Von der Hamburgischen Schuljugend im Mittelalter

Textdaten
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Autor: Otto Beneke
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Titel: Von der Hamburgischen Schuljugend im Mittelalter
Untertitel:
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen, S. 87–90
Herausgeber:
Auflage: 2. unveränderte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Perthes-Besser & Mauke
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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35. Von der Hamburgischen Schuljugend im Mittelalter.
(Um 1300.)

Nach glücklicher Beendigung des blutigen Schuljungen-Krieges durch den Frieden von 1289, welcher eine dauernde Eintracht zwischen den Scholaren der Dom- und denen der St. Nicolai-Schule begründete, begingen fortan beide Theile ihre großen Feste, zu deren größerer Verherrlichung, gemeinsam.

Wie auf allen Deutschen Schulen des Mittelalters gab es nämlich auch in Hamburg gewisse Schul- oder Schüler-Feste, als deren wesentlicher Inhalt: öffentliche Processionen in allerlei spaßhaften Verkleidungen, Umzüge durch die ganze Stadt, Einsammlung von Lebensmitteln und Almosen, und gehörige Schmausereien, erscheinen. Die Wichtigkeit, die man schon damals den Schul-Instituten beilegte, veranlaßte, zur Anlockung und Aufmunterung der Schüler, solche Privilegien und Freiheiten, welche freilich unserm Zeitgeschmack sonderbar und unpassend dünken, damals aber völlig in der Ordnung gewesen sind, da sie ganz allgemein in allen Deutschen [88] Landen vorkommen. Durch mancherlei diesem Zwecke gewidmete Vermächtnisse, so wie durch Sammlungen wurden die Kosten solcher Lustbarkeiten bestritten.

Unter der Hamburgischen Schuljugend des Mittelalters darf man sich nicht lauter Kinder unter fünfzehn Jahren vorstellen. Außer diesen, die man Scholares sub jugo nannte (unterm Joche, nämlich unter der Fuchtel des Canonicus-Scholasticus) gab es ältere, Scholares majores, sub jugo non existentes, deren Zwingherr der Dom-Dechnt selbst war. Diese, aus welchen auch die acht Chorschüler des Doms genommen wurden (welche auch Schlafschüler hießen, weil sie in einem Dom-Gebäude ihre Schlafstellen hatten), machten die den damaligen Anforderungen entsprechenden theologischen Studien, bis sie zu dem Dienste eines Vicars promovirt und höherer geistlicher Grade würdig erachtet wurden. Darum gab es nach 1400 zwei gelehrte theologische Lectoren am Dom, darum wurden sie in der christlichen Dogmatik, in Rhetorik und Dialectik geübt, in der Gesangskunst vervollkommnet, und zum genausten Verständniß der Lateinischen Sprache angeleitet, die schon den jüngsten Schülern neben dem Lesen, Schreiben und Rechnen eingebläuet wurde.

Die damaligen Schüler saßen auch nicht immer still in der Classe und lernten; es gehörte ja der Kirchendienst zu ihren Pflichten; sie dienten bei den täglichen wie nächtlichen Messen und verherrlichten durch Gesang den Gottesdienst; sie dienten auch bei allen Leichen-Bestattungen, wie bei bügerlichen Festlichkeiten als geübte Sänger und gewandte Vorleser.

Pueri puerilia tractant,“ – von der Unbändigkeit und dem zügellosen Muthwillen der mittelalterlichen Schuljugend Hamburgs sind viele Klagen bis auf unsere Zeit gekommen; sie waren lose Vögel, zuweilen gar nicht nüchtern, sie sangen absichtlich falsch, lärmten in der Kirche, brachen zur Nachtzeit [89] in Bürgerhäuser unter dem Vorwande, nach den vom nächtlichen Chordienste wegbleibenden Mitschülern zu suchen, und schwärmten tobend in der Stadt umher. Daß sie aber noch 1477 aus Muthwillen den Gebrauch des „heimlichen Gemaches“ verschmähten, weshalb E. E. Rath solchen Unfug abzustellen, das Dom-Capitel ernstlich ermahnen mußte, das ist fast unschicklich zu sagen, aber dennoch urkundlich zu beweisen. Der Bakel mag rechtschaffen auf den Rücken der Buben getanzt haben, ohne ihnen die bösen Schalksstreiche austreiben zu können. Denn außer diesem Corrections-Mittel des Stockes (welches neuerlich ein preußischer Kammer-Redner die „ungebrannte Holzasche in cylindrischer Form“ genannt) kommen noch viele andere Strafen vor, z. B. Kirchen-Prison („prisonium ecclesiae“), bei Angst-Wasser und Kummer-Brodt („panis doloris et aqua angustiae“), sogar Excommunication und Stadtverweisung.

Unter den Deutschen auch zu Hamburg begangenen Schüler-Festen zeichnen sich nun folgende aus.

Am St. Gregorius-Tage, den 12. März, an welchem von den Scholaren vieler Deutscher Schulen die halb ernsthafte, halb spaßhafte Ceremonie der Erwählung eines Kinder-Bischofs vorgenommen wurde, fand in Hamburg nur eine einfachere Festlichkeit statt, eine Art Schulgrün mit allerlei Um- und Aufzügen und schließlich eine erquickliche Mahlzeit. Der berühmte oder berüchtigte Alchymist und Medicus, Engelbert Arnoldi, ein wegen angeblicher Ketzerei aus dem Kloster Lokkum verbannter Mönch, welcher zuletzt hier lebte, lehrte und starb (1490) und seine treuesten Jünger und Verehrer unter den Hamburger Scholaren hatte, die ihm schließlich auch ein ehrliches, wenn auch nicht christliches Begräbniß auf dem Heiden-Kirchhofe verschafften und ihn selbst bestatteten, hatte letztwillig für so viel Anhänglichkeit ein [90] Capital von 100 Rhein. Goldgülden bestimmt, dessen Zinsen zu den Kosten des Schüler-Gastmahls am St. Gregorius-Tage dienen sollten.

Am Vorabend des St. Andreas-Tages (30. November) durften sich die Schüler aus ihrer Mitte einen Abt wählen, den sogenannten Kinder-Abt, der in pontificalibus ihren Processionen voranzog und in den Kirchen und bei sonstigen Feierlichkeiten allerlei Vorzüge genoß. Sein Reich dauerte aber nicht lange, denn am 6. December war das Hauptfest der Schüler, der St. Nicolas-Tag, an welchem der Kinder-Abt dem Kinder-Bischof Platz machen mußte, von dem wir sogleich hören werden.

Anmerkungen

[378] Ganz geschichtlich. Nach: Ed. Meyer, das Hamb. Schulwesen im Mittelalter, woselbst viele Urkunden als Belege. Mönckeberg, die St. Nicolai-Kirche.