« §.44 Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs [[Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs/|]] »
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Textdaten
Autor: Johann Christoph Harenberg
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Titel: Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs ...
Untertitel: §.45 - Conclusio galeata.
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Erscheinungsdatum: 1733
Verlag: Johann Christoph Meißner
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Erscheinungsort: Wolfenbüttel
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Quelle: Digitalisat des Göttinger Digitalisierungszentrums bzw. bei Commons
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§. XLV.

[131] Ich bilde mir fast ein, daß diese meine Abhandlung von einigen mit ungütigen Augen werde angesehen werden. Allein ich bitte zu überlegen, daß ich andern nichts vorgeschrieben, sondern einem jedem seine Freyheit zu dencken ungekränckt gelassen habe. Ich habe aber einen Beruf zu diesem Aufsatze gehabt, nicht allein weil meine mir anvertraute Zuhörer zum theil sich mit leeren Wörtern und Regeln der Sprachen nicht wollen abspeisen lassen, sondern über die in den Zeitungen gelesene Sachen, so etwas mehr bedeuten, meine Erklährung begehren; sondern auch vornehmlich weil eine hohe Persohn, von deren Gnade und Befehlen ich abhange, mir ausdrücklich auferlegt, meine Gedancken von den Vampirs zu Papier zu bringen. Ferner bin ich in meinem Gewissen zur Bekänntnis der Wahrheit, so fern dieselbe von mir durch meine Ober-Herrn vermittelst eines doppelten Eydes vor zwölf [132] Jahren gefordert worden, bis ins Grab verbunden. Ich überlasse die Beschaffenheit und den Seelen-Zustand eines jeden Scribentens dem Gerichte Gottes anheimgestellet, welcher eines jeden Absicht, Einsicht, Kräfte und verliehene Gaben, nebst den anklebenden Schwachheiten, gründlichst erkennet und richten wird. Wenn ich die Meynungen einiger Persohnen verabscheuet habe, so habe ich mich lediglich an die Sache selbst gehalten. Die Nahmen derer, so in ihren Meynungen Fehl-Tritte begangen, habe zuweilen verhelet, um nur die Persohnen gleiches Standes gegen gemeine Irrthümer oder besondere Schwachheiten nach meiner geringen Erkänntnis zu verwahren. Bey den Geschichten kommt es auf die Glaubwürdigkeit der erzehlenden an, welche in allen Stücken nicht rechtfertigen will. Von den Welt- und Astral-Geiste habe handeln müssen, weil die Geschichte von den Vampirs einige daraus zu erklähren versuchet haben. Wie habe ich hiebey anderst verfahren können, als daß ich den Ungrund ungereimter Meynungen und den Uhrsprung, auch Fortgang derselben, angezeiget habe? Ich halte mich lediglich an eine gewisse Erfahrung, an die Regeln und Gründe einer geübten Vernunft und an den richtigen Wort-Verstand des Göttlichen Worts. Zum wenigsten ist dieses meine Absicht gewesen. In der Haupt-Sache habe über einen ziemlichen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht gelangen können, indem ich die Regeln, so bey den willkührlichen Sätzen oder hypothesibus vorkommen, in acht genommen, wenigstens zur Anwendung derselben geneigt gewesen bin. [133] Daß aber aus willkührlichen Sätzen auch Wahrheiten erfolgen können, zeigen die Zeichen der Rechen- und Messe-Kunst an, welche grossen theils willkührlich sind. In denjenigen Sachen, so zufällig sind, und auf der Möglichkeit des Gegentheils beruhen, nimmt man alle Umstände zusammen, und vergleichet dieselbe mit einem willkührlichen Satze. Wenn alle Umstände passen, und der angenommene Satz so wohl möglich als andern erkannten Haupt-Wahrheiten gemäß ist; so hat man der Sache ein Genügen gethan, und muß es dem Erfolge der Zeit überlassen, ob mehrere Umstände bekannt werden sollen. Wenn die Umstände, so von neuen zu den bekannten hinzukommen, sich nicht reimen mit dem willkührlichen Satze derer, welchen so viele Umstände nicht bekannt gewesen, so haben die Nachkommen Ursache, den willkührlichen Satz zu verbessern oder mit einem neuen zu vertauschen. Die Sternseher-Wissenschaft giebt uns in diesem Stücke die deutlichsten Exempel. (a)[1] Es gefällt mir die Meynung derjenigen nicht, welche die Wahrheit nach der Beschaffenheit und dem Seelen-Zustande der Menschen abmessen. Auch die Gottlosen können Wahrheiten vortragen; wie sich gegentheils auch Exempel finden, daß fromme Leute geirret haben, so bald sie das Licht der Vernunft und der geoffenbahrten Wahrheit verlassen haben. Ich räume gern ein, daß ein Unterscheid sey unter der Wahrheit, so fern dieselbe sich auf die Ordnung der Dinge an sich gründet, und nur [134] von dem Verstande ohne Absicht auf die Besserung der Seelen ergriffen wird: und unter derjenigen Wahrheit, welche zu der Ruhe und Seeligkeit der Seelen angeleget wird, und durch diese Absicht thätig zu werden beginnet. In dem ersten Falle findet eine illuminatio obiectiva & incidens in intellectum statt, welche aber weder wärmet noch lebendig macht. In dem andern Falle findet sich eine Erleuchtung, welche ich subiectivam & animi emendatricem totius nenne, weil sie nicht allein den Verstand anscheinet und durch auswärtige Gründe, die in Sätzen bestehen, überführet, wie die illuminatio obiectiua, sondern auch erwärmet und die Seele in die Würckung, welche der göttlichen Seeligkeit gemäß ist, setzet, auch durch die innerliche Erfahrung überführet. Die andere Art wirfft die erste nicht über den Haufen, sondern setzt sie zum Grunde. Die erste Art gehet auf alle Wahrheiten, welche den Verstand rühren können; Die andere Art gehet nur auf solche Wahrheiten, welche etwas zur Seeligkeit der Seelen beytragen. Es ist aber nicht eines jeden Sache, den Zusammenhang der Wahrheiten mit die Glückseeligkeit einzusehen. Es komt darauf an, daß man sein Augenmerck dahin richte, damit man so viel Sachen gehörig erkennen möge, als zur Erkäntnis und Erreichung der Glückseeligkeit nöhtig und zugänglich sind. Es giebt haushälterische Gemühter, so alles zu nutzen wissen. Es sind aber viele Persohnen, so auch die nützlichsten Dinge verwerffen, weil sie die Umstände der Welt und der Gemühter nicht erkennen, worin man dieselbe anwenden kan. Einige Dinge dienen lediglich [135] zur Erfrischung in zeitlichen und zuläßigen Umständen. Andere dienen nur zur Ausübung des Verstandes, welche allerdings zu einer wohleingerichteten Seele erfordert wird. Andere dienen nur zur Ausmertzung der Irrthümer und Erdichtungen, welche gewislich allemahl unnützlich, wo nicht schädlich, sind. Denn man muß nicht allein die nutzbahren Wahrheiten befestigen und aufbauen, sondern auch den im Wege liegenden Schutt abfahren. Es kan jedermann ohne diese Abhandelung von den Vampirs glückseelig seyn. Man kan aber dieselbe auch nützen, wenn man erweget, daß die Erkänntnis der Begebenheiten, welche GOTT über das menschliche Geschlecht kommen läst, alzeit nutzbar sind. Es giebt diese Abhandelung Gelegenheit zur Untersuchung der Kräfte verdorbener Einbildung, und zu eines jeden eigener Prüfung an sich selbst. Es erhellen hieraus die Betriegereyen und mittelbahren Würckungen des Satans. Man erkennet anbey viele verführerische Irrthümer, wodurch die Menschen ihren Nutzen, ihre Narren- und Hochmuhts-Kappe, und ihr Ansehen unterstützen. Man nimmt Gelegenheit, die Kranckheiten zu forschen, welche die Schweis-Löcher verstopfen und die Luft-Röhre zuziehen. Es können annoch andere Anwendungen hiebey gemacht werden. Ich halte nichts von der Wahrheit, welche der Besserung des Menschen entgegen stehet. Es sey mir aber auch erlaubt, daß ich keine thätige Wahrheit begreiffen könne, welche nicht auf die Wahrheit, in dem ersten Verstande genommen, gegründet ist. Denn eines [136] wiederspricht dem andern nicht, sondern die andere ist nur eine Anwendung der ersten. Ich weiß zwar wol, daß der Herr Jacob Friderich Reimmann (b)[2] wie auch die Fanatici, das Gegentheil lehren. Aber ich glaube immer, daß solche Leute entweder selbst nicht wissen, was sie wollen, oder daß sie richtigere Gedancken als Ausdrückungen haben.


  1. (a) Videatur SCHLOSSERI pl. rev. Diss. de Vsu hypothesium philosophicarum.
  2. (b) Hin und her in seiner Introductione ad historiam litterariam Germaniae, welche ohngeachtet einiger Flecken, dennoch eine Sonne genennet werden kann.