Von der II. Münchener Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung

Textdaten
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Autor: R. Artaria
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Titel: Von der II. Münchener Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 624–625, 626
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[624–625]

Garten und Blumenausstellung.   Maschinenhalle.   Vor der Restaurationshalle.
Wasserrutschbahn.   Blick von der Plattform des Thurmes.   In der Schuhmanufaktur.

Bilder von der II. Münchener Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung.
Nach dem Leben gezeichnet von P. Hey.

[626]

Von der II. Münchener Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung.

(Mit den Bildern S. 624 und 625 und 626.)
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Nach einer fotographischen Aufnahme von Maximilian Stuffler in München.
Die Gebäude der Ausstellung.

Zu den gewohnten künstlerischen Anziehungspunkten der schönen Jsarstadt, den großen Ausstellungen der Münchener Künstlergenossenschaft und der „Sezession“, gesellt sich diesen Sommer eine sowohl dem Inhalt wie dem Standort nach von jenen ganz verschiedene. Denn nicht in dem Kunstcentrum König Ludwigs erheben sich ihre Bauten, sondern weit draußen an der frisch strömenden Jsar, wo noch vor einem Menschenalter außer dem von den Künstlern hochgeschätzten „Grünen Baumwirtshaus“ nur elendes Winkelwerk stand und die einsame wüste „Kohleninsel“ sich abwärts der großen Brücke erstreckte. Heute nun trägt diese zum reizenden Park umgeschaffene und durch eine blütenreiche Gartenausstellung verschönte Insel einen weißen, abends in elektrischem Licht erstrahlenden Gebäudekomplex von imposanten Formen: Säulenhallen, Giebel und Kuppeln, auf deren oberster, von Titanenkräften getragen, die Erdkugel schwebt. Der ganze Anblick dieser in unglaublich kurzer Zeit hervorgezauberten Bauten (vergl. die obenstehende Abbildung) ist heiter und künstlerisch schön; sie bilden den Schauplatz der Ausstellung, die aus Anlaß des fünfzigjährigen Jubelfestes des Allgemeinen Gewerbevereins München veranstaltet wurde. Gleich ihrer Vorgängerin, der Ausstellung vom Jahre 1888, bietet sie dem Beschauer ein interessantes und lehrreiches Bild der Fortschritte, welche die Technik in den letzten Jahren errungen hat.

Dort sieht man zunächst in das ungeheure Gewirr der tausend Räderwerke von Motoren, Lokomobilen, Ventilatoren, Beleuchtungs- und Kraftmaschinen aller Art, die nur der Fachmann voll würdigen kann. Aber auch der Laie betrachtet staunend z. B. die Reihenfolge und wunderbare Vielseitigkeit der Holzbearbeitungsmaschinen: zuerst die mit sechs Sägen zugleich arbeitende Bretterschneide, dann die ungeheuern schwedischen Eisenkolosse zur massenhaften Herstellung von Parketttafeln und zuletzt die unendlich fein und mannigfaltig arbeitenden Bohr-, Frais- und Schneideapparate für Kehlleisten und Holzornamente. Nicht weit davon steht die große Ziegelmaschine, die in ihrer oberen Trommel den Lehm empfängt und aus einem langen, sich stets verengernden Kanal seitwärts die fertigen Ziegel abgiebt. Auf der andern Seite rüttelt sich unausgesetzt die große Getreidesichtmaschine, durch deren regelmäßige, genau berechnete Erschütterung die Körner verschiedener Dicke unfehlbar in die betreffenden Fächer geschleudert werden.

Nahe dabei betreiben nett gekleidete Mädchen eine kleine Cigarettenfabrik: sie breiten den Tabak auf die obere Fläche einer schütternden Maschine aus, die ihn einnimmt und seitwärts einen endlosen Papierstreifen abwickelt. Weiter unten öffnet sich ein Messingkanal, und aus diesem fallen in ununterbrochenem Fluß die fertigen Cigaretten mit Firmenstempel – 10 000 Stück in der Stunde! Sie brauchen nur noch in Kistchen verpackt zu werden, um zum Verkauf fertig zu sein. So dicht umlagert wie dieser staunenswürdige Apparat sind auch die andern, dem Laienpublikum ohne weiteres verständlichen und elektrisch bewegten: die Schuhmanufaktur, mit den flinken Arbeiterinnen, aus deren Händen unzählige Stiefelschäfte hervorgehen, die Buchbindereien, wo mit merkwürdiger Schnelligkeit und Genauigkeit Einbände, Portemonnaies, Notizblocks u. dergl. in ganzen Stößen emporwachsen, vor allen der surrende Webestuhl, der ohne menschliche Hilfe seinen bunten Stoff rastlos vergrößert, sowie die Setz- und Schreibmaschinen.

Drüben schwirrt eine kleine Armee von Nähmaschinen und zeigt den Hochstand und die große Leistungskraft unserer deutschen Industrie. Sehr merkwürdige Exemplare zeigt auch die große Singer-Compagnie. Außer tadellos arbeitenden Knopfloch- und Knopfannäh-Apparaten sieht man da die vor einigen Jahren bereits eingeführte Stickmaschine, die immer noch nicht so allgemein bekannt ist, als ihre Vortrefflichkeit verdiente. Ihr gesellt sich jetzt ein neuer Apparat derselben Ringschiffmaschine zu, eine Vorrichtung, um den bisher nur mit der Hand zu nähenden Hohlsaum leicht und schnell zu machen. Dieselbe Maschine, nur mit anderem Schuh, stellt auch jede gewöhnliche Weißzeug- und Kleidernaht her.

Wohin man die Blicke wendet in dem weiten Raum, überall ist rastlose Bewegung mit Ticken, Sausen und Schnurren, nach allen Enden hin leiten die geräuschlosen Treibriemen die Kraft der Elektricität, verrichten oder erleichtern die sinnreichen Maschinen das Werk der Menschenhand. Da steht z. B. die „Universalmaschine“ für Schlosser, ein eiserner Werktisch, der, einmal an den Strom angeschlossen, bohrt, hämmert, dreht, hobelt, feilt und nur von der Hand gelenkt zu werden braucht. Weiterhin entfalten sich die Wunder der elektrischen Küche mit blitzblanken Nickelgeschirren, deren Inhalt auf dem feuerlosen Herd siedet, Wärmeplatten und Bügeleisen, die ohne sichtbare Ursache Hitze ausströmen; wir erfahren noch von dem Vertreter der Firma, daß es für die Kochgeschirre nicht einmal einer Herdplatte bedarf, sondern daß sie, einmal an den Strom angeschlossen, überall hingestellt werden können und auf jedem Tische kochen.

Hat man diese und unzählige andere erstaunliche Werke der modernen Zauberkunst betrachtet, so steht auch schließlich noch das „Tischchen, deck’ dich!“ zu Gebote in dem großen automatischen Restaurant, dessen geräuschlose Geisterhände die verschiedenartigsten guten Dinge in fester und flüssiger Gestalt gegen Einwurf des bekannten Nickels darbieten.

Und nun hinaus in den weiten, grünen Park, der zwischen manchen Regentagen doch immer wieder wundervoll im Abendsonnenschein leuchtet und blüht! Wo die dichten Laubmassen des Ufers zur Jsar abfallen, ist eine Anstalt aufgethan, die sich des innigsten Beifalls der lieben Jugend erfreut: die Wasserrutschbahn. Von beträchtlicher Höhe saust das Boot blitzgeschwind nieder, kommt näher und näher dem hellgrünen Jsarspiegel, da – platsch! stürzt es mitten hinein, daß Schaumgarben aufsprühen, aber sie treffen die Insassen nicht. Auf zwei hohen Wellenbogen gleitet das Schiffchen seitwärts und ans Ufer, wo stets eine große Menschenmenge das belustigende Schauspiel erwartet.

Im letzten Hintergrund des von den bayrischen Kunstgärtnern prächtig geschmückten Ausstellungsgartens befindet sich dann die große Restaurationshalle mit den behaglichen Sitzplätzen im Grünen, wo es sich abends so vergnüglich ausruht, während eine Musikkapelle spielt und in den Pausen das Jsarrauschen leise herübertönt.

Steigt man schließlich zur Plattform des Turmes hinauf und betrachtet von oben das reiche, herrliche Stadtbild mit seinen Türmen und Kuppeln, die zwischen üppigen Waldufern strömende, von Brücken vielfach überspannte Jsar, den Zug der Landschaftslinien bis zur fernen leuchtenden Alpenkette und versetzt man sich in Gedanken um Tausende von Jahren zurück, wo hier unwegsames Dickicht war und der Mensch außer Kopf und Händen nur etwa ein Steinbeil zum Widerstand gegen die feindliche Natur hatte – dann ermißt man mit einem Gefühl staunender Ehrfurcht die ungeheure Machtentwicklung des menschlichen Geistes und die wunderbare Größe unserer von nüchternen Seelen als nüchtern verschrieenen Zeit. Sie hat vieles wahr gemacht, was die alten Märchen von der Herrschaft des Kundigen über die Elemente dichteten, und die Ausstellung elektrischer Maschinen ist eben der rechte Ort, um sich davon zu überzeugen! R. Artaria.