materialien zur Karte des Djūr-Tondj-Landes.)

Von der Meschera zur grossen Seriba-Ghattās-Djūr.


Monat. Ortschaften. Entfer-
nungen.
Geschwin-
digkeit.

Schritte in der Min.[29]
Tage-
Märsche.
Wegrichtung.
St. Min. St. Min.
März 25. Zum Beginn des Buschwaldes 1 2 S. 20° W.
Zum Dorfe der Schōl 1 130
26. Zu einem kleinen Dorfe 20 S.–SSW.
Zu zerstreuten Hütten 21 128 SSW.
Zu anderen Hütten 39
Zu dem Brunnen und Dorfe von Lāo 1 29 128
130
SW.
Zu einem großen Dorfe 4 33 SW.–SSW.
Zu einem großen Dorfe 38 8
27. Zu den Brunnen im Rekgebiete 3 44 130 4 SW. z. S. – SSW.
Zum Dorfe des Tehk 42 26 SW.
28. Zum Murāch des Bīhl 55 125 3 SSW.
Zum Dorfe des Kudj 18
Zum Brunnen Nabagōg 1 29 128 54 SSW.
Zum Brunnen und Murāch Pamōg 1 12
29. Zu einem Dorfe 30 127 5 SW.–SSW.
wechselnd
Zu einem Murāch 1 10
Zum Dorfe von Wadj 1
Zu einem Murāch 23 130 SW.
Zu einem tiefen Brunnenloch 20 44 WSW.
Zu einem Murāch 1 7
Zu zwei Brunnenlöchern 49
Zu einem Brunnen 13
Zu einem kleinen Dorfe 12
30. Zu einem Brunnen 41 SW.
Zu[WS 3] einem Brunnen 1 49 7 SSW.
Zum Dorfe Djerauīl 2 32 4 SW.
Zu einem Brunnenloch 35 SW.
Zu einem Murāch 1 27 SW. z. W.
31. Zu einem Murāch 1 12 130
Zu der Phoenil spinosa 50 5 30 WSW.
Zu der ersten Terrain-Welle 20 125
Zum Walde el Hāgger 12
Zum Walde el Hāgger 1 11 SW.
Zur großen Seriba Ghattās 1 45 (Var. 8° West) SW.
Summa von der Meschera 36 38

[147]

Ortschaften. Entfer-
nungen.
Geschwin-
digkeit.

Schritte in
der Min.
Tage-
Märsche.
Wegrichtung.
St. Min. St. Min.

Von der grossen Seriba Ghattās nach Addaī.
Zur Genēna 42 130 3 37 SSW.
Zum Brunnenloch 1 25 125 SO.
Zum Felswasserbecken 1 135 SSW.
Zur kleinen Seriba Gir 30 SSW.
Zur kleinen Seriba Addaī 1 28 135 SSO.
Summa 5 12

Von Gir nach der grossen Seriba Ghattās.
Zum Felsenwasserbecken 30 NNO.
Zum Felswasserbecken 8 130 NNW.
Zum Brunnenloch 58 135 3 32 NNO.
Zur Genēna 1 14 NNW.
Zur großen Seriba Ghattās 42 NNO.
Summa 3 32

Weg im Charif von der grossen Seriba nach Gir.
Zum Dorfe Agada 21 128 W.
Zum Dorfe Agada 35 120 S.
Zum Bache der Genēna 22 125 SSW.–S.
Zu den Feldern 37 128 SO., dann
SW. u. SSW., dann
SSO.
Zu den Felsenwasserbecken 1 32
Zur kleinen Seriba Gir 30 SSW.
Summa 3 57

Von Addaī über Kulongo nach Gir.
Zum Chor von Kulongo 25 WSW.
Zur Seriba Kulongo 40 128–127 SW.
Zur verlassenen Seriba 25 NO.
Zur kleinen Seriba Gir 1 5 N.
Summa 2 35

[148]

Ortschaften. Entfer-
nungen.
Geschwin-
digkeit.

Schritte in
der Min.
Wegrichtung.
St. Min.

Von Gir über Gūrfala und Dumukū zur grossen Seriba.
In der Sumpfsteppe 35 120 W., dann NW.
Beginn des Buschwaldes und festen Terrains 15 128 NW. z. W., zuletzt
mit einem Bogen
nach N.
Zur kleinen Seriba Gūrfala 42 128
Zum Teich 53
Zum Beginn des Absteigens 20 W., z. N.
gerade.
Zur kleinen Seriba Dumukū 42
Zum Chor 25 N.
Zum östlichen Abfall 25 127–
128
NNO.
Ansteigen 8 O.
Bis zum Felsplateau 57 NO.–ONO.
Bis zu den Felsplatten 35 NO.
Bis zum Beginn der Steppen 20
Bis zur sumpfigen Stelle 35 ·
Bis zum Beginn des festen Bodens 25 NO.
Bis zum Dorfe Agada 15 130 ONO.
Bis zur großen Seriba Ghattās 21 135 O.
Summa 7 58

Von der grossen Seriba Ghattās zur Seriba Agād-Wau.
Bis zum Dorfe des Maguāb 1 9 133 NW., dann NN.
Zu den Schmieden der Majōb 1 25 NW.
Zum Molmul 17 128–
130
NW.
Zum Dorfe der Majōb 5
Zur großen Seriba Abu-Gurūns 55 128 NW. NNO.
Zu den Dörfern 39 135 WNW.
Zu den Dörfern in der Steppe 39 128 NNW.
Zu den Dörfern in der Steppe 2 3 128 W. und WNW.
Zur kleinen Seriba Agāds Djur-Ewēt 1 5 W.
Zum Dorfe Aguād 1 7 130 WNW. NW. NNW.
Zum Dorfe Dimō 40 120–125 WNW.
Zum Dorfe Dimō 42 128 WNW.
Zum Dorfe des Atēm 36 WNW. u. W.
Zum Djūr-Flusse 60 WNW.
Am rechten Djūr-Ufer 15 N.
Zum Dorfe des Bōl 30 WNW.
Zur großen Seriba Kurschuk-Ali 1 25 128–130 SSW.
Zum kleinen Dorfe am Abfall 23 NW.
Zur Eisengrube 1 23 133
Zum Abfall 28 128
Zum großen Wau-Flusse 5
Zum großen Wau-Flusse 1 17 130 WNW. NNW.
Zur großen Seriba Agād-Wau 45 WSW., zuletzt W.
Summa 18 53

[149]

Ortschaften. Entfer-
nungen.
Geschwin-
digkeit.

Schritte in
der Min.
Wegrichtung.
St. Min.

Von Agāds grosser Seriba Wau zu Ghattās grosser Seriba Djūr.
Zum Waufluß 2 130–135 zuletzt SO. z. O.
Zur Eisengrube 33 130 OSO. z. O.
Zu den Brunnenlöchern 35 dann SO. z. O.
Zur großen Seriba Kurschuk-Ali 53 O.–OSO. z. O.
Zum Djūr-Flusse 1 6 128 NO. dann ONO.
Zum Djūr-Flusse 40 OSO.–O.
Zum Dorf des Atēm 20 125–128 ONO.
Zum Chor 3 NNO.
Zum Dorfe 22 NO.
Zum Dorfe des Okēl 30 NO.
Zum Chor 5 O.
Zu den Dörfern des Okēl 5 O.
Zum Dorfe des Mauīhn 37 OSO.
Zum einem Dorfe 25 SSO.
Zum Dorfe des Dimō 9
Zum Dorfe des Aguād 40 OSO.
Zur kleinen Seriba Djūr-Ewēt 50 O. u. OSO.
In dem Buschwalde 15 125 OSO.
In dem Buschwalde 15 OSO. z. O.
In der Steppe 30 O.
In der Steppe 50 130–128 O. u. OSO.
Zum Wasser 45
Zum Wasser 10 S.
Zu den Dörfern 38 SO.
Zur großen Seriba Abu-Gurūn’s 43
Zur großen Seriba Abu-Gurūn’s 15 SO.
Zum Dorfe des Majōb 47 125–128 SSO. zuletzt SO.
Zu den Schmieden des Majōb 22 130 SO.
Zum Dorfe des Muguāb 1 22 z. Th. SO. u. SSO.
(letzteres vorwaltend).
Bis zu dem Djūr-Dorfe 51 SO.
Bis zur großen Seriba Ghattās 20
Summa 17 46

Von der grossen Seriba Ghattās zum Rōl-Flusse.
(Mitgetheilt von Ghattās Agenten Osman Bedaui.)
Nach Addai 5 12 7 S.
Wo der Tondj passirt wird 2 S.
Zum Chor Baggāris (7mal bis zur
Brust das Wasser)
4 32 SO.
Zur Scherifis kleiner Seriba Dogōr 8 OSO. u. SO.
Zu Scherifis Seriba Dugū 3

[150]

Ortschaften. Entfer-
nungen.
Tagemärsche. Wegrichtung.
St. Min.
Zu Wod Abu Ssāmats kleiner Seriba
Matuōli
8 7 OSO. u. SO
Zu W. Abu Ssāmats Hauptseriba
Ssābbi
4
Zum Chor Abu Gidēri (7mal bis
zur Brust reichend)
3 30
Zu W. Abu Ssāmats Seriba Du-
kuttū (vor der Seriba großer
Fluß, welcher in Böten passirt
wird)
10 ? SO.
Zu Ghattās Seriba Daugādalla (vor
der Seriba ein Fluß wie der Djūr
(der Rōl)
10
Zu Ghattās Seriba Ajōb am Rōl) 4
Summa 62 14 (57 Stunden?)


Von W. Abu Ssāmats Seriba Ssabbi nach Kulongo.
1. Tag. Morgens aufgebrochen und Mittags in Matuōli.
2. Tag. Morgens aufgebrochen und bei Scherifis Seriba Dugū erreicht.
3. Tag. Morgens aufgebrochen und Mittags in Scherifis Hauptseriba.
4. Tag. Morgens aufgebrochen, den ganzen Tag marschirt und in der Steppe
genächtigt am Chor beta Baggāri.
5. Tag. Morgens aufgebrochen und 3 Uhr Nachmittags in Kulongo.


Von W. Abu Ssāmats Seriba Ssābbi östlich.
1. Tag. Den ganzen Tag marschirt bis Dukuttū.
2. Tag. Morgens aufgebrochen und Mittags bei Abu Ssāmats Schech Abarko,
dessen Dorf an einem Fluß gelegen.
3. Tag. Morgens aufgebrochen und Mittags bei einer kleinen Seriba Abu Ssāmats Mgamā
an einem kleinen Chor.

Anmerkungen

  1. Dieser Name hat übrigens nichts mit der gleichlautenden Bezeichnung für die Luftspiegelungen der Wüste (so genannt, weil die vor dem Nahenden zurückweichenden Trugbilder einer unerreichbaren Gazellenheerde gleichen, welche sich ängstlich in Schußweite haltend, ab und zu stehen bleibt und die herannahende Gefahr anstarrt) die hier fehlen, zu thun; man sagt Gazellenfluß, wie man den Bachr-el-Seraf den Giraffenfluß zu nennen pflegt.
  2. So genannt, weil ehemals die von dem Rekgebiete anlangenden und von Rek-Leuten gebildeten Trägerzüge daselbst ihre Ladungen einschifften.
  3. Diese Lokalbildung möchte in Anbetracht der periodischen Veränderungen durch Ambatsch- und Papyrus-Vegetation nicht ohne Interesse sein. Lejean’s Karte bietet ein sehr verworrenes und ungenaues Bild.
  4. Das beste Zahlungsmittel sind hier wie anderwärts Kupferringe, 3–4 auf ein Pfund.
  5. Die einzelnen Compagnien Chartūmer Kaufleute unterscheiden sich durch Farben und Zeichnung ihrer Fahnen, welche stets an der Spitze des Zuges getragen zu werden pflegen.
  6. Alle und ähnlich geschriebene Worte wie Djūr etc. sprich: Diūr, Wadch etc.
  7. In Folge dessen hat sich für diese Localität eine Lage ergeben, welche beträchtlich nördlicher und weit westlicher fixirt werden mußte, als auf Antinori’s und der Heuglin-Hassenstein’schen Karte der Fall ist; diese Lage aber stimmt allein zu dem von hier nach dem Rōl und zum Kosanga führenden Itinerar.
  8. Seriba heißt eigentlich jede Umfriedigung von todten Dornhecken, und da der pallisadenartige Verbau von unregelmäßigen Baumstämmen zum Schutze gegen feindliche Angriffe, welcher jede dieser Seriben in Gestalt eines Carré’s umgiebt, die Hauptsache bei solchen Niederlassungen bildet, nennt man so die Etablissements zu Raub- und zu Handelszwecken.
  9. Allerdings haben nur wenige Weiße das Klima dieses Landes erprobt, allein die wenigen: Petherick, Kurschuk Ali, Vaysière, Antinori und Piaggia konnten sämmtlich unbeschadet dasselbe wieder verlassen.
  10. Für 2 Stück à 20 Ellen, in Chartūm etwa 4 Maria-Theresien-Thaler werth, erhält man hier eine Sklavin, welche gewöhnlich ein Aequivalent für 2–3 Rinder bietet.
  11. Jetzt hauptsächlich in Gestalt fingerdicker Dräthe zur Anfertigung von Spangen aus Europa eingeführt.
  12. Die Bongo sind Dōr, aber nicht alle Dōr nennt man Bongo.
  13. Unter den Mattu indeß sollen nicht Alle diese Sitte theilen.
  14. Nach Virchow Ursache der Prognathie, während Welker letztere der Stellung der Schädelbeine zuschreibt.
  15. Diese Abnormität läßt sich zum Theil deutlich an einigen der von mir gesammelten Schädel wahrnehmen.
  16. Ganz ähnlich wie bei einigen Stämmen Amerika’s.
  17. In der That liegen im Gebiete alle Seriben in Gegenden, deren Einwohner selbst der Viehzucht entbehren, wie Dōr und Djūr.
  18. Petherick spricht fälschlich von Sandstein, was mir ein Räthsel scheint, da er ein Bergingenieur von Fach ist. Weder v. Heuglin noch ich haben in diesen Gebieten irgendwo Sandstein gesehen.
  19. Die Kriegstrommel der Wilden, bestehend aus einem großen mit Rinderhaut überzogenen Thongefäß.
  20. Der Fluß wurde indeß von J. Poncet im April 1869 auf seiner Reise von Mirakok zum Rohl uberschritten.
  21. Dieselbe Beobachtung machte der an bösen Erfahrungen reiche Baker.
  22. Entsprechend den Aussagen Piaggia’s.
  23. Nach dem Vorsteher der leibeignen Eingeborenen Ewēt genannt, wie alle Dörfer, welche selten selbständige Namen aufweisen und die nicht von den Nubiern ignorirt werden. Nach dem Tode eines solchen sog. Schechs tritt natürlich der Name seines Nachfolgers an die Stelle, daher die fortwährenden Schwankungen der Nomenclatur auf den Karten.
  24. Thatsache ist, daß eine vor Jahren am Djūr gezimmerte Barke Kurschuck Ali’s beim Hochwasser ohne Hindernisse den Gazellenfluß erreichte.
  25. Vielleicht die Einzigen der Welt, welche noch das schändliche Gewerbe des Verschneidens von Knaben üben.
  26. Das Quellgebiet des kleinen Wau.
  27. Mit ein Hauptgrund der geringen Stabilität der Wohnsitze dieses Landes ist in der Hinfälligkeit der Hütten und der unter Verhältnissen schnellen Erschöpfung des Bodens zu suchen. Ist man genöthigt neu aufzubauen, so wählt man lieber ein neues Terrain und jungfräulichen Boden.
  28. Ich vermeide absichtlich die willkührliche Pluralbildung der Araber von einheimischen Namen, wie Njamānjam von Niām-Niām, Derān von Dōr, Duēm von Dēm etc.
  29. Schritte à 0,6–0,7 Meter.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: III.
  2. Vorlage: durchschnittlichlich
  3. Vorlage: Zum