Textdaten
<<< >>>
Autor: Johann Fausten der Jüngere
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Vom Theer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 451–453
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[451]

Populäre Chemie für das praktische Leben.

In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Elfter Brief.
Vom Theer.

Der Glaube an Wunder hat in der Jetztzeit, die sich so gern die „Aufgeklärte“ nennt, einen harten Stoß erlitten. Das Allgemeingut einer vergangenen Zeit ist nur noch das specifische Eigenthum der alten Weiber beiderlei Geschlechts. Und doch können wir nicht leugnen, daß selbst noch heute ebenso gut Wunder geschehen, wie zu irgend einer andern Zeit. So wird uns z. B. erzählt, daß auf einer Hochzeit im Alterthum Wasser in Wein verwandelt worden sei. Das geschieht jetzt fabrikmäßig; seit Jahren werden viele Tausend Quart „Pumpenheimer“ Jahr aus Jahr ein in den edelsten Wein umgewandelt, durch den sich selbst die Zunge des Kenners bestechen läßt, mag er auch noch so aufgebracht darüber sein, daß der Mensch in seiner Vermessenheit wagt, der Natur in’s Handwerk zu pfuschen. Dies eine Beispiel aus einer großen Zahl überhaupt herausgegriffen, lehrt uns, daß die Wunder heute noch eben so im Schwunge sind wie irgend je; der Unterschied ist nur der, daß sie alltäglich geworden, und dadurch eben haben sie das Wunderbare abgestreift.

Aus alter Zeit her klebt dem Chemiker der Name „Schwarzkünstler“ an; heute verdient er diese Bezeichnung mit Recht. Ueberall, wo er mit seinem Zauberstabe anklopft, bricht eine lebendige Quelle hervor, hell und rein wie die aus dem Felsen in der Wüste und mehr Segen spendend als diese, denn statt des Wassers liefert sie Arbeit. Schon früher haben wir gezeigt, wie das Hauptstreben der Gegenwart, die Förderung der materiellen Interessen, den treuesten Bundesgenossen in dem Chemiker findet. Die Geschichte vom Theer, der man in früherer Zeit gewiß einen Platz unter den [452] Mährchen aus Tausend und eine Nacht angewiesen hätte, lehrt uns auf Neue, wie die Chemie sich angelegen sein läßt, dem Ruf, der von allen Seiten an sie ergeht: „daß sie aus Steinen Brot mache“, auf direkte und indirekte Weise nachzukommen.

Hat auch der Theer, dieser schmutzige und stinkende Geselle, eben weil er kein hochzeitliches Kleid an hat, keinen Geschichtsschreiber gefunden, der die Merkwürdigkeiten seines Lebens der Nachwelt überlieferte, so müssen wir doch bei unserer Erzählung bis in die fernste geschichtliche Zeit zurückgreifen. Die Mumien der alten Aegypter geben einen mehr als wahrscheinlichen Beweis zwar nicht für das Alter des Theeres, aber doch für das Bekanntsein der Operation, bei welcher der Theer gewonnen wird. Hier aber waren die naturwissenschaftlichen Kenntnisse Eigenthum einer bestimmten Kaste, und da jede Mittheilung der Geheimnisse, ja selbst schon der Verdacht einer solchen mit dem Tode bestraft wurde, so ist davon natürlich vieles für die Nachwelt verloren gegangen.

Wir finden zwar diese Operation – die trockene Destillation, d. h. die Zersetzung organischer[WS 1] Körper in verschlossenen, den Zutritt der Luft abhaltenden Räumen bei Anwendung einer hohen Temperatur – bereits wieder vor wenigstens 2000 Jahren in Anwendung, aber nur in ihrer rohesten Art, in der sie sich bis auf unsere Zeit als sogenannte Meilerverkohlung erhalten hat. Der Zweck ist hier, einen sehr kohlenstoffreichen Körper oder reine Kohle zu erzielen, d. h. ein Brennmaterial – die Holzkohlen – das höhere Hitzegrade zu liefern im Stande ist, als das Holz selbst; alle Nebenprodukte werden hierbei geopfert.

Nach und nach hat man die Geheimnisse des Alterthums, auch die Nebenprodukte zu nützen, wieder aufgefunden; besonders der Holztheer ist seit längerer Zeit in Gebrauch. Bereits vor 200 Jahren machte Becher, ein deutscher Chemiker, der 1685 zu London starb, in einem Buche („närrische Weisheit und weise Narrheit“), dessen Titel für jene Zeit bezeichnend ist, darauf aufmerksam, daß man aus Steinkohlen gleichfalls einen Theer gewinnen könne, der geeignet sei, in der englischen Marine, die schon damals einen bedeutenden Aufschwung genommen hatte, den Holztheer, der zum größten Theil aus Schweden bezogen wurde, vollständig zu ersetzen. Die Stimme des Einzelnen verhallt aber ungehört wie die des Predigers in der Wüste. Der Mensch bedarf anderer Mittel als des schwachen Wortes, um aus seinem Gleichmuth aufgerüttelt zu werden. Als daher nach länger als hundert Jahren bei der Darstellung des Leuchtgases Steinkohlentheer in einigen Mengen als Nebenprodukt abfiel, da wußte man damit nichts Anderes anzufangen, als ihn in der Fabrik selbst als Brennmaterial zu verwenden, um nur einigen Vortheil daraus zu ziehen; ein Jeder stieß sich daran, daß der Steinkohlentheer einen durchdringenderen Geruch hatte als der Holztheer, und deshalb glaubte man, ihn nicht zu denselben Zwecken verwenden zu können, wie diesen, bis endlich nach Jahrzehnten dieser Irrthum über den Haufen geworfen wurde.

Bis in die neueste Zeit hinein war der Theer, d. h. seine chemische Beschaffenheit, für den Chemiker ein Räthsel, weil eben zu dessen Lösung, zu der Entwirrung dieses Gemenges von giftreichen Verbindungen ein hoher Grad von Muth und Ausdauer gehörte, der nicht bei einem Jeden zu finden. Zwar machte sich Berzelius, der ehrwürdige Altmeister der Chemiker, dessen Stuhl heute noch unbesetzt ist und auch wohl für alle Zeiten bleiben wird, in eigener Person an die Untersuchung des Holztheers, ohne aber den gordischen Knoten lösen zu können. Alles, was er uns bietet, sind zwei Namen – Brandöle und Brandharze – wodurch wir wenig gewonnen haben; denn beide umfassen eine große Anzahl der verschiedensten Körper, über deren Eigenthümlichkeiten wir keinen Aufschluß erhalten.

Dieser Vorgang schreckte jedoch andere nicht ab, gleichfalls ihre Kräfte zu diesem Versuche einzusetzen. Schon zwei Jahre später finden wir Reichenbach[WS 2] bei derselben Arbeit beschäftigt. Seine erste Abhandlung, die 1830 erschien, brachte uns die Entdeckung des Paraffims, eines blendend weißen Körpers, der große Aehnlichkeit im reiferen Ansehen mit dem Wachs hat. Die merkwürdigste Eigenschaft dieses Körpers ist seine chemische Zusammensetzung, die genau die ist des reinsten Leuchtgases, wie es keine Gasbeleuchtungsanstalt liefert. Mit welcher Schwierigkeit der Chemiker hier zu kämpfen hat, wird der Leser daraus ersehen, daß Reichenbach, außer einigen kleineren Mittheilungen, bis 1834 zwanzig Fortsetzungen seiner Untersuchung lieferte; trotz dieses bewundernswerthen Eifers und der anhaltenden Ausdauer war er doch nur immer ein Einzelner und nicht im Stande, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Einiges Licht brachte sein unermüdlicher Eifer aber doch in diese bisher sehr dunkle Region der Chemie, und wenn wir auch dafür diesem Forscher zu großem Danke verpflichtet sind, so müssen wir um so mehr bedauern, daß er auf seine alten Tage hin in die Irrgänge seiner „odischen Briefe“ gerathen ist, die ihm in jüngster Zeit, und leider wohl verdient eine Zurechtweisung zugezogen haben.

Im Ganzen brachten uns Reichenbach’s Untersuchungen nicht viel, wenn wir absehen von einer großen Menge Namen, die zwar jetzt noch durch alle Lehrbücher der Chemie hindurch geschleppt werden, obschon man weiß, daß es eben bloße Namen sind. Außer dem Paraffim widmete Reichenbach besonders dem Kreosot seine ganze Kraft. Dieser Körper war es, der einiges Licht über die alten ägyptischen Mumien verbreitete und gleichzeitig über den alt hergebrachten Vorgang – des Räucherns der Schinken und Würste, was auch schon der Name – aus dem Griechischen gebildet und „Fleisch erhaltend“ bedeutend – anzeigt.

Fast gleichzeitig mit Reichenbach beschäftigte sich der Professor Runge,[WS 3] lange Zeit Director der chemischen Fabrik in Oranienburg bei Berlin, der auch in weiteren Kreisen des Publikums bekannt ist, mit der Untersuchung des Steinkohlentheers. So viel Wunderbares er uns auch von den hier entdeckten Körpern, namentlich von verschiedenen klaren und rothen Farbestoffen, erzählt, so waren seine Untersuchungen doch unvollständig; ja, sie enthielten selbst manchen Widerspruch. Dazu erlitt er noch, von Reichenbach, der sich in seinem Rechte gekränkt glaubte, die heftigsten Angriffe. Es ist nämlich in der Wissenschaft Gebrauch, daß das Gebiet, welches von Jemand durch eine Untersuchung in Besitz genommen worden ist, von Niemand berührt wird, damit jener ungestört fortarbeiten und sich in aller Muse entwickeln kann. Ist ja doch das Feld der Wissenschaft, das des Anbaues noch fähig ist, so unendlich weit ausgedehnt, daß es Platz darbietet für viele fleißige und rüstige Arbeiter, ohne daß einer den anderen zu beeinträchtigen nöthig hat.

Nach diesen Bestrebungen, das schwere Theerräthsel zu lösen, die nur zum Theil zu einem gedeihlichen Ende führten, trat eine lange Pause ein. Erst nach Verlauf von zehn Jahren wurden die Untersuchungen, und zwar die des Steinkohlentheers, von Hofmann[WS 4], jetzt Professor der Chemie in London, damals noch ein Schüler Liebig’s, von Neuem aufgenommen. Können wir von dieser Arbeit trotz ihrer Gründlichkeit auch nicht sagen, daß sie einen directen Einfluß auf das praktische Leben gehabt habe, so ist doch ihr Werth für die Wissenschaft um so größer, da sie den Ausgangspunkt für zahlreich andere bildet, die noch heute die Chemiker beschäftigen. Und hierbei sind Fragen zur Sprache gekommen, deren Tragweite für das praktische Leben noch gar nicht berechnet werden können. Wir erinnern hier nur an die vor wenig Jahren von der pharmaceutischen Gesellschaft zu Paris gestellte Preisaufgabe, das Chinin, diese kostbare und heilkräftige, daher in sehr großen Mengen verbrauchte vegetabilische Base, die bis jetzt nur aus der theuern Chinarinde gewonnen wird, künstlich darzustellen. Freilich war diese Aufgabe zu frühzeitig gestellt und unsere wissenschaftlichen Kräfte noch viel zu schwach, um so Großes zu vollbringen, aber das Wollen zeigt hinreichend, welchem erhabenen Ziele man zuzustreben sich für ermächtigt hält. Und dazu hat nichts anderes als der Steinkohlentheer, dieser unscheinbare, ja abstoßende Körper, der unsere Geruchsorgane so empfindlich beleidigt und an dem ein Jeder verächtlich vorübergeht, den Anstoß gegeben.

Den Reigen dieser Untersuchungen beschließen die von Hansfield gleichfalls über den Steinkohlentheer angestellten, die für das praktische Leben von der weit greifendsten Wichtigkeit geworden sind, indem er den Werth der bei der Destillation des Theeres gewonnenen Produkte für die Beleuchtung und viele andere technische Zwecke kennen lehrte.

Bei der Besprechung dieser Errungenschaften der Wissenschaften für das alltägliche Leben in unserem nächsten Briefe werden sich gewiß einem jeden Leser Ovid’s Metamorphosen, falls er sie in seiner Jugend sollte gelesen haben, in’s Gedächtniß zurückrufen, und diese sind der beste Vergleich mit den Verwandlungen, die der Theer, den vielleicht viele der Leser kaum der Beachtung werth halten, durch wissenschaftliche Behandlung erleidet. Dann auch wird [453] sich die Einleitung unseres jetzigen Briefes rechtfertigen. Eingedenk des alten Spruches: „Ein gut Ding will Weile haben,“ wollen wir für jetzt nur so viel verrathen, daß jetzt endlich die Zeit der Ernte für 25jährige Mühe und Arbeit naht, indem die mühevollen Untersuchungen, über die wir hier berichtet haben, gerade in unseren Tagen den Ausgangspunkt und die sichere Grundlage für einen neuen Industriezweig bilden, von dessen Wichtigkeit wir uns heute nur ein schwaches Bild machen können.

Anmerkungen (Wikisource)