Von den Schußwunden in künftigen Kriegen

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Titel: Von den Schußwunden in künftigen Kriegen
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aus: Die Gartenlaube, Heft Halbheft 5, S. 159-162
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Von den Schußwunden in künftigen Kriegen.

Der künftige Krieg! Wie ein Gespenst schwebt sein düsteres Bild über den Friedenswerken der Völker, und alle Menschenfreunde wünschen, daß sein Ausbruch in unabsehbare Fernen hinausgeschoben werden möchte! Gottlob, er steht nicht drohend vor unserer Thür; es ist den Völkern noch eine Frist gewährt, im aufbauenden friedlichen Wettstreit ihre Kräfte einzusetzen. Unermüdlich regen sich aber unzählige Hände, um die Rüstung der Nation zu schmieden, damit wir in der Stunde der Gefahr wohl gewappnet auf dem Kampfplatze erscheinen; unermüdlich sinnt der menschliche Geist nach neuen Mitteln, mit welchen er die Schlagfertigkeit der Truppen erhöhen könnte, und wie in den Werken der Kunst, Wissenschaft und des Gewerbes, so feiert auch auf dem Gebiete des Kriegshandwerks der Scharfsinn der Erfinder seine Triumphe.

Neue, bessere Waffen tauchen von Jahr zu Jahr auf; ein Staat überbietet den anderen, und wir sind endlich soweit gelangt, daß der künftige Krieg eine andere Taktik erfordern wird, daß die künftigen Schlachten ein neues, von den alten verschiedenes Bild bieten werden. Man hat vielfach versucht, diese schreckensvollen Zukunftsbilder auszumalen. Ueber den Schlachtfeldern werden die dichten Rauchwolken nicht mehr lagern, der Donner der Geschütze und das laute Knattern des Gewehrfeuers werden nicht mehr die Luft erzittern lassen; denn das neue „rauchfreie“ Pulver erzeugt nur wenig Rauch und macht wenig Lärm; aber in dieser reineren, stilleren Luft wird nach wie vor das Verderben hausen, der Tod seine Ernte halten, und wir fragen ernst, in welchem Maße?

Die Fußtruppen entscheiden in den Schlachten der Neuzeit, und sie werden mit neuen Waffen auf dem nächsten Kampfplatze erscheinen. Die verheerenden Wirkungen der bisherigen Hinterladergewehre werden durch das rasche Feuer der Magazingewehre erhöht werden, doch das ist nur eine der Neuerungen an den Handfeuerwaffen. Durch Verkleinerung des Kalibers und durch Umkeidung des Geschoßbleikerns mit einem widerstandsfähigen Metallmantel sind dieselben an und für sich wirksamer geworden, und vielfache zuverlässige Versuche ergaben erstaunliche Proben dieser Wirksamkeit.

Das Kleinkalibergewehr ist in jeder Beziehung dem alten Gewehre überlegen. Es trägt weiter, trifft sicherer und das von ihm geschleuderte Geschoß hat eine weit größere Durchschlagskraft. Auf dem Schlachtfelde äußert sich seine Wirkung wie folgt: ein und dasselbe Geschoß dringt auf 100 m Entfernung abgefeuert durch 4. bis 5 Glieder einer Kompagnie in Gefechtsformation, selbst wenn hierbei die stärksten Knochen des Körpers durchschossen werden, durchbohrt also 4 bis 5 hinter einander stehende Soldaten. Desgleichen werden auf die Entfernungen von 400 m 3 bis 4 Glieder, auf die Entfernungen von 800 bis 1200 m noch 2 bis 3 Glieder durchschossen. Und selbst bei diesen Widerständen bleibt das Geschoß fast niemals in der Wunde stecken, ja bei den mit dem französischen Lebelgewehr angestellten Versuchen wurden Leichen sogar auf die Entfernung von 2000 m durchschossen; niemals blieb die Kugel im Körper stecken. Hölzerne Brustwehren, die bis jetzt noch gegen das Gewehrfeuer schützten, verlieren an ihrer Bedeutung; denn die Kleinkalibergeschosse haben bei allen Holzarten eine fünf- bis sechsmal größere Durchschlagskraft; sie durchschlagen bei Nahschüssen Tannenholz in der Dicke von 110 cm, und selbst [160] Eisenplatten von 12 mm Stärke! So erfüllt das Kleinkalibergewehr in ungeahnter Weise die höchsten Anforderungen, die man an ein Kriegsgewehr stellt; es macht auf die weitesten Entfernungen Mann und Pferd des Feindes kampfunfähig, ist aus der Nähe selbst imstande, seine Lokomotiven zu zerstören, seine Truppen- und Proviantzüge lahmzulegen, und so darf man nicht zweifeln, daß in kürzerer Zeit alle europäischen Heere mit diesem Gewehr ausgerüstet sein werden.

Verschiedene Geschoßkaliber.
Fig. 1. Minié. Fig. 2. Zündnadel. Fig. 3. Chassepot. Fig. 4. Deutsches Infanterie-Gewehr 71.84. Fig. 5. Belgisches Mausergewehr.

Der Arzt, der berufen ist, die Wunden, die in den Schlachten geschlagen werden, zu heilen, verfolgt mit ernstem Fleiß die Vervollkommnung der Feuerwaffen. Die Todten, die, wie man sagt, „mitten durchs Herz geschossen“ auf der Wahlstatt liegen bleiben, kann er nicht wieder erwecken, aber er setzt alle seine Kräfte ein, den Verwundeten, deren Zahl ja immer eine weit größere als die der Gefallenen ist, zu helfen. Dank den Fortschritten der Kriegschirurgie sind in dieser Hinsicht die Schrecken des Krieges vielfach gemildert worden. Der Arzt unterscheidet auch zwischen humanen und barbarischen Waffen und er erachtet es für seine Pflicht, gegen letztere Einsprache zu erheben, damit sie auf völkerrechtlichem Wege verboten werden, wie dies z. B. bei Explosionsgeschossen der Handfeuerwaffen seit mehr als zwanzig Jahren der Fall ist. Der Arzt unterscheidet zwischen leichter und schwerer heilenden Wunden, er weiß aus Erfahrung, daß die eine Waffenart diese, die andere jene erzeugt, und so prüft er auch die Wirkung der neuen Gewehre von seinem Standpunkte, ob sie dem Wunsch entsprechen, daß aus dem künftigen Kriege mehr geheilte Verwundete und unter den Geheilten weniger Krüppel sich befinden.

Fig. 6. Ende des Schußkanals eines kleinkalibrigen Nickelmantelgeschosses in trockenem Buchenholz.

In diesem Sinne wurden die Kleinkalibergewehre von den Aerzten verschiedener Nationen geprüft und alle gelangten dabei zu der Ueberzeugung, daß die neue Infanteriewaffe humaner ist als die alten. Bei diesen Prüfungen wurden so wichtige Aufschlüsse über die Wirkung der Geschosse gewonnen, daß auch ein weiterer Leserkreis die Erörterung dieser Fragen mit Interesse verfolgen dürfte. Und so wollen wir an der Hand der Ausführungen, die Prof. Dr. Paul Bruns in Tübingen in seinem kürzlich erschienenen Werke „Die Geschoßwirkung der neuen Kleinkaliber-Gewehre“ (Tübingen, Verlag der Lauppschen Buchhandlung) gegeben hat, auf einige der wichtigsten Punkte näher eingehen. – Fünf Jahrhunderte lang hatte man sich im Kriege damit begnügt, aus glatten Rohren Rundkugeln zu schleudern. Erst in der Mitte unseres Jahrhunderts führte man gezogene Gewehre und Spitzkugeln ein. Diese Spitzkugeln erhielten ein Kaliber von 17 bis 18 mm und ein Gewicht von 40 bis 50 g (Fig. 1). Dies war ein Fortschritt in der Kriegstechnik, denn die gezogenen Gewehre trugen weiter, die Treffsicherheit bei ihrem Gebrauch war größer und die Durchschlagskraft ihrer Geschosse eine bedeutendere. Als aber diese Gewehre als Minié-Gewehre zum erstenmal im Krimkriege verwendet wurden, da waren die Aerzte erstaunt über die erschreckende Wirkung der neuen Waffen: über die Ausdehnung und Schwere der Verwundungen, namentlich über den früher unerhörten Umfang der Knochenzersplitterung. Mit der Zeit wurde das Kaliber der Infanteriewaffen herabgesetzt. Das Langblei des preußischen Zündnadelgewehres (vergl. die Patrone Fig. 2) besaß ein Kaliber von 13,6 mm und ein Gewicht von 31 g; bei dem französischen Chassepotgewehre (Fig. 3) wurde das Kaliber auf 11 mm, das Gewicht des Geschosses auf 25 g herabgesetzt. In dem großen Kriege 1870 und 1871 erwies sich das Chassepotgewehr besser als das deutsche, und so wurden in wenigen Jahren die Infanteriewaffen aller europäischen Mächte nach diesem System verbessert; alle führten Gewehre mit länglichen cylindrischen, spitzbogenförmigen (cylindro-ogivalen) Geschossen ein, deren Kaliber 11 mm, deren Gewicht 25 g betrug, Gewehre, die eine Tragweite von etwa 2500 m besaßen und mit denen man noch auf eine Entfernung von 2000 m Mann und Pferd außer Gefecht setzen konnte.

Fig. 7. Schußkanal von 11 mm-Weichbleigeschoß in trockenem Buchenholz.

Dieser Entwickelungsstufe gehört auch das deutsche Infanterie-Gewehr 71.84 (Patrone Fig. 4) an. Zuletzt wurde das Kaliber anscheinend auf die äußerste für Kriegszwecke zulässige Grenze herabgesetzt. Das französische Lebelgewehr besitzt ein Kaliber von 8 mm; das Geschoß ist 31 mm lang und nur 14 g schwer. Dasselbe Kaliber besitzt das österreichische Mannlicher-Gewehr, [161] das Geschoß hat eine Länge von 31,8 mm und ein Gewicht von 15,8 g. In Belgien wurde neuerdings das kleinkalibrige Mausergewehr angenommen. Das Geschoß desselben (Fig. 5) besteht aus einem Weichbleikern und einem unverlötheten Mantel aus Kupfernickelblech, ist 30 mm lang, 14,2 g schwer und von 8 mm Kaliber.[1] Das neueste deutsche Infanteriegewehr 88 endlich, welches in diesen Tagen zur Ausgabe an die Truppen gelangen soll, weist ein Kaliber von 7,9 mm auf, während das nickelplattierte Stahlmantelgeschoß 32 mm lang ist und 14,5 g wiegt.

So wurde nach und nach der Querdurchmesser der Geschosse von etwa 18 mm auf durchschnittlich 8 mm, das Gewicht von über 50 auf kaum 15 g herabgesetzt. Selbstverständlich mußte dabei die Konstruktion des Gewehres selbst mannigfache Veränderungen erleiden; man mußte, um die Durchschlagskraft der kleineren Geschosse zu sichern, ein anderes, kräftiger und langsamer wirkendes Schießpulver erfinden, man mußte schließlich auch das Material, aus welchem das Geschoß selbst besteht, ändern. Die gewöhnliche Bleikugel war zu weich; sie verursachte ein zu rasches Verbleien der Drallzüge des Rohres, sie verlor zu leicht ihre Form, und man sah sich genöthigt, das Blei mit einer schützenden Hülle zu umgeben; die Kugeln der kleinkalibrigen Gewehre sind Mantelgeschosse, bei denen der innere Bleikern von einem Mantel, sei es aus Kupfer, sei es Nickel oder Stahl, umgeben ist.

An den Arzt tritt nun die Frage heran: wie sind die Wunden beschaffen, welche von den Geschossen der kleinkalibrigen Gewehre erzeugt werden?

Fig. 8. Einschuß des 8 mm-Geschosses in eine 4 mm dicke Eisenplatte.

Fig. 9. Einschuß des 11 mm-Geschosses in eine 4 mm dicke Eisenplatte.

Schon die Einführung des 11 mm-Kalibers bei den Chassepotgewehren erwies sich in chirurgischem Sinne als günstig, die Schußverletzungen durch die Chassepotkugeln waren im allgemeinen 1870/71 weniger schwer als in früheren Kriegen. Wenig Quetschung und Zertrümmerung der Gewebe, kleine Eingangs- und Ausgangsöffnungen, das war der Charakter der Wunden, und oft trat Heilung fast ohne Eiterung ein. Diese Eigenschaften zeigten jedoch nur die Schußverletzungen, die auf größere Entfernungen zustande gekommen waren. Anders bei Nahschüssen. In diesen Fällen war das Bild oft höchst ungünstig; die Aerzte fanden Schußwunden vor, wie man sie früher noch niemals gesehen hatte, so großartig war die Zerstörung und Zermalmung der Gewebe. Der Schußkanal bildete einen Trichter, dessen Eingangsöffnung etwa dem Kaliber des Geschosses entsprach, dessen Ausgangsöffnung aber zehn- bis zwanzigmal so weit war. Gegen das Ende des Trichters waren Weichtheile und Knochen zermalmt und zerschmettert. Aehnliche Folgen wurden, wenn auch seltener, auf französischer Seite bei Verwundungen durch das Zündnadelgewehr beobachtet. Man wußte den Grund dieser Verheerungen nur durch die Annahme zu erklären, daß die Gegner allem Völkerrecht zuwider Explosionsgeschosse benutzten, die im Körper der Verwundeten platzten und die gewaltigen Zertrümmerungen verursachten. Studien über Schußwunden, die man später im Frieden anstellte, zeigten, daß diese Anschuldigungen durchaus grundlos waren, daß jedes mit großer Geschwindigkeit auftreffende Geschoß eine Sprengwirkung ausüben kann.

Jedermann weiß, daß der Druck, der auf eine Flüssigkeit ausgeübt wird, sich in derselben nach allen Richtungen hin fortpflanzt, jedermann kennt die auf diesem Gesetz aufgebaute hydraulische Presse. Auch die Kugel, welche in eine Flüssigkeit, z. B. Wasser, einschlägt, erzeugt in diesem einen Druck. Ist nun das Wasser in einem Gefäß eingeschlossen und schießt man in dasselbe hinein, so wird das Wasser in der Regel (bei Benutzung gewöhnlicher Jagdflinten) in einer hohen Säule aufspritzen. Hat aber das Geschoß, welches das Wasser trifft, eine besonders hohe Geschwindigkeit, pflanzt sich infolge dessen der durch dasselbe erzeugte Druck plötzlich und ungemein rasch in allen Wassertheilchen fort, so werden diese keine Zeit finden, durch die obere Oeffnung zu entweichen, sondern mit voller Wucht gegen Wand des Gefäßes drängen und dieses sprengen. Dies ist oft durch Proben festgestellt worden.

Nun sind die mit Blut und Säften durchtränkten Organe des menschlichen Körpers in ihrem Verhalten einem solchen Wasserkasten ähnlich. Trifft das Geschoß mit hoher Geschwindigkeit die Leber, die Milz, das Herz oder den mit weicher Gehirnmasse gefüllten Schädel, dann treten derartige Sprengwirkungen durch den hydraulischen Druck ein, dann entstehen jene gefährlichen trichterförmigen Wunden, dann geschieht es, daß der Schädel durch einen solchen Schuß, durch eine einzige Kugel so jäh zersprengt wird, daß die Stücke weit umherfliegen.

Wie verhalten sich nun das neue 8 mm- und das alte 11 mm-Geschoß in Betreff dieser Sprengwirkung? Bei dem Kleinkaliber kommt diese überhaupt nur so lange zur Geltung, als das Geschoß die Endgeschwindigkeit von etwa 300 m und darüber besitzt, d. h. auf Entfernungen bis zu etwa 800 m, bei dem 11 mm-Geschoß genügt schon die Endgeschwindigkeit von 200 m, welche das Geschoß auf etwa 900 m erreicht. Die Zone, in welcher die Nahschüsse aus dem Kleinkalibergewehre solche Sprengwirkungen erzeugen können, ist somit kürzer, außerdem bringt der kleinere Durchschnitt des Geschosses es mit sich, daß die Druckwirkungen zwei- bis dreimal geringer sind als bei den 11 mm-Kugeln.

Es werden somit diese schlimmen Verwundungen auch in Zukunft vorkommen, aber sie werden nicht so häufig und nicht so umfangreich sein wie bisher. Die Zone der nach dieser Seite hin eigentlich gefährlichen Nahschüsse umfaßt etwa die ersten 400 m der Flugbahn des kleinkalibrigen Geschosses.

Bevor man Klarheit über diese hydraulischen Wirkungen der Geschosse erlangt hatte, suchte man diese Erscheinung durch die Annahme zu erklären, daß die Kugeln beim Auftreffen auf festere Theile sich bis zum Schmelzpunkt erhitzten und die geschmolzene Masse alsdann die Sprengungen verursachte. Dadurch sollte zugleich das Zersplittern, die Formveränderung, Abplattung etc., die „Deformation“ oder „Entformung“ des Geschosses, erklärt werden, welche wieder dazu beiträgt, den Charakter der Wunde zu verschlimmern.

Prof. Bruns hat auch diese Frage durch seine Versuche entschieden. Er benutzte dazu einen viereckigen, hinten und zu beiden Seiten mit starken Eisenplatten versehenen Kasten, in welchen die als Ziel dienenden Eisenscheiben in bestimmten Abständen eingesetzt werden konnten. Nach vorne wurde der Kasten durch ein ganz dünnes Blech, nach oben durch eine aufgelegte Eisenplatte geschlossen, nach unten blieb er offen gegen eine Schieblade, welche in dem den Kasten tragenden Holzgestell angebracht war. Auf diese Weise fiel das abgefeuerte Geschoß mit allen seinen Bruchstücken, nachdem es durch die dünne vordere Blechscheibe gedrungen und dahinter auf die Eisenplatte aufgeschlagen war, unmittelbar in die Schieblade. Diese wurde mit Stoffen von verschieden [162] hohem Schmelzpunkte (wie Paraffin, Schwefel in Pulverform etc.) gefüllt, um zu beobachten, inwieweit dieselben durch die niederfallenden Bleitheile zum Schmelzen gebracht werden.

Prof. Bruns fand nun, daß größere Bleistücke sich höchstens bis auf 150°, die kleinen bis 200° und die kleinsten bis zu höchstens 210° C. erwärmten; der Schmelzpunkt des Bleis liegt aber erst bei 334° C. Bruchstücke von Stahl- und Nickelmänteln erhitzten sich bis zu 230° C., die kleinsten ausnahmsweise bis über 300° C. Ein Schmelzen der Geschosse konnte nicht festgestellt werden. Die Entformung geschieht also nur infolge des Druckes auf rein mechanischem Wege. Die Mantelgeschosse erweisen sich dabei widerstandsfähiger als die einfachen Bleigeschosse. Von welcher Bedeutung dies für die Durchschlagskraft des Geschosses ist, beweisen unsere Abbildungen. Fig. 6 zeigt den cylindrischen Schußkanal, der durch 8 mm-Nickelmantelgeschoß in trockenes Buchenholz gebohrt wurde. Die ganze Länge des Schußkanales, der hier nur in seinen letzten 13 cm abgebildet ist, beträgt 54 cm, und das Geschoß liegt fast unverändert im blinden Ende desselben. Fig. 7. stellt den Schußkanal durch 11 mm-Weichbleigeschoß dar. Der Kanal ist nur 8 cm lang und trichterförmig; die Einschußweite hat einen Durchmesser von 6 mm, das blinde Ende aber, in welchem das kaum noch erkennbare Geschoß liegt, einen solchen von 46 mm. Man erkennt daraus sofort, wie das Bleigeschoß durch seine Entformung sich größere Widerstände schafft.

Bezeichnend für die Durchschlagskraft der Geschosse sind ferner unsere weiteren Abbildungen Fig. 8 und 9, welche Schüsse auf 12 m Entfernung durch eine 4 mm dicke Walzeisenplatte darstellen. In Fig. 8 finden wir ein kreisrundes Loch, welches das 8 mm-Geschoß geschlagen hat, in Fig. 9 die unregelmäßige größere, seitlich eingerissene Oeffnung, welche das 11 mm-Geschoß zustande brachte. Dieses Verhalten des neuen Geschosses ist von größter Wichtigkeit; denn trifft es auf Knochen, so zertrümmert es dieselben bei weitem weniger als das alte Geschoß, ja es erzeugt in denselben reine Lochschüsse ohne weitergehende Risse und Brüche. Selbst dem Laien muß es einleuchten, daß derartige Wunden rascher und sicherer heilen als Wunden, bei denen weite Partien des Knochens beschädigt sind.

Es würde zu weit führen, hier auf die Wirkungen der Geschosse in verschiedenen Entfernungen oder Zonen ausführlicher einzugehen; denn mit der abnehmenden Geschwindigkeit der Kugel ändert sich auch die Beschaffenheit der Wunde. Das eine steht aber fest, daß der Charakter der Schußwunden durch die kleinkalibrigen Geschosse in allen Zonen, sei es bei Nah- oder Fernschüssen, ein viel günstigerer ist.

„Es ist gewiß mit hoher Freude zu begrüßen,“ schließt Prof. Bruns seine Ausführungen, „daß die durch taktische Gründe bedingte Herabsetzung des Kalibers und insbesondere die davon unzertrennliche Einführung der Mantelgeschosse gerade im Sinne der humanitären Bestrebungen liegt. Die künftigen Kriege werden vielleicht in derselben Zeit zahlreichere, aber jedenfalls viel häufiger reine und glatte Schußwunden bringen; . . . der Heilungsverlauf wird sich günstiger gestalten, Verstümmelung und Verkrüppelung häufiger vermieden werden. – Das neue Kaliber ist nicht bloß die beste, sondern zugleich die humanste Waffe, um nach Möglichkeit die Schrecken des Krieges zu mildern.“


  1. Mit diesem Gewehre wurden die Versuche von Prof. Bruns angestellt; zur Vergleichung der Wirkung wurden Parallelversuche mit dem deutschen Infanteriegewehr 71.84 von 11 mm Kaliber ausgeführt.