Von der Baustätte des Berliner Aquariums

Textdaten
<<< >>>
Autor: Alfred Brehm
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Von der Baustätte des Berliner Aquariums
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 620–623
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch: Carl Nißle: Ein Wunderbau für die Thierwelt. In: Die Gartenlaube 1873, Heft 10
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[620]

Von der Baustätte des Berliner Aquariums.

Es war einmal ein durstig Jahr,
Da also groß die Hitze war,
Daß auf dem Kreuzberg frank und frei
Die Hühner krochen aus dem Ei.

5
Da rief die Menschheit angstgeschwellt:

„Das ist der Untergang der Welt!“

Doch Doctor Brehm sprach voll Vertrau’n:
„Auf, laßt uns eine Arche bau’n,
Darin wir sammeln jedenfalls

10
Die Meere all’ des Erdenballs,

Dazu die Flüsse süß und rein,
Dann wird es kühl im Kasten sein.“

Nun macht er an die Arbeit sich,
Baut eine Arche säuberlich

15
Aus Felsen, Kalk und Ziegelstein,

Macht Grotten kühl und Keller d’rein,
Baut helle Gläser rings herum
Und nennt das Ding – Aquarium.

Mit diesen Worten begrüßte Rudolph Löwenstein vor wenigen Wochen das „Berliner Aquarium“, dessen Eröffnung binnen Kurzem bevorsteht. Berlin besitzt bekanntlich den ältesten Thiergarten Deutschlands, einen der ältesten Europas; derselbe ist jedoch trotz des lieblichen Parkes, in welchem er sich befindet, trotz

[621]

Bei den See-Becken des Berliner Aquariums.
Originalzeichnung von A. Schaal.

[622] der erheblichen Beisteuer, die ihm von seiten der Regierung wird, und trotz der volkreichen Stadt mit ihren zahlreichen Fremden, welche naturgemäß als steuerpflichtig betrachtet werden müssen, im Verlaufe der Jahre derartig in Verfall gerathen, daß er zur Zeit von jedem anderen deutschen Zoologischen Garten in Schatten gestellt wird. Unter diesen Umständen erschien es nicht allein thunlich, sondern sogar geboten, in der Hauptstadt Norddeutschlands eine Anstalt in’s Leben zu rufen, welche ihr unzweifelhaft zur Zierde gereichen und den Thiergarten wesentlich ergänzen wird.

Der Gedanke, in Berlin ein Aquarium anzulegen, wurde gleichzeitig von verschiedenen Seiten gefaßt und in’s Werk zu setzen gesucht; es gelang jedoch erst der gegenwärtig bestehenden Gesellschaft, den Plan zu verwirklichen. Während des Winters von 1866 zu 1867 traten, zunächst auf Anregung des Kaufmanns E. Stahlschmidt, Justizrath Dr. Hinschius, Banquier Rauff, Geheimerath Tuchen, Kaufmann Eichborn und Hans Wachenhusen (welcher später nach seinem Austritt durch Professor Schultz-Schultzenstein ersetzt wurde) zu einem Ausschuß zusammen, beriefen F. von Stückradt und mich zu „persönlich haftenden Gesellschaftern“ und forderten im April des Jahres 1867 zur Theilnahme an dem allseitig mit Beifall begrüßten Unternehmen auf. Beinahe hätte die Luxemburger Frage, welche wenige Tage nach dem öffentlichen Hervortreten der Pläne des Ausschusses den politischen Himmel verdüsterte, das Unternehmen im Keime erstickt; es wandte sich jedoch demselben sofort wieder die allgemeinste Theilnahme zu, nachdem sich das drohende Unwetter verzogen, und schon im Juli konnte die erste Generalversammlung berufen und die Gesellschaft „Berliner Aquarium“ gebildet werden. Ein in günstigster Lage, dem Mittelpunkte des Verkehrs, unter den Linden gelegenes Grundstück wurde erworben, wenige Tage darauf mit dem Niederreißen verschiedener Hintergebäude begonnen, in den letzten Tagen des September vorigen Jahres der erste Stein gelegt und der Bau, ungeachtet des höchst ungünstigen Grundes und anderer Hemmnisse, so rüstig weiter geführt, daß am 27. August unter Theilnahme der Vertreter der Presse und aller beim Bau Betheiligten das Richtfest desselben gefeiert werden konnte.

Der Entwurf des gesammten Bauwerkes und aller Einzelheiten rührt von dem ebenso strebsamen als begabten W. Lüer in Hannover her, welcher sich beim Bau des dortigen Aquariums und der Gebäude des Zoologischen Gartens die nöthigen Erfahrungen erworben und früher schon in dem Maurermeister Seyfarth aus Cassel einen verständigen und bereitwilligen Werkmeister herangebildet hatte. Die Maurergesellen, welche bestimmt waren, die Grottenarbeiten auszuführen, wurden vom Harz verschrieben und an Ort und Stelle noch besonders über Schichtung und Lagerung der verschiedenen Gesteinsarten unterwiesen. Auch die letzteren mußten von fernhern verschrieben werden, da die Mark außer Findlingsblöcken und Kalksteinen wenig oder nichts bieten konnte. Die meisten Steine lieferte der Harz, andere der Deister, die Tropfsteine der Thüringerwald, Grünsteine und Marmor das Erzgebirge, Basalt das Siebengebirge, versteintes Holz und Aehnliches die Kohlengruben bei Halle etc. An die Technik wurden vielfache und theilweise höchst schwierige Aufgaben gestellt, zur Lösung derselben aber in Berlin alle nöthigen Kräfte gefunden.

Das Berliner Aquarium erhebt sich auf einem Raume von etwa sechszehntausend Geviertfuß in drei Geschossen übereinander. Als Aquarium im strengsten Sinne des Wortes ist es nicht, richtiger vielmehr als Vivarium zu bezeichnen oder, wenn man sonst will, ein Thiergarten unter Dach und Fach zu nennen, weil es, wie bereits bemerkt, allen Classen des Thierreichs Herberge gewähren soll. Das obere Geschoß ist bestimmt, Säugethieren, Vögeln, Kriechthieren und Lurchen zur Wohnung zu dienen; das Erdgeschoß wird einzelne Wassersäuger und die Thierwelt des Meeres aufnehmen; das Kellergeschoß enthält die Lagerräume für das Seewasser, die Maschinen und Pumpen zur Bewegung desselben, die Heizungsvorkehrungen und die Kellereien.

Von den Linden aus betritt der Beschauer, nachdem er einen längeren, entsprechend verzierten Corridor durchschritten, eine breite Treppe, welche zu den oberen Räumen empor an der Casse vorüberführt, und gelangt sodann in die erste Galerie, die zu beiden Seiten Käfige mit Krokodilen, Schuppenechsen der verschiedensten Art und Schlangen enthält. Wie im ganzen Aquarium ist auch hier die Einrichtung getroffen, daß man von einem dunklen Raume aus in die hell erleuchteten Käfige sieht.

Hieraus ergiebt sich ein doppelter Vortheil: man nimmt jedes Thier in der günstigsten Beleuchtung wahr, und das Thier fühlt sich, weil es ihm schwer oder unmöglich ist, aus dem Hellen in’s Dunkle zu sehen, durch die Besucher wenig oder nicht gestört. Alle Käfige sind gegen den Beschauer hin durch Spiegelscheiben abgeschlossen, stark genug, um auch etwaigen Fluchtversuchen eines Krokodils oder der kräftigsten Riesenschlange die Spitze zu bieten. Durch diese Einrichtung ist die Möglichkeit gegeben, in unmittelbarster Nähe und ohne das sonst so allgemeine Schaudern zu empfinden, selbst mit den fürchterlichsten Giftschlangen verkehren zu dürfen und sich auch mit der Schönheit dieser Thiere befreunden zu können. Die erste Galerie wird durch einen Hochkäfig begrenzt, welcher eine tiefe, anscheinend vom Wasser ausgewaschene Schlucht darstellt, deren Wandungen die hauptsächlichsten Schichten der Erdrinde zur Schau bringen, und welche in der Tiefe durch schwere, massige, aber pflanzenfressende Landschildkröten belebt werden soll, während die Höhe von dem leichten Volk der Lüfte in Besitz genommen wird. Einige Stufen führen in einen tiefen Raum hinab und gleichsam aus der tropischen Wüste in den tropischen Urwald; denn während man bisher hauptsächlich Thiere der dürren Oede vor sich sah, steht man hier vor einem prachtvollen, in fünfzehn Abtheilungen zerfällten Gesellschaftskäfig von vierundvierzig Fuß Durchmesser und achtundzwanzig Fuß Höhe, welcher das buntgefiederte Heer der Vögel aller Wendekreisländer zur Anschauung bringen wird. Einzelne Becken, Nischen, Käfige und anderweitige Behälter werden verschiedenen umsichtig ausgewählten Säugethieren, Lurchen, Fischen und anderen Süßwasserthieren zur Behausung dienen. Ein größeres Becken oder, richtiger, ein kleiner Teich mit schwimmenden Blattpflanzen und grün berankten Wänden ist für die Süßwasserschildkröten hergerichtet worden. An diesen Mittelraum reiht sich ein Grottengang an, in welchem einerseits die Käfige kleiner Sumpf- und Wasservögel, andererseits die Becken für Lurche, Süßwasserfische, Süßwasserkerbthiere und dergleichen sich befinden. Von diesem Gange aus betritt man die aus dem Felsen gehauene große Verbindungstreppe, zu deren Seite Behälter angebracht sind, in denen Jedermann, welcher für die hochwichtige Angelegenheit Theilnahme besitzt, die künstliche Fischzucht studiren kann. In einem größeren Teiche, aus dem sich Felsen erheben, soll zunächst ein Seehund oder Fischotter, später ein Biberpaar Herberge finden.

Nunmehr gelangt man in das eigentliche Seeaquarium und, nachdem man an einigen Behältern vorübergegangen, zum Standpunkt des Malers unserer Abbildung. Auch diese Becken bringen die Thiere und Pflanzen verschiedener Meere zur Schau, und die einzelnen Meere und Meerestheile sind gekennzeichnet durch die betreffenden Thiere und Pflanzen; wie denn überhaupt so viel als nur möglich der Grundsatz zur Geltung gebracht werden wird, die Natur in Kleinbildern nachzuahmen. An die Nordsee reiht sich das Becken der Ostsee an, ungeachtet der Thierarmuth dieses Gewässers das größte von allen, ein Behälter, dessen Wasserinhalt dem gesammten des Hamburger Aquarium mindestens gleichkommt. Den Mittelraum der allseitig gewaltigen, untermeerischen Grotte nimmt das Becken ein, welches dem atlantischen Meere als Gesammtheit entspricht, während andere Hoch- und Tiefbecken einzelne Gegenden und Buchten desselben Weltmeeres vertreten und unter Anderem auch große Seeschildkröten zur Schau bringen sollen. Von hier aus wendet man sich dem letzten Theile zu, welcher mit Thieren des Mittelmeeres bevölkert werden wird, kommt bis zu einer getreuen Nachbildung der blauen Grotte von Capri und steht vor dem Ausgange, welcher in der Schadowstraße mündet.

Alle Pfeiler-, Gewölb- und Wandverkleidungen des Erdgeschosses sind aus natürlichem Gestein hergestellt und künstliche Nachbildungen desselben soviel als möglich vermieden worden[WS 1], weil keine Kunst im Stande, das natürliche Leben des Gesteins in Form und Farbe auch nur annähernd richtig wiederzugeben, und gerade hierdurch überrascht das Berliner Aquarium Jeden, welcher es betritt, weil er sich wirklich und wahrhaftig in eine durch freundliche Hülfe des Meergottes ausgewaschene, untermeerische Grotte versetzt glaubt.

Das Berliner Aquarium ist zehn Mal größer, d. h. räumlicher, als das zu Hannover, zwölf Mal größer als das zu Hamburg bestehende und gegenwärtig das großartigste der Erde. Siebenhundert [623] und fünfzig Personen können gleichzeitig in erster Reihe, zwölf- bis dreizehnhundert überhaupt zu gleicher Zeit ihre Schaulust befriedigen, ohne sich gegenseitig zu behindern. Dem Gedränge ist dadurch vorgebeugt worden, daß der Beschauer immer vorwärts geht, niemals zurückkehrt; zudem sind alle Gänge für das Publicum in einer Breite von zehn Fuß angelegt worden, welche auch einem sehr starken Andrange genügt.

Soviel zunächst über den Bau als solchen; die einzelnen Abtheilungen und ihre Bewohner müssen späterer Schilderung vorbehalten bleiben.

Brehm.
  1. Vorlage: werden