Vincenz Prießnitz (Die Gartenlaube 1899/21)

Textdaten
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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Vincenz Prießnitz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 655–656
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vincenz Prießnitz.

Zur Wiederkehr seines hundertsten Geburtstags.

Bei den alten Griechen und Römern wurde das kalte Wasser bereits von Aerzten als Heilmittel für gewisse Krankheiten empfohlen. Das Mittelalter brachte wie auf vielen anderen Gebieten des Wissens auch in der Medizin einen Rückschritt. Das einfache kalte Wasser wurde als Heilmittel gering geschätzt; nur Quacksalber wandten es von Zeit zu Zeit an gegen Wunden und Geschwüre, aber sie verbanden ihre Wasserkuren mit allerlei geheimnisvollen Zeichen, die auf die abergläubischen Gemüter ihre Wirkung nicht verfehlten. Vergebens versuchten aufgeklärte Aerzte den wahren Sachverhalt aufzudecken.

Mit den Fortschritten der Aufklärung wurde es aber auch auf diesem Gebiete lichter. In Deutschland, England und Frankreich traten einzelne Aerzte auf, die Wasserkuren versuchten und für die „neue“ Heilmethode in Büchern und Zeitschriften eintraten. Es gab schon gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts eine Litteratur der Wasserheilkunde; aber weder der deutsche Arzt Hahn, noch der Engländer Floger konnten erfolgreich durchdringen. Sie bereiteten nur den Boden vor für das Auftreten eines schlichten Mannes aus dem Volke, dem es beschieden bleiben sollte, dem kalten Wasser den Ruf als Heilmittel ersten Ranges für alle Zeiten zu sichern.

Vor hundert Jahren standen auf dem Gräfenberge bei Freiwaldau in Oesterreichisch-Schlesien nur einige einfache Bauernhäuser. In einem derselben erblickte der Begründer der Kaltwasserkur oder Hydrotherapie, Vincenz Prießnitz, am 4. Oktober 1799 das Licht der Welt. Sein älterer Bruder wandte sich dem Studium der Theologie zu, aber der junge Vincenz mußte dem augenleidenden Vater in der Landwirtschaft helfen. Darüber wurde der Schulunterricht vernachlässigt: Lesen und Rechnen hat Vincenz wohl gelernt, aber im Schreiben blieb er sehr zurück. Bücherweisheit blieb ihm für die erste Zeit seines Lebens völlig verschlossen; das große Buch der Natur lag jedoch offen vor des Jünglings Augen und in ihm verstand Vincenz Prießnitz zu lesen.

An viele Wild- und Mineralbäder knüpft sich die Sage, daß Tiere die Menschen auf deren Heilkraft hingewiesen haben. Aehnliches wird auch von Prießnitz erzählt. In den Waldungen, in welchen der Knabe die väterlichen Kühe hütete, sprudelte eine frische Quelle. Die „Prießnitzquelle“ hieß sie im Volksmunde, da an ihr im siebzehnten Jahrhundert die Schweden einen Prießnitz erschlagen haben sollen. Der Knabe sah nun einmal, daß ein angeschossenes Reh an jene Quelle kam und sich in dem Moostümpel daneben die Wunde auswusch und daß es wiederkehrte, bis die Heilung erfolgte. Seit jener Zeit soll Prießnitz das kalte Quellwasser für ein Heilmittel gehalten haben. Fünfzehn Jahre alt, konnte er es an sich selbst erproben. Beim Transport schwerer Holzklötze zerquetschte er sich einen Finger; er tauchte ihn in kaltes Wasser und kurierte ihn vollends durch kalte Umschläge. Nun wuchs sein Vertrauen. Knechten und Mägden in Gräfenberg empfahl er bei Verletzungen das kalte Wasser und wandte es auch bei krankem Vieh an. Im Jahre 1816 erlitt er einen schweren Unfall. Das Pferd vor seinem Wagen scheute und ging durch. Prießnitz wurde überfahren; das Rad brach ihm einige Rippen. Ein Arzt wurde herbeigerufen, als aber seine Behandlung nicht anschlug, sann Prießnitz auf Selbsthilfe. Durch Pressen des Brustkorbs an eine Stuhlkante brachte er die gebrochenen Rippen in geordnete Lage und machte kalte Umschläge, indem er sich mit einem ins Wasser getauchten Linnen umgürtete. Er genas, aber die inneren Schäden, die er dabei davontrug, sollten später den Grund seines frühzeitigen Todes bilden.

Seit jener Heilung empfahl Prießnitz allen Freunden und Bekannten bei äußeren Verletzungen die Anwendung des kalten Wassers; seine Ratschläge halfen, und er wurde bald in der nächsten Umgebung bekannt. Die Leute kamen zu ihm und ließen sich von ihm behandeln. Die Verhältnisse trugen ihn; ohne daß er es beabsichtigt hatte, wurde er ein gesuchter Wasserdoktor, und mit der zunehmenden Praxis wuchs auch seine Erfahrung. Zunächst verordnete er den Kranken Ganzwaschungen, Umschläge und Wassertrinken.

Prießnitz verlangte für seine Bemühungen keine Belohnung; aber es konnte nicht ausbleiben, daß Leute, denen er geholfen hatte, sich auch [656] durch klingende Münze dankbar erwiesen. Im Jahre 1822 war er bereits im Besitze einer kleinen Geldsumme, die ihn in stand setzte, an Stelle des alten hölzernen Häuschens, in dem er geboren war, ein steinernes zu errichten. Dies war um so mehr nötig, als manche Kranke bei Prießnitz blieben, bis sich ihr Leiden besserte, und aus Mangel an Raum in Scheunen und Ställen nächtigen mußten. In einer Kammer des Hauses wurde ein großer Trog aufgestellt, den die Hausquelle mit Wasser speiste. Das war der Anfang der Kaltwasserheilanstalt, die später einen Weltruf erlangte.

Mit seinen Erfolgen konnte der junge Wasserdoktor zufrieden sein; sein Wissen mehrte sich, und allmählich baute er seine Heilmethode aus; er führte nach und nach das Schwitzen, Bäder und Duschen ein, aber je größer sein Ruf wurde, desto üppiger schoß der Neid der Nachbarn auf. Es hieß bald, daß er sich als Wunderdoktor gebärde, geheime Worte bei Abwaschungen murmele und allerlei Hexenzeichen mache. Diese Verleumdung veranlaßte die Geistlichkeit zum Vorgehen gegen den „schlechten Propheten und seinen verderblichen Aberglauben“. Die Aerzte der Umgegend erblickten in Prießnitz einen gefährlichen Kurpfuscher, gegen den von Rechts wegen eingeschritten werden sollte. In der That wurde er auch bald in Untersuchungen und Prozesse verwickelt. Es blieben ihm die Kämpfe nicht erspart, die jeder Neuerer bestehen muß: aber die Verfolgung war nicht hart. Im Gegenteil, wenn man die damaligen Gesetze in Betracht zieht, drückten die Behörden eher ein Auge zu. Nur vorübergehend und für kurze Zeit wurde seine Badeanstalt geschlossen, dann ließ man Prießnitz ungehindert kurieren.

In dieser Zeit der Kämpfe führte Prießnitz die Schulzentochter Sophie Prießnitz aus Böhmischdorf als Frau heim. Anfangs waren die Eltern der Erwählten gegen die Verbindung. Nachdem aber Prießnitz die Mutter von der Gicht kuriert hatte, durfte er die Hand der Tochter als Honorar erbitten.

Vincenz Prießnitz.

Im Jahre 1830 wurde die kleine Badeanstalt auf dem Gräfenberge wieder eröffnet und der Ruf des Wasserdoktors breitete sich immer weiter aus. Die Zahl der Kurgäste stieg; die benachbarten Bauernhäuser wurden mit ihnen belegt, aber der Raum genügte nicht und Prießnitz sah sich genötigt, Neubauten aufzuführen.

Der Zudrang in Gräfenberg wuchs von Jahr zu Jahr. Die Zahl der Kurgäste betrug im Jahre 1836 über 400 und im darauffolgenden Jahre 500. Die Preise waren um jene Zeit gar nicht teuer. Für das Zimmer zahlte man wöchentlich drei bis vier Mark, für Frühstück und Abendbrot zusammen fünfzig Pfennig, Mittagessen siebzig Pfennig. Dabei wurde in Gräfenberg sehr viel gegessen – aber nur Wasser getrunken. Im Jahre 1839 stieg die Zahl der Kurgäste auf 1700 und die Einnahme Prießnitzens betrug 120000 Gulden. Diese ist auf die glänzenden Honorare zurückzuführen, welche die Geheilten dem Wasserarzte gaben; denn Gräfenberg war inzwischen derart in Ruf gekommen, daß es von Fürsten, Prinzen und Grafen aufgesucht wurde. „Es ist wiederholt vorgekommen,“ schreibt Philo vom Walde in seinem jüngst erschienenen Buche „Vincenz Prießnitz. Sein Leben und Wirken“ (Berlin, Wilh. Möller), „daß polnische Edelleute Prießnitz außer dem Honorar noch ein Reitpferd oder auch ein ganzes Gespann dedizierten. Büsten und Porträts, Gemälde, silberne und goldene Denkmünzen, silbernes und goldenes Geschirr waren häufige Andenken beim Abschiede dankbarer Kurgäste.“ Schon im Jahre 1838 erbaute Prießnitz das „große Kurhaus“; aber auch im nahen Freiwaldau mußte man neue Häuser bauen, in denen sich die „Crème der Noblesse“ mit Vorliebe aufhielt und die Stadt mit ihren Köchen, Lakaien und Grooms überfüllte. Es gab eine Winter- und eine Sommersaison, und Prießnitz war unermüdlich thätig; er besuchte fleißig die Kranken und ritt zwischen Gräfenberg und Freiwaldau. Das verfeinerte Leben der Kurgäste in der Stadt mißfiel ihm. Er wünschte von denen, die Genesung suchten, eine einfachere Lebensart.

„Wenn ich das Wasser nicht hätte, würde ich mit der Luft kurieren,“ hat Prießnitz einmal gesagt. So forderte er auch möglichst reichlichen Aufenthalt im Freien und Schlafen bei offenen Fenstern. Auch hielt er viel auf Bewegung. Man sah seine Kurgäste ohne Ansehen des Standes Holz hacken und im Winter Schnee schaufeln. Es wurden in Gräfenberg auch Luft- und Sonnenbäder genommen, und man sah Damen, wie sie barfuß über tauiges Gras schritten.

An äußeren Zeichen der Verehrung hat es Prießnitz nicht gefehlt. Man trieb mit ihm eine Art Kultus. Da ist eine Quelle in Marmor gefaßt und auf ihr steht zu lesen: „Dem unsterblichen Prießnitz die dankbaren Preußen. 1846.“ Auf einem Aussichtspunkte der Koppe ruht auf einem Sockel ein eherner Löwe. Schwanthaler, der 1839 in Gräfenberg zur Kur war, hat ihn im Auftrage der Ungarn modelliert. Ebenso haben Böhmen, Franzosen und Polen in Gräfenberg Dankmonumente errichtet. Der Körper Prießnitzens war den Anstrengungen, die er sich auferlegte, nicht gewachsen. Der notdürftig geheilte Rippenbruch machte ihm zu schaffen und reizte, wie er sich selbst ausdrückte, die Leber. Schon im Jahre 1847 stellten sich bei ihm Ohnmachtsanfälle ein, aber er wollte von Schonung nichts wissen. Er starb am 28. November 1851. Mit seinem Tode hörte jedoch sein Wirken nicht auf. Nach Gräfenberg waren viele Berufene und Unberufene geeilt, um die Heilmethode des schlichten Bauern zu studieren. Sie gingen in alle Richtungen der Welt, um Wasserheilanstalten zu gründen.

Prießnitz konnte nicht alle Leiden heilen, das sagte er selbst, und er war auch nicht unfehlbar, er suchte allmählich seine Heilmethode zu vervollkommnen, und wie er sie hinterließ, so hatte sie neben glänzenden Treffern auch schwerwiegende Fehler aufzuweisen. Aufgabe der Wissenschaft ist es gegenwärtig, für die Anwendung des kalten Wassers in der Heilkunde die richtigen Grenzen zu ziehen und ein verderbliches Uebermaß zu verhüten. Vincenz Prießnitz bleibt aber unbestritten das Verdienst, zum Wohl der leidenden Menschheit der Wasserheilkunde siegreich die Bahn gebrochen zu haben. C. Falkenhorst.