Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen/Tiflis und seine Umgebung
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Tiflis und seine Umgebung.
Lage der Stadt; das alte und neue Tiflis. Ursprung und Schicksale der Stadt. Ihr kosmopolitischer Charakter. Die Bazars. Gravierarbeiten. Die heißen Quellen; die Bäder. Bei dem Weinhändler. Die Sions-Kathedrale. Eine Keilinschrift. Ausflug nach Seri-Samok. Das Thal des Khram. Die Orbeliani. Tartarendörfer; das alte Schloß. Fürst Scherwatchidsa. Empfehlung durch den General von Nikolai. Einladung zum Mittagessen. Wein von Kakheti.
Tiflis liegt auf beiden Seiten der äußerst fischreichen Kura, in einer wilden und trostlosen Gegend. Der Hauptteil der Stadt befindet sich auf dem rechten Ufer des Flusses und erstreckt sich bis zum Fuße eines kahlen Schieferberges, auf dem das Kloster des heiligen David steht. Dieses Kloster ist der höchste bewohnte Punkt von Tiflis und liegt 73 Meter über der alten Kurabrücke und 537 Meter über dem Spiegel des schwarzen Meeres. Im Südosten löst sich ein Ausläufer, der Sololaki-Hügel, von dem Berg und schließt die Stadt von dieser Seite ein. Dieser Hügel trägt die Ruinen der Festung Narikala. Von diesen Ruinen aus bietet Tiflis ein schönes Panorama. Über den Wirrwar der Dächer schweift der Blick hinweg auf die wellige, graue, einförmige Steppe, die nur zuweilen durch den einen oder anderen Schneeberg des Kaukasus, der aus der Ferne auftaucht, etwas Abwechslung erhält. An diesen Hügel lehnt sich das persische Viertel und umgiebt ihn im Bogen; mit dem botanischen Garten nimmt es die Südseite des Hügels ein. Dieses persische Viertel ist eines der ältesten der Stadt Tiflis; seine Bevölkerung, seine engen und krummen Gassen, seine Bazars, kurz alles hat den orientalischen Charakter treu bewahrt. Der Awlabar mit seiner alten Zitadelle liegt auf der linken Seite der Kura dem persischen Viertel gegenüber. Zwischen diesen beiden Vierteln ist der Fluß sehr durch Felsen eingeengt und deshalb tief. Eine Brücke verbindet seit der Erbauung der Festung Narikala diese mit den Befestigungen auf dem linken Ufer.
Es entspricht der Wahrheit ziemlich genau, wenn man sagt, daß das alte Tiflis seine Hütten auf den beiden Ufern der Kura im Angesichte und unter dem Schutze der Befestigung Sololaki und der Zitadelle Awlabar errichtete. Dagegen ist das moderne Tiflis mehr stromaufwärts erbaut. Das rechte Ufer ist mehr das Viertel der Beamten, während das linke von deutschen Kolonisten zum großen Teil bewohnt ist, wie sich auch in der Nähe von Tiflis noch heute württembergische Kolonistendörfer befinden, deren Bewohner ihren heimatlichen Sitten und Gebräuchen treu geblieben sind. Auch befindet sich auf dem linken Ufer der Bahnhof.
Von Anfang an hatte Tiflis nur einen befestigten Brückenkopf. Wakhtan-Gurgaslan gründete das heutige Tiflis im Jahre 455 der christlichen Zeitrechnung. Dessen Sohn Datschi verlegte seine Residenz von Mzkhet nach Tiflis im Jahre 499. Mzkhet blieb trotzdem noch immer der religiöse Mittelpunkt des Königreichs Georgien und besaß auch noch lange den Titel einer Hauptstadt.
Tiflis fiel im Laufe der Zeit allen Eroberern, die Asien verwüsteten, in die Hände. „Der Name Tiflis,“ sagt Brosset, „erinnert an vierzig heldenmütige Geschlechter, die bald zu dem höchsten Ruhme gelangten, den ein mit Energie begabtes Volk überhaupt nur erreichen kann, die aber auch bald in dem Abgrund der Katastrophen verschwanden, so daß keine Spur der glorreichen Vergangenheit mehr blieb. Nachdem es durch die wilden Verbündeten des Kaisers Heraklius geplündert worden war, wurde es zweimal durch Dschelal-ed-din eingeäschert; dann wurde es durch die Mongolen unter Tamerlan verheert und später seines Schmuckes durch die Perser und Türken beraubt. Es ist deshalb nicht zum Verwundern, wenn es sich auch aus seiner Asche wieder erhob, daß nichts mehr an das hohe Alter und die Geschichte der Stadt erinnert.“ Die letzte Belagerung, die Tiflis auszuhalten hatte, war wahrscheinlich die schrecklichste; am 11. September 1795 bemächtigte sich Agha Mohammed Schah der Stadt, verbrannte sie und führte 30000 Einwohner als Gefangene fort. Seit dem Jahre 1799 besitzen die Russen Tiflis.
Heute ist Tiflis eine der größten Städte des russischen Reiches; nach der Volkszählung von 1886 hatte die Stadt 104000 Einwohner.
Tiflis ist ein Sammelplatz der verschiedensten orientalischen Völker; ein sehr beträchtlicher Teil der Einwohnerschaft ist armenischen Ursprungs. In zweiter Reihe, der Zahl und dem Ansehen nach, stehen die Georgier. Viele Einwohner der Stadt sind nur Wandervögel, Lazen, Chaldäer und andere, die einige Jahre hier arbeiten, um sich eine Summe zu verdienen, die sie dann in ihrer Heimat vergeuden. Die Mehrzahl ist nicht verheiratet oder hat die Weiber wenigstens zu Hause gelassen. Die sittlichen Zustände lassen viel zu wünschen übrig, wie auch das Spielen um Geld hier an der Tagesordnung ist.
Der georgische Name von Tiflis, Tphilis oder Tphilis-Kalaki bedeutet warme Stadt. Ohne Zweifel kommt dieser Name von den heißen Quellen; aber Tiflis verdient auch schon diesen Namen durch die Wärme, die hier im Sommer herrscht. Wir hatten glücklicherweise nicht viel davon zu leiden; aber in dieser baumlosen Gegend, die dazu noch von einem Kranz Schieferfelsen umgeben ist, konzentriert sich die Hitze, und zuweilen steigt die Temperatur zu 41° Celsius im Schatten. Indessen ist die Wärme von Tiflis wegen der Trockenheit doch erträglich, da eine feuchte Wärme viel lästiger wird als eine trockene. Während der Monate Juli, August und September schwankt das Thermometer zwischen 28 und 35°. Der Winter wie auch das Frühjahr sind hier angenehm. Der Nordwestwind ist hier sehr heftig und, da er gewöhnlich große Staubwolken aufwirbelt, die sich überall Zugang zu verschaffen wissen, auch gefürchtet. Auch kommen häufig Erdbeben vor.
Da Tiflis die letzte Stadt ist, wo sich noch europäische Gebrauchsartikel kaufen lassen, mußten wir uns darnach einrichten und noch einige unentbehrliche Sachen kaufen, also den Bazar aufsuchen. Hier liegt nicht alles so aufeinander wie in den meisten orientalischen Städten; freilich verliert der Bazar dadurch viel von seinem nationalen Gepräge. Man findet daselbst wunderhübsche Sachen in gravierter Silberarbeit mit eingelegter Schmelze. Diese Industrie, die sich der einfachsten Mittel bedient, ist eine der am weitesten verbreiteten im Lande, ist gewissermaßen zur National-Industrie geworden. Das Verfahren ist folgendes: Die georgischen Gravierer zeichnen das betreffende Muster tief in die Silberplatte ein. Dann füllt man die Vertiefungen mit einer Mischung von Silber, Kupfer und Blei. Nachdem die Platte glühend gemacht worden ist, wird sie mit Borax eingerieben, dann kommt sie für kurze Zeit in einen Ofen. Darauf läßt man sie langsam erkalten und poliert sie.
Nicht weit vom Bazar befinden sich die warmen Bäder von Tiflis, die sich eines regen Besuches zu erfreuen haben. Ihre Temperatur schwankt zwischen 43 und 46° Celsius. Da man für die Bäder das Wasser so heiß gebraucht, wie es aus der Erde sprudelt, ist die erste Empfindung des Badenden schrecklich unangenehm. Um das Übel nun noch schlimmer zu machen, ergreift ein Masseur den Badenden, legt ihm die Hand auf den Kopf und nötigt ihn, gänzlich unter dem Wasser zu verschwinden. Die Vorsichtsmaßregel scheint notwendig zu sein, um einen Schlagfluß zu vermeiden. Nach dem Bade folgt eine regelrechte Massage, und neu gestärkt verläßt man das Bad. Es gibt dort mehrere Badehäuser; aber man thut gut, vor der Wahl sich zu erkundigen, da einige derselben in moralischer Hinsicht mehr als verdächtig sind.
Unter unsern Einkäufen war eines der nützlichsten Dinge ein Schlauch aus Schaffell, der mit einem vortrefflichen Wein von Kakhetie gefüllt war. Diesen Wein gebrauchten wir zu verschiedenen Zwecken: teils um das ungesunde Wasser damit zu vermischen, teils um uns nach großen Anstrengungen zu stärken, stets aber leistete er uns die ausgezeichnetesten Dienste. Ein kleinerer Schlauch war mit Wudky gefüllt. Dieser Kornschnaps bildet eines der beliebtesten Getränke in Rußland.
Die Keller, wo wir diese Einkäufe machten, sind sehr merkwürdig, denn nirgendwo befindet sich eine Spur von Fässern. Aber längs der Mauern hängt eine lange Reihe von Schläuchen aus Büffelfellen in allen möglichen Größen, die den köstlichen Stoff enthalten, der übrigens hier nach dem Gewichte verkauft wird.
In dem Bazarviertel findet sich auch die georgische Sions-Kathedrale. Die erste Restauration derselben fällt in das sechste Jahrhundert; aber von der alten Kathedrale sind nur mehr die Erinnerung und einige Steine übrig geblieben. Im zwölften Jahrhundert beraubte Dschelal-ed-din die Kirche ihrer Kuppel und ließ eine Luftbrücke über das Dach der Kirche anbringen, um sich das Vergnügen zu bereiten, eine christliche Kirche nach Belieben unter seine Füße treten zu können. Das Äußere ist jetzt ganz mit schönen Bausteinen erneuert worden, die nach den Lagen verschiedene Farben haben. Die Kirche ist klein, aber im Innern reich geschmückt. Eine genauere Besichtigung war uns nicht möglich, da gerade feierlicher Gottesdienst darin stattfand.
Mein Reisegefährte Hyvernat hatte vernommen, daß sich in den Ruinen des alten Schlosses Seri-Samok (in dem Thale des Khram in der Umgebung von Tiflis) eine Keilinschrift befinden solle. In der Geschichte des Königreichs Georgien spielte dieses Thal eine bedeutende Rolle. Nachdem die Turanier unter die Herrschaft des Cyrus gekommen waren, ließen sie sich hier als Bundesgenossen der Kartlier nieder. Ihre Anführer, die Orbulken oder Orbeliani, waren chinesischen Ursprungs und wohnten in Orpeth am Khram. Sie waren lange Zeit die mächtigsten Herren von Kartlis und hatten den größten Teil Georgiens unter ihrer Herrschaft. Die Mehrzahl der Ruinen in dem Thale des Khram, unter andern auch das in Rede stehende Schloß, sind die Überreste ihrer alten Besitzungen. Der Ausflug wurde beschlossen; unser Führer war ein Pole, dessen Bekanntschaft wir auf der Eisenbahn gemacht hatten, so eine Art Industrieritter.
Von Tiflis bis zu der Ebene des Khram durchlief unser Weg eine wellenförmige Steppe, wo wir ab und zu kleine Seen antrafen. Um ein Unterkommen zu finden, mußten wir mehrere Werste zurückkehren und fanden schließlich ein Nachtlager in der Mühle von Mamai. Am folgenden Tage mußten wir stundenlang zwischen tiefen Bewässerungsgräben umherfahren. Das ganze Land ist von Tartaren bewohnt, die durch diese Gräben ihre Felder bewässern zum Anbau der Wassermelonen. Von ihren Häusern erheben sich bloß die Dächer über die Erde; die Häuser selbst sind nichts anderes als in die Erde gewühlte Löcher. Da die Dörfer mit Bäumen umgeben sind, kommt es vor, daß man nicht eher etwas von einem Dorfe bemerkt, bis man dasselbe betritt. Die Frauen sind mit einem roten Rock bekleidet, auf dem sie eine blaue Bluse tragen. Ein schmalkrämpiger Hut vervollständigt ihren Anzug. Dazu beladen sie ihren Anzug mit der denkbar größten Zahl von metallenen Gegenständen, was aber der Anmut der Trägerinnen keinen Eintrag thut.
In einem dieser Dörfer nahmen wir einen jungen, intelligent aussehenden Tartaren mit Namen Ali als Führer, damit er uns helfe, diese unheildrohenden Graben zu vermeiden. Endlich erreichten wir Seri-Samok. Das alte Schloß, das auf einem isoliert liegenden Berg auf der rechten Seite des Baches Bordschala und nicht weit von demselben erbaut ist, beherrscht die ganze Ebene. Es mißt ungefähr hundert Meter in der Länge und 40—45 Meter in der Breite.
Die Keilinschrift besteht wirklich auf der schmalen Vorderseite des Schlosses nach der Ebene zu. Aber da sie uns unzugänglich war und wir aus der Ferne den mehr oder weniger verstümmelten Text nicht lesen konnten, vermochten wir keinen Nutzen daraus zu ziehen. Das Innere der Festung ist vollständig ruiniert und wird von einigen Füchsen als Schlupfwinkel benützt.
Einige Tage vor unserer Abreise machten wir die Bekanntschaft des Fürsten Schervatchidza, des Unterbefehlshabers von Tiflis.
Dieser ist ein Neffe des glorreichen Siegers über Schamyl, des Generals von Nikolai, der auf der Höhe seiner militärischen Laufbahn die Welt verlassen hat, um sich in die große Kartause bei Grenoble zurückzuziehen. Der General von Nikolai hatte uns ein Empfehlungsschreiben an seinen Neffen mitgegeben, weshalb uns dieser mit großer Zuvorkommenheit empfing. Er versah uns mit einer Menge nützlicher Ratschläge und verschaffte uns die Bekanntschaft der vornehmsten Persönlichkeiten von Tiflis. Der Mangel an Zeit erlaubte uns leider nicht, diese Gelegenheit gründlich auszunutzen. Nachdem der Fürst uns zum Mittagessen eingeladen hatte, wurden wir auch etwas in die Geheimnisse der georgischen Küche eingeweiht. Noch mehr gefiel uns aber der Wein von Kakhetie, der entschieden noch besser ist als sein Ruf. würde man ihm etwas mehr Sorge bei der Zubereitung und während des Lagerns angedeihen lassen, so würde dieser Wein unter den besten der Welt seinen Platz ehrenvoll behaupten können. Die Bereitung des Weines vollzieht sich auf die einfachste Weise. Die Aufbewahrung geschieht in irdenen Amphoren, die ungefähr neun Fuß hoch und entsprechend breit sind.