Von König Carl und den Friesen

Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Von König Carl und den Friesen
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aus: Deutsche Sagen, Band 2, S. 117-120
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1818
Verlag: Nicolai
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons,Google
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[117]
445.
Von König Carl und den Friesen.
Altfriesengesetz. ed. Wierdsma I, S. 103 – 108.


Als König Carl aus Franken, und König Radbod aus Dänemark, in Friesenland wider einander stießen, besetzte jeder seinen Ort und sein End im Franekergau mit einem Heerschild, und jedweder sagte: [118] das Land wäre sein. Das wollten weise Leute sühnen, aber die Herren wollten es ausfechten. Da suchte man die Sühne so lange, bis man sie endlich in die Hand der beiden Könige selber legte: „wer von ihnen den andern an Stillstehen überträfe, der sollte gewonnen haben.“ Da brachte man die Herren zusammen. Da standen sie ein Etmal (Zeit von Tag und Nacht) in der Runde. Da ließ König Carl seinen Handschuh entfallen. Da hub ihn König Radbod auf, und reichte ihn König Carl. Da sprach Carl: ha, ha, das Land ist mein, und lachte; darum hieß sein Ort Hacheuse. Warum? sprach Radbod. Da sprach Carl: ihr seyd mein Mann worden. Da sprach Radbod: o wach (o weh) darum hieß sein Ort Wachense. Da fuhr König Radbod aus dem Lande, und König wollte ein Thing (Gericht) halten; da vermocht er nicht, denn so viel lediges Landes war nicht da, darauf er dingen konnte. Da sandte er in die sieben Seelande, und hieß ihnen, daß sie ihm eine freie Stelle gewonnen, darauf er möchte dingen. Da kauften sie mit Schatz und mit Schilling Deldemanes. Dahin dingte er, und lud die Friesen, dahin zu ihm zu fahren, und sich ihr Recht erkören, das sie halten wollten. Da baten sie Frist zu ihrer Vorsprechung. Da gab er ihnen Urlaub. Des andern Tages hieß er sie, daß sie vor das Recht führen. Da kamen sie, und erwählten Vorsprecher, zwölf von den sieben Seelanden. Da hieß er sie, daß sie das Recht erkörten. Da begehrten

[119] sie Frist. Des dritten Tages hieß er sie wiederkommen. Da zogen sie Nothschein, (beriefen sich auf gesetzliche Hinderniß) des vierten Tags eben so, des fünften auch so. Dies sind die zwei Fristen, und die drei Nothscheine, die die freien Friesen mit Recht haben sollen. Des sechsten Tages hieß er sie Recht kören. Da sprachen sie: sie könnten nicht. Da sprach der König: nun leg ich euch vor drei Kören, was euch lieber ist: daß man euch tödte? oder daß ihr alle eigen (leibeigen) werdet? oder daß man euch ein Schiff gebe, so fest und so stark, daß es eine Ebbe und eine Flut mag ausstehen, und das sonder Riem und Ruder, und sonder Tau? Da erkoren sie das Schiff, und fuhren aus mit der Ebbe so fern weg, daß sie kein Land mehr sehen mochten. Da war ihnen leid zu Muth. Da sprach einer, der aus Wittekinds Geschlecht war, des ersten Asegen (Richters): „ich habe gehört, daß unser Herr Gott, da er auf Erden war, zwölf Jünger hatte, und er selbst der dreizehnte war, und kam zu jedem bei beschlossenen Thüren, tröstete und lehrete sie; warum bitten wir nicht, daß er uns einen dreizehnten sende, der uns Recht lehre, und zu Lande weise?“ Da fielen sie alle auf ihre Knie, und beteten inniglich. Da sie die Betung gethan hatten, sahen sie einen dreizehnten am Steuer sitzen, und eine Achse auf seiner Achsel, da er mit ans Land steuerte, gegen Strom und Wind. Da sie zu Land kamen, da warf er mit der Achse auf das Land, und warf einen Erdwasen auf. [120] Da entsprang da ein Born, davon heißt die Stelle: zu Achsenhof. Und zu Eschweg kamen sie zu Land, und saßen um den Born herum; und was ihnen der dreizehnte lehrte, das nahmen sie zu Recht an. Doch wußte niemand, wer der dreizehnte war; so gleich war er jedem unter ihnen. Da er ihnen das Recht gewiesen hatte, waren ihrer nur zwölf. Darum sollen in dem Land allzeit dreizehen Asegen seyn, und ihr Urtheil sollen sie fällen zu Achsenhof und zu Eschwege, und wenn sie entzwei sprechen (verschiedener Meinung sind) so haben die sieben die sechs einzuhalten. So ist das Landrecht aller Friesen.