Von den Gottesurtheilen der Vorzeit

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Titel: Von den Gottesurtheilen der Vorzeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 661–663
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus der guten alten Zeit.
Von den Gottesurtheilen der Vorzeit.

„Nulla casa senza tegola rotta,“ sagt ein italienisches Sprüchwort. Kein Dach ohne zerbrochenen Ziegel – kein Haus ohne Risse, keine Stadt ohne Bettler, kein Land ohne Wüsteneien, kein Staat ohne schlechte Gesetze, kein Zeitalter ohne schimpfliche Perioden. Man könnte viel Rühmliches von unsern Vorfahren, den alten Germanen, von ihrer Tapferkeit, Treue und Wahrheitsliebe, ihrer Gastfreiheit, Sittenstrenge und Einfachheit erzählen, man kann viel Löbliches in ihren Gebräuchen, Einrichtungen und Gesetzen finden, allein mancher zerbrochene Ziegel läuft mit unter und die schadhafteste Stelle ihres Volkslebens war ihre alte Gerichtsverfassung, wenn man von einer solchen überhaupt reden kann. Wenn irgendwo, so zeigten sich unsere Vorfahren hier als unmündige Kinder, deren aufdämmernder Verstand noch von den Banden des düstersten Aberglaubens umfangen war.

Will man den Criminalproceß der alten Deutschen in wenig Worten zusammenfassen, so muß man an die Spitze stellen, daß von einem Beweis im Sinne des heutigen Rechts und von einer Bemühung des Richters, die Wahrheit zu erforschen, keine Rede war. Klagte ein Germane den andern eines Verbrechens an, so war damit nicht nur die Klage beendigt, sondern dieselbe galt auch vorläufig als bewiesen. Es blieb dem Angeklagten nichts übrig, als sich der Strafe, welche die Schöffen aussprachen, zu unterwerfen, oder sich von der Anklage zu reinigen. Es mußte also nicht der Kläger seine Klage, sondern der Angeklagte seine Unschuld beweisen, und konnte er dies nicht, so unterlag er. Wie geschah aber diese Reinigung? Wenn zehn Zeugen mit eigenen Augen seine Nichtbetheiligung an der verbrecherischen That mit angesehen hatten, so konnte ihm das an sich ebenso wenig helfen, als es ihm schadete, wenn er auch am hellen Tage auf der That ertappt und festgehalten worden war. An eine Befragung solcher Zeugen wurde gar nicht gedacht. Vielmehr kam es lediglich darauf an, ob der Angeklagte unter seinen Freunden und Bekannten so viele, als das Gesetz in jedem einzelnen Falle verlangte, fand, welche bereit waren, für seine Unschuld einzustehen, ganz gleichgültig, ob sie irgend welche Wissenschaft von der Sache hatten oder nicht, und die oben erwähnten Zeugen konnten ihm höchstens insofern Vortheil oder Schaden bringen, als sie sich mit dazu erboten, für seine Unschuld zu bürgen, oder aber durch ihre Aussagen Andere von einer solchen Bürgschaft abhielten. Vermochte nun der Angeklagte die erforderliche Zahl solcher sogenannten Eideshelfer, die bereit waren, für ihn zu schwören, aufzubringen, so war seine Unschuld vollständig dargethan, entgegengesetzten Falls mußte er sich der Strafe unterwerfen. Zu einiger Rechtfertigung dieses dem Laien unerhörten Verfahrens sei jedoch gesagt, daß dieser Gerichtsbrauch in dem alten Fehderecht der Deutschen seinen Ursprung und seine Erklärung hat. Bei unsern in einem fast gesetzlosen Zustande lebenden Urahnen galt, wie bei allen auf der untersten Stufe der Entwicklung stehenden Völkern, das Recht des Stärkern. War Jemand durch einen Andern in seinem Rechte gekränkt worden, so verschaffte er sich selbst Genugthuung. War jedoch der Gegner ein Mann, der mit Hülfe seiner wehrhaften Blutsfreunde hinreichenden Widerstand zu leisten im Stande war, so mußte jener von der verlangten Genugthuung absehen, und damit war die Sache zu Ende. Als die Ausübung des Fehderechts in seinem vollen Umfange nicht mehr gestattet war, blieb es wie im Schachspiel bei einem unblutigen Kampfe. War die Zahl der Eideshelfer, d. h. der Blutsverwandten und Freunde, welche für den Fall, daß es zur Fehde gekommen wäre, bereit waren, Partei für den Angeklagten zu ergreifen, so groß, daß der Ankläger Respect bekam, so blieb ihm nichts übrig, als von der Verfolgung seines Anspruchs abzustehen, und es hatte dies, nur in anderer Weise, ganz dieselbe Wirkung, als wenn heutzutage im Laufe der Untersuchung sich die Unschuld des Angeklagten herausgestellt hat. Die Schöffen oder Richter spielten dabei freilich eine erbärmliche Rolle, und die Gerechtigkeit mußte Spießruthen laufen.

Zu diesem sehr einfachen Proceßverfahren gab es jedoch einige Abweichungen. Es konnte nämlich der Streit noch weit schneller dadurch beendigt werden, daß der Ankläger den Gegner zum gerichtlichen Zweikampf forderte, oder, und dies galt namentlich, wenn Unfreie, für die ihr Herr nicht schwören wollte, oder Rechtlose verklagt worden waren, es wurde die Entscheidung von den Richtern einem sogenannten Gottesurtheil anheimgestellt. Man legte also die Hände gänzlich in den Schooß, und holte sich die Entscheidung unmittelbar an dem Urquelle aller Gerechtigkeit.

Von diesen Gottesurtheilen, einer der außerordentlichsten und räthselhaftesten Erscheinungen in der Geschichte der Menschen, verstatten mir die Leser, Einiges zu erzählen.

Die Ordalien oder Gottesurtheile (ordale, urtellum. Urthel) gründeten sich auf die kindlich-gläubige Ueberzeugung unserer Altvordern, daß die Gottheit den Unschuldigen nicht untergehen lassen werde, und sollte es auch zu diesem Behufe eines Wunders bedürfen. Kein Mittel war sonach einfacher, die Schuldlosigkeit eines Verdächtigten zu erproben, als daß man ihm Dinge anthat, die ihn nach allen Lehren der Erfahrung an Leib oder Leben schädigen mußten. Trat dieser üble Erfolg gleichwohl nicht ein, so hatte sich die Gottheit selbst dazwischen gelegt, und seine Unschuld offenbart. Die bekanntesten und üblichsten dieser Proben waren nun die sog. Feuerurtheile, die Wasserurtheile, das Kreuzurtheil, die Probe mit dem geweihten Bissen und das Bahrgericht.

Die Feuerprobe wurde in verschiedener Weise executirt. Die einfachste Form bestand darin, daß der Angeklagte angehalten wurde, die bloße Hand in das Feuer zu halten. Feierlicher war es, wenn derselbe im Hemd durch einen brennenden Holzstoß gehen mußte, und um den Sieg der Unschuld um so glänzender zu machen, wurde ihm bisweilen sogar ein Wachshemd angezogen. Nach dem Zeugniß des Jacob von Königshöfen soll Richardis, die Gemahlin Carl’s des Dicken, welche des verbotenen Umgangs mit Luitward, Bischof von Vercelli, angeklagt war, ihre Unschuld durch glückliches Ueberstehen dieser Feuersgefahr dargethan haben, wogegen dem Leser aus der Geschichte der Kreuzzüge bekannt sein wird, daß Peter Bartholomäus, welcher vorgab, die heilige Lanze gefunden zu haben, im Jahre 1099 mit derselben im Hemd durch das Feuer ging, um sich von der Anschuldigung des Betrugs zu reinigen, aber nach Einigen tödtlich verbrannt herauskam.

Nach einer dritten Art, welche noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts im Rheingau üblich gewesen sein soll, mußte ein glühendes Eisen eine Strecke weit in der Hand getragen werden, anderwärts mußte der Angeklagte dasselbe mit bloßen Füßen betreten, oder über neun Pflugscharen schreiten, eine Probe, aus welcher nach der Sage Heinrichs II. Gemahlin, Kunigunde, und [662] die Mutter Eduard des Bekenners unverletzt hervorgegangen. Zuweilen wurde die Zahl der Schritte, welche mit dem Eisen in der Hand zurückgelegt werden mußten, im Voraus bestimmt, und eben so kam es vor, daß, um dem Unglücklichen das Leben so sauer als möglich zu machen, er nachher noch das Eisen in einen zwölf Schritt entfernten Trog werfen und, wenn er diesen fehlte, die Probe unerbittlich von Neuem beginnen mußte. Auch hier fehlt es den alten Geschichtsschreibern nicht an Beispielen eines glücklichen Erfolges. Der Bischof Poppo, welcher in Dänemark als Verkündiger des Christenthums aufgetreten, bekräftigte die Wahrheit seiner Lehre vor König Harald durch die Feuerprobe, und erreichte damit die Bekehrung des Heidenkönigs. Am komischsten liest es sich, wenn die alten Germanen mit echter deutscher Gründlichkeit und Vorsicht die Hand des Angeklagten nach überstandener Probe in einen Sack steckten, diesen zusiegelten und erst nach drei Tagen in grenzenloser Spannung wieder öffneten, um nachzusehen, ob sich eine verdammende Brandwunde an derselben wahrnehmen ließ, oder die Macht Odins das glühende Eisen in der Hand des Gerechten in ein grünendes Reis verwandelt hatte.

Aelter noch als diese Feuerproben sind die sogenannten Wasserurtheile. Sie wurden bald mit kaltem, bald mit siedendem Wasser vorgenommen. Der sogenannte Kesselfang, nach welchem ein Stein oder Ring mit entblößtem Arme aus einem mit kochendem Wasser angefüllten Kessel geholt werden mußte, ist in dem salischen Volksgesetz ausdrücklich vorgeschrieben. An manchen Orten befanden sich zu diesem Zwecke eigene Kessel am Eingänge der Kirche eingemauert. Bei der kalten Wasserprobe wurde der Angeklagte einfach mit gebundenen Armen und Beinen in einen Teich geworfen. Allein hier waren unsere ehrlichen Vorfahren mit sich selbst im Zwiespalt, ob das Untersinken oder das Obenschwimmen ein Beweis der Unschuld sein solle. Diese Wassertauche war neben dem Wägen der Hexen, welche nach dem Aberglauben ein ungewöhnlich geringes Gewicht haben sollten, die bei weitem gebräuchlichste Hexenprobe und als solche noch im vorigen Jahrhundert in Geltung.

Wesentlich unterschied sich von den bisher genannten Gottesurtheilen das sogenannte Kreuzurtheil. Hier mußen sich nämlich beide Theile, der Kläger und Beklagte, der Probe unterziehen. Auch war sie bei weitem die menschlichste. Beide Gegner mußten mit ausgebreiteten Armen unbeweglich an einem Kreuze stehen. Wer zuerst zu Boden sank, oder auch nur den Arm sinken ließ, hatte verloren. Während sie dastanden, wurde gebetet und Messe gelesen. So wird uns erzählt, daß, als einst in einem Teiche des Klosters Bischofsheim ein neugebornes Kind gefunden wurde, und der Verdacht sich auf die Nonnen des Klosters lenkte, zur Ermittlung der Schuldigen alle Nonnen am Kreuze stehen mußten. Aber noch merkwürdigere Beispiele zeigen, in welchem Ansehen im Mittelalter dieses Gottesurtheil stand. Unter der Regierung Carl’s des Großen geriethen die Bürger von Verona mit ihrem Bischof in Streit wegen des Wiederbaues der Stadtmauern. Nach langen Debatten einigte man sich dahin, daß die Kreuzesprobe den Streit entscheiden sollte, und jede Partei wählte als ihren Kämpfer einen Geistlichen. Sie standen unter großen Feierlichkeiten so lange, bis der Vertreter der Bürgerschaft zu Boden fiel. Noch mehr, Carl der Große verordnete sogar auf dem Reichstage zu Thionville, daß, wenn unter seinen Söhnen bei der Theilung des Reichs nach seinem Tode Grenzstreitigkeiten entstehen sollten, das Kreuzgericht entscheiden sollte.

Ebenso unschuldiger Natur war die Probe des geweihten Bissens und des Abendmahls. Ein Stück Brod oder Käse, später die geweihte Hostie, wurde dem Angeschuldigten in den Mund gelegt und man meinte, daß, wenn er schuldig sei, er an dem Bissen ersticken müsse. Daher noch jetzt die Betheueruugen: „es soll mir der Bissen im Halse stecken bleiben“ und „ich will das Abendmahl darauf nehmen.“

Fragt man aber, welcher Aberglaube die weiteste Verbreitung fast bei allen Völkern gefunden und noch im vergangenen Jahrhundert seinen Spuk getrieben, so ist es der Glaube, daß der Leichnam des Ermordeten bei der Berührung durch den Mörder frisch zu bluten, sich zu bewegen, oder Schaum am Munde zu zeigen anfange.

Auch hierin hatte man sonach ein sehr bequemes Mittel, sich eine weitere Untersuchung zu ersparen. Man führte den Verdächtigen vor die Bahre und veranlaßte ihn, die Leiche zu berühren. Je nach den Wahrnehmungen, die man hierauf an derselben machte, war er schuldig oder unschuldig. So fordert Krimhilde im Nibelungenlied die Degen, welche mit Siegfried auf der Jagd gewesen, auf, an die Bahre des Ermordeten zu treten, und als sich der trotzige Hagen naht, klagt ihn das strömende Blut Siegfrieds als Mörder an. Auch Shakespeare läßt in Richard III. Lady Anna, als sich Richard der Leiche Heinrichs naht, ausrufen:

Ihr Herrn, seht, seht! des todten Heinrichs Wunden
Oeffnen den starren Mund und bluten frisch.

Auf dieser Basis tiefen Aberglaubens ruhten noch manche nicht zu den Ordalien gehörige Sitten des Mittelalters, die zu erwähnen zu weit führen würde. Nur eines höchst originellen österreichischen Volksglaubens sei noch gedacht, daß nämlich eine reine Jungfrau daran zu erkennen sei, daß sie eine Kerze mit dem ersten Hauche aus- und mit dem zweiten wieder anblasen könne.

Wie übrigens bei diesen Gottesurtheilen schon in den frühesten Zeiten Betrug und Hinterlist unterlief, davon sind uns mehrere sehr ergötzliche Beispiele aufbewahrt.

Einst stritten sich, wie Gregor von Tours berichtet, ein katholischer und ein arianischer (ketzerischer) Priester um die Wahrheit ihrer gegenseitigen Glaubenslehren. Lange hatten sie hin und her disputirt, da rief endlich der Katholik, von seinem Eifer hingerissen:

„Was wollen wir uns länger mit Worten streiten? Die That mag lehren, wer von uns Recht hat. Wir wollen einen Ring in einen Kessel voll kochendes Wasser werfen und wer von uns denselben unverletzt herauszieht, soll nicht nur Recht behalten, sondern auch den Gegner zu seiner Lehre bekehren.“ Der Arianer ist es zufrieden und sie gehen mit dem Versprechen auseinander, am nächsten Morgen die Kesselprobe vorzunehmen. Ueber Nacht fängt den katholischen Priester an, seine Hitze zu gereuen, mit Grauen denkt er an die gefährliche Probe und besieht sich mit Wehmuth seine wohlgenährten Arme, welche er dem siedenden Wasser preisgeben soll. Endlich fällt er darauf, sich dieselben mit Oel und Salben einzureiben und glücklich über seine List schöpft er wieder neue Hoffnung. Der Morgen kommt heran, das Volk versammelt sich auf dem Marktplatze, ein großes Feuer wird angezündet, der Kessel darüber gesetzt und ein Ring hineingeworfen. Bald fängt das Wasser an zu brudeln und zu wallen und dem Armen schwindet bei diesem Anblick von neuem der Muth. In kläglichem Tone fordert er den Arianer auf, den Anfang zu machen, aber Letzterer weigert sich dessen entschieden und beruft sich darauf, daß Jener zuerst den Vorschlag zum Kesselfang gemacht. Das Volk fängt an ungeduldig zu werden und da der Gequälte keinen Ausweg mehr sieht, entblößt er zitternd seine Arme.

„Was sehe ich!“ schreit der Gegner, „Verrath! Er hat sich den Arm gesalbt, er hat Künste gebraucht, seine Probe gilt nichts.“

Indem kommt zum Glück von ungefähr ein anderer katholischer Geistlicher aus Ravenna hinzu, fragt, was es gebe, und hat kaum die Ursache des Streites erfahren, als er seinen Aermel zurückschlägt und die Rechte in den Kessel taucht. Der Kessel war aber so groß und der Ring so klein, daß es eine Stunde dauerte, ehe er denselben fand. Als er ihn endlich erwischt hatte und den Arm herauszog, war derselbe gänzlich unversehrt und der Priester behauptete sogar, daß er im Kesiel nur Kälte gefühlt habe. Durch diese Worte kühn gemacht, streckte auch der Arianer seinen Arm hinein, zog ihn aber mit einem lauten Schrei wieder heraus und mußte zu seinem Schrecken wahrnehmen, daß er sich den ganzen Arm verbrannt hatte.

Besser als jenem Geistlichen, der sich den Arm mit Oel eingerieben hatte, gelang die List einem Ehemanne, von welchem uns ein Dichter der damaligen Zeit erzählt. Dieser Mann war, wie das zu allen Zeiten vorgekommen sein soll, mit einem eifersüchtigen Weibe geplagt, welches Ursache zu haben glaubte, in seine eheliche Treue Zweifel zu setzen. Da er stets seine Unschuld betheuerte, so verlangte sie eines Tages, daß er sich von dem auf ihm lastenden Verdachte durch die Feuerprobe reinigen solle. Es hält schwer, mit einer Frau fertig zu werden, auch unser Held vermochte die seinige nicht eher zu beruhigen, als bis er sich ihrem Ansinnen fügte. Für unsere Leser frei übersetzt lauten nun die Verse des Dichters:

Das Eisen ward nunmehr geglüht
Und auf zwei Steine hingelegt,

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Daß alles ging’ nach seinem Recht.
„Geh,“ rief die Frau, „und daß man sieht,
Ob treu, ob untreu Dein Gemüth,
So nimm das Eisen in die Hand!“
Der Mann sich dazu willig fand.
Doch hat er vorher einen Spahn
In seinen Aermelschlitz gethan,
Den ließ er fallen in die Hand,
Ohn’ daß sein Weib den Trug erkannt.
Drauf nahm er keck das heiße Eisen
Und rief: „Jetzt will ich Dir beweisen,
Daß kein Gedanke, keine That
Je meine Treu erschüttert hat.“
Er trug das Eisen wohl sechs Schritte,
Als wär’ es Spaß, was er gethan,
Dann aber barg er seinen Spahn
Klug wieder in des Kleides Schnitte,
Und producirte seine Hand.
Sie sprach: „Jetzt hab’ ich es erkannt,
Daß Du mir Treue stets gezollt,
Die Hand ist reiner als wie Gold.“

Allein damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Der Ehemann war ebenso rachsüchtig als listig und verlangte nun zum Schrecken seiner Ehefrau, daß diese auch das Eisen tragen sollte. Umsonst war alles Sträuben. Sie mußte trotz ihres bösen Gewissens gehorchen, und nun singt der Dichter:

Das Eisen nahm sie in die Hand
Und hat sich mörderlich verbrannt,
Daß sie geschrien voll Schmerz und Wuth:
„Mir ist die ganze Hand caput!“

Auch kam es schon zur Blüthezeit der Gottesurtheile vor, daß Männer aufgeklärt genug waren, um den ganzen Unsinn derselben einzusehen. So wird aus dem dreizehnten Jahrhundert erzählt, daß ein zur Feuerprobe Verurtheilter sich weigerte und ausrief: „er wäre kein Narr!“ und, als der Erzbischof in ihn drang, sich nur unter der Bedingung dazu bereit erklärte, wenn der Erzbischof ihm selbst das Eisen reiche. Da Letzterer dazu keine Lust verspürte, so ließ man den Burschen laufen. Dagegen lehrt ein anderes Beispiel, bis zu welcher Höhe blinden Wunderglaubens unsere Vorfahren sich verstiegen haben. Die Lübecksche Chronik erzählt mit der größten Ernsthaftigkeit folgende seltsame Geschichte: „Zu Wittenberg im Land Mecklenburg war ein Mann beschuldiget, daß er solte etliche Häuser angesteckt haben. Er verneint solches und vermaß sich auf sein Unschuld, daß er ein glüend Eisen tragen wolt. Es ward ihme in die Hand gethan und druge es ohne schreyung. Da er zu dem Male kam an dem Kirchhof, warf er es aus der Hand und es verschwand, daß niemand wußte wo es hinkam. Ein Jahr darnach da einer brogede und rakede in dem Sand, fand er das Eisen und verbrant die Hand daran. Die dabei waren verwunderten sich des und sagtens dem Vogt, der ward eingedenk der vorigen Geschicht und ließ den Kerl antasten (arretiren). Der bekente daß er die häuser angesteckt und ward uf’s Rad gesetzt.“

Fragt man nun, wie es möglich war, daß solche Gebräuche bestehen, ja durch Gesetze sanctionirt werden, daß dieselben nicht Jahrzehnde, nein Jahrhunderte andauern und nur mit Mühe durch das Christenthum und die Fortschritte der Wissenschaft und Gesetzgebung aus dem deutschen Volke verbannt werden konnten, so fällt die Antwort schwer, so schwer, daß ein so geistreicher Schriftsteller wie Montesquieu in seinem esprit des lois sich zu der Erklärung verleiten lassen konnte, bei den alten Deutschen hätte jeder einigermaßen rechtliche Mann eine so dicke Haut auf den Händen gehabt, daß alle brennenden Proben daran zu schanden geworden seien und man daher durch das glühende Eisen oder kochende Wasser leicht erkennen können, wes Geistes Kind der Angeklagte sei, ob ein unverdorbener kräftiger Mann oder eine verweichlichte Memme. Ebenso ungenügend ist es, wie Mancher versucht, die Ordalien als eine Erfindung der Priester zu bezeichnen, denen sie Gelegenheit zu allerlei List und Trug geboten und die durch ihre Einführung nicht nur die Freisprechung oder Verurtheilung in ihre Hand gespielt, sondern auch das Volk in Verdummung erhalten hätten. Denn wenn auch nicht bestritten werden mag, daß manche Täuschung seiten der heidnischen wie der christlichen Priester vorgekommen, so läßt sich doch damit nimmermehr ein so allgemeiner und tiefeingewurzelter Rechtsbrauch erklären, den wir übrigens nicht blos bei den Deutschen, sondern auch, wiewohl in geringerer Ausbildung, bei den slavischen Völkern und noch heutzutage in Indien und Pegu wiederfinden. Die Existenz der Gottesurtheile endlich ganz aus der Geschichte wegzuleugnen, ist zwar die bequemste, aber auch die unkritischste Art und Weise, sich über die Schwierigkeit hinwegzusetzen. Denn wenn man auch in manches der von den alten Geschichtsschreibern erzählten Beispiele gerechtes Mißtrauen setzen muß, so ist doch die Gültigkeit und die wiederholte Anwendung der Ordalien über allen Zweifel erwiesen.

Dagegen ist durch andere Forscher wenigstens einiges Licht in dieses Nachtgemälde altdeutschen Irrthums gebracht worden. Die Ordalien hatten ihren Ursprung ebenso in ungewöhnlichen Tugenden als in ungewöhnlichen Fehlern unserer Altvordern. Vor allem muß festgehalten werden, daß die Wahrheitsliebe ein Grundzug der Germanen war. Es war deshalb etwas Unerhörtes, daß Jemand absichtlich oder leichtsinnig eine falsche Anklage erhoben hätte, und es war ebenso unerhört, daß ein Beschuldigter das Verbrechen, dessen er sich wirklich schuldig fühlte, wider die Wahrheit ableugnete. Daß dem so war, dafür liegen deutliche Beweise vor. Schon dadurch reducirte sich die Anwendung der Gottesurtheile auf wenige Fälle. Dazu kam, daß freie Deutsche nur selten zum Gottesurtheil gezogen wurden. Sie halfen sich durch den Eid und Zweikampf. Nur unfreie Knechte und andere mehr oder weniger rechtlose Personen mußten sich demselben unterwerfen und wenn diese durch den üblen Ausgang regelmäßig als Schuldige dargestellt wurden, so wunderte sich Niemand darüber, da man von ihnen ohnehin das Schlechteste zu denken gewohnt war; ja die Bestimmung, welche diejenigen, die bereits zum zweiten Male des Diebstahls angeklagt wurden, an das Gottesgericht verwies, läßt erkennen, daß nach der Ansicht der Deutschen in der Verurtheilung zum Gottesurtheil schon eine halbe Verurtheilung zur Strafe lag. Wir haben aber noch andere Veranlassung zu der Annahme, daß die Gottesurtheile zwar in der Rechtssitte existirten, aber mehr zu einem Schreckbild der Phantasie dienten und als solches gute Dienste leisteten. Es läßt sich voraussehen, daß der Schuldige lieber gestand und sich der gesetzlichen Strafe unterwarf, als sich dem Gottesurtheil aussetzte, dessen Ausgang ihm sein böses Gewissen im Voraus zeigte. Daß aber umgekehrt auch der Kläger es nicht leicht bis zum Aeußersten, dem Ordale, trieb, darauf lassen, abgesehen von den Fällen, wo sich beide Theile der Probe unterwerfen mußten, noch manche andere Bestimmungen schließen, von denen nur eine Vorschrift des salischen Gesetzes angeführt werden soll, wonach der Kläger gehalten war, vom Termin der Klage bis zum Termin des Ordals, d. h. 14 Tage und 14 Nächte ununterbrochen das Feuer unter dem Kessel zu unterhalten, eine eben nicht verlockende Arbeit. Berücksichtigt man dabei noch, daß der Aberglaube sich erfahrungsmäßig leichter in kräftigen als in stumpfen Gemüthern festsetzt, so wird das von uns geschilderte Verfahren viel an seiner Abscheulichkeit verlieren, und ehe wir den Stab über unsere Vorfahren brechen, vergegenwärtigen wir uns, wo die Treue, die Wahrheitsliebe, die Zucht, und Sittenreinheit der alten Deutschen geblieben, bei denen in Wahrheit ein Wort ein Mann, ein Mann ein Wort war. Grundsatzlosigkeit, Leichtsinn, Sittenverderbniß sind an ihre Stelle getreten. Die Fortschritte der Wissenschaft und Civilisation haben die Nebel des Aberglaubens verscheucht, aber sie haben es mitverschuldet, daß religiöse Gleichgültigkeit und Weisheitsdünkel vielfach dafür eingetauscht sind, und man könnte auf ihren Einfluß die Worte jenes römischen Eseltreibers anwenden, der nach vergeblichem Bemühen, sein Maulthier zu besteigen, endlich die Hülfe des heiligen Antonius anrief und, als er jetzt zwar glücklich hinaufkam, aber auf der andern Seite wieder hinunterfiel, in die Worte ausbrach: „Zu viel geholfen, heiliger Antonius!“