Vierte Sammlung (1792)
[(III)] Nach einem langen Aufschube kann ich Ihnen endlich, m. Fr., eine vierte Sammlung zerstreuter Blätter senden, die sich Ihnen, wie sie sind, selbst empfehlen mögen.
Zuerst finden Sie abermals eine Blumenlese aus morgenländischen Dichtern. Der Titel wird Ihnen keine Ziererei scheinen, wenn ich bemerke, daß ein großer Theil dieser Lehrsprüche aus Sadi’s Blumengarten oder Rosenthal, und ähnlichen Sammlungen genommen ist. Warum sollten auch Griechenland und Rom allein ihre Anthologieen haben? Sind nicht die [IV] schönsten Blumen unsrer Gärten morgenländischer? ist unsre Rose nicht Persischer Abkunft?
Als eigentliche Kunstwerke verpflanzte ich indessen diese schönen Kinder der Phantasie und des Verstandes nicht. Sadi war mir in meinen jungen Jahren ein angenehmer Lehrer der Moral, dessen Einkleidungen oft die schönsten Sprüche der Bibel wie in einem neuen Gewande zeigen. Ich lade Sie also auch zu ihm als zu einem Lehrer der Sitten unter die Rose der schönsten Vertraulichkeit ein, der Vertraulichkeit nähmlich, die man mit seinem eignen Herzen pfleget. Stücke von ihm sind zwar oft übersetzt; schon 1678. soll eine deutsche Uebersetzung aus dem Französischen erschienen seyn, die ich nicht [V] kenne: Olearius gab die seine 1697. und aus ihr sind manche Sentenzen Sadi’s in die Sammlung deutscher Sinngedichte übergegangen. Da indessen diese Uebersetzung selten ist, und in Ansehung der Sprache manchen unlesbar seyn möchte: so konnte sie mich nicht hindern, daß ich aus Gentius Ausgabe nicht einige dieser Blumen nach meiner Art pflegte. Gentius, dem wir die ebengenannte prächtige Ausgabe des Sadi zu danken haben, war auch ein Deutscher.
Verzeihen Sie, wenn Sie in den Rhapsodischen Gedanken des zweiten Stücks einigen Enthusiasmus für diese Lehrart finden. Luft und Liebe zur Sache ist selten ohne Begeisterung für dieselbe, die man dem
[VI] Liebhaber billig auch verzeihet, ja gar von ihm fodert.
Die Unsterbliche des dritten Stücks möchte ich des Inhalts wegen empfehlen, weil ich den Glauben an diese Unsterblichkeit für wichtig halte. „Wir sind nicht, wie jene Rotte sagt, von ungefähr gebohren, und fahren wieder dahin, als wären wir nie gewesen.“ Wird unsres Namens auch vergessen, so ist unser Leben doch nicht „wie eine Wolke zergangen und wie ein Nebel verzehret und wie ein Schatte dahingefahren.“ Es ist die Selbstheit eines Wohllüstlings oder eines Tyrannen, zu glauben, daß mit uns das Weltall untergehe; vielmehr erstrecket sich der Geist der Humanität in seinen Wirkungen [VII] schon auf unsrer Erde über das Grab hinaus, und erzeugt oft alsdann eben die süssesten Früchte. Selbst die ungeheure Begierde der Alten nach namentlicher Unsterblichkeit oder einer Fortdauer in Denkmalen halte ich nur für das Mißverständniß einer an sich wahren Pflicht und Lehre; man nahm nämlich, wie Kinder zu thun pflegen, das Symbol für die Sache, das darstellende Zeichen für die Kraft der Wirkung. Je mehr das Menschengeschlecht aus seiner Kindheit herauszugehen gezwungen wird, desto mehr darf es die Hülfe wegwerfen, es muß aber am Kern haften. Freilich ists nur eine menschliche Unsterblichkeit, von der ich hier rede. Qua licet, aeternus es, könnte man mit dem Apollo, der [VIII] seinen Liebling in eine Blume verwandelte, sagen; aber auch diese Unsterblichkeit ist der Menschheit viel werth, ja die Grundlage ihrer ganzen Zusammenordnung.
– quotiescunque repellit
ver hiemem, Piscique Aries succedit aquoso
tu toties oreris, viridique in cespite vernas.
Aus dem Gebiet einer unsichtbaren Unsterblichkeit treten Sie zu Monumenten des sichtbaren Verfalls menschlicher Dinge und lesen ein paar Aufsätze über Denkmale der Vorwelt. Gerne möchte ich nach den Gesichtspunkten, die ich im ersten Stück angegeben, diese Aussichten über mehrere Völker [IX] fortsetzen, weil bei jedem Volk sich eigne Resultate ergeben. Bei den Indiern sehen Sie z. B., daß und warum eine schöne Götterlehre nicht sogleich eine schöne Kunst gewähre? und im folgenden Stück wird es sich noch deutlicher zeigen, warum der Geschmack Ostasiens so sonderbar abweiche? Lassen Sie sich indeß durch diesen Mangel das nicht verleiden, was jene Völker wirklich Gutes haben; lesen Sie also auch meine Briefe über die Sakontala und die Sammlung von Gedanken einiger Bramanen ohne Vorurtheil für oder wider. Wo Ihnen in diesen der Geruch einer zu starken Würze vorkommt, da denken Sie, er ist von einer Indischen Pflanze.
[X] Ueber das letzte Stück Tithon und Aurora mag ich nichts sagen. Es ist das Resultat vielfacher Lectur und Bemerkung, so daß, wenn ich jedem Satz seine historischen Beispiele hätte zufügen wollen, die Abhandlung gar leicht zu einem Buche gediehen wäre. Gnug, wenn Ihnen mein moralischer Blumengarten gefällt, wenn Sie in ihm hie und da Stärkung, Freude, Erholung finden.
Weimar
den 7. April, 1792.